Neben der liberalen Richtung gab es in Korinth auf der anderen Seite des Spektrums auch eine gesetzliche Richtung mit jüdischem Hintergrund, die unter anderem die Verschleierung der Frauen in der Gemeinde forderte. Auch mit ihr setzte sich Paulus intensiv auseinander. Das Buch von Thomas Schirrmacher „Paulus im Kampf gegen den Schleier“ war mir eine große Hilfe, diese Seite deutlich zu erkennen. Die Sicht dieser Leute kommt in zwei Zitaten zum Ausdruck in 1.Kor. 11 und 1.Kor. 14, die in der christlichen Gemeinde schon sehr viel Not bereitet haben, weil man sie nicht als Zitate erkannte. Erkennen kann man sie letztlich an dem Gegensatz, der zwischen den Zitaten und den darauf folgenden Antworten von Paulus besteht. Ich habe sie mit Erklärungen in Klammern zum besseren Verständnis aufbereitet wie folgt:
1.Kor. 11,3-16:
Ich will aber, dass ihr wisst: (Einige bei euch vertreten folgende Lehre:) „Das Haupt jedes Mannes ist der Messias, Haupt einer Frau der Mann, Haupt des Messias Gott. Jeder Mann, der betet oder prophetisch spricht und etwas über den Kopf herab hat, beschämt seinen Kopf. Jede Frau, die betet oder prophetisch spricht mit unverhülltem Kopf, beschämt ihren Kopf. Es ist ein und dasselbe (wie) bei einer, (der der Kopf) rasiert wurde. Wenn eine Frau sich nicht verhüllt, soll sie auch geschoren werden! Wenn es für eine Frau aber schändlich ist, geschoren oder rasiert zu werden, soll sie sich verhüllen! Ein Mann muss sich freilich nicht den Kopf verhüllen, denn er ist Bild und Herrlichkeit Gottes, die Frau ist Herrlichkeit eines Mannes. Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann, und der Mann wurde ja nicht wegen der Frau geschaffen, sondern die Frau wegen des Mannes.”
(Dazu sage ich:) Deswegen muss die Frau Macht über ihren Kopf haben: wegen der Engel! (Laut Kapitel 6,3 wird sie mit über Engel richten, dann wird sie ja wohl auch über ihren eigenen Kopf bestimmen dürfen!) Abgesehen davon gibt es beim Herrn keine Frau ohne einen Mann und keinen Mann ohne eine Frau, denn wie die Frau aus dem Mann (gekommen) ist, so (kommt) auch der Mann durch die Frau, und das alles von Gott. Urteilt bei euch selbst: Es ist angemessen, dass eine Frau unverhüllt zu Gott betet! Auch die Natur selbst lehrt euch nicht, dass es für einen Mann, wenn er sich die Haare wachsen lässt, eine Entehrung sei, für eine Frau aber, wenn sie sich die Haare wachsen lässt, eine Ehre sei. Die Haare sind doch (allen von Gott) als Kleidung gegeben. Wenn aber jemand meint, streitlustig sein zu müssen: Wir haben einen solchen Brauch (einer Verschleierung) nicht, auch die Gemeinden Gottes nicht!
1.Kor. 14,34-36:
(Einige bei euch sagen:) „Die Frauen sollen in den Versammlungen schweigen, es ist ihnen nämlich nicht erlaubt zu sprechen, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es sagt. Wenn sie etwas lernen wollen, sollen sie zu Hause ihre Männer fragen, es ist doch schändlich, wenn eine Frau in der Gemeinde spricht.“ (Interessanterweise sagt das Gesetz im Sinne des Alten Testaments das gar nicht, wohl aber einige jüdische Schriftgelehrte aus der damaligen Zeit. Auch das spricht dafür, dass Paulus hier eine Meinung aus Korinth zitiert.)
(Ich sage dazu: Nein!) Ist das Wort Gottes etwa von euch ausgegangen? Oder ist es allein zu euch gekommen? Wenn jemand meint, ein Prophet zu sein oder geistlich, dann soll er klar erkennen, dass das, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn ist. Wenn jemand es aber nicht erkennt, soll man ihn nicht kennen!
Für manche Leser mag diese Sicht neu sein, wie sie auch für mich einmal neu war, als ich Schirrmachers Buch gelesen habe, aber sie war sehr befreiend …