Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Monat: März 2025

Menschenfischerei

(Menschenfischerei – eine Satire von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 30. August 1855)

Es sind Christi eigene Worte: „Folget mir nach, so will ich euch zu Menschenfischern machen.“ Mt 4,19.

So gingen die Apostel hin.

„Doch was sollte es mit den paar Menschen wohl werden, die zudem Christi Wort dahin verstanden, dass sie geopfert werden sollten, damit Menschen gewonnen würden? Es ist leicht zu sehen: Wäre es dabei geblieben, so wäre bei der Sache nichts herausgekommen. Das war zwar Gottes Gedanke, vielleicht ein schöner Gedanke. Aber – ja, so viel muss doch jeder praktische Mann zugestehen – Gott ist nicht praktisch. Oder lässt sich etwas Verkehrteres denken als diese Art Fischerei, wobei das Fischen bedeutet, ein Opfer zu werden, so dass hier also nicht der Fischer die Fische verspeist, sondern die Fische den Fischer? Und das soll fischen heißen? Das erinnert ja an Hamlets wahnwitzige Bemerkung über Polonius, er sei beim Gastmahl, allein nicht um zu speisen, sondern um verspeist zu werden?“

Da nahm sich der Mensch der Sache Gottes an:

„Menschenfischerei! Was Christus darunter verstand, ist etwas ganz anderes, als was diese guten Apostel, allem Sprachgebrauch und aller Sprachanlogie zuwider, vollbrachten. Denn in keiner Sprache heißt das ‚fischen‘. Was er meinte und bezweckte, ist einfach die Eröffnung einer neuen Erwerbsquelle: der Menschenfischerei. D. h. dass man das Christentum so verkündige, dass es wirklich etwas zu fischen gibt.“

Nun pass auf, nun sollst du sehen, dass etwas daraus wird!

Ja, meiner Treu, es wurde etwas daraus: „die bestehende Christenheit“ mit Millionen, Millionen, Millionen von Christen.

Das Kunststück war ganz einfach. So, wie sich eine Kompanie bildet, die in Heringsfischeri spekuliert, eine andere, die in Kabeljau- oder Walfischfang usw. spekuliert: so betrieb die Menschenfischerei nun auch eine Aktiengesellschaft, die so und so viele Dividenden garantierte.

Und was kam dabei heraus? O, wenn du es nicht schon getan hast, so bewundere doch bei diesem Anlass, was Menschen können! Der Erfolg war derart, dass eine ungeheure Menge Heringe, ich wollte sagen, Christen, gewonnen wurde und die Kompanie sich somit natürlich brilliant stellte. Ja, es zeigte sich, dass die bestsituierte Heringskompanie sich nicht entfernt so herrlich rentierte wie die Menschenfischerei. Und noch eins, ein Profit weiter, oder doch eine pikante Würze als Zugabe: dass sich nämlich keine Heringskompanie auf ein Schriftwort berufen darf, wenn sie die Schiffe zum Fang aussendet.

Die Menschenfischerei ist aber ein gottseliges Unternehmen. Die Herren Interessenten in der Kompanie dürfen sich darauf berufen, dass sie das Wort der Schrift für sich haben. Denn Christus sagt ja selbst. „Ich will euch zu Menschenfischern machen.“ Getrost gehen sie dem Gericht entgegen: „Wir haben dein Wort befolgt, wir haben Menschen gefischt.“

Sünde, die nicht vergeben wird

Sünde, die nicht vergeben wird, ist eine Realität in der Botschaft des Neuen Testaments. Doch stellt sich die Frage, wie oder womit jemand so sündigt, dass ihm nicht mehr vergeben werden kann. Diese Frage hat zu allen Zeiten Rätsel aufgegeben. Und manche eigenartigen Auslegungen haben christliche Glaubensgeschwister schwer belastet. Auf die Spur einer Antwort kommen wir, wenn wir den Zusammenhang beachten. Betrachten wir die Stellen, die davon sprechen:

Die Sünde gegen den heiligen Geist

„Amen, deswegen sage ich euch: Alle Versündigungen und Lästerungen können den Menschen vergeben werden, wie viel sie auch gelästert haben; die Lästerung des Geistes kann aber nicht vergeben werden. Jeder, der ein Wort gegen den Menschensohn gesagt hat, dem kann vergeben werden; wenn aber jemand etwas gegen den Heiligen Geist gesagt und gelästert hat, dem kann nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der kommenden. Er hat keine Vergebung bis in Ewigkeit, sondern ist einer ewigen Versündigung schuldig.“ (Mt 12,31-32 und Mk 3,28-29)

Jesus selbst hat die Sünde, die nicht vergeben wird, als Sünde gegen den heiligen Geist bezeichnet. In seiner Antwort auf die Theologen, die seine Befreiungstaten als das Werk Beelzebubs bezeichneten, sprach er diese Warnung aus. Das offensichtliche Werk des Heiligen Geistes als Teufelswerk zu bezeichnen und das durch Leute, die es von der Schrift her besser wissen müssten, das geht direkt gegen den Heiligen Geist. Und bei genauer Betrachtung ist es dann schon keine Warnung mehr, sondern ein Urteil.

Ich denke, man kann es sich so vorstellen: Dass jemand sich bekehrt und retten lässt, dazu muss ja schon der Heilige Geist an ihm arbeiten, ihn ziehen, wie Jesus gesagt hat. Wenn nun jemand den Heiligen Geist in dieser Weise ablehnt und verleumdet, also lästert, dann zieht sich der Heilige Geist dauerhaft von ihm zurück, und dann gibt es auch keine Rettung, keine Vergebung mehr. Die jüdische Theologenschaft zur Zeit von Jesus hat ja dann eindrücklich demonstriert, wie das ausgeht.

Die Sünde zum Tod

„Wenn jemand sieht, dass sich eines seiner Geschwister versündigt mit einer Sünde, (die) nicht zum Tod (führt), soll er (dafür) bitten und ihm Leben geben. (Das gilt) für die, die sich nicht zum Tod versündigen. Es gibt Sünde, (die) zum Tod (führt), für die sage ich nicht, dass man bitten soll.“ (1 Joh 5,16)

Dazu gehört wohl auch die Aussage von Jakobus: „Jeder wird aber versucht, wenn er von seiner eigenen Gier verlockt und geködert wird. Wenn die Gier dann schwanger geworden ist, gebiert sie Sünde. Und die Sünde, wenn sie vollbracht ist, gebiert Tod.“ (Jak 1,14-15)

Es gibt also zunächst einmal Sünden, für die man bitten kann, die dann auch vergeben werden. Das sind Sünden, die nicht zum Tod führen. In diese Richtung zeigt auch das Wort von Paulus: „Wenn ein Mensch bei irgendeinem Fehltritt überrascht wird, Geschwister, dann müsst ihr, die geistlichen Menschen, denjenigen wiederherstellen mit sanftem Geist!“ (Ga 6,1). Auch davon spricht Jakobus: „Gesteht einander also die Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet!“ (Jak 5,16)

Es gibt aber auch die Sünde, die zum Tod führt, für die man auch nicht mehr beten soll. Offensichtlich ist das eine solch endgültige und irreparable Trennung von Gott, dass dafür keinerlei Vergebung oder Rettung mehr möglich ist. Über eine solche Versündigung schreibt auch der Hebräerbrief:

Die Sünde des Abfalls

„Es ist allerdings unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet waren, die das Geschenk des Himmels geschmeckt haben, die Teilhaber am Heiligen Geist geworden sind, die Gutes vom Wort Gottes und Kräfte einer kommenden Welt geschmeckt haben und (dann dennoch) abgefallen sind, noch einmal erneut zu einer Sinnesänderung zu bringen. Sie haben für sich selbst den Sohn Gottes noch einmal ans Kreuz gehängt und zum Gespött gemacht.“ (Heb 6,4-6)

Barnabas, der mutmaßliche Schreiber des Hebräerbriefs, beschreibt hier eindeutig den Fall eines mit allem Drum und Dran wiedergeborenen Christen. Dieser ist (damals vermutlich unter dem Druck der Christenverfolgung) von allem, was Gott ihm geschenkt hat, bewusst wieder abgefallen. Von so etwas wird man nicht ereilt oder überrascht, es geschieht vielmehr bewusst in voller Absicht. Auch das ist natürlich eine Form der Sünde gegen den Heiligen Geist. Und es gibt hier keine Möglichkeit der Rückkehr, Vergebung und Rettung mehr.

Erklärungsversuche

Die Sünde, die nicht vergeben wird, ist also eine bewusste, selbstverschuldete, definitive und endgültige Distanzierung bzw. Trennung von Gott selbst. Der „gewöhnliche“ Ungläubige, der Gott noch gar nicht wirklich kennen gelernt hat, kann diese Sünde also nicht begehen oder begangen haben. Der Gläubige, der über einen Fehltritt traurig ist und mit der Bitte um Vergebung und Reinigung zum Herrn zurückkommt, hat sie auch nicht begangen. Und jemand, der im Zuge des Erwachsenwerdens den ihm in seiner Jugend anerzogenen Glauben erst einmal ablegt, um auf eigenen Beinen zu stehen und sich selbst entscheiden zu können, hat sie vermutlich auch nicht begangen.

Es gibt wohl ein deutliches Zeichen dafür, dass jemand die Sünde, die nicht vergeben wird, begangen hat. Das ist die fanatische Feindschaft gegen alles, was von Gott kommt. Ich erinnere mich an einen alten weisen Bruder (Walter Tlach), der sich damit persönlich auskannte. Seine Erzählung an uns als junge Studenten war die, dass sowohl in der NS-Zeit die schlimmsten Nazis ehemalige CVJM-er als auch in der Sowjetunion die fanatischsten Christenverfolger ehemalige Christen waren. Ich vermute, dass z. B. unter fanatischen Evolutionisten, fanatischen Bibelkritikern und fanatischen Klerikern und Sektierern auch solche Leute sein werden. Da kann man sich dann tatsächlich nur noch mit Grausen abwenden …

Gleichnisse

(Gleichnisse – ein Abschnitt des Kapitels „Volksmund“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Er beschreibt, was er in den Jahren 1884 bis 89 im damaligen Palästina erlebt hat.)

Der Herr Jesus hat in seinen Reden überall den Volkston gewählt, wie er denselben bei seinem langjährigen Leben und Arbeiten mit und unter dem Volk in Nazaret kennen gelernt hatte. Will man auch eine äußere Ursache wissen, warum seine Reden beim Volk einen so tiefen Eindruck machten, so dass sie erstaunt ausriefen: „Er predigt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mt 7,29), so ist es in erster Linie der Umstand, dass sich seine Rede nicht in subtilen Fragen und Frägeleien und in den Terminologien der Schriftgelehrten bewegte. Er hatte vielmehr den Müttern auf den Straßen und Märkten Nazarets „auf den Mund gesehen“ und lehrte und redete in der kräftigen, bilderreichen Volkssprache.

Noch heute ist die Sprache des heiligen Landes ebenso bild- und gleichnisfroh wie ehemals. Der Araber liebt es, anstatt seine Meinung in kurzen, dürren Worten zu sagen, dieselbe in Gleichnisse zu kleiden, deren Sinn der Zuhörer selbst finden muss.

So kam neulich ein arabisches Gemeindemitglied zu mir. Nachdem alle üblichen Formen der Begrüßung mit oft wiederholter Anwünschung eines guten Tages, eines langen Lebens, Vermehrung der Familie, Erhaltung der Kinder, göttlicher Bewahrung und Gnade vorüber waren, begann er:

Abuna (d. h. unser vater), ich will dir ein Wort sagen!

Ich: Habe die Gefälligkeit:!

Er: Gott verleihe dir einen glücklichen Morgen! Es war einmal ein Schaf, das ging in die Wüste und verirrte sich – das sei ferne von dir! Das Schaf stolperte von Berg zu Berg und von Tal zu Tal. Es hatte keine Weide. In den Dornen und Felsen lief es sich die Füße wund. Es war dem Verschmachten nahe. Glaube mir, es war in höchster Not. Was wird nun der gute Hirte tun, wenn er die traurige Lage seines Schafs erfährt?

Ich: Er wird es aufsuchen, zur Herde zurückführen und sorgfältig pflegen.

Er. Du hast recht geantwortet!

Nun sah er mich gespannt an, ob ich nicht die richtige Anwendung finde. Leider zeigte ich hiervon keine Spur. Da sagte endlich: „Abuna! Gott verleihe dir langes Leben, Heil und Segen! Ich habe gegenwärtig absolut kein Geld!“ – Und nun waren wir im richtigen Fahrwasser. Es ist leicht, im Neuen Testament Analogien zu dieser Gleichnisrede zu finden. (Vgl. die kurze Antwort in drei Gleichnissen Mt 9,14-17).

Ein anderes Beispiel. – In meiner Filiale Beit-Djála gibt es eine katholische Partei, welche seit langer Zeit den Gliedern der evangelischen Gemeinde zu schaden sucht, wo immer sie kann. Vor einiger Zeit ermahnte ich einen Mann aus meiner dortigen Gemeinde, als er hierüber Klage bei mir führte, Frieden zu halten. Darauf antwortete er nicht etwa: „Wir können eben auf beiden Seiten die gegenseitigen Kränkungen und Schädigungen nicht vergessen“. Er fing vielmehr an: „Es war einmal eine Schlange, die drang in die Höhle des Fuchses und biss ihm sein Junges tot. Der Fuchs kam dazu und biss der Schlange aus Rache den Schwanz ab – das sei ferne von dir! Seither kann der Fuchs sein Junges nicht vergessen, aber die Schlange kann auch ihren Schwanz nicht vergessen“. Sprach’s, sonst kein Wort mehr oder weniger.

Wiederum ganz dieselbe Art, wie wir sie aus dem Evangelium kennen, Lehren oder Antworten nicht in kurzen Worten oder Regeln zu geben, sondern in Bilder und Gleichnisse zu kleiden, wodurch dieselben für die Zuhörer nicht nur eindrücklicher und einleuchtender, sondern auch behältlicher werden. Jeder Lehrer und Prediger im Orient muss daher auch heute noch dieselbe Lehrweise annehmen und üben. Ohne Gleichnisse darf ich z. B. meinen arabischen Zuhörern in der Predigt nichts sagen. Sind die Gleichnisse gut gewählt, so bin ich gespannter Aufmerksamkeit sicher. Sobald ich aber aus der Gleichnisrede zu sehr in den Lehrton verfalle, fangen sie an zu gähnen.

Auch die große Vorliebe der Orientalen für Sprichwörter gehört hierher. Kurze, frappante, oft paradoxe sprichwörtliche Redensarten flicht jeder Araber gerne in die Unterhaltung ein. Bei jeder Versammlung, auf allen Märkten kann man solche hören. Wie oft antworten die Leute auf eine Frage mit einem kurzn Sprichwort, ohne ein Wort hinzuzufügen.

Auch der Herr liebte sprichwörtliche Rede. So sagt er, um etwas Unmögliches zu bezeichnen: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher, der sein Vertrauen auf Reichtum setzt (Mk 10,24), ins Reich Gottes komme“ (Mt 19,24). Mit jener falschen Erklärung, dass „Nadelöhr“ ein kleines Stadttor Jerusalems bezeichne, bricht man dem Gleichnis die Spitze ab. Der Herr will sagen, dass (bei Menschen) das Seligwerden jener noch unmöglicher sei als unmöglich, wie das Durchgehen eines Kamels durch ein Nadelöhr. Nur Gottes Weisheit könne noch einen Weg finden.

Machen die Pharisäer dem Herrn Vorwürfe darüber, dass seine Jünger nicht fasten, so antwortet er: „Wie können die Hochzeitleute fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?“ (Mt 9,15; Lk 5,34). Tadeln sie seinen freundlichen Umgang mit Zöllnern und Sündern, so sagt er statt aller weiteren Auseinandersetzungen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“ (Mt 9,12; Mk 2,17).

In vielen einzelnen Ausdrücken vernehmen wir noch die Ausdrücke des Altertums. Wer dächte nicht an die Sprache der Erzväter, wenn er z. B. einen Araber, über dem er steht, fragt: Wie heißt du? und der antwortet: Dein Knecht heißt Isaak, deine Magd heißt Sara, Mirjam, Uarda usw.! Oder wem fiele nicht das Wort des Jakobus ein (Ja 2,16), wenn er hört, wie ein Araber einem Bettler, dem er nichts geben will, niemals kurzweg sagt: Ich gebe dir nichts! sondern stets: allah iatík! D. h. Gott gebe dir, Gott berate dich usw.! Sobald der Bettler dieses Wort hört, weiß er, dass er nichts bekommt, und seine Bettelei verstummt.

Der Dichter

Warum liebt der „Mensch“ vor allem „den Dichter“? Und warum ist, geistlich betrachtet, gerade „der Dichter“ der Allergefährlichste?

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe Nummer 7 vom 30. August 1855.)

Antwort: Eben darum ist der Dichter, geistlich betrachtet, der Allergefährlichste, weil der Mensch vor allem den Dichter liebt.

Und der Mensch liebt den Dichter vor allem darum, weil er ihm der Allergefährlichste ist. Denn das gehört ja oft mit zu einer Krankheit, dass der Kranke just das am heftigsten begehrt, am meisten liebt, was ihm am schädlichsten ist. Geistlich betrachtet ist aber der Mensch in seinem natürlichen Zustand krank. Er ist in einem Irrtum, einer Selbsttäuschung befangen, will daher am allerliebsten betrogen werden, um nicht nur im Irrtum zu verbleiben, sondern sich in der Selbsttäuschung auch recht wohl fühlen zu dürfen. Und gerade der Dichter ist ein Betrüger, der ihm diesen Dienst leistet. Darum wird er vom Menschen vor allen geliebt.

Der Dichter wendet sich nur an die Einbildungskraft. Er stellt das Gute, das Schöne, das Edle, das Wahre, das Erhabene, das Uneigennützige, das Hochherzige usw. stimmungsvoll dar im Abstand der Einbildung von der Wirklichkeit. Und wie reizend ist doch in diesem Abstand das Schöne, das Edle, das Uneigennützige, das Hochherzige usw.! Würde es mir dagegen so nahe gerückt, dass es mich gleichsam zu seiner Verwirklichung zwingen wollte, weil es mir nicht durch einen Dichter dargestellt, sondern durch einen Charakter vorgehalten würde, einen Wahrheitszeugen, der es selbst verwirklichte: entsetzlich! Das wäre ja nicht zum Aushalten!

Es gibt in jedem Geschlecht nur sehr wenige, die so verhärtet und verderbt sind, dass sie das Gute, Edle usw. rein weg haben wollen. Es gibt aber auch in jedem Geschlecht nur sehr wenige von dem Ernst und der Redlichkeit, dass sie in Wahrheit das Gute, Edle usw. zur Wirklichkeit machen wollen.

„Der Mensch“ wünscht das Gute nicht so weit weg wie jene ersten wenigen. Er wünscht es aber auch nicht so nahe heran wie jene letzten wenigen.

Hier findet der „Dichter“ seine Stelle, das geliebte Schoßkind des Menschenherzens. Das ist er, was Wunder auch! Denn dieses Menschenherz hat unter anderen Eigenschaften eine, die es selbst mit sich bringt, dass sie freilich seltener genannt wird. Das ist die feine Heuchelei. Und das kann eben der Dichter, er kann mit den Menschen heucheln.

Was zum schrecklichsten Leiden wird, wenn es in die Wirklichkeit eingeführt wird, das weiß der Dichter behende in den feinsten Genuss zu verwandeln. Wirkliche Weltentsagung ist kein Spaß. Dagegen ist es ein feiner, feiner Genuss, bei gesichertem Besitz in dieser Welt in einer „stillen Stunde“ mit dem Dichter in der Weltentsagung zu schwärmen.

… und durch diese Art Gottesdienst sind wir so weit gekommen, dass wir alle Christen sind. Das heißt: das Ganze mit der Christenheit, den christlichen Staaten und Ländern, einer christlichen Welt, einer Staatskirche, Volkskirche usw. hat von der Wirklichkeit den Abstand der Einbildungskraft. Es ist eine Einbildung. Und, christlich betrachtet, ist es eine so verderbliche Einbildung, dass hier das Wort zutrifft: „Einbildung ist schlimmer als Pestilenz“.

Das Christentum ist Weltentsagung. Das doziert der Professor. Und dann macht er dieses Dozieren zu seiner Karriere, ohne jemals zu gestehen, dass das doch eigentlich nicht Christentum ist. Wenn das Christentum ist, wo bleibt die Weltentsagung? Nein, das ist nicht Christentum, sondern ein Dichterverhältnis zum Christentum. Der Pfarrer predigt, er „zeugt“ (ja, ich danke!), dass das Christentum Entsagung ist. Und dann macht er dieses Predigen zu seinem Erwerbszweig, zu seiner Karriere. Er gesteht nicht einmal selbst zu, dass das doch eigentlich nicht Christentum ist. Wo bleibt dann aber die Entsagung? Ist das nicht wieder ein rein dichterisches Verhältnis zum Christentum?

Der Dichter aber heuchelt mit dem Menschen. Und der Pfarrer ist, wie wir nun sahen, Dichter: so wird also der offizielle Gottesdienst zur Heuchelei. Und für dieses hohe Gut scheut der Staat natürlich keine Kosten.

Die mildeste Form nun, der Heuchelei zu entgehen, wäre, dass „der Pfarrer“ das Geständnis machte, dies sei doch eigentlich nicht Christentum – ansonsten haben wir die Heuchelei.

Und darum ist es nicht ganz richtig, was die Überschrift sagt, dass, geistlich betrachtet, der Dichter der Allergefährlichste sei. Der Dichter will ja nur Dichter sein. Weit gefährlicher ist es, dass ein bloßer Dichter als „Pfarrer“ sich das Ansehen gibt, als wäre er etwas weit Ernsteres und Wahreres als ein Dichter, während er doch nur ein Dichter ist. Das ist Heuchelei in zweiter Potenz.

Darum bedufte es eines Polizeitalents, um hinter diese ganze Mummerei zu kommen. Und das Mittel war, dass einer das Kind beim Namen nannte und von sich selbst bekannte, er sei nur ein Dichter.

Übernachten

(Übernachten – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er beschreibt die Zustände, wie er sie in den Jahren 1884-89 im damaligen Palästina selbst erlebt hat.)

Wo kann man bei solchen Reisen in Palästina übernachten? Es ist schon oben gelegentlich der Weihnachtsgeschichte erwähnt worden, dass in Palästina keine Gasthäuser oder Hotels existieren. Dennoch fällt es dem Reisenden nicht schwer, ein Unterkommen zu finden. Gastfreundschaft ist ja von jeher der Ruhm und die Ehre des Morgenländers gewesen. Je ursprünglicher die Menschen noch sind, namentlich also in der Wüste, desto williger und zuvorkommender wird diese altberühmte Tugend geübt. Es ist ein Zeichen der Rohheit und im Auge des Arabers schimpflich, einen Gast nicht freundlich aufzunehmen. Und es ist nicht eine leere Phrase, was der Araber zu seinem Gast zu sagen pflegt: Beti betak. Das heißt: mein Haus ist dein Haus.

Damit ist nicht gesagt, dass man eine jede beliebige verdächtige Gestalt, der man in der Wüste begegnet, als guten Hausfreund behandelt. Dazu gehört, dass man in seinem Zelt sein Gast und Hausgenosse gewesen ist. Ist das nicht der Fall, so sehen es viele als ihr unbestrittenes Privilegium an, dem freundlichen Wanderer die Sorge um seinen Mammon so erheblich zu erleichtern, als nur irgend in ihren Kräften steht. Und wenn diese Freiherren in der Wüste vom Raub leben, so ist das nicht etwa eine Sünde in ihren Augen. Es ist vielmehr ihr Erwerbszweig, so gut wie man an der nordischen Küste den Strandsegen als einen berechtigten Erwerbszweig ansieht. Für dessen Ausgiebigkeit betete und dankte man früher sogar im allgemeinen Kirchengebet.

So war es, wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt, eine unsichere Sache, allein zwischen Jerusalem und Jericho zu reisen. Man liebte daher damals wie heute, für diese Reise eine Karawane abzuwarten. …

Wo indessen das Gastfreundschaftsverhältnis durch Eintreten in ein Zelt oder Haus und durch gemeinsame Mahlzeit eingeleitet ist, da wird es auch heilig gehalten. Meistens braucht man, wenn man sich einer Hütte naht, nicht erst lange anzuklopfen. Die Leute kommen dem Fremden vielmehr entgegen und laden ihn aufs freundlichste ein, nicht an der Tür ihrer Hütte vorbeizugehen.

So lesen wir auch von Abraham, dass er eines Tages, als die Sonne am heißesten war, an der Tür seiner Hütte sitzend seine Augen aufhob und drei Männer erblickte. Und da er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seiner Hütte und bückte sich nieder auf die Erde und sprach: “ Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so gehe nicht vor deinem Kecht vorüber. Man soll auch ein wenig Wasser bringen und eure Füße waschen.“ (1 Mo 18,3f.).

Solch‘ freundlich zuvorkommendes Einladen eines ganz fremden Mannes ist mir zu wiederholten Malen auf den Bergen Judas begegnet. In manchen Gegenden werden dem Gast auch, wie wir hier bei Abraham lesen, die Füße gewaschen. Dann erhält er und sein Reittier Speise und Trank, so gut es eben der Wirt gerade leisten kann.

Dies Pietätsverhältnis der Gastfreundschaft der Beduinen in der Wüste findet übrigens seine Grenzen an den Genzen des Stammes, welchem der Wirt angehört. Es kann vorkommen, dass jemand einen Fremden aufs liebenswürdigste aufnimmt und bewirtet und ihn dann eben so dienstfertig als sein Gastfreund bis an die Grenze geleitet. Sobald diese aber überschritten ist, fällt er als sein Räuber über ihn her und plündert ihn aus.

Bei meinen Reisen durchs Land war ich zum Übernachten häufig genötigt, einen der Einwohner des Dorfs, in welchem ich abends ankam, um gastfreundliche Aufnahme zu bitten. Diese versagte man mir auch niemals. Gewöhnlich gab ich am nächsten Morgen dem Weib eine Vergütung. Die Araber früherer Zeiten, deren noble Gesinnung bekannt ist, würden dies freilich als eine Beleidigung angesehen haben. Unter sich halten es die Araber noch heute meistens so. Bei uns Europäern machen sie sich hierüber weniger Skrupel. Denn der Europäer ist nach allgemeiner Auffassung nur dazu da, um ausgebeutet zu werden.

Übernachten kann man im Sommer auch draußen. So habe ich selbst öfters einfach unter freiem Himmel kampiert. Das Pferd wurde an einen Felsen oder einen großen Stein gebunden, der Mantel oder die Reisedecke um den Leib geschlagen. Die Satteltasche wurde als Kopfkissen untergelegt.

Auch die Reisegesellschaft Jesu hat ohne Zweifel oft im Freien übernachtet. Treffen wir sie doch selbst in kalter Aprilnacht draußen in Getsemane! In solchen Fällen wickelten sich Jesus und seine Jünger in ihre Abája, ihren Mantel aus Schaf- oder Kamelswolle. Ihren Kopf legten sie auf einen Stein oder eine Erderhebung, wie der Erzvater Jakob. Aber manchmal, und besonders in kühlerer Jahreszeit, baten sie auch um Privatgastfreundschaft. Dabei mussten sich die zwölf bis zwanzig Personen zum Übenachten wahrscheinlich oft auf mehrere Häuser verteilen.

Nach Ankunft fremder Gäste in einem Haus versammeln sich gewöhnlich viele Männer, oft fast das ganze Dorf, in dem Haus. Sie nehmen auf den Matten rings an den Wänden herum Platz. Dabei nehmen z. B. wir gewöhnlich Gelegenheit, aufmerksamen Ohren das Evangelium vorzulesen und zu erklären. So führen auch die bekannten Evangelisten des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, welche zweimal des Jahres das heilige Land durchziehen, ihr Amt hauptsächlich in solchen Abendstunden unter einer so versammelten Gesellschaft aus.

So mag auch Jesus, wenn sich des Abends im Haus des Gastgebers die Leute eines Dorfs oder eines Städtchens um ihn versammelten, seinen Mund aufgetan und das Wort vom „Königreich der Himmel“ verkündigt haben. Währenddessen saßen die Zuhörer rings am Boden, und eine kleine Ölampel breitete ihr mattes Licht über die lauschende Versammlung, in deren Herzen nächtlicherweise ein Widerschein des ewigen Lichts hineinfiel.

Wenn den Herrn nichts mehr für länger an einen Ort fesselte, so schied er eines Morgens aus dem Haus, das ihn gastlich aufgenommen. Er verließ es auch dann nie, wenn etwa Vornehmere ihn in ihr Haus einluden. (Mt 10,11; Lk 10,7). Waren die Leute, bei denen er mit seinen Jüngern zum Übernachten war, arm, so wird Jesus, welcher ohnedies einen Teil seiner Kasse für die Armen bestimmte (Lk 11,41; Mt 26,11), den Judas wohl angewiesen haben, etwas zu bezahlen.

Dass dies aber nicht das Gewöhnliche war, geht aus Mt 10,11 hervor. Hier wies Jesus seine Jünger bei ihrer Aussendung an, Privatgastfreundschaft anzunehmen, und verbot ihnen doch, Geld mitzuführen. Eine Fehlbitte wird Jesus selten getan haben, wenn er um gastliche Aufnahme an ein Haus klopfte. Selbst im heidnischen Syrophönizien am Ufer des blauen Mittelmeeres klopfte er eines Tages an einem Haus an, um dort, wie einst Elija, unweit Sarepta, eine Zeit lang vor aller Welt verborgen zu bleiben (Mk 7,24).

Nur einmal nahmen ihn Samariter nicht zum Übernachten auf, weil er nach dem verhassten Jerusalem zog. Aber wir sehen aus der Entrüstung der „Donnerskinder“ Jakobus und Johannes, wie unerhört dieser Fall war. Das nahe sichtbare Karmelgebirge hatte sie an jenem Tag an Elija erinnert. Darum hätten sie am liebsten gleich ihm Feuer vom Himmel fallen lassen (Lk 9,54). Jesus aber tadelte sie ernstlich und ging mit ihnen weiter bis zu einem anderen Dorf. …

Jedenfalls muss Jesus eine gesunde, kräftige Natur gehabt haben, welche allen diesen Strapazen und Entbehrungen in Frost und Hitze gewachsen war. Darum konnte er auch auf einem von Wind und Wellen herumgejagten Schiff ebenso ruhig schlafen, wie unter den Öl- oder Feigenbäumen auf den Bergen Palästinas. …

Frei von Sünde

Frei von Sünde – das ist der von Gott gewollte, geplante und vorbereitete Normalzustand des Christen im Neuen Testament. Den grundlegenden Überblick dazu habe ich im Beitrag „Reinigung von der Sünde“ zu geben versucht. Zur Untermauerung jener Aussagen stelle ich hier in chronologischer Reihenfolge dazu aus dem Neuen Testament die diesbezüglichen Stellen zusammen. Frei von Sünde – das ist wirklich so gemeint:

„Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Mt 5,48)

„Versündige dich nicht mehr!“ (Jo 5,14)

„Geh, und von jetzt an versündige dich nicht mehr!“ (Jo 8,11)

„Amen, Amen, ich sage euch: Jeder, der die Sünde ausübt, ist ein Sklave der Sünde. Der Sklave bleibt aber nicht bis in Ewigkeit im Haus, der Sohn bleibt bis in Ewigkeit. Wenn euch also der Sohn frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.“ (Jo 8,34-36)

„Werdet wieder recht nüchtern und versündigt euch nicht!“ (1 Ko 15,34)

„Die, die sich versündigt haben, musst du vor allen überführen, damit auch die übrigen Furcht haben!“ (1 Ti 5,20)

„Ich habe es euch vorausgesagt und sage es voraus – als der ich zum zweiten Mal anwesend war und jetzt (wieder) abwesend bin – denen, die sich bisher versündigt haben, und allen Übrigen: Wenn ich wiederkomme, werde ich euch nicht verschonen.“ (2 Ko 13,2)

„Seine Liebe zu uns beweist Gott aber dadurch, dass der Messias für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Rö 5,8)

„Was sollen wir dazu sagen? Sollen wir in der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt? Das kann nicht sein! Wenn wir für die Sünde gestorben sind, wie (können) wir noch in ihr leben?“ (Rö 6,1-2)

„Das wissen wir, dass unser alter Mensch mit hingerichtet wurde am Kreuz, damit der Mensch der Sünde abgeschafft wird, sodass wir nicht mehr der Sünde als Sklaven dienen. Wer gestorben ist, ist nämlich freigesprochen von der Sünde.“ (Rö 6,6-7)

„So auch ihr: Haltet euch dafür, dass ihr einerseits für die Sünde tot seid und andererseits für Gott lebt im Messias Jesus. Die Sünde darf also nicht regieren in eurem sterblichen Leib, dass ihr seinen Trieben gehorcht! Stellt auch nicht der Sünde eure Glieder zur Verfügung als Werkzeuge der Ungerechtigkeit! Stellt euch vielmehr Gott zur Verfügung als Lebendiggewordene aus den Toten, und (stellt) eure Glieder Gott (zur Verfügung) als Werkzeuge der Gerechtigkeit! Keine Sünde kann mehr über euch herrschen. Ihr seid ja nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ (Rö 6,11-14)

„Was ist also? Wollen wir uns versündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade? Das kann nicht sein! Wisst ihr nicht, dass ihr die Sklaven dessen seid, dem ihr gehorcht? (Je nachdem,) wem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam bereitstellt, seid ihr entweder (Sklaven) der Sünde zum Tod oder (Sklaven) des Gehorsams zur Gerechtigkeit. Gott sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde gewesen seid und von Herzen dem Inhalt der Lehre gehorcht habt, an die ihr übergeben wurdet. Frei gemacht von der Sünde, seid ihr Sklaven für die Gerechtigkeit geworden.“ (Rö 6,15-18)

„Jetzt aber, nachdem ihr von der Sünde frei geworden und Sklaven für Gott geworden seid, habt ihr eure Frucht auf Heiligung hin, und das Ende ist ewiges Leben.“ (Rö 6,22)

„Als wir (noch) in der menschlichen Natur steckten, wirkten sich doch die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz (festgehalten werden), in unseren Gliedern aus, um Frucht zu bringen für den Tod. Jetzt sind wir aber zunichtegemacht – weg vom Gesetz: dem gestorben, worin wir festgehalten waren, so dass wir in einer neuen Art des Geistes als Sklaven dienen und nicht in der alten Art des Buchstabens.“ (Rö 7,5-6)

„Das Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Rö 8,2)

„Er selbst trug unsere Sünden mit seinem Leib an das Holz hinauf, damit wir, den Sünden abgestorben, für die Gerechtigkeit leben sollen.“ (1 Pe 2,24)

„Meine Kinderchen, das schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt.“ (1 Jo 2,1)

„Jeder, der in ihm bleibt, versündigt sich nicht. Jeder, der sich versündigt, hat ihn nicht gesehen und kennt ihn nicht.“ (1 Jo 3,6)

„Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ (1 Jo 3,9)

„Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, sich nicht versündigt, sondern (Jesus), der aus Gott geboren wurde, bewahrt ihn, und der Böse fasst ihn nicht an.“ (1 Jo 5,18)

„Deshalb, weil wir eine solche Wolke von Zeugen haben, die uns umgibt, wollen wir nun jegliche Last ablegen, gerade auch die festsitzende Sünde, und mit Ausdauer laufen im vor uns liegenden Kampf.“ (Heb 12,1)

Reinigung von der Sünde

Reinigung von der Sünde ist ein zentraler Aspekt der guten Botschaft des Neuen Testaments. Dazu müssen wir zuerst einmal schauen, was „Sünde“ eigentlich ist. Sünde sei „Trennung von Gott“, heißt es in einer gewissen Auslegungstradition. Aber das ist eine verharmlosende Formulierung. Sünde ist ihrem Wesen nach Auflehnung und Aufruhr gegen Gott. Natürlich trennt das den Menschen auch von Gott. Aber diese Trennung von Gott ist die Folge und Auswirkung der Sünde, nicht die Sünde selbst. Jegliche Sünde eines Menschen richtet sich in Wahrheit direkt gegen den den allmächtigen, heiligen und gerechten Gott selbst. Sie ist Missachtung und Ablehnung Gottes. Es gibt nichts Schlimmeres, was ein Mensch tun kann, als zu sündigen.

Dabei bezeichnet „Sünde“ im Neuen Testament zweierlei Sachverhalte. Zum einen ist Sünde die persönliche Tat und der daraus folgende persönliche Zustand eines einzelnen Menschen. Er handelt als Sünder und lebt in Sünde (und ist dadurch natürlich vom heiligen Gott getrennt). Zum anderen ist Sünde aber auch eine dem Menschen übergeordnete und ihn beherrschende Macht, der er ausgeliefert ist und die ihn zwingt, immer weiter zu sündigen. Und so ist die menschliche Natur zur durch und durch sündigen menschlichen Natur geworden. Dieser Zustand des Menschen ist menschlich gesehen unheilbar und hoffnungslos. Der Mensch steht deshalb auch unter dem wohlverdienten Gericht Gottes. Die Strafe Gottes für die Sünde ist der Tod, der zeitliche Tod und er ewige Tod.

Deshalb schreibt Paulus auch: „Ein elender Mensch bin ich. Wer soll mich retten aus diesem ganzen Komplex des Todes?“ (Rö 7,24). Aber er gibt dann im folgenden Vers auch gleich die Antwort darauf: „Gott sei Dank – (es ist möglich) durch Jesus den Messias, unseren Herrn!“. Weil die Sünde den Tod verdient, deshalb musste Jesus, der einzig Sündlose, den Tod am Kreuz auf sich nehmen. Und so ist dort bei Jesus der Ort entstanden, an dem die Strafe für die Sünde bereits vollzogen ist. Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt, wurde zum Sühnopfer für die Sünde der Welt. Damit ist die Tür geöffnet zur Reinigung von der Sünde, zur Rettung des Menschen.

Die Reinigung von der Sünde ist im Neuen Testament ganz real gemeint. Es gibt keine theoretische, hypothetische oder deklaratorische Rettung des Menschen. Was Gott will, ist, aus einem Sünder einen Heiligen machen, aus einer Sünderin eine Heilige. Die Voraussetzung dazu auf Seiten des Menschen ist, dass er das tatsächlich auch selbst will. Gott rettet niemanden gegen seinen Willen. Es ist die Liebe Gottes, die diese Freiheit gegeben hat und niemanden zwingt, auch wenn das seine ewige Verlorenheit bedeutet.

Diese rettende Lebensveränderung gehört zum Grundbestand der neutestamentlichen Botschaft. „In jenen Tagen ging Johannes der Täufer durch das ganze Umland des Jordans. Er befand sich in der Wüste von Judäa und verkündete eine Taufe der Sinnesänderung zur Vergebung der Sünden, indem er sagte: „Seid bereit euch zu ändern! Denn das Königreich der Himmel ist nahegekommen.“ (Mt 3,1-2; Mk 1,4; Lk 3,3). Dasselbe wie Johannes verkündete dann auch Jesus. „Von da an begann Jesus, die Botschaft Gottes zu verkünden: „Die Zeit ist erfüllt. Das Königreich der Himmel, das Reich Gottes, ist nahegekommen. Seid bereit euch zu ändern! Glaubt an die gute Botschaft!“ (Mt 4,17; Mk 1,14b-15).

Da der Mensch diese grundlegende Lebensveränderung nicht aus eigener Kraft vollziehen kann, übersetze ich das lutherische „Tut Buße!“ an dieser Stelle mit diesem „Seit bereit euch zu ändern!“. Denn es drückt das aus, was Gott von einem Menschen erwarten kann und auch erwartet, nämlich seine Bereitschaft. Er kann sich nicht selbst ändern, aber er kann willig und bereit sein, sich diese Lebensänderung von Gott schenken zu lassen und dabei mitzumachen.

Den Anfang macht er damit, seinen sündigen Zustand einzugestehen. Über die Besucher von Johannes heißt es: „Und sie ließen sich von ihm untertauchen im Jordanfluss, indem sie ihre Sünden eingestanden.“ (Mt 3,6; Mk 1,5). Es wird auch eine sofortige erkennbare Veränderung eingefordert: „Bringt nun Früchte, die der Sinnesänderung angemessen sind!“ (Mt 3,8; Lk 3,8).

Der gute Wille ist auch daran erkennbar, dass die Leute nachfragen: Die vielen Menschen fragten ihn: „Was sollen wir denn tun?“ Er antwortete ihnen: „Wer zwei Gewänder hat, soll dem eines abgeben, der keines hat, wer Nahrung hat, soll es genauso machen!“ Es kamen auch Steuereinnehmer, um sich untertauchen zu lassen, und sie sagten zu ihm: „Lehrer, was sollen wir tun?“ Er antwortete ihnen: „Ihr sollt nicht mehr kassieren, als man euch angeordnet hat!“ Es fragten ihn auch Soldaten: „Und wir, was sollen wir tun?“ Ihnen sagte er: „Ihr sollt niemanden misshandeln, niemanden erpressen und genug haben an eurem Sold!“ (Lk 3,10,14).

Die Sündenvergebung für diese Veränderungswilligen wird vollzogen in der Taufe im Wasser. Diese Reinigung von der Sünde durch das Untertauchen im Wasser gilt vor Gott. Die Sünden sind vergeben, abgewaschen. Die veränderungswilligen und gereinigten Menschen sind nun bereit für das Reich Gottes.

(Ein Nebengedanke: Da, wo die Menschen bei Johannes im Jordan ihre Sünden zurückließen, hat sich der sündlose Jesus dann untertauchen lassen, um die dort zurückgelassenen Sünden auf sich zu nehmen. Von da an bezeichnet ihn Johannes als „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt“. Hier deutet sich schon an, dass die Taufe nur ein Mittel zum Zweck ist. Die eigentliche Wurzel der Sündenvegebung ist dann das Opfer von Jesus am Kreuz.)

Dass mit der Lebensveränderung auch Wiedergutmachung verbunden sein kann, zeigt das Beispiel von Zachäus. „Die Hälfte meines Vermögens, Herr, gebe ich jetzt den Armen. Und wenn ich von jemandem etwas erpresst habe, gebe ich es vierfach zurück.“ (Lk 19,8). Die Wiedergutmachung ist allerdings nirgends im Neuen Testament zwingend vorgeschrieben. Ich nehme an, es ist eine Sache des heiligen Geistes, wie er in solchen Dingen den Menschen führt.

Mit der Reinigung von der Sünde ist allerdings nur der eine Teil der angestrebten Lebensveränderung genannt. Der andere Teil kommt dann ab jenem außergewöhnlichen Pfingstfest in Gestalt der Gabe des heiligen Geistes dazu. Die Kraft zu einem neuen Leben in Heiligkeit kommt aus dem heiligen Geist. Erst damit ist die Gabe Gottes vollständig. Die Liebe, die Jesus als Gebot seinen Jüngern aufträgt, wird damit ermöglicht und erfüllt: „die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Rö 5,5).

Ich nehme als Vergleich zu diesen Vorgängen einmal das Bild einer Flasche. Das Bild hinkt an der Stelle, dass eine Flasche willenlos ist, aber es passt auf einen veränderungswilligen Menschen. Jemand findet im Dreck eine verdreckte und mit einer üblen Flüssigkeit gefüllte Flasche. Er nimmt sie mit nach Hause, leert sie aus und spült sie sauber. Das entspricht der Reinigung von der Sünde durch die Taufe im Wasser. Dann füllt er die saubere Flasche mit einem neuen köstlichen inhalt. Das entspricht der Taufe im Heiligen Geist. Und mit der Gabe des heiligen Geistes im Menschen ist nun auch die persönliche direkte innere Verbindung mit Gott hergestellt. Der Mensch beginnt, seine ursprüngliche Bestimmung zu erfüllen, nämlich ein Ebenbild Gottes zu sein. Ein Ebenbild Gottes, das kann er nicht als Sünder, das kann er nur als Heiliger sein.

Der ganze Vorgang wird im neuen Testament auch als eine neue Geburt bezeichnet. Mit der neuen Geburt hat ein neues Leben angefangen, ein neuer Mensch ist da. Und dieser neue, aus Gott geborene Mensch sündigt nicht. „Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ (1 Jo 3,9). Der angesprochene Same in ihm ist natürlich der Anteil am heiligen Geist, den er empfangen hat.

In dieser Sichtweise der Reinigung von der Sünde kann es keinen Kompromiss mehr mit der Sünde geben. Sünde hat im neuen Leben mit Jesus keinen Platz. Natürlich spricht man auch im Neuen Testament davon, dass Sünde im Leben der Gläubigen noch vorkommen kann. Aber sie ist dort eindeutig nicht richtig, sie ist fehl am Platz, sie ist ein Unglück. Unter der Gnade, Liebe und Geduld Gottes kann sie jedoch bereinigt werden. Eindrücklich ist hier das Wort von Jesus: „Wenn eines deiner Geschwister sich versündigt, weise es zurecht, und wenn es bereit ist, sich zu ändern, vergib ihm! Und wenn es sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal zu dir zurückkommt und sagt: ‚Ich will mich ändern!‘, sollst du ihm vergeben!“ (Lk 17,3b-4).

Und wenn schon ein Jünger so handeln soll, um wieviel mehr wird dann auch Gott selbst so handeln. Aber dieses Vergeben steht auch hier immer unter der Bereitschaft, sich zu ändern. Sünde kann also im Leben eines Christen und in der christlichen Gemeinde nicht toleriert, verharmlost oder gar für normal erklärt werden. Das einzige, was man mit Sünde tun kann und tun muss, wo immer sie auftaucht, ist, sie zu bereinigen. Das ist der einzige Weg. Und es macht die tiefe Ernsthaftigkeit deutlich, die dem Leben mit Jesus zu eigen ist.

Es ist also nichts mit der lutherischen Irrlehre, ein Christ sei immer „simul iustus et peccator“, d. h. zugleich ein Gerechter und ein Sünder. Christen sind immer ehemalige Sünder. „Und einige von euch waren solche; aber ihr wurdet abgewaschen, ihr wurdet heilig gemacht, ihr wurdet gerecht gemacht, durch den Namen des Herrn, Jesus des Messias, und durch den Geist unseres Gottes. (1 Ko 6,11). „Als „Sünder“ werden die Gläubigen im Neuen Testament auch tatsächlich an keiner Stelle bezeichnet. Man möge das bitte nachprüfen. Das oft als Argument dagegen gebrachte Zitat „Wir sind allzumal Sünder“, das in Rö 3,23 stehen soll, ist falsch zitiert. Dort steht „alle haben sich versündigt“, und gemeint ist nicht „wir“, sondern „sie“, nämlich die noch Unerlösten.

So ist es auch leicht zu verstehen, dass die Christen, die Gläubigen, die Gemeinde im Neuen Testament auch die „Heiligen“ sind. „Dem Heiligen entsprechend, der euch gerufen hat, sollt auch ihr euch als Heilige erweisen im ganzen Lebenswandel! Deshalb steht geschrieben: ‚Heilige sollt ihr sein, denn ich bin heilig.'“ (1 Pe 1,15,16). Und so, wie wir das Neue Testament verstehen, ist dies natürlich – wie alles – ernst und real gemeint.

„Seht, was für eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes genannt werden – und wir sind es! Deshalb kennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes, auch wenn es noch nicht sichtbar geworden ist, was wir sein werden. Wir wissen aber, dass, wenn es sichtbar wird, wir ihm gleich sein werden, weil wir ihn sehen werden, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich – wie er rein ist. Jeder, der die Sünde vollbringt, vollbringt das Unrechte; die Sünde ist das Unrechte.

Und ihr wisst, dass er erschienen ist, um die Sünden wegzunehmen, und in ihm ist keine Sünde. Jeder, der in ihm bleibt, versündigt sich nicht. Jeder, der sich versündigt, hat ihn nicht gesehen und kennt ihn nicht. Kinderchen, niemand darf euch irreführen! Wer das Rechte tut, ist gerecht, genau wie er gerecht ist. Wer die Sünde vollbringt, ist vom Teufel, denn der Teufel versündigt sich von Anfang an. Dazu ist der Sohn Gottes erschienen: um die Werke des Teufels aufzulösen. Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist. Daran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels sichtbar: Jeder, der nicht tut, was recht ist, ist nicht von Gott, und wer seinen Bruder oder seine Schwester nicht liebt.“ (Jo 3,1-10)

Jesus als Wanderer

(Jesus als Wanderer – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller.)

Es gehört zu den größten Reizen des Reisens in Palästina, dass es uns auf so manchem steilen Felsenpfad, den wir etwa in heißer Mittagsglut übersteigen, oft plötzlich einfällt: Hier ist einst auch Jesus gewandert mit seinen zwölf Jüngern.

Jesus war ein rüstiger Wanderer. Das ganze Land auf und ab hat er durchzogen. Bald finden wir ihn in Nazaret, bald an den Ufern des Jordans, bald in der Königsstadt Jerusalem, bald an den Gestaden des Sees Genezaret, bald in Samarien, bald jenseits des Jordans, bald am blauen Mittelländischen Meer bei Tyrus und Sidon, bald an den steilen Abhängen des felsigen, schneebedeckten Hermon bei Cäsarea Philippi. Die Evangelisten haben über die Reisen des Herrn kein Tagebuch geführt, in welchem jede Reise sorgfältig einregistriert wäre. Es kam ihnen nur darauf an, uns zu berichten, was während dieser Reisen geschehen ist. Forscht man aber den Spuren in den Evangelien nach, so scheint der Herr, abgesehen von zahlreichen kleineren Ausflügen und Märschen in der Umgebung des Sees Genezaret, während seiner öffentlichen Wirksamkeit fünf bis sechs größere Reisen durchs Land unternommen zu haben.

In den Zwischenzeiten, namentlich in den Monaten der Regenzeit, hielt er sich in Kafarnaum auf. Wahrscheinlich wohnte er im Haus des Petrus und Andreas. Während dieser Zeit mögen die Jünger mit ihrer Hände Arbeit ihr Brot für sich und ihre Familie verdient haben. Und wie Sankt Paulus in weit höherem Maß noch als andere Rabbiner es für eine Ehre hielt, sich neben seinem großen Apostelamt durch seiner Hände Arbeit zu ernähren, so hat es auch Jesus zweifellos nicht für eine Entwürdigung seines Berufs gehalten, sich bei solchen Gelegenheiten an der Arbeit zu beteiligen. Ein Segel aufzusetzen, ein Steuer zu führen, ein Schiff im Sturm zu lenken hat er sicher ebenso gut verstanden wie seine Jünger. Dass er sich bei den zahlreichen Fahrten mit seinen Jüngern stets vornehm zurückgezogen habe, ohne mitanzufassen, sieht dem nicht gleich, der an jenem letzten Abend die Jünger bei Tisch bediente und ihnen die Füße wusch.

Am Sonnabend ging Jesus, wo immer er war, auf der Reise oder in Kafarnaum, in die Synagoge, um das Volk zu lehren. Zuweilen scheint Jesus während seines Wanderlebens auch auf den Straßen gelehrt zu haben. (Lk 13,26). Auf Straßen und Märkten wird ja im Orient vieles vorgenommen, was im Abendland nur im Haus geschieht. Jedenfalls aber tat der Herr dies nur während der ersten Zeit seiner Tätigkeit. Damals folgten ihm ja oft Tausende nach. Der Zudrang war so ungeheuer, dass er sich in Kafarnaum nicht mehr öffentlich in der Stadt sehen lassen konnte. (Mk 1,45.) Daher verlegte er sein Lehren und Predigen hinaus aufs freie Feld und in verlassene „Wüsten„. Aus allen benachbarten Landschaften bis auf drei oder vier Tagereisen versammelten sich die Leute um den rasch berühmt gewordenen Lehrer. Sie kamen aus Jerusalem, aus Idumäa, von jenseits des Jodans, von Tyrus und Sidon usw. (Mk 3,8).

Nach und nach wurde es aber einsamer um Jesus. Der Zuzug der Fremden wurde seltener, der Hass seiner Feinde gefährlicher. Seine Reisen dienten oft mehr seiner persönlichen Sicherheit, als der Predigt des Evangeliums vor dem Volk. Aber in jener ersten Blütezeit, die sich wie ein erquickender Morgentau über Galiläa legte, geschahen die Reisen Jesu in aller Öffentlichkeit. Den Reiseplan machte er freilich stets allein, und oft kannten die Jünger das Ziel der Reise nicht. Dadurch wurde ein unnützes Zusammenströmen von Negierigen vermieden, welche nur interessante und wunderbare Dinge sehen wollten. Um Aufsehen war es ja dem Herrn nicht zu tun, sondern um die stille Aussaat in die Herzen.

Zuweilen sandte er seine Jünger auch ohne seine Begleitung aus. Währenddessen reiste Jesus als Wanderer ganz allein durchs Land (Mt 10). Was auf diesen einsamen Wanderungen in Städten, Dörfern oder Zelten geschehen und gesprochen worden ist, davon ist leider keine Kunde auf uns gekommen.

Aber meistens reiste er mit seinen Jüngern zusammen, auch begleitet von einer größeren Zahl wohlhabender Frauen. Diese hatten ihm viel zu danken und wollten überall sein Lehren und Predigen mitanhören (Lk 8,1f.). Sie sorgten auch für de Unterhalt der Gesellschaft, „sie taten ihm Handreichung von ihrer Habe.“ Selbst konnte ja Jesus als Wanderer jetzt nichts mehr verdienen. Sein früheres Vermögen hatte er wohl seiner Mutter überlassen. Er führte ein Wanderleben und hatte dabei nicht einmal mehr so viel, wie die Füchse und die Vögel unter dem Himmel, die er auf seinen Wanderungen oft sah, ein eigenes Plätzchen, wo er des Nachts sein müdes Haupt hinlegen konnte. Jene Frauen und andere dankbare Leute gaben daher Geldbeträge, welche Jesus auch annahm. Er bestellte in Judas Ischariot einen Kassenverwalter. „Der hatte den Beutel und trug, was gegeben ward.“ (Jo 12,6). So zog er „von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.“ (Lk 8,1).

Und wie Judas die Geldangelegenheiten zu besorgen hatte, so haben wohl andere je nach Anlage und Geschick andere Zweige des gemeinschaftlichen Haushalts übernommen. So mag einer von den Zwölfen auf den Reisen besonders für den Proviant gesorgt haben, vielleicht Philippus (Jo 6,5). Wenn z. B. die Reise von Jericho nach Jerusalem führte, wo man vor Betanien auf keine Ortschaft traf, musste irgendwo in der Wüste, sei es unter einem schattigen Felsvorsprung, sei es bei lagernden Beduinen, zu gemeinsamer Mahlzeit Rast gemacht werden. Auf anderen Reisen, deren Wege von Zeit zu Zeit Dörfer und Ortschaften berührten, wurde das Nötige unterwegs gekauft.

Auch heute noch ist dies nicht anders, da man von Wirtshäusern in den Dörfern nichts weiß. Am heißen Mittgag pflegen wir auf Reisen nicht in Häusern einzukehren, deren dumpfe Luft oft wenig erquickend sein würde. Wir lagern uns vielmehr zur Mahlzeit am liebsten außerhalb der Ortschaften unter schattigen Bäumen. Natürlich muss sich in der Nähe des Lagerplatzes eine Quelle oder eine Zisterne befinden. Sonst fehlt dem durstigen Wanderer das erquickende Labsal, frisches Wasser.

Einer von uns geht etwa noch hinein ins Dorf, um einen für das Essen notwendigen Einkauf zu besorgen. Die Zurückbleibenden schöpfen zunächst das nötige Wasser. Bei einer sprudelnden Quelle ist dies sehr einfach. Aus einer Zisterne dagegen kann man das Wasser nur mit einem (gewöhnlich ledernen) Schöpfeimer heraufholen, welcher an einem Strick hinuntergelassen wird. Haben die Reisenden einen solchen nicht unter ihrem Gerät, so müssen sie warten, bis ihnen jemand aus dem nahen Dorf eine solchen zur Benutzung überlässt. Sind nachher alle beisammen, so beginnt die einfache Mahlzeit unter freiem Himmel im Schatten der Bäume.

Wüste

(Wüste – eine Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller)

Die Wüste findet bei den Reisen von Jesus häufig Erwähnung. Um hierüber Klarheit zu haben, muss man festhalten, dass unter diesem Wort in der Bibel dreierlei zu verstehen ist:

1) Die eigentliche große Wüste, durch welche einst die Kinder Israel mit Mose zogen.

2) Die Wüste Juda, jenes merkwürdige Berg- und Hügelland, welches sich zwischen dem Toten Meer und dem kultivierten Palästina von Norden nach Süden erstreckt. Diese Wüste bebaut man zwar nirgends. Aber trotz aller öden Wildnis haben ihre Höhen und Schluchten dennoch einen genügenden Reichtum an würzigen Kräutern für die Herden der dort hausenden Ta’ámre-Beduinen. Dorthin flüchtete David vor Saul. Dort predigte anfangs Johannes der Täufer. Dort ward Christus versucht vierzig Tage lang.

3) Sehr oft, und namentlich in der Geschichte Jesu, wird aber das Wort in einem anderen Sinn gebraucht. Dieser ist von unseren gewohnten Begriffen sehr verschieden. Wenn wir z. B. lesen, dass sich Jesus nach der erschütternden Nachricht von der Hinrichtung des Täufers in die Einsamkeit einer Wüste zurückzog, so haben wir hier, wie bei allen galiläischen „Wüsten“, nur an einsame Gegenden zu denken, welche von den menschlichen Wohnungen der Städte und Dörfer abgelegen waren, ob sie nun zur Weide oder teilweise auch zum Ackerbau dienten.

Solche Gegenden heißen heute noch im Volksmund Wüste (barr oder barrje) im Gegensatz zu der engeren Markung der Ortschaften. Und es gab deren in der Umgebung des Sees Genezaret mehrere. Auch die Bergpredigt hat Jesus wohl in einer solchen Gegend unweit Kafarnaum gehalten. Daher rieten auch die Jünger dem Herrn, bevor er die 5000 speiste: „Es ist ein wüster Ort und die Stunde spät. Entlasse sie, damit sie in die Örter und Dörfer im Umkreis gehen und sich kaufen, was sie essen sollen“.

Vögel

(Vögel – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ im Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er hat seine Beobachtungen in der Jahren 1884 bis 89 gemacht.)

Das Reisen zu Pferd oder auch auf einem munteren Esel hat viel Poesie. Die ganze Natur dehnt sich aus vor dem Auge, ihre fortwährende Nähe macht sie zu einer gesprächigen Gefährtin. Dem Wandersmann kommen allerlei Gedanken, welche ihn an die ewige Kraft und Gottheit dessen erinnern, der sie geschaffen hat.

Da sieht man die Vögel unter dem Himmel hochüber fliegen, jeder ein Bild schrankenloser Freiheit und sorgloser Lebensfreude. Sie sind ein fröhliches, sangreiches Geschlecht. Zumal die Sperlinge scheinen ein mächtiges Volk zu sein, zahlreich wie der Sand am Meer. Wenn ein Mensch dafür zu sorgen hätte, dass diese durch ihren notorischen Appetit berühmte Gesellschaft jahraus jahrein anständig gekleidet und selbst im dürren heißen Sommer, wenn alle Halme verbrannt, alle Bäche versiegt sind, gespeist und getränkt werde, der würde bald in schwere Sorgen geraten und die Bevölkerungszahl dieser leichtsinnigen Freiherrn des Himmels würde bedenklich zurückgehen.

Der Herr Jesus mag sie auf seinen Reisen von Kind auf beobachtet haben. Bewundernd erkannte er die weise Hand des himmlischen Vaters, welcher keinen von ihnen vergisst, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dach fällt. Oft mag er seine Zuhörer auf diesen einfachen und doch so einleuchtenden Beweis einer speziellen göttlichen Fürsorge aufmerksam gemacht haben. “ Seht die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen. Und euer himmlischer Vater nährt sie doch! Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie “ (Mt 6,26).

Aber auch die großen mächtigen Adler oder besser Geier, die man auf Reisen so oft sieht, wie sie mit weitausgespannten Flügeln dahinsegeln oder mit gewaltigem Flügelschlag die Lüfte teilen, kennen keine Sorgen. Wie Helden laufen sie ihren Weg, so dass David singt: „Saul und Jonatan, leichter denn die Adler, und stärker denn die Löwen!“ (2 Sam 1,23), obschon auch sie nichts zu ihrer Ernährung tun können und auf Gott warten müssen, dass er ihnen ihre Speise gebe zu ihrer Zeit, so gut wie der Hirsch, „der nach Wasser schreit“ (Ps 42,2) und die „jungen Raben, die zu Gott rufen“ (Hiob 38,41), welche nicht säen und die Gott doch nährt (Lk 12,24).

Wohl möglich, dass während der Bergpredigt gerade eine Schar dieser Vögel über den Hügel hinwegflog, auf dem der Herr saß. Da deutete Jesus mit der Hand hinauf und sprach: „Seht die Vögel unter dem Himmel“ usw. Und die ganze Menge sah hinauf und fühlte unmittelbar die Wahrheit der Worte des Herrn.

Auch das Treiben der Geier kann man besonders auf Reisen häufig beobachten. Fällt einmal ein Tier unterwegs, ein Pferd, ein Esel oder Kamel, so lässt man dasselbe einfach auf der Straße liegen. Zum großen Ärger aller Reisenden, welche oft wegen des unerträglichen Geruchs einen großen Umweg machen müssen. Da ist es denn ein Glück, dass so viele Geier in der Luft fliegen. Aus großer Entfernung wittern sie die erwünschte Speise. Von allen Seite strömen sie alsdann zusammen, kreisen erst lange über den betreffenden Stellen, so dass man sieht, wie sie sich sammeln, dann schießen sie herunter und verzehren das Aas. Da treffen sie denn oft schon zahlreiche wohlbekannte Gesellschaft, die mit ihnen tafelt: Hyänen, Füchse und allerlei Vierfüßler. Die Folge ihrer vereinten Bemühungen ist, dass binnen kürzester Frist nur noch kahle Knochen zerstreut herumliegen. Dann ist die Passage für die Reisenden wieder frei.

Wie in den Städten die zahllosen Heere von Fliegen und Mücken, die uns so lästig werden wollen, unseres Herrgotts kleine Sanitätspolzei bilden, indem sie eine Menge schädlicher, verwesender Stoffe vertilgen, und uns dadurch nicht geringe Dienste leisten, so draußen auf Bergen und Landstraßen die Aasgeier.

Auch Jesus hat sie auf seinen Wanderungen oft beobachtet. Als er in den letzten Tagen seines Lebens auf jener Höhe stand und das prophetenmörderische Jerusalem anschaute und seinen Jüngern dessen kommendes Geschick verkündigte, sagte er zu ihnen: „Wo ein Aas ist (wie Jerusalem, wo alles faul geworden ist), da sammeln sich die Geier.“ (Mt 24,28; Lk 17,37). Die römischen Adler fungierten damals als Gottes Sanitätspolizei, um das verfaulende Volk zu vernichten. Die kamen über das heilige Land geflogen mit Macht, und seither liegen nur noch bleiche Totengebeine des ehemals so blühenden Volkes Israel auf den Feldern der Erde – bis der Geist des Herrn drein fährt und es wieder rauscht auf dem Totenfeld.