Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Monat: April 2022

Der Antichrist

Der Antichrist – der Autor im Neuen Testament, der diesen Ausdruck geprägt und gebraucht hat, ist Johannes. Ich zitiere hier einen zentralen Vers dazu aus dem 1. Johannesbrief – Kap. 2,18: „Kinderchen, es ist die letzte Zeit. Und wie ihr gehört habt, dass ein Antichrist kommt, so sind jetzt auch viele Antichristen entstanden. Daran erkennen wir, dass es die letzte Zeit ist.“

Drei grundlegende Aussagen kann man in diesem Vers erkennen:

– Die „letzte Zeit“ hatte damals begonnen, wir leben seither in der letzten Zeit.

– Der kommende Antichrist war in der ersten Generation der Christen schon für die allernächste Zukunft angekündigt.

– Johannes schreibt, er ist „jetzt“ da, und es sind „viele Antichristen“ entstanden.

Die Diskrepanz zwischen dem einen und den vielen Antichristen lässt sich auflösen, wenn man mit der Offenbarung (Kap. 13) den Antichristen als eine dämonische Macht begreift, die sich mit einem Heer von Dämonen vieler kleinerer und größerer menschlicher Antichristen als Werkzeuge bedient.

In ihrer Grundstruktur zeigt die Offenbarung in letzter Tiefe das satanische Gegenprogramm gegen Gott:

Der Satan, der Drache, die alte Schlange ist das Gegenbild zu Gott.

Das wilde Tier aus der Unterwelt, der Antichrist, ist das Gegenbild zu Jesus dem Messias, dem Lamm.

Das zweite Tier, der falsche Prophet, der macht, das alle Welt das erste Tier anbetet, ist das Gegenbild zum Heiligen Geist, dem Geist der Prophetie.

Die große Hure Babylon ist das Gegenbild zur Gemeinde, der Braut des Lammes.

Der Ausdruck „Antichrist“ passt sehr gut, denn griechisch „anti“ heißt auf Deutsch „gegen“ oder „anstelle“. Einer, der sich gegen den Christus bzw. Messias Gottes an dessen Stelle setzen will, das ist dieser dämonische tierische Geist. Und nicht zu vergessen, er ist laut biblischer Aussage schon lange da. Es gilt also nicht, sich davor zu fürchten, dass der Antichrist irgendwann einmal kommt. Es gilt vielmehr zu erkennen, dass er da ist und am Werk ist. Und wenn man sich vor etwas fürchten will, dann bitte davor, dass man irgendwie mit ihm verwickelt sein könnte.

Die Sicht von Johannes hat auch Paulus, wenn er in 2 Th 2,3-8 schreibt:

„Dass euch ja niemand auf irgend eine Art etwas vortäuscht! Denn (der Tag des Herrn kommt nicht), ohne dass zuerst der Abfall kommt und der Mensch des Unrechts enthüllt wird, der Sohn des Verderbens, der Gegner, der sich über alles erhebt, was ‚Gott‘ oder ‚Heiligtum‘ heißt, so dass er sich ins Tempelhaus Gottes setzt und sich vorzeigt: Er sei Gott. Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch das sagte, als ich noch bei euch war? Ihr wisst, was ihn jetzt niederhält, bis er zu seiner Zeit enthüllt wird. Das Geheimnis des Unrechts ist allerdings schon am Werk. Nur der, der es bis jetzt niederhält, muss aus der Mitte getan werden, und dann wird der Verbrecher enthüllt werden. Ihn wird der Herr, Jesus, mit dem Hauch seines Mundes beseitigen, zunichtemachen bei seiner sichtbaren Ankunft.“

Den 2. Thessalonicherbrief hat Paulus auf seiner zweiten Missionsreise geschrieben, er ist also etwa 15 Jahre früher als der 1. Johannesbrief. Und Paulus schrieb damals schon, das Geheimnis des Unrechts sei bereits am Werk. Und der, der es niederhält (wer immer das ist), hatte schon 15 Jahre später nachgelassen, wenn Johannes schreibt, sie sind jetzt da.

Es ist erstaunlich, dass Paulus auch solche Inhalte in der ersten Unterweisung einer jungen Gemeinde mit drin hatte. Es muss für den Aufbau der Gemeinde sehr wichtig gewesen sein, dieses Geheimnis zu kennen. Die Schlüsselaussage über diesen Gegner ist bei ihm: Er setzt sich ins Tempelhaus Gottes und zeigt sich vor: Er sei Gott.

Nun müssen wir natürlich klarstellen, was im Neuen Testament das Tempelhaus Gottes ist: Es ist die Gemeinde. In 1 Pe 2,5 wird das vielleicht am schönsten beschrieben: „Lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen, als geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott willkommen sind durch Jesus den Messias.“

Seit beim Sühnetod von Jesus am Kreuz der Vorhang im Tempel zerrissen war, war der steinerne Tempel in Jerusalem als Wohnort Gottes auf Erden abgelöst. Nun wohnt er seit dem ersten Pfingsten im Geist in seiner Gemeinde, wie auch Paulus es ausgedrückt hat in Eph 2,21-22: „In ihm (Jesus) wird das ganze Bauwerk zusammengefügt und wächst zu einem heiligen Tempelhaus im Herrn, in dem auch ihr mit aufgebaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.“

In diesem Haus Gottes den Platz des Messias einzunehmen und dieses Werk zu zerstören, ist also der Auftrag der antichristlichen Macht. Unsere Brüder und Schwestern in früheren Jahrhunderten hatten eine klare Sicht vom Abfall im Christentum in der frühen Zeit. Der Abfall war die Entwicklung von menschlichen Machtpositionen in der Gemeinde, verbunden mit Verweltlichung der Umgangsformen, der Ersatz des Geistlichen durch das Menschliche. Man könnte auch sagen: der Ersatz des Geistlichen durch die „Geistlichen„.

Ein großer Schritt auf diesem Weg war um 300 n. Chr. die Anerkennung des Christentums als offizielle Religion durch Kaiser Konstantin. Sie war unter anderem verbunden mit staatlichen Gehältern für Bischöfe und Finanzierung von kirchlichen Prachtbauten. Den Höhepunkt der Entwicklung sehen wir im Papsttum, als Papst Innozenz III. um 1000 n. Chr. auch über den Kaiser und die Könige in Europa regierte. Kein Wunder, dass schon in der Offenbarung die große Stadt Rom als Hauptsitz der großen Hure gesehen wird.

Für Martin Luther war es völlig klar, dass der Papst in Rom der Antichrist ist, der im Tempel Gottes sitzt als Gott bzw. Abgott. Leider hat Luther den Antichrist nur in der einen Person und Position gesehen und nicht im gesamten Prinzip der menschlichen Herrschaft in der Gemeinde. Sonst hätte er sich nicht dazu verleiten lassen, sich auf protestantischer Seite selbst zu einer Art Papst zu entwickeln und anstatt biblischer Gemeinde eine neue Art von Kirche aufzubauen nach dem alten System der Theologen- und Pfarrerherrschaft.

Und so kennen wir das Prinzip der „Päpstlichkeit“ bis heute in Kirchen, Freikirchen, noch freieren Kirchen, bis hin zu Hauskirchen, und die Gemeinde als „Wohnung Gottes im Geist“ bleibt auf der Strecke.

Es hat sich erfüllt, was Johannes geschaut hat. Offb 13,7: „Und ihm (dem Tier) wurde gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu besiegen.“ Für mich ist das einer der erschütterndsten Sätze im Neuen Testament. Denn er besagt, dass auch das zu Gottes Plan gehört. Und es ist ja wahr, wir sind besiegt. Wo ist die neutestamentliche Gemeinde geblieben?

Für Johannes war das allerdings schon damals kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Offb 13,10: „Hier ist die Ausdauer und der Glaube der Heiligen!“

Der Hebräerbrief

Ich möchte hier die Frage erörtern, wer wohl den Hebräerbrief geschrieben hat. Der Hebräerbrief selbst gibt nichts darüber an, er hat keinen Absender. Es gab viele Vermutungen über die Verfasserschaft, eine recht alte ist die, er sei von Paulus geschrieben worden. Das beruht wohl darauf, dass er in seiner Sprache und Ausdrucksweise manche Ähnlichkeiten mit Paulus hat. Und in den abschließenden Bemerkungen am Schluss des Briefs taucht auch Timotheus auf, der ein Mitarbeiter von Paulus war. Martin Luther hat seinerzeit Apollos als Verfasser vermutet. Ich selbst war lange Zeit der Meinung, man könne es eben nicht wissen, wer ihn geschrieben hat.

Die Entdeckung kam, als ich John A.T. Robinsons Buch las „Wann entstand das Neue Testament?“. Er schreibt, dass der „Kirchenvater“ Tertullian berichtet, dass Barnabas den Brief geschrieben hat. Wer sich nun näher dafür interessiert, wer Tertullian ist, dem empfehle ich die Beschreibungen bei Wikipedia (anspruchsvoller) oder dem Ökumenischen Heiligenlexikon (einfacher). Tertullian (um 200 n.Chr.) hatte noch Zugriff auf zuverlässige Überlieferungen. Um die Zeit seiner Geburt war der Hebräerbrief ja erst etwa 100 Jahre alt.

Zu Barnabas passt einiges am Hebräerbrief:

Barnabas stammt aus Cypern, und das heißt, er war griechischer Muttersprachler. Dazu passt dann auch das anspruchsvolle Griechisch im Hebräerbrief. Er hat im Neuen Testament die komplizierteste und schwierigste Ausdrucksweise.

Von der Abstammung her war Barnabas ein Levit. Und das heißt, dass er natürlich auch sehr vertraut war mit dem Alten Testament und dem jüdischen Opferwesen. Und dieses spielt im Hebräerbrief ja eine entscheidende Rolle.

Er war zeitweise ein enger Mitarbeiter und Gefährte von Paulus. Das kann manche Ähnlichkeiten mit Ausdrucksweisen von Paulus und auch die Bekanntschaft mit Timotheus gut erklären.

Barnabas hieß ursprünglich Josef. Er hatte aber schon in den Anfängen der Jerusalemer Gemeinde auch den Beinamen Barnabas „Sohn des Helfens“ bzw. „Sohn des Trostes“ bekommen. Und ein seelsorgerlicher Helfer war auch der Schreiber des Hebräerbriefs.

Der Brief blickt zurück auf eine erste Welle der Verfolgung, die unter dem Kaiser Nero ausgebrochen war, die auch Petrus und Paulus das Leben gekostet hatte, was in Heb 13,7 mitgemeint sein könnte: „Erinnert euch an eure Führenden, die euch das Wort Gottes gesagt haben, schaut den Ausgang ihres Lebenswandels an und macht es ihrem Glauben nach!“

Der Brief richtet sich an Christen jüdischer Abstammung, die in der andauernden Verfolgungssituation in der Gefahr standen, sich zurückzuziehen ins Judentum. Dieses war damals eine offiziell anerkannte Religion, und der Satz „Ich bin Jude!“ hätte einen vor der Verfolgung geschützt. Und der Hebräerbrief stellt dann dar, welchen geistlichen Preis man bezahlt, wenn man sich auf diese Art von den nichtjüdischen Geschwistern distanziert und sich der Gemeinschaft mit ihnen entzieht, um die eigene Haut zu retten. Es wäre Verrat am Glauben, Verrat an Jesus.

Der Hebräerbrief ist das seelsorgerliche Wort, das in dieser Situation Klarheit schafft, wie ein zweischneidiges Schwert – Heb 4,12: „Lebendig ist ja das Wort Gottes, wirksam, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, durchdringend bis zur Zerteilung von Seele und Geist, von Gelenken und Markknochen, und ein Beurteiler von Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“

Ich denke, manche heutige „Seelsorge“ könnte sich eine Scheibe davon abschneiden …

Petrusbriefe und Judasbrief

Was die zwei Petrusbriefe und den Judasbrief betrifft, habe ich in dem Buch von John A.T. Robinson „Wann entstand das Neue Testament?“ eine interessante Entdeckung gemacht.

Die Petrusbriefe und der Judasbrief stehen in einer eigenartigen Dreiecksbeziehung zueinander. Der erste und der zweite Petrusbrief nennen mit Petrus zwar denselben Absender, sind in Stil und Inhalt aber sehr verschieden. Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief haben dagegen verschiedene Absender, sind in Stil und Inhalt aber sehr ähnlich. Sie scheinen irgendwie verwandt zu sein. Die überzeugende Lösung dieses Rätsels, die Robinson vorschlägt, beruht darauf, dass 1. und 2. Petrus in unterschiedliche Situationen hineinsprechen und unterschiedliche Schreiber haben.

Von Paulus her wissen wir schon, dass er seine Briefe in Zusammenarbeit mit Schreibern geschrieben hat. Und auch der Schreiber des ersten Petrusbriefs ist bekannt – 1 Pe 5,12: „Durch Silvanus, den treuen Bruder, wofür ich ihn halte, habe ich euch in wenigen Worten geschrieben, um zu helfen und zu bezeugen, dass dies wahre Gnade Gottes ist, in der ihr steht.“

Silvanus kennen wir aus dem 1. und 2. Thessalonicherbrief und aus dem 2. Korintherbrief. Er ist der Mitarbeiter von Paulus, der in der Apostelgeschichte „Silas“ heißt. Auch wieder ein Mann mit einem hebräischen und einem lateinischen Namen, vermutlich Jude und zugleich römischer Bürger wie Paulus.

Der erste Petrusbrief geht in eine Situation, in der ein negativer Stimmungsumschwung unter den Heiden gegen die Christen eingetreten war. Es kam nun Druck von außen auch in der Heidenwelt. Dieser zunehmende Druck war wohl ein Vorbote der Verfolgung, die im Jahr 65 unter Kaiser Nero ausbrach.

Der zweite Petrusbrief geht wie der Judasbrief in eine andere Situation. In ihr wird die Gemeinde durch sich ausbreitende falsche Lehrer von innen her zunehmend bedroht. Genauso wird es auf eine andere Art auch in den Johannesbriefen dargestellt. Diese Situation lag aber zeitlich vor der aufkommenden Verfolgung, und so ist der zweite Petrusbrief eigentlich der erste. Dazu muss man wissen, dass im Neuen Testament die Briefe der jeweiligen Verfasser nicht in zeitlicher Reihenfolge sortiert sind, sondern der Länge nach. Weder bei den Paulus- noch bei den Petrus- und Johannesbriefen stimmt die zeitliche Reichenfolge.

Wenn Petrus nun im „ersten“ seiner Briefe einen Schreiber hatte, warum dann nicht auch im „zweiten“, dem zeitlich ersten? Und wenn der mit dem Judasbrief eng verwandt ist, warum sollte dann nicht Judas der Schreiber sein? Judas hätte dann aufgrund der Dringlichkeit schon einmal unter eigenem Namen ein Schreiben hinausgehen lassen – Vers 3: „Geliebte, in aller Eile tue ich es und schreibe euch über unsere gemeinsame Rettung, weil ich die Notwendigkeit habe, euch mit Schreiben aufzufordern, dass ihr kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein- für allemal übergebenen worden ist.“

Unter der Anleitung und dem Namen von Petrus hätte er dann als dessen Schreiber eine überarbeitete und erweiterte Fassung seines Briefs erstellt. Damit würde dann auch auf diese Aussage ein anderes Licht fallen – 2 Pe 3,1-2: „Geliebte, ich schreibe euch schon diesen zweiten meiner Briefe, in denen ich durch Erinnern euer reines Bestreben aufwecke, dass ihr an die Worte denkt, die von den heiligen Propheten zuvor gesagt worden sind, und an das Gebot eurer Gesandten, das des Herrn und Retters!“ Der erste Brief vor diesem „zweiten“ wäre dann in dem Fall der Judasbrief gewesen.

Man muss diese Theorie natürlich nicht glauben. Aber sie ist die beste, wie man die an den drei Briefen beobachteten eigenartigen Sachverhalte erklären kann.