Sind „wir“ wirklich Christen, was ist dann Gott?

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“. Erschienen am 4. Juni 1855)

Die Sache verhält sich doch so: dass unser Begriff eines „Christen“ eine Einbildung ist, dass diese ganze Maschinerie mit einer Staatskirche und 1000 geistlich-weltlichen Kanzleiräten eine ungeheure Augenverblendung ist, die uns in der Ewigkeit nicht das Mindeste helfen wird, die sich im Gegenteil in eine Anklage gegen uns verkehren wird … Und wenn sich die Sache so verhält, dann wollen wir in diesem Fall doch um der Ewigkeit willen diese Maschinerie je eher, je lieber loswerden … –

Wenn sich die Sache aber nicht so verhält, wenn der „Christ“ wirklich das ist, was „wir“ unter einem solchen verstehen: Was ist dann Gott im Himmel?

Er ist das lächerlichste Wesen, das je gelebt hat. Sein Wort ist das lächerlichste Buch, das je ans Licht gekommen ist. Himmel und Erde in Bewegung zu setzen (wie er ja in seinem Wort tut), mit der Hölle, mit ewiger Strafe zu drohen – um das zu bekommen, was „wir“ unter einem „Christen“ verstehen. (Und wir sind ja „wahre Christen“!) Nein, etwas so Lächerliches ist noch nie dagewesen!

Denke dir, es trete ein Mann mit scharfgeladener Pistole auf jemanden zu und sagte zu ihm: „Ich schieße dich nieder“; – oder stelle dir seine Drohung noch schecklicher vor, denke dir, er sage: „Ich bemächtige mich deiner Person und martere dich auf die grausamste Weise zu Tode, wenn du nicht (Nun merke wohl, was da kommt:) – wenn du nicht dein Leben hier auf Erden so profitabel und genussreich anlegst, als es dir möglich ist!“, so ist das doch wohl äußerst lächerlich. Denn um das zu bewirken, braucht man wirklich nicht mit einer scharfgeladenen Pistole oder der qualvollsten Todesart zu drohen. Denn vielleicht wären sogar weder die scharfgeladene Pistole noch die qualvollste Todesart imstande, das überhaupt zu verhindern.

Und so auch hier: Durch die Schrecken einer ewigen Strafe (fürchterliche Drohung!) und durch die Verheißung einer ewigen Seligkeit bewirken zu wollen – ja, das bewirken zu wollen, was „wir“ sind! (Denn der Christ ist ja das, was „wir“ unter ihm verstehen!) Also das bewirken zu wollen, was „wir“ sind: dass wir das Leben wählen, nach dem es uns am meisten gelüstet! (Denn dass wir das Zuchthaus meiden, gebietet ja die einfache Klugheit!)

Die schrecklichste Art von Gotteslästerung ist die, welche die „Christenheit“ verschuldet. Dass sie den Gott des Geistes in ein lächerliches Geschwätz verwandelt. Und die geistloseste Art von Gottesverehrung – geistloser als alles, was je das Heidentum aufbrachte, geistloser als die Verehrung eines Steins, eines Ochsen, eines Insekts, geistloser als alles, was überhaupt an Geistlosigkeit möglich ist – ist dies: als Gott einen Faselhans anzubeten.“