Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Kategorie: Neues Testament (Seite 1 von 16)

Speisen

(Das Kapitel „Speisen“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Es beschreibt die Zeit zwischen 1884 und 89.)

Im Essen und Trinken ist das Landvolk in Palästina ungemein einfach. Ein Stück Brot und ein Trunk frischen Wassers ist im allgemeinen für jeden genug. Kann der Landmann sein Brot noch in etwas Öl eintauchen, so gilt dies schon als ein besonders guter Bissen. Auf großen Wüstenreisen nehmen die Beduinen gewöhnlich weiter nichts mit sich, als das nötige Brot und einen Schlauch Wasser. Doch schließt dies natürlich nicht aus, dass man in den Städten und bei besonderen Gelegenheiten einen größerer Luxus an Speisen entfaltet. Für uns kommen hier aber nur diejenigen Speisen in Betracht, welche uns an die Heilige Schrift und ihre Geschichte erinnern.

Die Früchte, die wir in der Bibel kennen lernen, bilden natürlich auch heute noch einen Teil der Speisen des Volkes. Das sind Linsen, Bohnen, Erbsen, Gurken, Melonen, Orangen, Datteln, Oliven und hauptsächlich Trauben. Die Trauebn kann man vom Juli bis zum November im ganzen Land essen. In einem Land, in welchem die einzige Nahrung oft nur aus Brot besteht, ist natürlich der Weizen die wichtigste Frucht. In der Erntezeit dient derselbe auch ungemahlen zur Speise. Die vollen Ähren werden auf einem Kohlenfeuer gebraten, dann ausgerieben, die Körner, während man sie von einer Hand in die andere gleiten lässt, durch Blasen von der Spreu gereinigt und dann gegessen. …

Wie damals, so backt man auch heute noch in jeder ländlichen Haushaltung täglich nicht nur frisches Brot, sondern mahlt auch frisches Mehl. Dazu benutzt man immer noch die Handmühle, von welcher in der Bibel oft die Rede ist. Mit dem ersten Hahnenschrei, noch lange ehe der Morgen graut, muss die Frau aufstehen, um das nötige Mehl zu mahlen. Darum rühmen die Sprüche Salomos von der tugendsamen Hausfrau: „Gar früh steht sie auf, dass sie ihrem Haus Speise austeile; sie lässt ihr Licht die ganze Nacht nicht auslöschen.“ (Spr 31,15.18).

Freilich ist es eine ermüdende und und gar langweilige Arbeit. Darum mussten meist die Geringsten sie tun, bei den Armen die Frau selbst, deren Los überhaupt gewöhnlich ein Sklavenlos ist, bei Wohlhabenden die Magd oder das Kebsweib. Schon in Ägypten zu Moses Zeiten muss es so gewesen sein, denn er sagt: „Alle Erstgeburt in Ägyptenland soll sterben von dem ersten Sohn Pharaos bis zum ersten Sohn der Magd, die hinter der Mühle sitzt.“ (2 Mo 11,5). Es gehörte auch zu der Rache der Philister, dass sie Simson dazu verurteilten, in seinem Kerker die Handmühle zu drehen. Man versteht, welche Qual das dem kühnen Krieger gewesen sein muss, wenn man sich diese Heldengestalt denkt, im dunklen Gefängnis an zwei Ketten gefesselt und in trostloser Monotonie die Handmühle drehend.

Dass auch zu Christi Zeiten die Handmühlen im Gebrauch waren, geht aus seinen Worten Mt 24,41 hervor. „Zwei werden mahlen auf einer Mühle: eine wird angenommen, die andere wird verlassen werden.“

Diese Handmühle besteht aus zwei übereinander gelegten runden Mahlsteinen. Der obere dreht sich um die eigene Achse, welche in dem unteren befestigt ist. Durch die Öffnung, in welcher diese Achse steht, wird auch das Korn eingeschüttet und unten auf einem Tuch als Mehl aufgefangen. An dem Pflock, der im oberen Stein befestigt ist, wird dieser gedreht, sei es von einer oder zwei Personen, welche einander auf zwei Seiten dieser kunstlosen Mühle gegenübersitzen.

Übernachtet ein Reisender einmal in einem Dorf, so wird ihm sein süßer Schlaf meist in sehr unliebsamer Weise gestört oder geraubt. Denn schon von zwei Uhr früh an reibt’s im ganzen Dorf auf hundert Mühlen. Dafür ist aber auch sein Brot, das er am anderen Morgen bekommt, ganz frisch. Denn da er sich zur Ruhe legte, ist’s noch Weizen gewesen. Die Eingeborenen gewöhnen sich von Jugend auf an diesen Lärm, wie der deutsche Müller an das Klappern seiner Räder.

Eine andere der Speisen, von welchen in der Bibel die Rede ist, dürfte dem freundlichen Leser wohl auch interessant sein. Der Evangelist erzählt uns, dass Johannes der Täufer von Heuschrecken und wildem Honig gelebt habe. (Mt 3,4). Heuschrecken – hu! Wer diese langbeinigen Gesellen schon einmal beobachtet hat, wie sie in Wald und Wiese so unverschämt herumhüpfen können, den wird’s nicht sonderlich danach gelüsten, sie zu verspeisen. Und er wird ebensowenig begreifen, wie andere Leute so einen Heuschreckenbraten mit gutem Appetit verzehren können. Dennoch isst man sie auch heute noch im heiligen Land.

Der Verfasser hat das bei Gelegenheit von Heuschreckenstürmen, die übers Land kamen, selbst gesehen. Man konnte damals an Johannes den Täufer erinnert werden, welcher sich von Heuschrecken und wildem Honig nährte. Denn die Leute griffen die gefräßigen Gesellen und vertrieben ihnen alle Fresslust, indem sie dieselben selbst aßen. Nicht etwa nur, um sich an diesen zu rächen, sondern weil ihnen das Heusschreckenfleisch vorzüglich mundete.

Drüben jenseits des Jordans werden sie in große Säcke eingefüllt, Füße und Flügel werden ihnen heruntergerissen, die Eingeweide herausgenommen. Dann werden sie auf dem Dach gedörrt und eingesalzen und endlich gemahlen und zu Brot gebacken. Ob nun der Täufer in der Jordanau auch solches Heuschreckenbrot gegessen hat, kann der Verfasser natürlich nicht bestimmt sagen. Wahrscheinlich ist es aber. Denn wir können uns nicht vorstellen, dass derTäufer bei seinem gewaltigen Amt Zeit gefunden hat, jeden Tag auf die Heuschreckenjagd zu gehen. Auch wäre es sonst kaum möglich gewesen, dass er das ganze Jahr hindurch von dieser Speise lebte, was doch aus den Worten hervorzugehen scheint.

Bei uns in Jerusalem verzehrte man aber das Fleisch. Namentlich die Heuschreckenschenkel wurden als ein ganz besonderes saftiger Braten gepriesen. Es mag ja auch ein sehr zartes Fleisch sein, das sich in einem so feinen Organismus bildet. Auch hat der Verfasser einmal den Braten probiert und ein halbes Dutzend Heuschreckenschenkel verzehrt. Er muss aber aufrichtig gestehen, dass er in diesem Punkt sehr schlecht zu Johannes dem Täufer gepasst hätte …

Martin Luther

In meinem Buch „Die Gemeinde des Messias“ habe ich unter anderen auch Martin Luther zitiert. Ich stelle hier die von mir verwendeten Zitate einmal zusammen.

In der Schrift „Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt“ von 1521 schreibt er:

„wie wohl in der schrifft / kein geistlich oberkeit noch gewalt ist / sondern nur dienstparkeit und unterkeit“ (Originalschreibweise).

In seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ von 1523 schreibt er:

„Unter den Christen soll und kann keine Obrigkeit sein. Sondern ein jeglicher ist zugleich dem anderen untertan, wie Paulus sagt Röm. 12: ‚Ein jeglicher soll den anderen für seinen Obersten halten’“ Und Petrus 1.Petr. 5: ‚Seid allesamt einander untertan!‘ Das will auch Christus Lk. 14: ‚Wenn du zur Hochzeit geladen wirst, so setze dich aller unterst an.‘ Es ist unter den Christen kein Oberster, denn nur Christus selber und allein. Und was kann da für Obrigkeit sein, wenn sie alle gleich sind und einerlei Recht, Macht, Gut und Ehre haben? Dazu keiner begehrt, des anderen Oberster zu sein, sondern jeglicher will des anderen Unterster sein? Könnte man doch, wo solche Leute sind, keine Obrigkeit aufrichten, auch wenn man‘s gerne tun wollte. Denn die Art und Natur leidet es nicht, einen Obersten zu haben, wenn keiner Oberster sein will noch kann.“

In seiner Schrift „Das Magnificat verdeutschet und ausgelegt” schreibt er:

„… wie wohl man jetzt leider das Wörtlein Gottes Dienst so in einen fremden Verstand und Brauch hat bracht, dass wer es hört, gar nichts an solche Werk denkt, sondern an den Glockenklang, an Stein und Holz der Kirchen, an das Rauchfass, an die Flammen der Lichter, an das Geplärre in den Kirchen, an das Gold, Seiden, Edelstein der Chorkappen und Messgewänder, an die Kelche und Monstranzen, an die Orgeln und Tafeln, an die Prozession und Kirchgang, und das Größest: An das Maulplappern und Pater-Noster-Stein-Zählen. Dahin ist Gottes Dienst leider kommen, davon er doch so gar nichts weiß …”

Wegen der Luther-Zitate habe ich unter der Rubrik „Rückblicke in die Geschichte“ dann auch ein ergänzendes Kapitel über ihn geschrieben:

Martin Luther (1483–1546)

Da ich in den vorderen Kapiteln dieses Buches Martin Luther zitiert habe, muss ich hier der Vollständigkeit halber sagen, dass er kein eindeutiger Zeuge der biblischen Wahrheit ist. Er war es ein paar Jahre lang, ist es aber nicht geblieben. In seinen Zeiten als Mönch war er auf ernsthafter Suche nach der Wahrheit. Und in einer göttlichen Erleuchtung fand er sie dann auch, als er erkannte, dass es die Gnade Gottes ist, die ihn rettet, wenn er an Jesus glaubt, der für seine Sünden gestorben ist. Allein durch die Gnade, allein durch den Glauben, allein durch Christus und allein durch die Heilige Schrift, das waren die Grundsätze, die er aufstellte. Auf dieser Grundlage konnte er eine Unzahl falscher Lehren und Praktiken der damaligen Kirche entlarven. Viele Menschen seiner Zeit erlebten das als sehr befreiend. Seine Schriften gingen wie ein Lauffeuer durchs Land und weit darüber hinaus.
Allerdings hatte er nie vor, die Kirche abzuschaffen. Das war für ihn ein unvorstellbarer Gedanke. Er glaubte an die Kirche, er wollte sie nur reformieren. Und so blieb er in seinem Herzen im System. Er setzte auf staatskirchliche Strukturen, das Pfarramt, die Kindertaufe, akademische Ausbildung und obrigkeitliche Zwangsmaßnahmen. Die Reformation, die als göttliches Werk begonnen hatte, wurde mit menschlichen Mitteln umgesetzt. Der neue Wein wurde in die alten Schläuche gefüllt.
Und Luther selbst entwickelte sich zu einer Art evangelischem Papst, der in theologischen und kirchlichen Dingen irgendwann alles alleine entschied und niemandem mehr Rechenschaft schuldig war. Am Ende hatte er nur noch Anhänger und Verehrer, aber keine Brüder mehr. Die Lutherverehrung mit ihren Gemälden und Denkmälern ist bis heute bekannt.
Den neutestamentlichen Gedanken einer Gemeinde von Gläubigen, den er einmal für kurze Zeit hatte, hat er leider schnell wieder verdrängt. Und alle, die eine solche Gemeinde propagierten und zu leben versuchten, wurden von ihm als „Schwärmer“ gebrandmarkt. So haben dann auch die lutherischen Kirchen bzw. Länder ihre Ketzer verfolgt; vielleicht im Schnitt etwas weniger brutal als die katholische Seite, aber auch hier gab es Märtyrer. Der Unterschied war, dass die Katholiken die Geschwister verbrannten, während die Lutherischen sie ersäuften.

Die Welt retten

Die Welt retten, das ist in unserer modernen Zeit ein aktuelles Thema. Die Welt ist bedroht durch den Klimawandel mit Hitzewellen, Flutkatastrophen, Artensterben, Eisschmelze und Anstieg des Meerespiegels. Und – geleitet vom humanistischen Bild des gutwilligen und vernünftigen Menschen – versucht eine Minderheit, mit verschiedensten Mitteln die Entwicklung aufzuhalten. Von der Mehrheit erntet sie dafür Ablehnung, Verleumdung und Hass.

Denn die Mehrheit der Menschen pflegt eine traditionelle und ästhetische Lebensweise. Alles soll am besten so bleibe, wie es ist. Nicht, was richtig ist, zählt, sondern was praktisch, nützlich und angenehm ist. Und vor allem, was Spaß macht oder reich oder am besten beides. Und so beißen die Weltretter auf Granit.

Leider ist auch in christlichen Kreisen die Sicht verbreitet, ein jeder müsse mithelfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das ist eine wohlklingendere und weniger massive Umschreibung für „retten“. Und so wird von pseudochristlichen Moralaposteln mit einem neuen Gesetz den Menschen wieder einmal eine schwere Last auferlegt. Wir kennen das ja schon von Jesus: „Sie binden Lasten zusammen, die schwer und nicht zu tragen sind, und legen sie den Menschen auf die Schultern; selbst wollen sie diese aber nicht mit ihrem Finger bewegen!“ (Mt 23,4)

(In den gleichen christlichen Kreisen bleibt man intern aber gerne ästhetisch dabei, praktisch und nützlich ein angenehmes „Gemeindeleben“ zu gestalten. Auch hier zählt nicht, was von Gott her richtig ist, sondern was man gewohnt ist und keine allzugroße Mühe macht. Siehe dazu mein Buch „Die Gemeinde des Messias“ …)

In der Bibel finden wir zwei Gebrauchsarten des Begriffs „Welt“. Einerseits ist damit die geschaffene Welt gemeint, die ursprünglich gute Schöpfung Gottes. In ihr und von ihr lebt der Mensch, und in ihr ist „nichts verwerflich, was mit Dank angenommen werden kann.“ (1 Ti 4,4). Diese Welt geht aber ihrem Ende entgegen, während sie sehnlich auf die Enthüllung der Söhne und Töchter Gottes wartet. (Rö 8,19). Denn dann geht es in eine neue Schöpfung hinein.

Zum anderen ist „Welt“ die Bezeichnung der Menschenwelt. Diese Art der Welt ist böse. Beherrscht vom Fürsten dieser Welt, dem Satan, leben hier Menschen, die der Sünde und dem Tod verfallen sind. Einst als Ebenbild Gottes erschaffen, ist nun „das Denken des menschlichen Herzens böse von Jugend auf“ (1 Mo 8,21). Und „wie durch einen einzelnen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, so geht der Tod auch weiter zu allen Menschen, weil alle sich versündigen.“ (Rö 5,12). Und mit diesem „Tod“ ist im Neuen Testament nicht nur der irdische, sondern auch der ewige Tod gemeint.

Um diese „Welt“ zu retten, ist Jesus gekommen. Johannes der Täufer sagte über ihn: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt!“ (Jo 29). Und Jesus selbst sagte: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten.“ (Jo 12,47.) Das zweite Mal kommt er dann zum Retten und zum Richten …

Doch nun kommt die Rätselfrage: Wenn Jesus von Gott gekommen ist, die Welt zu retten, die „Welt“ aber gar nicht gerettet wird, sondern verloren geht, wie passt das zusammen? Die Frage beantwortet sich, wenn wir erkennen, dass die „Welt“ vor Gott nicht einfach eine Masse von Menschen ist, sondern nur aus den vielen einzelnen Menschen besteht. Vor Gott zählt nicht die „Welt“, sondern jeder einzelne Mensch. Und so bezieht sich die Rettung, die Jesus der Welt bringt, immer auf den einzelnen Menschen.

Jesus hat das klar zum Ausdruck gebracht: „Geht durch das enge Tor hinein! Denn breit ist das Tor und weiträumig der Weg, die ins Verderben führen, und viele sind es, die da hineingehen. Wie eng ist das Tor und wie beengt der Weg, die ins Leben führen, und wenige sind es, die sie finden.“ (Mt 7,13-14). Jesus kennt sogar das Zahlenverhältnis: Wenige werden gerettet, viele gehen verloren. Natürlich darf man fragen: Wie kann das sein?

Dass Gott dem Menschen ein Angebot macht, ihn aber nicht dazu zwingt, ist eine Auswirkung seiner Liebe. Denn Liebe zwingt nicht, Liebe gibt frei. Gerade die Liebe ist es, die dieses freie Angebot der Rettung macht. „Auf diese Weise liebt Gott nämlich die Welt: Er hat den einziggeborenen Sohn gegeben, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Jo 3,16). Der Glaube ist das Mittel, mit dem der Mensch die ihm in Liebe angebotene Rettung ergreift. Es sind natürlich Gottes Bedingungen, unter denen das alles stattfindet. „Auf diese Weise liebt Gott die Welt …“

Und dass die Zurückweisung dieser Liebe den Zorn Gottes erweckt, ist natürlich völlig verständlich.

Der Herr

Der Herr, das ist die Übersetzung des griechischen Wortes „Kýrios“. Als sprachliche Definition von „Kyrios“ könnte man sagen: Es ist ein Entscheider, der die Macht hat, seine Entscheidung auch durchzusetzen.

Mit gutem Grund wurde „Kyrios“ deshalb in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments und im Judentum überhaupt als Übersetzung des hebräischen Gottesnamens JHWH gebraucht. Gott ist der „Herr“. Aber auch die Griechen bezeichneten ihre Götter als „Herren“. Und bei den Römern war es ein Titel des göttlichen Kaisers.

Auf der menschlichen Ebene war ein „Herr“ der Besitzer und Gebieter seiner Sklaven. In einer Nebenbedeutung wurde das Wort aber auch als eine respektvolle Anrede gebraucht an jemanden, der bedeutender und höher geachtet war als man selbst. Ein Sklave hatte seinen Herrn, dem er Gehorsam schuldig war. Neben diesem gab es aber auch andere „Herren“, denen er zwar nicht gehorchen, ihnen aber ebenfalls mit Achtung und Respekt begegnen musste. Hierin hat die respektvolle Anrede sicherlich ihre Wurzel.

Im Neuen Testament begegnet uns das Wort in seinen verschiedenen Facetten. Von Anfang an ist es die Bezeichnung bzw. der Name Gottes. Der Priester Zacharias und seine Frau Elisabet „waren beide gerecht vor Gott und gingen tadellos ihren Weg in allen Geboten und Grundsätzen des Herrn“ (Lk 1,6). Und so begegnen uns auch das Tempelhaus des Herrn, ein Engel des Herrn, das Gesetz des Herrn usw.

Aber auch als Bezeichnung des Messias taucht es schon sehr früh auf. So sagt Elisabet zu der sie besuchenden Maria: „Wie komme ich dazu, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (Lk 1,43). Ganz eindeutig ist es in der Botschaft, die der Engel des Herrn den Hirten auf dem Feld bei Betlehem bringt. „Für euch ist heute der Retter geboren, der Messias und Herr ist, in der Stadt Davids.“ (Lk 2,11).

Auch als respektvolle Anrede an einen Höhergestellten wird es gegenüber Jesus gebraucht. So sagte z. B. Petrus nach dem wunderbaren Fischfang: „Geh weg von mir: Ich bin ein sündiger Mann, Herr!“ (Lk 5,8). Oder die Samariterin am Jakobsbrunnen: „Herr, du hast nichts zum Schöpfen und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn das lebendige Wasser?“ (Jo 4,11).

Das Verhältnis zwischen Sklaven und Herren hat Jesus oft als Beispiel oder Vergleich für geistliche Wahrheiten herangezogen. So z. B. in der Bergpredigt, als er sagte: „Niemand kann zwei Herren als Sklave dienen. Denn entweder wäre ihm der eine gleichgültig und er liebte den anderen, oder er hielte sich an den einen und verachtete den anderen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“ (Mt 6,24).

Die Bezeichnung „Herr“ in ihrer eigentlichen Bedeutung hat Jesus für sich selbst in Anspruch genommen. „Was ruft ihr mich ‚Herr, Herr!‚ und tut nicht, was ich sage? Nicht jeder, der mir sagt ‚Herr, Herr!‘, wird in das Königreich der Himmel hineingehen, sondern wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut.“ (Mt 7,21 / Lk 6,46). Seine Autorität hat Jesus nicht aus sich selbst, sondern von seinem Vater in den Himmeln. Und er bestätigt es gegenüber seinen Jüngern. „Ihr nennt mich ‚der Lehrer‘ und ‚der Herr‚, und ihr sagt es richtigerweise, denn ich bin es.“ (Jo 13,13).

Besonders Lukas nennt Jesus in seinem Bericht ganz unbefangen oft so, z. B. in der Geschichte über die Witwe aus Nain, die ihren Sohn verloren hatte. „Als der Herr sie sah, war er tief bewegt wegen ihr und sagte ihr: ‚Weine nicht!'“ (Lk 7,13). Aber auch Johannes nennt ihn so, z. B. im Anschluss an die Speisung der 5000. „Aber von Tiberias kamen andere Boote nahe an den Platz, wo sie das Brot gegessen hatten, nachdem der Herr gedankt hatte.“ (Jo 6,23).

Die Bezeichnung von Jesus als „Herr“ wirft auch ein Licht auf die Stelle in Jo 15,15. „Ich nenne euch nicht mehr ‚Sklaven‘, denn der Sklave weiß nicht, was sein Herr tut. Euch nenne ich ‚Freunde‘, denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch wissen lassen.“ Warum sollte Jesus seine Jünger überhaupt „Sklaven“ nennen? Weil er ihr „Herr“ ist. Aber nun sind sie doch keine Sklaven für ihn, sondern seine Freunde, auch wenn er ihr Herr bleibt. Dieses Verhältnis drückt sich auch in dem aus, was Maria von Magdala am leeren Grab von Jesus sagte. „Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo man ihn hingelegt hat.“ (Jo 20,13). So spricht keine Sklavin, sondern eine Freundin, trotzdem ist er ihr Herr.

Nach der Auferstehung ist es dann ganz offenbar. So nennt ihn Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (Jo 20,28). Fortan wird Jesus verkündigt als Messias und Herr. Das wird zum Lebenselement der Gemeinde. Jesus ist der Herr, dem sie dienen und den sie bekennen. Und am Ende werden es alle bekennen müssen:

„Deshalb erhöhte Gott ihn auch über alles und schenkte ihm den Namen, der über jedem Namen ist, damit im Namen von Jesus jedes Knie sich beugen soll, von Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge eingestehen soll: ‚Herr ist Jesus der Messias‘, zur Ehre Gottes des Vaters.“ (Phil 2,9-11). Der Name, den Gott ihm geschenkt hat, ist „Herr“ – Gottes eigener Name.

Die Ernte

(Die Ernte – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Land und Feld“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Beschrieben wird die Zeit um 1884 bis 89.)

Die Ernte ist eine fröhliche Arbeit, wenn sie nicht durch das Ausbleiben des Früh- oder Spätregens fast vernichtet ist. Da zieht alles hinaus aufs Feld, um die Gaben der Erde einzuheimsen. Da man die Früchte zur bestimmten Zeit hereinholen muss und die Kräfte in der eigenen Familie nicht ausreichen, so muss man dazu oft Tagelöhner zu Hilfe nehmen. Am Markt oder am Tor stehen dann müßige Arbeiter genug, welche warten, bis jemand sie um den festgesetzten Lohn dingt. Es wäre ein trauriger Anblick, wenn eine Menge solcher Arbeiter lässig dastünde, während draußen die Ernte aus Mangel an Arbeitskräften zu Grunde gehen müsste.

Solche Trauer hat unser Herr empfunden im Hinblick auf die große Ernte, die in die Scheunen des himmlischen Vaters eingebracht werden soll. Dort heißt es: „Da er das Volk sah, jammerte ihn desselben. Denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.“ (Mt 9,36.) Und auch jene Lohnarbeiter, welche müßig auf dem Markt stehen, dienen dem Herrn zum Gleichnis für die, welche er vom Markt des Lebens hinwegruft zur Arbeit an seiner großen Ernte. (Mt 20,1.)

Hinter der Reihe der Schnitter sieht man gewöhnlich arme Leute in einiger Entfernung den Schnittern nachgehen. Es sind meist Frauen und Kinder, welche Ähren lesen. Wer dächte dabei nicht an jene liebliche Geschichte aus grauer Vorzeit, als die treue Moabitin Rut auf den Feldern von Betlehem Ähren auflas und sich den ganzen Tag keine Ruhe gönnte, wie ihr der Aufseher der Schnitter nachrühmte! Barmherzige Leute lassen wohl auch einmal „zwischen den Garben“ lesen, wie dies Boas der Rut erlaubte. Freilich mag es selten vorkommen, dass einer in seiner Freundlichkeit so weit geht wie Boas, welcher seinen Knaben ausdrücklich gebot, sie sollte auch von dem Haufen liegen lassen, damit es Rut auflese. (Rut 2,15.)

Ist die Ernte geschnitten, so wird dieselbe auf die Tenne gebracht. Die Tennen befinden sich meist auf großen, flachen Felsplatten, welche von einer kleinen Mauer umgeben sind. Dort werden die aufgelösten Garben in ziemlich hoher Schicht auf der Tenne ausgebreitet und dann gedroschen. Das geht aber etwas anders zu als im deutschen Vaterland. Hier schwingen Hans und Kunz und meist auch Grete den Dreschflegel durch die Luft und schlagen drauf los, als wollten sie alles kurz und klein hauen, was ihnen vor den Strich kommt. Und nachher sind sie so hungrig und durstig, dass ihr Appetit sprichwörtlich geworden ist. Bei uns im Morgenland geht es dabei viel gemütlicher zu. Einige Ochsen und Kühe werden den ganzen Tag hindurch über die ausgebreiteten Garben im Kreis herumgetrieben, bis alles kleingetreten ist.

Das Alte Testament hatte die freundliche Bestimmung, dass man dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden solle. (5 Mo 25,4.) Diese Regel beobachtet man auch heute noch. Die Tiere dürfen während ihrer Arbeit von der Ernte fressen, wenn sie Eigentum des Dreschers sind. Dem fremden, nur für die Arbeit gemieteten Vieh wird aber das Maul verbunden.

Während die Feldfrucht auf der Tenne liegt, bleibt der Eigentümer Tag und Nacht auf der Tenne. So auch Boas. Wer diese Vorsichtsmaßregel außer Acht ließe, würde wohl bald nichts mehr zu dreschen haben. Es ist nicht nur Diebstahl, vor dem man sich zu fürchten hat. Zuweilen ist es auch das Feuer, welches Feinde des Eigentümers nicht selten in seine Tenne legen. Als ich einmal kurz nach der Ernte bei Nacht von Betlehem nach Jerusalem ritt. sah ich plötzlich den östlichen Horizont jenseits des Toten Meeres erhellt. Eine blutrote Flamme, rasch wachsend, leuchtete herüber. Das Feuer war wohl acht bis zehn Meilen weit entfernt. Aber es schien, als brenne ein ganzer Berg, so wild und unheimlich loderte die Flamme. Später erfuhr ich, dass dort eine große, mit reicher Fruchtmenge angefüllte Tenne angesteckt worden sei.

Die Tennen sind schöne und hochgelegene Orte, über deren Platte der Wind hinfahren und die Spreu forttreiben kann. Eine solche Tenne war einst der herrliche Platz, auf dem sich später der mächtige Bau des Salomonischen Tempels erhob. Ehemals war es die Tenne Arafnas.

Sind die Halme und Ähren gehörig zertreten, so wird alles wieder auf einen Haufen gebracht und dann geworfelt. In Deutschland tut das jetzt die Dreschmaschine alles auf einmal. Im heiligen Land aber warten die Leute die Winde Gottes ab, die müssen ihnen helfen, den Weizen von der Spreu zu sondern. Wenn ein Wind weht, wirft man Weizen und Stroh (welches auch klein getreten ist) mit einer Schaufel in die Höhe. Dann fällt der schwere Weizen zur Erde, während der Wind die Spreu bis an das andere Ende der Tenne trägt. Also, sagt der erste Psalm, sind die Gottlosen wie Spreu, die der Wind verstreut, drum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht. (Ps 1,4.) –

Ist diese Sichtung geschehen, so fegt man die Tenne und den Weizen trägt man heim in die Scheune. Den besseren Teil des Strohs, der ganz klein und fein geworden ist, nimmt man als Viehfutter mit, den geringeren Teil dagegen benutzt man zur Feuerung. Eine solche Sichtung durch den, welcher nach ihm kommen sollte, verkündigte Johannes der Täufer, als sich die Stadt Jerusalem und das ganze jüdische Land an den Ufern des Jordan um ihn gesammelt hatte. Er stellte ihn als einen Drescher dar, der Spreu und Weizen von einander scheidet: “ Er hat seine Worfschaufel in seiner Hand, er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln, aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer.“ (Mt 2,12.)

Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament

(Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament – ein Artikel von Sören Kierkegaard. Aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855)

In dem Neuen Testament sind alle Verhältnisse, alle Proportionen im Großen angelegt.

Das Wahre ist ideal dargestellt; andererseits gehen auch die Irrtümer, die Ausschreitungen ins Große: es wird vor Heuchelei gewarnt, vor allerlei Irrlehre, vor Werkheiligkeit usw. usw.

Aber seltsam genug, das Neue Testament nimmt absolut keine Rücksicht auf das, was in dieser Welt leider nur in allzu großer Masse vorhanden ist, auf das, was den Inhalt dieser Welt bildet: auf die Salbaderei, die Jämmerlichkeit, die Mittelmäßigkeit, das Geschwätz und Gewäsch, das Christentumsspiel, die allgemeine Phrasenhaftigkeit usw.

Hieraus entsteht nun die Schwierigkeit, dass man mit Hilfe des Neuen Testaments fast unmöglich das wirkliche Leben anfassen kann, die wirkliche Welt, in der wir leben, in der auf einen qualifizierten Heuchler immer 100.000 Schwätzer kommen, auf einen qualifizierten Ketzer immer 100.000 Silbenstecher.

Das Neue Testament scheint hohe Vorstellungen davon zu hegen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Auf der einen Seite hält es das Ideal vor. Und wenn es die Verkehrtheit schildert, so sieht man wieder, dass es von der menschlichen Existenz eine hohe Vorstellung hat. Aber das Geschwätz, die Kleinlichkeit, die Mittelmäßigkeit erhalten nie ihren Treff.

Dessen hat sich die Faselei seit undenklicher Zeit bedient, um sich als die wahre christliche Rechtgläubigkeit festzusetzen – und das gab diese unübersehbaren Bataillone von Christen. Diese, wenn auch nicht durch Geist, so doch durch die Zahl mächtige Rechtgläubigkeit macht es sich zunutze, dass man sie in Wahrheit – und damit hat sie wirklich Recht – nicht der Heuchelei, der Irrlehre usw. beschuldigen kann. Denn weil man dies nicht kann, ergo ist sie die wahre christliche Rechtgläubigkeit.

Das macht sich auch ganz gut. Überall nämlich hat das Höchste und das Niedrigste eine gewisse flüchtige Ähnlichkeit miteinander. Dieses ist wie jenes nicht das, was dem Höchsten etwas nahe steht. Oder beide sind nicht das, was zwischen dem Hohen und dem Niederen vermittelt. So hat es eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, über und unter aller Kritik zu sein. Dies gilt nicht von der Rechtgläubigkeit jener Massen und der Geistlichen, die von jenen in Masse leben. Sie ähnelt dem wahren Evangelium insofern, als sie unleugbar nicht Irrlehre, Ketzerei ist.

Übrigens gleicht sie dem wahren Christentum noch weniger als irgendwelche Ketzerei und Irrlehre. Die Sache verhält sich so: So hoch das wahre Christentum über aller Ketzerei, allen Irrtümern und Verirrungen steht, so tief liegt das Geschwätz unter den Ketzereien, Irrtümern und Verirrungen. Aber, wie gesagt, die Schwierigkeit an dem Neuen Testament ist diese: dass es, für das Ideal gegen Geister kämpfend, nie speziell dieses ungeheure Korpus aufs Korn nimmt, das in der „Christenheit“ beständig die wahre christliche Rechtgläubigkeit repräsentiert, deren christlicher Ernst darin seinen Ausdruck findet, dass „Wahrheitszeugen“ – welch satirischer Selbstwiderspruch! – in dieser Welt Karriere und Glück machen, indem sie sonntags schildern, wie die Wahrheit in dieser Welt leiden muss.

Darauf muss man wohl achten. Und wenn man darauf achtet, so wird man sehen, dass das Neue Testament doch Recht hat, dass doch alles so kommt, wie das Neue Testament es vorausgesagt hat. Mitten in diesen ungeheuren Völkern von „Christen“, in diesem Gewimmel von „Christen“ leben hie und da einige Einzelne, ein Einzelner. Für ihn ist der Weg schmal – vgl. das Neue Testament. Er wird von allen gehasst – vgl. das Neue Testament. Ihn totzuschlagen gilt für einen Dienst gegen Gott – vgl. das Neue Testament. Es ist doch ein kurioses Buch, dieses neue Testament; es bekommt doch Recht. Denn dieser Einzelne, diese Einzelnen – ja die waren die Christen.

Feldbau

(Feldbau – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Land und Feld“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneider. Beschrieben wird die Zeit um 1884-89.)

Auch auf dem Gebiet vom eigentlichen Feldbau begegnen wir zahlreichen biblischen Spuren. Der Herr Jesus hat in seinen Reden Himmel und Erde durchsucht, um Gleichnisse für sein ewiges Gottesreich zu finden. Da er nach unserer Annahme in Nazaret selbst Landbau betrieben hat, bot sich ihm Feld und Feldbau zu diesem Zweck besonders leicht dar. In jedem Zug seiner Reden, welche hierher gehören, erkennen wir das heutige Land wieder. Nur nicht in dem, was er über die Fruchtbarkeit sagt. Auch heute noch findet der Ackersmann bei seiner Aussaat, wie auch aus dem schon oben Mitgeteilten hervorgeht, viererlei Ackerfeld: Weg, steiniges, dorniges und gutes Land. (Mt 13,3-8).

Sobald der Herbst eingetreten ist, sieht man beim Feldbau über alle Felder, die überhaupt gebaut werden, den Pflug gehen. Einen Räderpflug mit breiter Pflugschar wie in Deutschland kann man in diesem steinigen Boden nicht brauchen. Denn oft genug befinden sich Felsen oder mächtige Steine im Feld, über die man den Pflug rasch hinwegheben muss. Derselbe besteht daher nur aus einer ziemlich schmalen, aber starken Pflugschar. Daran dient eine Stange nach oben dem Pflüger als Handgriff, und eine Stange nach vorwärts bildet die Deichsel.

Wegen der vielen Felsen und Steine im Ackerfeld oder wegen der Weinstöcke und Bäumchen, über welche hinweggeackert wird, muss der Pflüger stets genau auf Pflug und Furche schauen, wenn er nicht mehr schaden als nützen soll. Vielleicht hat der Herr in Nazaret einst selbst geackert oder doch Pflüger angestellt. Einer der niemals mit Pflügen zu tun gehabt hat, würde wohl kaum das Gleichnis gewählt haben: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“ (Lk 9,62).

Zur Zeit Christi scheinen böse Leute ihre Feinde dadurch geärgert zu haben, dass sie ihnen nach der Aussaat Unkraut auf ihr Weizenfeld streuten. Dies Unkraut, eine Lolchart, lolium tumulentum, wächst heute noch in Menge unter dem Weizen. Es bildet dem Weizen ähnliche Körner und wird als Hühnerfutter verkauft. Heute geben die Leute ihrem Hass auf noch boshaftere Weise Ausdruck. Wenn sich jemand oft 10 bis 20 Jahre lang geplagt hat, um einen schönen Baumgarten zu bekommen, und hat seine Bäumchen groß gezogen und hat seine Lust daran, so kommt oft über Nacht, wenn er schläft, sein Feind und haut ihm alle um. Und wenn der Besitzer am Morgen hinauskommt und sieht, wie ihn nur noch die abgehauenen, blutenden Stümpfe traurig anstarren und möchte weinen vor Schmerz und Zorn, dann ist sein erster Gedanke: „Das hat der Feind getan!“ (Mt 13,28).

Das Gesetz Moses, das in seinen Bestimmungen so viel Freundlichkeit auch gegen Tiere zeigt, verbot den Israeliten, verschiedenartige Tiere an den Pflug zu spannen. Denn natürlich muste der schwächere Teil gewöhnlich darunter leiden. So human sind die heutigen Palästinenser nicht. Man sieht häufig ein Pferd und einen Esel, ja sogar ein Kamel mit einem Esel oder einer Kuh an einen Pflug gespannt. Und es sieht halb kläglich, halb possierlich aus, wenn so ein ungleiches Brüderpaar voraus und der Fellache im Hemd und mit seinem Ochselstachel hinterher läuft. Ja, der Verfasser hat sogar einmal gesehen, dass einer seinen Esel und sein Weib an den Pflug gespannt hatte. Das sah freilich traurig genug aus und ist sehr bezeichnend für die Stellung der Frau im Orient.

Man treibt die Tiere beim Pflügen mit einer 2 bis 3 Meter langen Stange, an deren Ende sich ein eiserner Stachel befindet. Dumme Tiere, die sich noch nicht recht ins Joch fügen wollen, schlagen bisweilen nach hinten aus. Und es geschieht dann oft, dass sie mit ihrem Fuß gerade in den spitzen Stachel hineinschlagen und sich schmerzlich verwunden. Da sie ins Joch eingespannt sind, merken sie bald, dass dies Ausschlagen nur ein ohnmächtiger Versuch ist, sich gegen den Pflüger zu wehren.

Darauf spielte der Herr Jesus an, als er dem Paulus auf der Straße nach Damaskus erschien. Er sagte zu ihm: “ Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.“ Damit scheint ihm der Herr sagen zu wollen: „Du gehst eigentlich schon in meinem Joch. All den Wüten ist ein ohnmächtiges Bemühen, dich mir zu entziehen, bis du deinen Willen gebrochen und dich in meine Wege gefügt hast.“ (Apg 9,5).

Das Pflügen findet gewöhnlich sofort nach dem ersten Frühregen statt. Und mit dem Sprießen der Blumen und Gräser treibt auch die junge Saat kräftig hervor. Sie bedeckt das Land mit saftigem Grün. Mit Wonne schweift dann das Auge über die schönen Fluren, welche dasselbe so lange kahl und dürr gesehen hat. Doch diese Pracht verschwindet schnell wie eine Morgenwolke, der heiße Sommer brennt sie hinweg. Und bald ist’s nur noch wie ein Traum, dass das Land so herrlich war. Nun kommt die Feldfrucht schnell zur Reife. Schon im April und Mai wird geerntet. In seinem Gleichnis sagt der Herr: „Auf dem guten Land trug etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig.“ (Mt 13,8).

Heute ist der Ertrag beim Feldbau nicht mehr so reich. An besonders gut gedüngten, fetten Stellen kommen wohl auch jetzt noch Beispiele einer enormen Frichtbarkeit vor. Im Garten des syrischen Waisenhauses in Jerusalem hat einmal ein Gerstenkorn eine große Zahl von Ähren emporgetrieben, welche aus dem einen Korn 200 bis 300 zur Reife brachten. Im allgemeinen aber muss man sich mit einem 4- bis 13-fachen Ertrag zufriedengeben.

Andere Gewächse bringe ja viel mehr Frucht. Darin zeichnet sich besonders das Senfkorn aus, welches das kleinste unter den Samen ist. Und doch erzeugt es einen Strauch in Mannshöhe, welcher vieltausendfältige Früchte trägt. Und die Vögel des Himmels suchen Schatten unter ihm. Daher nimmt der Herr auch dies Körnlein zum Gleichnis für die Ausbreitung seines Reiches über die Welt. Denn wie ein kleines Samenkorn wurde es in den Boden Palästinas gelegt und schien sterben zu wollen, als der Herr am Kreuz hing. Jetzt aber ist’s ein mächtiger Baum geworden, der seine Schatten über den ganzen Erdkreis hin ausbreitet (Mt 13,31.32).

Das Haus Gottes

Das letzte steinerne Gotteshaus im Neuen Testament war der Tempel in Jerusalem. Als Wohnstatt Gottes wurde er abgelöst, als Jesus am Kreuz das ein für alle Mal gültige Opfer darbrachte. Zu diesem Zeitpunkt zerriss der Vorhang vor dem Allerheiligsten im Tempel (s. Mt 27,51). Dieser zerrissene Vorhang symbolisierte, dass der Zugang zu Gott jetzt frei war – für jeden Menschen an jedem Ort.

Jesus hatte das einer samaritanischen Frau gegenüber vorausgesagt: „Glaube mir, Frau, es kommt eine Zeit, in der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. … Aber es kommt eine Zeit – und es ist jetzt –, dass die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten. Und der Vater sucht ja solche, die ihn so anbeten. Gott ist Geist; und die, die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Jo 4,21-23).

Adolf Schlatter schreibt in seinem Kommentar „Der Evangelist Matthäus“ zu Mt 5,6: „Jesus bedurfte zum Gebet keinen geweihten Raum, nur Einsamkeit … In der Freiheit von allen kultischen Satzungen stand die palästinische Kirche der paulinischen nicht nach. Matthäus hat ebenso wenig Kirchen gebaut als Paulus.“

Jesus hat den überall gültigen Zugang zu Gott hergestellt, indem er ins himmlische Heiligtum ging: „Und nicht mit Blut von Böcken und Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist er ein für alle Mal ins Heiligtum gegangen und hat ewige Erlösung erwirkt.“ (Heb 9,12).

Nun wird ein anderes „Haus Gottes“ gebaut: „Lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen, als geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott willkommen sind durch Jesus den Messias!“ (1 Pe 2,5).
Oder wie im Hebräerbrief in Bezug auf den Messias steht: „Sein Haus sind wir, wenn wir die Zuversicht und die Hoffnung, auf die wir stolz sind, behalten.“ (Heb 3,6).
Oder bei Paulus: „… damit du weißt, wie man im Haus Gottes verfahren muss, das ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, Pfeiler und fester Grund für die Wahrheit.“ (1 Tim 3,15).

Die Gemeinde der Nachfolger von Jesus ist jetzt also das Haus Gottes – es gibt kein anderes auf der Welt.

Für öffentliches Lehren nutzte man im Neuen Testament auch öffentliche Räume: Die Halle Salomos in Jerusalem, Synagogen an verschiedenen Orten, das Haus des Titius Justus (s. Apg 18,9), den Lehrsaal des Tyrannos (s. Apg 19,9). Das waren aber keinesfalls „gemeindeeigene Gotteshäuser“. Es waren öffentliche oder private Ge-bäude, die man zweckmäßig nutzte, wie es gerade nötig und möglich war.

Die Häuser, in denen sich ein „Gemeindeleben“ dann tatsächlich abspielte, waren die Häuser und Wohnungen der Gläubigen. Das wären dann noch am ehesten steinerne „Gotteshäuser“, wenn man so will. Aber auch diese Sichtweise findet man im Neuen Testament nicht.

(Dieser Beitrag ist ein Abschnitt aus meinem Buch „Die Gemeinde des Messias„. Als Teil der Leseprobe weckt er ja vielleicht Interesse an mehr …)

Lobrede auf das Menschengeschlecht

Lobrede auf das Menschengeschlecht

oder

Beweis, dass das Neue Testament nicht mehr Wahrheit sei

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855.)

Im Neuen Testament stellt der Heiland der Welt, unser Herr Jesus Christus, die Sache so dar. „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenig ist derer, die ihn finden.“

… nun aber sind, um bloß bei Dänemark zu bleiben, wir alle Christen. Der Weg ist so breit als überhaupt möglich, am allerbreitesten in Dänemark, da es der Weg ist, auf dem wir alle gehen. Dabei ist er in jeder Beziehung bequem und die Pforte so weit als nur möglich. (Weiter kann doch eine Pforte nicht sein, als dass alle en masse durch sie gehen können.) –

Ergo ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Ehre sei dem Menschengeschlecht! Du, o Heiland der Welt, du hast doch eine zu geringe Vorstellung von dem Menschengeschlecht gehabt. Denn du hast die Erhabenheit nicht vorausgesehen, die es in seiner Perfekibilität durch stetig fortgesetztes Streben erreichen kann!

In dem Grade ist also das Neue Testament nicht mehr Wahrheit. Der Weg ist so breit als möglich, die Pforte so weit als möglich, und wir alle sind Christen. Ja ich wage noch einen Schritt weiterzugehen – denn die Sache begeistert mich. Es handelt sich ja um eine Lobrede auf das Menschengeschlecht. Ich wage zu behaupten, dass die Juden unter uns im Durchschnitt bis zu einem gewissen Grad Christen sind. Christen so gut wie wir anderen alle. In dem Grad sind wir alle Christen, in dem Grad ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Wir wollen der Verherrlichung des Menschengeschlechts gewiss nicht mit Aufstellung unwahrer Behauptungen dienen. Wir müssen aber doch darüber wachen, dass uns nichts, nichts entgeht, das seine Erhabenheit beweist oder andeutet. Ich wage daher noch einen Schritt weiterzugehen. Da mir aber die nötigen Kenntnisse fehlen, um in der Sache eine bestimmte Meinung zu haben, so wage ich bloß eine Vermutung auszusprechen. Das Endurteil überlasse ich den Sachverständigen, den Leuten vom Fach:

Zeigen sich nicht auch bei den Haustieren, wenigstens bei den edleren, bei Pferden, Hunden, Kühen, Zeichen des Christentums? Das ist gar nicht unwahrscheinlich. Man bedenke nur, was das heißen will, in einem christlichen Staat zu leben, in einem christlichen Volk, wo alles christlich ist und alle Christen sind, wo man immer und überall nichts anderes sieht als Christen und Christentum, Wahrheit und Wahrheitszeugen? Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dies auf die edleren Haustiere einen Einfluss ausübt, und dass die steigende Veredelung (was nach Meinung der Zoologen und der Pfarrer stets das Wichtigste ist) sich auf die Nachkommenschaft vererbt.

Jakobs List ist ja bekannt. Um gesprenkelte Lämmer zu bekommen, legte er gesprenkelte Stäbe in die Wasserrinne, so dass die Mutterschafe nichts als Gesprenkeltes sahen und darauf gesprenkelte Lämmer zur Welt brachten. Es ist gar nicht unwahrscheinlich – doch will ich, da ich nicht Fachmann bin, darüber keine bestimmte Meinung haben und würde die Entscheidung am liebsten einem aus Theologen und Zoologen zusammengesetzten Komitee überlassen – es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass die Haustiere in der „Christenheit“ schließlich eine christliche Nachkommenschaft zur Welt bringen. Mir schwindelt fast bei diesem Gedanken. Dann aber wird – zur Ehre des Menschengeschlechts – das Neue Testament nach dem größtmöglichen Maßstab nicht mehr Wahrheit sein.

Du, o Heiland der Welt, als du bekümmert fragtest: „Wann ich wiederkomme, werde ich dann wohl auch Glauben finden auf Erden“? – und als du dein Haupt im Tode neigtest, da dachtest du wohl kaum daran, dass deine Erwartungen in einem solchen Grade übertroffen werden sollten; dass das Menschengeschlecht auf eine so schöne und rührende Weise das Neue Testament zur Unwahrheit machen und fast deine Bedeutung in Frage stellen würde. Denn sollten so rare Wesen wirklich eines Erlösers bedürfen oder je eines solchen bedurft haben?

Ehelosigkeit

Ehelosigkeit ist eine leider wenig beachtete Empfehlung des Neuen Testaments. Dabei ist natürlich nicht der Verzicht auf eine formelle Heirat gemeint, sondern der Verzicht auf jegliche sexuelle Beziehung überhaupt. Das schönere und positive Wort dafür wäre „Keuschheit“. Aber dieses Wort ist aus dem modernen Sprachgebrauch wegen des Desinteresses an der Sache fast ganz verschwunden. Dieses Schicksal teilt es auch mit seinem Gegenbegriff, der „Unzucht„. Natürlich schließt der Verzicht auf die Ehe auch den Verzicht auf eigene Kinder mit ein.

Vom Alten Testament her war ein Interesse an der Ehelosigkeit nicht zu erwarten. Das irdische Volk Israel war von seinem Ursprung her auf Abstammung und Fortpflanzung angelegt. Das ging bis hin zur Schwagerehe, in der ein Mann für seinen kinderlos verstorbenen Bruder mit dessen Frau noch einen Nachkommen erzeugen sollte. Auch die Pharisäer zur Zeit von Jesus waren auf Ehe und Nachkommenschaft fixiert, wie auch ihre geistigen Nachkommen, die orthodoxen Juden, bis heute.

Anders dagegen die Richtung der Essener, die damals schon den Gedanken entwickelt hatten, dass zu einer ganzen Hingabe an Gott die Ehelosigkeit am besten sei. Sie hatten deshalb neben Verheirateten auch viele Ehelose als Mitglieder in ihrer Gemeinschaft. Im Lukasevangelium begegnen uns die drei ledigen Geschwister Lazarus, Marta und Maria, die in Betanien zusammen wohnten. Ihre Lebensform ist in damaliger Zeit eigentlich nur denkbar, wenn sie Mitglieder oder zumindest Sympathisanten der Essener waren.

Auch bei Jesus selbst wird zu wenig beachtet, dass in seinem ganz an den Vater und die Menschen hingegebenen Leben eine Ehefrau keinen Platz hatte. (Und die ihm von der Welt angedichteten Verhältnisse wie z. B. mit Maria Magdalena sind natürlich völliger Unsinn.) Aber er hat es nicht nur vorgelebt, er hat auch davon gesprochen.

Seine Jünger kamen einmal im Gespräch über die Schwierigkeiten der Ehe zu dem Schluss: „Wenn die Sache des Ehemannes mit der Ehefrau so steht, ist es nicht gut zu heiraten.“ Und da stimmte ihnen Jesus zu und erklärte ihnen: „Nicht alle erfassen diese Sache, sondern nur die, denen es gegeben ist. Es gibt ja Eunuchen, die aus dem Mutterleib so geboren werden. Es gibt auch Eunuchen, die von den Menschen dazu gemacht werden. Und es gibt Eunuchen, die sich wegen des Königreichs der Himmel selbst dazu machen. Wer das erfassen kann, soll es erfassen!“ (Mt 19,10-12).

Ein Eunuch ist im engeren Sinne ein durch Kastration zeugungs- und damit eheunfähig gemachter Mann. Ím weiteren Sinne galt es damals offensichtlich auch für einen, der von Geburt an eine entsprechende Unfähigkeit hatte. Jesus erweiterte dieses Spektrum dann noch auf die, welche für sich selbst „wegen des Königreichs der Himmel“ auf sexuelle Beziehungen ganz verzichten. Und er geht davon aus, dass es solche Leute tatsächlich gibt. Es ist also keine Theorie, es ist Praxis. Natürlich hatte er damals das Beispiel der Essener vor Augen. Aber eine indirekte Empfehlung an seine Jünger darf man dabei sicherlich heraushören.

Eine deutlichere Sprache in dieser Richtung sprechen die mehrmals vorkommenden Stellen, an denen Jesus davon spricht, dass das Reich Gottes die natürliche Familie außer Kraft setzt. Man soll ihn mehr lieben als Vater und Mutter. Man kann Vater, Mutter, Frau und Kinder verlassen, um ihm zu folgen. Einem potentiellen Nachfolger verweigert er die Erlaubnis, die Beerdigung von dessen verstorbenem Vater auszuführen. Der Bruch mit der leiblichen Familie beinhaltet natürlich auch den Bruch mit der Ehe.

Diese Prioritätensetzung bestätigt Paulus in seinen Ausführungen zu Ehe und Ehelosigkeit in 1 Kor 7. Zunächst weist er eine generelle Ablehnung der Ehe zurück. „Was das betrifft, was ihr geschrieben habt: ‚Es ist gut für einen Mann, keine Frau zu berühren!‘ (Dazu sage ich:) Wegen der Unzucht soll aber jeder seine Frau haben und genauso jede den eigenen Mann.“ (Verse 1-2). Aber die Empfehlung zur Ehelosigkeit spricht der ehelose Gesandte des Herrn dann deutlich aus. Betrachten wir die Stellen dazu in der Zusammenstellung:

„(Wenn ihr mich fragt, dann) will ich, dass alle Menschen (unverheiratet) sind wie auch ich; aber jeder hat eine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.“ (Vers 7)

„Ich sage den Unverheirateten und den Witwen: Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich. Wenn sie aber nicht verzichten können, sollen sie heiraten. Es ist doch besser, verheiratet zu sein, als sich (vor Verlangen) zu verzehren.“ (Verse 8-9)

„Was die Jungfrauen betrifft, habe ich keine Anordnung des Herrn. Eine Meinung gebe ich aber als jemand, der beim Herrn das Erbarmen gefunden hat, gläubig zu sein: Ich glaube, dass Folgendes gut ist wegen der gegenwärtigen Not, dass es also gut ist für einen Menschen: Bist du an eine Frau gebunden, suche keine Loslösung, bist du von einer Frau gelöst, suche keine Frau!“ (Verse 25-27)

„Der Unverheiratete sorgt für die Dinge des Herrn, wie er dem Herrn gefällt. Der geheiratet hat, sorgt aber für die Dinge der Welt, wie er der Frau gefällt, und er ist zerteilt. Sowohl die unverheiratete Frau als auch die Jungfrau sorgt für die Dinge des Herrn, dass sie heilig ist, mit dem Leib und mit dem Geist. Die geheiratet hat, sorgt aber für die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefällt. Das sage ich, weil es gut für euch selbst ist, und nicht, um euch eine Schlinge überzuwerfen. Aber es soll angesehen sein, dem Herrn auch ungehindert zur Verfügung zu stehen!“ (Verse 32-35)

„Wenn aber jemand glaubt, er würde seine Jungfrau beschämen, wenn sie eine alte Jungfer würde, und es müsse so sein, dann soll er tun, was er will, er versündigt sich nicht, er soll sie heiraten lassen. Wer in seinem Herzen aber fest steht, keine Notwendigkeit sieht, Freiheit über seinen Willen hat und so in seinem Herzen beschlossen hat, seine Jungfrau zu bewahren, der tut gut daran. Deshalb macht es der, der seine Jungfrau heiraten lässt, gut, und der, der sie nicht heiraten lässt, macht es besser.“ (Verse 36-37)

„Eine Frau ist auf so lange Zeit gebunden, wie ihr Mann lebt. Wenn der Mann entschläft, ist sie frei, sich heiraten zu lassen, von wem sie will, nur im Herrn. Glücklicher ist sie meiner Meinung nach aber, wenn sie so bleibt. Und ich meine, dass auch ich Geist Gottes habe.“ (Verse 38-39)

Auch bei der Anerkennung der „wirklichen Witwen“ im ersten Timotheusbrief klingt diese Sichtweise durch: „Zu „Witwen“ darfst du (nur) die bestimmen, die wirkliche Witwen sind. … Die wirkliche Witwe, die niemanden mehr hat, hat ihre Hoffnung auf Gott gesetzt und bleibt beim Bitten und Beten Tag und Nacht.“ (1 Tim 6,1+3). Diese Bestimmung zeigt auch, dass die ehelose Lebensart zumindest bei diesen „wirklichen Witwen“ auf einer Entscheidung beruhte, die in der Gemeinde bekannt und anerkannt war. Sie sollte wohlüberlegt sein, man durfte sich dazu nicht leichtfertig verpflichten.

Offensichtlich hatte man damit auch schon entsprechende Erfahrungen gemacht. „Jüngere Witwen musst du aber zurückweisen! Denn wenn sie – entgegen dem Messias – üppig leben wollen, dann wollen sie (wieder) heiraten und haben das Urteil, dass sie mit der anfänglichen Treue gebrochen haben. Zugleich lernen sie auch, unnütz in den Häusern umherzugehen, und nicht nur unnütz, sondern auch schwatzhaft und neugierig, und zu reden, was sich nicht gebührt. Ich will also, dass jüngere (Witwen wieder) heiraten, Kinder haben, ein Haus führen, dem Gegner keinen Anlass zur Verleumdung geben. Schon haben sich ja einige abgewandt hinter dem Satan her.“ (1 Tim 6,11-15). Es geht also nicht darum, dass die Ehelosigkeit einen eigenen Wert an sich hätte, es geht vielmehr um den geistlichen Lebensstil, den sie ermöglicht.

Die christliche Lebensweise, die wir heutzutage im Allgemeinen kennen, beinhaltet die Wertschätzung von Ehe und Familie. Die Ehelosigkeit ist als Ausnahmefall institutionalisiert im katholischen Mönchs- und Nonnenwesen. Im evangelischen Bereich gibt es traditionell die Diakonissenhäuser und in moderneren Zeiten die Einrichtung von Kommunitäten, in denen die ehelose Lebensform ihren Platz hat. Beiden Bereichen ist gemeinsam, dass die Ehelosigkeit als Ausnahme und Sonderform angesehen wird. Der allgemeinen christlichen Gemeinde, die im Alltag lebt, ist sie entnommen. Die Gemeinde bleibt weiterhin im Denkmuster von Ehe und Familie als Normalfall. Und es gibt ja auch die Geschwister, denen es ein Anliegen ist, die noch vorhandenen Unverheirateten miteinander zu verkuppeln.

Die ganze Hingabe in der Nachfolge, die auf Ehe und Familie verzichtet, ist in der neutestamentlichen Gemeinde aber eine Realität. Die Ehelosigkeit gehört vor Ort in die Gemeinde als gleichwertige und anerkannte Lebensform neben der Ehe. In der Zeit der frühen Christen waren im römischen Reich immer wieder die Christenverfolgungen zu bestehen. Und in den Berichten über die Märtyrer tauchen immer wieder sogenannte „heilige Jungfrauen“ auf, die willig für Jesus in den Tod gingen. Die Sache war also auch damals noch eine Realität.

Die Endzeit, in der die Gemeinde steht, hat auch ihre Rückwirkungen auf die Sicht von Ehe und Familie. „Das sage ich, Geschwister: Die Zeit ist begrenzt. Im Weiteren sollen auch alle, die Frauen haben, wie solche sein, die keine haben.“ (1 Ko 7,29). Mit dieser Relativierung ist auch die romantische Vorstellung erledigt, die Ehe sei dazu da, einander glücklich zu machen. Das Glück des Christen kommt von Gott und nicht vom Ehepartner. Nebenbei bemerkt, kann der Verzicht auf solche weltlichen Vorstellungen eine große Entlastung für die Ehe bedeuten. Und die zerstörerische Vergötterung des Ehepartners und/oder der Kinder ist damit ausgeschlossen.

Ehelosigkeit ist nach Jesus dann auch die Lebensform der Zukunft, ein Hinweis auf die Existenzweise in der neuen Welt Gottes. Mt 29,30 / Mk 12,25 / Lk 20,35-36: „Die aber, die für wert gehalten werden, zu jener Welt zu kommen und zur Auferstehung von den Toten, die heiraten nicht und sind nicht verheiratet, wenn sie von den Toten auferstehen. Sie können ja auch nicht mehr sterben, sondern sie sind Engeln in den Himmeln gleich und sind Söhne und Töchter Gottes, weil sie Söhne und Töchter der Auferstehung sind.“

« Ältere Beiträge