Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Christentum (Seite 1 von 2)

Lobrede auf das Menschengeschlecht

Lobrede auf das Menschengeschlecht

oder

Beweis, dass das Neue Testament nicht mehr Wahrheit sei

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855.)

Im Neuen Testament stellt der Heiland der Welt, unser Herr Jesus Christus, die Sache so dar. „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenig ist derer, die ihn finden.“

… nun aber sind, um bloß bei Dänemark zu bleiben, wir alle Christen. Der Weg ist so breit als überhaupt möglich, am allerbreitesten in Dänemark, da es der Weg ist, auf dem wir alle gehen. Dabei ist er in jeder Beziehung bequem und die Pforte so weit als nur möglich. (Weiter kann doch eine Pforte nicht sein, als dass alle en masse durch sie gehen können.) –

Ergo ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Ehre sei dem Menschengeschlecht! Du, o Heiland der Welt, du hast doch eine zu geringe Vorstellung von dem Menschengeschlecht gehabt. Denn du hast die Erhabenheit nicht vorausgesehen, die es in seiner Perfekibilität durch stetig fortgesetztes Streben erreichen kann!

In dem Grade ist also das Neue Testament nicht mehr Wahrheit. Der Weg ist so breit als möglich, die Pforte so weit als möglich, und wir alle sind Christen. Ja ich wage noch einen Schritt weiterzugehen – denn die Sache begeistert mich. Es handelt sich ja um eine Lobrede auf das Menschengeschlecht. Ich wage zu behaupten, dass die Juden unter uns im Durchschnitt bis zu einem gewissen Grad Christen sind. Christen so gut wie wir anderen alle. In dem Grad sind wir alle Christen, in dem Grad ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Wir wollen der Verherrlichung des Menschengeschlechts gewiss nicht mit Aufstellung unwahrer Behauptungen dienen. Wir müssen aber doch darüber wachen, dass uns nichts, nichts entgeht, das seine Erhabenheit beweist oder andeutet. Ich wage daher noch einen Schritt weiterzugehen. Da mir aber die nötigen Kenntnisse fehlen, um in der Sache eine bestimmte Meinung zu haben, so wage ich bloß eine Vermutung auszusprechen. Das Endurteil überlasse ich den Sachverständigen, den Leuten vom Fach:

Zeigen sich nicht auch bei den Haustieren, wenigstens bei den edleren, bei Pferden, Hunden, Kühen, Zeichen des Christentums? Das ist gar nicht unwahrscheinlich. Man bedenke nur, was das heißen will, in einem christlichen Staat zu leben, in einem christlichen Volk, wo alles christlich ist und alle Christen sind, wo man immer und überall nichts anderes sieht als Christen und Christentum, Wahrheit und Wahrheitszeugen? Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dies auf die edleren Haustiere einen Einfluss ausübt, und dass die steigende Veredelung (was nach Meinung der Zoologen und der Pfarrer stets das Wichtigste ist) sich auf die Nachkommenschaft vererbt.

Jakobs List ist ja bekannt. Um gesprenkelte Lämmer zu bekommen, legte er gesprenkelte Stäbe in die Wasserrinne, so dass die Mutterschafe nichts als Gesprenkeltes sahen und darauf gesprenkelte Lämmer zur Welt brachten. Es ist gar nicht unwahrscheinlich – doch will ich, da ich nicht Fachmann bin, darüber keine bestimmte Meinung haben und würde die Entscheidung am liebsten einem aus Theologen und Zoologen zusammengesetzten Komitee überlassen – es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass die Haustiere in der „Christenheit“ schließlich eine christliche Nachkommenschaft zur Welt bringen. Mir schwindelt fast bei diesem Gedanken. Dann aber wird – zur Ehre des Menschengeschlechts – das Neue Testament nach dem größtmöglichen Maßstab nicht mehr Wahrheit sein.

Du, o Heiland der Welt, als du bekümmert fragtest: „Wann ich wiederkomme, werde ich dann wohl auch Glauben finden auf Erden“? – und als du dein Haupt im Tode neigtest, da dachtest du wohl kaum daran, dass deine Erwartungen in einem solchen Grade übertroffen werden sollten; dass das Menschengeschlecht auf eine so schöne und rührende Weise das Neue Testament zur Unwahrheit machen und fast deine Bedeutung in Frage stellen würde. Denn sollten so rare Wesen wirklich eines Erlösers bedürfen oder je eines solchen bedurft haben?

Drei Formen von Ärgernis

(Drei Formen von Ärgernis – ein Abschnitt aus dem Buch „Die Krankheit zum Tode“ von Sören Kierkegaard. Erschienen am 30. Juli 1849)

Die niedrigste der drei Formen von Ärgernis, die – menschlich gesprochen – unschuldigste, ist diejenige, das ganze mit Christus unentschieden zu lassen und so zu urteilen: Ich erlaube mir nicht, darüber zu urteilen; ich glaube nicht, aber ich verurteile nichts. Dass dies eine Form des Ärgernisses ist, entgeht den meisten. Die Sache ist, man hat das christliche „Du sollst“ rein vergessen. Daher kommt es, dass man nicht sieht, dass es Ärgernis ist, Christus in die Indifferenz zu stellen. Dass das Christentum dir verkündet ist, bedeutet: du sollst eine Meinung über Christus haben. Er selber oder dies, dass er ist und dass er dagewesen ist, ist die Entscheidung des ganzen Daseins. Ist Christus dir verkündet, so ist es Ärgernis, zu sagen: Ich will darüber keine Meinung haben.

Doch muss dies mit einer gewissen Einschränkung in diesen Zeiten verstanden werden, wo Christus so mittelmäßig verkündet wird, wie es geschieht. Es leben freilich viele Tausende, die das Christentum verkünden hörten und die niemals etwas von diesem „Du sollst“ gehört haben. Aber der, der es gehört hat und dann sagt: ich will keine Meinung darüber haben, der nimmt dann Ärgernis. Er leugnet nämlich Christi Gottheit, dass sie das Recht hat, von einem Menschen zu fordern, er solle eine Meinung haben.

Es hilft nicht, dass ein solcher Mensch sagt: „Ich sage ja nichts aus, weder ja noch nein, über Christus“. Denn dann fragt man ihn bloß: Hast du denn überhaupt keine Meinung darüber, wieweit du über ihn eine Meinung haben sollst oder nicht? Antwortet er darauf: Ja, dann fängt er sich selbst. Und antwortet er: Nein, so urteilt das Christentum dennoch, dass er eine Meinung darüber haben solle und also wiederum über Christus, dass kein Mensch so vermessen sein solle, Christi Leben wie eine Kuriosität dastehen zu lassen.

Wenn Gott sich gebären lässt und Mensch wird, so ist dies nicht ein sinnloser Einfall. Es ist nicht etwas, worauf er kommt, um sich doch etwas vorzunehmen, vielleicht um der Langeweile ein Ende zu machen, die, wie man frech gesagt hat, mit dem Gottsein verbunden sein soll. Dies geschieht nicht, um Abenteuer zu erleben. Nein, Gott tut es, und so ist dieses Faktum der Ernst des Daseins. Und dies ist wiederum der Ernst in diesem Ernst: dass jeder darüber eine Meinung haben soll.

Wenn ein König eine Provinzstadt besucht, sieht er es als eine Beleidigung an, wenn ein Beamter, falls er nicht gesetzliche Gründe hat, es unterlässt, ihm seine Aufwartung zu machen. Was aber würde er sagen, wenn einer das ganze Faktum ignorieren würde, dass der König in der Stadt wäre? Wenn er den Privatmann spielen würde, der in dieser Hinsicht „auf seine Majestät und das Königsrecht pfeift“? Und so auch, wenn es Gott gefällt, Mensch zu werden – und es dann einem Menschen gefällt (und was der Beamte für den König ist, das ist jeder Mensch fürGott), darüber zu sagen: Ja, das ist etwas, worüber ich keine Meinung zu haben wünsche. So spricht man vornehm über das, was man im Grunde übersieht: also übersieht man vornehm Gott.

Die nächste der drei Formen von Ärgernis ist die negative, aber leidende. Sie fühlt wohl, dass sie es nicht vermag, Christus zu ignorieren, die Sache mit Christus dahingestellt sein zu lassen und dann im übrigen Leben viel zu tun zu haben. Dazu ist sie nicht imstande. Aber glauben kann sie auch nicht. Sie fährt fort, auf ein und denselben Punkt hinzustarren, auf das Paradox (Christus zugleich als Gott und einzelner Mensch). Insofern ehrt sie doch das Christentum, sie drückt aus, dass diese Frage: Was dünkt dich um Christus? wirklich das Entscheidende ist. Jemand, der so im Ärgernis lebt, lebt dann wie ein Schatten dahin. Sein Leben wird verzehrt, weil er in seinem Innersten immer mit dieser Entscheidung beschäftigt ist. Und so drückt er aus (wie das Leiden der unglücklichen Liebe im Verhältnis zur Liebe), welche Realität das Christentum hat.

Die letzte der drei Formen von Ärgernis ist die positive. Sie erklärt das Christentum für Unwahrheit und Lüge. Sie leugnet Christus (dass er dagewesen sei und dass er der ist, der zu sein er sagte) entwedet doketisch oder rationalistisch. So wird Christus entweder nicht wirklich ein einzelner Mensch, sondern nur scheinbar (doketisch). Oder wird nur ein einzelner Mensch (rationalistisch). Er wird entweder doketisch Poesie und Mythologie, die nicht Anspruch auf Wirklichkeit hat. Oder er wird rationalistisch eine Wirklichkeit, die nicht Anspruch erhebt, göttlich zu sein. In diesem Verneinen von Christus als Paradox liegt natürlich die Leugnung alles Christlichen: der Sünde, der Vergebung der Sünden usw.

Diese Form von Ärgernis ist Sünde wider den heiligen Geist. Wie die Juden von Christus sagten, er treibe die Teufel mit Hilfe des Teufels aus, so macht dieses Ärgernis Christus zu einer Erfindung des Teufels.

Die Möglichkeit des Ärgernisses

(Die Möglichkeit des Ärgernisses – ein Abschnitt aus Sören Kierkegaards Buch „Die Krankheit zum Tode“ von 1849. Aus dem Kapitel „Die Sünde, das Christentum modo ponendo aufzugeben, es für Unwahrheit zu erklären“)

Es ist die Möglichkeit des Ärgernisses, die nicht weggenommen werden kann, dass es einen unendlichen Qualitätsunterschied zwischen Gott und Mensch gibt. Aus Liebe wird Gott Mensch. Er sagt: Sieh her, was es ist, Mensch zu sein. Aber, fügt er hinzu, o nimm dich in Acht, denn ich bin zugleich Gott. Selig, der sich nicht an mir ärgert! Er nimmt als Mensch eines geringen Knechtes Gestalt an. Damit drückt er aus, was ein geringer Mensch zu sein heißt, damit kein Mensch sich ausgeschlossen glauben kann oder meinen soll, dass es menschliches Ansehen ist und Ansehen unter den Menschen, was einen näher zu Gott bringt. Nein, er ist der geringe Mensch. Sieh hierher, sagt er, und vergewissere dich dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein. O aber nimm dich in Acht, denn ich bin zugleich Gott. Selig, der sich nicht an mir ärgert!

Oder umgekehrt: Der Vater und ich sind eins. Doch ich bin dieser einzelne geringe Mensch, arm, verlassen, in die Gewalt der Menschen gegeben. Selig, der sich nicht an mir ärgert! Ich dieser geringe Mensch, bin derjenige, welcher macht, dass Taube hören, Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden, Tote auferstehen. Selig, der sich nicht an mir ärgert!

In Verantwortlichkeit gegenüber der höchsten Stelle erkühne ich mich deshalb zu sagen, dass dieses Wort: Selig, der sich nicht an mir ärgert!, mit zur Verkündigung von Christo gehört, wenn auch nicht auf dieselbe Weise, wie die Einsetzungsworte zum Abendmahl, so doch wie die Worte: Jeder prüfe sich selbst. Sie sind Christi eigene Worte. Und sie müssen, besonders in der Christenheit, immer wieder wiederholt, eingeschärft und gesagt werden zu jedem Einzelnen besonders.

Überall, wo diese Worte nicht mit erklingen, oder in jedem Falle, wo die Darstellung des Christlichen nicht in jedem Punkt durchdrungen ist von diesem Gedanken: da ist das Christentum Blasphemie. Denn ohne Leibwache und ohne Diener, die ihm den Weg bereiten konnten und die Menschen aufmerksam machen konnten, wer es war, der da kam: ging Jesus hier auf Erden in geringer Knechtsgestalt. Aber die Möglichkeit des Ärgernisses schützte und verteidigte ihn. Sie befestigte eine klaffende Tiefe zwischen ihm und dem, der ihm am nächsten war oder am nächsten stand.

Der nämlich, der nicht Ärgernis nimmt, er betet an im Glauben. Anbeten aber, welches der Ausdruck des Glaubens ist, heißt ausdrücken, dass der unendlich tiefe Abgrund der Qualität zwischen ihnen befestigt ist.

Entweder-Oder

(Entweder-Oder: Die Thematik eines Artikels von Sören Kierkekaard aus „Der Augenblick“ vom 24. Mai 1855. Um der Verständlichkeit willen wurde er um einige Nebengedanken gekürzt.)

Zu: „Das soll gesagt werden!“ – oder: Wie wird etwas Entscheidenedes angebracht?

Der Protest, den ich gegen das Bestehende erhoben habe, ist entscheidend. Ich bin nun darauf gefasst, dass auch der wohlwollendste Mensch dies als Vorwurf gegen mich kehrt: „Das ist ja fürchterlich, wie man einen da mir nichts, dir nichts, vor eine Entscheidung stellt.“ Meine Erwiderung ist einfach: „Es kann nicht anders sein.“ …

Doch ich kann mich auch genauer erklären. Dass man einen entscheidenden Gedanken anbringe, was doch die Aufgabe ist, das lässt sich nicht auf dieselbe Weise machen wie alles andere. Und wenn zugleich das Unglück unserer Zeit just dies „bis zu einem gewissen Grade“ ist, wenn sie bis zu einen gewissen Grade auf alles eingeht und eben hierin ihre Krankheit besteht: So muss man vor allem darauf achten, dass sie womöglich nicht auch bis zu einem gewissen Grade auf die Sache eingeht – weil hierdurch alles verloren ist. …

Und glaube mir: Ich kenne den Schaden unserer Zeit nur allzu gut. Dass er in der Charakterlosigkeit besteht, in dem „bis zu einem gewissen Grade“. Wie aber ein „spiegelblanker Schild von geschliffenem Stahl“, so blank, „dass er der Sonne leuchtenden Strahl mit verdoppeltem Glanze zurückwirft“, auch den geringsten Flecken unbedingt fürchtet – denn ist der Flecken noch so gering, so ist der Schild nicht mehr der, welcher er war -: so fürchtet ein entscheidender Gedanke unbedingt jede Berührung mit dem „bis zu einem gewissen Grade“. Das verstehe ich. Sollte ich das nicht verstehen, ich, den selbst die Kinder auf der Straße unter dem Namen kennen: „Entweder-Oder“?

Denn was ist Entweder-Oder? – Lass mich es sagen, der es wohl wissen muss. Entweder-Oder ist das Wort, vor dem die Flügeltüren aufspringen und die Ideale sich zeigen – holdseliger Anblick! Entweder-Oder ist das Zeichen, durch das uns der Zutritt zum Unbedingten wird – Gott sei Lob und Dank! Ja, Entweder-Oder ist der Schlüssel zum Himmel! Und was ist dagegen, was war und ist des Menschen Unglück? Das ist der Satan der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit, das „bis zu einem gewissen Grade“, das, auf das Christentum angewendet, – o verkehrtes Wunder oder wunderbare Verkehrtheit – dieses in ein Geschwätz verwandelt. Nein: entweder – oder! Wie herzlich auch der Schauspieler und die Schauspielerin auf der Bühne sich umarmen und liebkosen, es bleibt doch immer nur ein theatralisches Einverständnis, nur eine Theaterehe. Ganz so ist alles „bis zu einem gewissen Grade“ dem Unbedingten gegenüber nur etwas Theatralisches. …

Dem Gegensatz zum Folgenden zulieb will ich auch ein Bild aus des Lebens Tand zur Verdeutlichung herbeiziehen. Jeder Offizier aus des Königs persönlicher Umgebung trägt eine Auszeichenung, die ihn kenntlich macht. So waren alle wahren Diener des Christentums durch das Entweder-Oder gekennzeichnet. Durch den Ausdruck der Majestät, oder den Ausdruck dafür, dass man vor der göttlichen Majestät steht. Alles, was bloß bis zu einem gewissen Grade ist, hat aber nicht dem Christentum gedient, sondern höchstens sich selbst. Das Christentum kann aber, wenn es redlich sein will, nie eine andere Uniform tragen als die des Königs. Denn für Gottes Diener ist die Uniform nur dies: „Entweder – oder“.

Warum ich „Messias“ übersetze

Warum ich „Messias“ übersetze – das haben mich Leser meiner Übersetzung schon angefragt. Im Beitrag „Der Messias“ habe ich die Begriffe „Christus“, „Messias“, „gesalbter (König)“ ja schon erklärt. Ich habe diese Begriffe im Lauf der Jahre als Übersetzungsmöglichkeiten auch selbst mehrfach hin und her durchgekaut und ausprobiert. Und ich bin zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.

Das in den üblichen Bibelübersetzungen Gewohnte ist zunächst einmal „Christus“. Aber damit hatte ich meine Probleme. Ich komme in meinem Werdegang ja aus dem kirchlichen Heidenchristentum, das neutestamentlich gesehen überhaupt kein Christentum ist. Und von dort her ist mir die Bezeichnung „Christus“ eigentlich unmöglich geworden. Sie ist dort zu einem nichtssagenden Beinamen geworden, zu einer Floskel, die im Munde geführt wird, ohne die eigentliche Bedeutung zu bedenken oder gar zu kennen. Wenn z. B. einer der Kirchenfunktionäre von „Jesus Christus“ spricht, dann hat niemand den Eindruck, dass er vom Herrn der Welt spricht, von Gottes gesalbtem König, dem er unbedingten Gehorsam schuldig wäre.

Die Bezeichnung „Messias“ dagegen ist nicht nur gegenüber Juden ein Zeugnis, sie ist auch im weltlichen Sprachgebrauch präsent. Und es ist mir wichtig, in meiner Übersetzung Begriffe zu verwenden, die auch in der säkularen Sprache verständlich sind. Und hier hat „Messias“ eine interessante Bedeutung.

Als zum Beispiel Obama damals in den USA zum Präsidenten gewählt wurde, hieß es in den Medien angesichts der großen Begeisterung, er würde aber doch wohl auch kein Messias sein. Oder umgekehrt, als Bolsonaro in Brasilien die Wahl zum Präsidenten gewann, haben ihn manche („christliche“!) Kreise zum Messias ernannt, was ihm selber auch sehr gut gefallen hat.

So weit ich sehe, kann sich also die Welt unter „Messias“ irgendwie etwas Richtiges vorstellen, eine Art Heilsbringer. Das ist weit mehr, als sie sich unter dem Beinamen „Christus“ vorstellt.

Und Jesus ist in der Tat nicht nur der Messias Israels, sondern der ganzen Welt. Das ist ja das grundlegende Ärgernis für die Juden, dass unser Messias Jesus eigentlich ihr Messias sein soll. Und umgekehrt ist es das Ärgernis für die Welt, dass Gott von ihr verlangt, Jesus, den jüdischen Messias, als ihren Messias anzuerkennen. Doch die Zumutungen, die Gott selbst den Menschen macht, darf man auf keinen Fall abschwächen.

Warum ich „Messias“ übersetze, dürfte hiermit beantwortet sein. Ich habe in dem Begriff „Messias“ die verständlichste und prägnanteste Möglichkeit der Übersetzung gefunden. So prägnant, dass ich es auch zum Titel meiner Übersetzung des Neuen Testaments gemacht habe: „Jesus der Messias„. Im ganzen Buch geht es nur um ihn.

Werde ein Schwätzer

Werde ein Schwätzer – und sieh: alle Schwierigkeiten verschwinden!

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard, veröffentlicht am 31. Mai 1855)

Wäre meine Meinung, mit diesem Rat das Geschlecht darüber zu belehren, was es künftig zu tun hat, so müsste ich mir freilich vorwerfen lassen, dass ich unendlich zu spät komme. Denn eben hierin ist nun schon jahrhundertelang mit entschiedenem Glück und siegreichem Fortgang praktiziert worden.

Während jede höhere Lebensauffassung (sogar schon im besseren Heidentum, vom Christentum ganz zu schweigen) die Sache so ansieht, dass der Mensch die Aufgabe hat, nach Gemeinschaft mit der Gottheit zu streben, und dass dieses Streben das Leben schwierig und um so schwieriger macht, je ernster, entschiedener und angestrengter das Streben wird, ist im Lauf der Zeiten das Menschengeschlecht auf andere Gedanken über die Bedeutung und Aufgabe des Lebens gekommen. In seiner natürlichen Klugheit hat das Menschengeschlecht dem Dasein sein Geheimnis abgelauscht. Es ist dahintergekommen, dass man sich das Leben leicht, bequem machen kann, wenn man es so haben will. (Und so will man es haben). Man braucht nur den Wert seiner selbst, den Wert des Menschen mehr und mehr heruntersetzen. So wird das Leben leichter und leichter. Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Einst war dem „Weibe“ ihr Gefühl ihr eigenes Selbst. Ein Leid genügte, um ihr Leben für das ganze Leben abzuschließen. Es durfte nur der Geliebte sterben oder ihr untreu werden, so verstand sie es als ihre Aufgabe, für dieses Leben verloren zu sein. Und das gibt ja, konsequent durchgeführt, lange, lange innere Kämpfe und Anfechtungen. Es veranlasst manchen schmerzlichen Zusammenstoß mit der Umgebung, kurz, es macht das Leben schwer. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Sei eine Schwatzbase – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Der Tod oder die Untreue des Geliebten wird dann höchstens eine kleine Pause, wie man etwa auf einem Ball auch einmal über einen Tanz sitzenbleibt. Eine halbe Stunde darauf tanzt du mit einem neuen Kavalier. Es wäre ja auch langweilig, die ganze Nacht mit einem Kavalier zu tanzen. Und was die Ewigkeit betrifft, so ist es ja ganz zweckmäßig, wenn man weiß, dass dort mehrere Kavaliere auf einen warten. Siehst du: alle Schwierigkeiten verschwinden. Das Leben wird vergnüglich, aufgeräumt, munter, leicht. Kurz, wir leben in einer herrlichen Welt, wenn man sich nur recht in sie zu finden weiß – indem man in Geschwätz aufgeht.

Einst war dem „Manne“ sein Charakter das eigene teure Selbst. Man hatte Grundsätze, Grundsätze, die man um keinen Preis verleugnete oder aufgab. Ja, man ließ lieber sein Leben, setzte sich lieber das ganze Leben hindurch jeder Misshandlung aus, als dass man das Mindeste an seinen Grundsätzen geopfert hätte. Denn man verstand, auch die geringste Abschwächung seiner Grundsätze hieße sie aufgeben, und in ihnen sich selbst aufgeben. Hierdurch wurde das Leben natürlich eitel Schwierigkeit. Und weshalb? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Habe heute eine Anschauung, morgen wieder eine andere, dann wieder die von vorgestern, und am Freitag wieder eine neue. Werde ein Schwätzer. Vervielfältige dich, parzelliere dein Selbst aus, habe die eine Anschauung anonym, eine andere mit Namen, die eine mündlich, eine weitere schriftlich, die eine als Beamter, die andere als Privatmann, die eine als Mann deiner Frau, die andere im Club. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Sieh (während alle Charaktermenschen, und je mehr sie es waren, um so gründlicher, es erfuhren und bezeugten, dass diese Welt mittelmäßig, elend, jämmerlich, verderbt, schlecht ist, nur auf Spitzbuben und Schwätzer berechnet), sieh, du findest nun, dass diese Welt ganz herrlich ist, ganz wie berechnet auf dich!

Einst hing dem „Menschen“ sein eigenes Selbst daran, dass er eine unendliche Vorstellung davon hatte, Christ zu sein. Es war ihm ein Ernst, abzusterben, sich selbst zu hassen, für die Lehre zu leiden. Und da fand er das Leben so schwierig, ja so qualvoll, dass selbst die Abgehärtesten unter diesen Schwierigkeiten fast erlagen, wie ein Wurm sich krümmten, und selbst die Demütigsten dem Verzweifeln nahe kamen. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Und werde dann entweder selbst Pfarrer, Dekan, Bischof, der – in Kraft eines heiligen Eides auf das Neue Testament – einmal in der Woche dreiviertel Stunden lang etwas Erhabenes herausschwatzt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Oder sei selbst Laie, der dreiviertel Stunden lang von dem Erhabenen, das der Prediger dreiviertel Stunden lag salbadert, sich erheben lässt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden! Fälsche so im tiefsten Grunde die göttliche oder christliche Lebensanschauung. Erkenne den rechten, den gottgefälligen Weg daran, dass er (ganz gegen das Wort Gottes!) leicht ist. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Diese Welt wird ganz herrlich und mit jedem Jahrhundert dieser herrlichen Lebensweise immer herrlicher und behaglicher und leichter!

Und geniere dich gar nicht, glaube mir, du brauchst dich vor niemandem zu schämen. Die ganze Kompanie ist von derselben Bonität. Darum wartet deiner die Lobrede, die Lobrede auf deine Klugheit, die Lobrede aus dem Munde der anderen. Diese halten mit ihrer Lobrede auf dich – wie klug berechnet! – sich selbst die Lobrede. Und sie würden dich daher nur verdammen, wenn du nicht wärest – wie die anderen.

Vom Interesse an meiner Sache

(Ein Artikel von Sören Kiekegaard, August 1855)

Vom Interesse, das meiner Sache bewiesen wird

In einer Hinsicht ist dieses Interesse an meiner Sache groß genug. Was ich schreibe, findet Verbreitung – in gewissem Sinne fast mehr, als mir lieb ist, wiewohl ich ihm andererseits die weiteste Verbreitung wünschen muss. Doch ich tue natürlich nichts, was auch nur im geringsten den Kunstgriffen gliche, wie sie Politiker, Marktschreier und Bauernfänger anzuwenden pflegen. Also, man liest, was ich schreibe. Viele lesen es mit Interesse, mit großem Interesse, das weiß ich.

Dabei bleibt es vielleicht aber auch bei so manchen. Nächsten Sonntag geht man zur Kirche, wie gewohnt. Man sagt: „Kierkegaard hat ja im Grunde Recht. Und seine Ausführungen über den ganzen offiziellen Gottesdienst, dass er Gott zum Narren mache und Gotteslästerung sei, sind äußerst interessant zu lesen. Allein wir sind nun einmal daran gewöhnt, wir haben nicht soviel Kraft, das aufzugeben. Doch seine Artikel lesen wir wirklich mit Vergnügen. Man kann ordentlich gespannt und ungeduldig auf eine neue Nummer sein, um von dieser unleugbar interessanten Kriminalsache noch weiter zu erfahren.“

Doch dieses Interesse ist nicht eigentlich erfreulich. Es ist eher betrübend, ein trauriges Zeugnis weiter, dass das Christentum nicht nur nicht da ist, sondern dass die Leute in unseren Zeiten, wie ich es ausdrücken möchte, nicht einmal in der Verfassung sind, Religion zu haben. Vielmehr ist ihnen diejenige Leidenschaft fremd und unbekannt, die jede Religion erheischt, ohne die man überhaupt keine Religion, am wenigsten das Christentum, haben kann.

Lass mich zur Darlegung meines Gedankens ein Bild benutzen. Ich verwende es einesteils sehr ungern, da ich von derlei lieber nicht rede. Doch wähle und benutze ich es mit gutem Bedacht. Ja ich meine, es wäre unverantwortlich, wenn ich es nicht benutzen würde. Denn der Ernst der Sache erfordert, dass alles aufgeboten werde, um dem, der es nötig hat, seinen Zustand recht zu entleiden, recht ihm selbst zuwider zu machen.

Einem Manne ist seine Frau untreu, er weiß aber nichts davon. Nun hat er einen Freund, der – ein zweifelhafter Freundesdienst, wird vielleicht mancher sagen – ihn darüber aufklärt. Der Mann gibt zur Antwort: „Ich habe dir mit lebhaftem Interesse zugehört. Ich bewundere deinen Scharfsinn, mit dem du eine so vorsichtig verheimlichte Untreue, von der ich keine Ahnung hatte, aufgespürt hast. Dass ich mich aber nun, da ich die Sache weiß, von ihr scheiden lassen sollte, nein, dazu kann ich mich nicht entschließen. Ich bin meine Häuslichkeit nun einmal gewohnt und kann sie nicht entbehren. Zudem hat sie Vermögen, das kann ich auch nicht entbehren. Hingegen leugne ich nicht, dass ich jede weitere Mitteilung in der Sache mit dem lebhaftesten Interesse aufnehmen werde. Denn sie ist – ohne dir ein Kompliment machen zu wollen – die Sache ist doch sehr interessant.“

Auf diese Weise Sinn für das Interessante zu haben, das ist ja fürchterlich. Und so ist es auch fürchterlich: es als „interessant“ zu wissen, dass der Gottesdienst, den man pflegt, Gotteslästerung ist, und dann bei demselben zu verbleiben, weil man ihn nun einmal so gewohnt ist. Im Grunde heißt das nicht nur Gott, sondern sich selbst verachten.

Man findet es verächtlich, für den Ehemann zu gelten und es eigentlich doch nicht zu sein. Und doch kann ein Mann ja ohne eigene Schuld durch die Untreue der Frau in diese Lage kommen. Man hält es vollends für jämmerlich, sich in ein solches Verhältnis zu finden und darin zu bleiben. Aber in solcher Weise Religion zu haben, dass man selbst weiß, der eigene Gottesdienst ist Gotteslästerung (und das begegnet niemandem ohne eigene Schuld); das also zu wissen, und dann doch fortdauernd es gelten lassen zu wollen, dass man diese Religion hat: das heißt im tiefsten Grunde sich selbst verachten.

Ja, es gibt doch etwas, das noch trauriger ist. Trauriger, als was die Menschen gern für das Traurigste ansehen, das einem Begegnen kann, nämlich vom Verstande zu kommen. Es gibt etwas noch Traurigeres! Es gibt einen sittlichen Stumpfsinn, einen Schmutz der Charakterlosigkeit, der schrecklicher, vielleicht auch unheilbarer ist, als die Zerrüttung des Verstandes. Dass aber ein Mensch nicht mehr gehoben werden kann, dass sein eigenes Wissen ihn nicht mehr zu heben vermag: das ist vielleicht das Traurigste, was man einem Menschen nachsagen kann. Dem Kinde gleich, das seinen Drachen steigen lässt, lässt er sein Wissen steigen. Es ist ihm intersssant, ungeheuer interessant, ihm nachzusehen, mit den Augen ihm zu folgen, allein – ihn erhebt es nicht. Er bleibt im Schmutz, mehr und mehr krankhaft nach dem Interessanten schmachtend.

Wer du daher auch seist: Wenn es so bei dir steht, so schäme dich, schäme dich, schäme dich!

Wem gelten die Verheißungen?

(Wem gelten die Verheißungen? – Ein Artikel von Sören Kierkegaard)

Wir, die „Christenheit“, können uns Christi Verheißungen gar nicht zueignen. Denn wir, die „Christenheit“, stehen nicht da, wo ein Christ nach der Forderung Christi und des Neuen Testaments stehen soll.

Denke dir, ein mächtiger Geist hätte einigen Menschen seinen Schutz zugesagt, jedoch unter der Bedingung, dass sie sich an einem bestimmten Ort einfänden, der nur mit Gefahr zu betreten wäre. Gesetzt nun, diese Menschen stellten sich an diesem Orte nicht ein, sie gingen vielmehr heim in ihre Wohnungen und rühmten es in begeisterten Worten untereinander, dass der Geist ihnen seinen mächtigen Schutz zugesagt habe, durch den sie gegen jeglichen Schaden gesichert wären, so ist das doch lächerlich!

So ist’s mit der Christenheit. Christus und das Neue Testament verstehen unter dem Glauben etwas ganz Bestimmtes. Glauben heißt, sich so entscheidend, als es für einen Menschen immer möglich ist, hinauszuwagen, brechend mit allem, was ein Mensch von Natur liebt, um sein Leben dadurch zu retten, dass man mit allem bricht, worin ein Mensch von Natur lebt. Denen aber, die glauben, wird auch Beistand wider alle Gefahren verheißen.

Aber wir in der „Christenheit“, wir spielen „Glaube“ und spielen „Christsein“. Wir sind so weit als möglich davon entfernt, mit dem zu brechen, was der natürliche Mensch liebt. Wir bleiben vielmehr daheim in unserem gemütlichen Heim, im Bereich der Endlichkeit. Und da schwatzen wir miteinander über alle die Verheißungen des Neuen Testaments. Oder wir lassen uns von den Geistlichen darüber vorschwatzen, dass niemand uns schaden könne, dass die Pforten der Hölle uns, die Kirche nicht überwältigen werden usf.

„Dass die Pforten der Hölle seine Kirche nicht überwältigen sollen“, diese Worte aus dem Munde Christi sind in der letzten Zeit meiner Behauptung, das Christentum sei gar nicht da, wiederholt entgegengehalten worden.

Hierauf ist meine Antwort: Jene Verheißung hilft uns nicht das Allermindeste. Denn das Geschwätz, worin wir leben, als wären wir damit Christen, ist gar nicht das, was Christus und das Neue Testament darunter verstehen, ein Christ zu sein.

Wage dich so entscheidend hinaus, dass du mit der ganzen Zeitlichkeit brichst, mit allem, worin und wofür sonst ein Mensch lebt. Wage dich so entscheidend hinaus, um Christ zu werden. So wirst du erstens (das ist die Lehre des Christentums) dadurch in den Kampf mit dem Teufel und den höllischen Mächten kommen (was dieser putzigen Christenheit freilich entgeht). Dann aber wird auch Gott, der Allmächtige, dich nicht fallen lassen, sondern dir wunderbar helfen. Und – du darfst überzeugt sein: Die Pforten der Hölle werden Christi Kirche nie überwältigen.

Aber die „Christenheit“ ist gar nicht Christi Kirche. Auch ich behaupte durchaus nicht, dass die Pforten der Hölle die Kirche Christi überwältigt haben. Nein, ich sage, die „Christenheit“ ist ein Geschwätz, das sich an das Christentum fest angeklammert hat wie das Spinngewebe an eine Frucht, und das nun so gut ist, sich mit dem Christentum verwechseln zu wollen, wie wenn das Spinngewebe sich für die Frucht halten wollte, weil es ja nicht so selten der Frucht anhängt.

Die Art Existenzen, wie sie die Millionen der Christenheit ausweisen, haben gar keine Beziehung zum Neuen Testament, sind eine Unwirklichkeit. Denn wahre Wirklichkeit ist nur da, wo ein Mensch in so entscheidendem Sinne gewagt hat, wie Christus es fordert. Und dann gelten ihm sofort auch die Verheißungen. Die „Christenheit“ aber ist dieser ekelhafte Jux, voll und ganz in der Endlichkeit zu bleiben und dann – die Verheißungen des Christentums mitzunehmen.

Wäre die Kontrolle nicht so leicht, so würden diese Legionen Christen oder die Pfaffen, die ihnen vorschwatzen, vermutlich auch den Anspruch erheben, die Christen könnten Wunder tun. Denn Christus hat es ja den Gläubigen verheißen. Er hat die Erde mit den Worten verlassen (Mrc. 16, 17.18), dass denen, die da glauben, diese Zeichen folgen sollen: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und so sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden. Auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden.“

Ganz so verhält es sich aber auch mit der Verheißung, dass die Pforten der Hölle die Kirche Christi nicht überwältigen sollen. Beides geht nur die an, die im Sinne des Neuen Testaments glauben. Nicht aber den Priesterbetrug mit diesen Bataillonen von Christen, die man, wie zwischen Sonntagsjägern und wirklichen Jägern unterschieden wird, Sonntagschristen nennen kann. Derlei Geschöpfe nimmt nicht einmal der Satan aufs Korn. Er sieht ja sehr gut, dass sie bereits dem Geschwätz zur Beute verfallen sind. Insofern ist es sogar lächerlich, wenn sie im Vertrauen auf Christi Verheißung sich vor den Pforten der Hölle sicher wähnen.

Die in langen Kleidern gehen

(Die in langen Kleidern gehen – Aus einem Artikel von Sören Kierkegaard)

„Hütet euch vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen!“ (Mt 12,38; Lk 20,46) – 15. Juni 1855.

Hütet euch vor denen, die in langen Kleidern gehen! Man braucht wohl nicht besonders zu sagen, dass Christus mit diesen Worten natürlich nicht die Kleidung der Betreffenden kritisieren will. Denn dagegen, dass die Kleider lang sind, hat er gewiss nichts einzuwenden. Hätte die Sitte den Geistlichen vorgeschrieben, kurze Kleider zu tragen, so hätte Christus gesagt: Hütet euch vor denen, die in kurzen Kleidern gehen. Und soll ich auch noch die letzte Möglichkeit ausschöpfen, um zu zeigen, dass es sich nicht um eine Kritik der Kleider handelt: Hätte die Sitte von den Geistlichen verlangt, ohne Kleider zu gehen, so hätte Christus gesagt: Hütet euch vor denen, die ohne Kleider gehen. Der Stand ist’s, den er treffen will, weil er einen ganz anderen Begriff von dem hat, was ein Lehrer ist. Und den Stand bezeichnet er nach seiner besonderen Tracht.

Hütet euch vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen! Eine verwässernde Bibelerklärung wird sich sofort des Wortes „gerne“ bemächtigen. Und sie wird herausfinden, dass Christus nur auf einzelne im Stande zielte, auf diejenigen, die eine eitle Ehre darein setzten, in den langen Kleidern zu gehen usf. Nein, mein lieber, langgekleideter Freund, das kannst du vielleicht Einfältigen von der Kanzel mit großer Feierlichkeit einbilden. Das entspricht ja auch ganz dem Christusbild, das im Sonntagsdienst vorgestellt wird. Mir wirst du das aber nicht weismachen; und der Christus des Neuen Testaments redet nicht so. Er redet stets von dem ganzen Stande. Und er kommt nicht mit dem nichtssagenden Geschwätz, dass es in ihm einige verdorbene Subjekte gebe. Denn das gilt ja zu allen Zeiten von allen Ständen, und folglich wäre damit lediglich nichts gesagt.

Nein, er fasst den Stand als ein Ganzes auf. Er sagt, dass er als Ganzes demoralisiert ist. Dass er als Ganzes auch die verderbliche Sitte hat, in langen Kleidern gehen zu wollen. Und dieses Urteil hat zum Grunde, dass der offizielle Geistliche gerade das Gegenteil von dem ist, was Christus unter einem Lehrer versteht. Denn der Lehrer nach Christi Sinn ist als solcher leidend. Offizieller Geistlicher sein heißt aber, im Genuss des Irdischen zu stehen und dabei noch raffinierterweise für einen Repräsentanten Gottes gelten zu dürfen. Und so ist es auch kein Wunder, dass sie gerne in langen Kleidern gehen. Denn alle anderen Stellungen im Leben werden nur mit Irdischem gelohnt. Die offizielle Geistlichkeit aber nimmt sich zum Raffinement auch noch etwas von dem Himmlischen.

Also: an und für sich ist es völlig gleichgültig, ob der Stand lange oder kurze Kleider trägt. Die Sache ist vielmehr diese. Sobald der Lehrer den Ornat bekommt, eine besondere Tracht, eine Standeskleidung, so hast du offiziellen Gottesdienst. Und das will Christus nicht haben. Lange Kleider, prachtvolle Kirchenbauten usw., all dies hängt zusammen. Und es bildet zusammen die menschliche Verfälschung des neutestamentlichen Christentums, die in schändlicher Weise den Umstand ausnützt, dass die Masse sich nur zu leicht von sinnlichen Eindrücken betören lässt und darum (ganz gegen das Neue Testament) nach Sinneseindrücken über die Wahrheit des Christentums zu urteilen geneigt ist. Dies ist die menschliche Verfälschung des neutestamentlichen Christentums.

Und es verhält sich mit dem geistlichen Stand nicht wie mit anderen Ständen, dass an dem Stand selbst an und für sich nichts Böses ist. Nein, ein „geistlicher Stand“ ist, christlich betrachtet, an und für sich vom Bösen. Er ist eine Demoralisation, ist ein Produkt menschlicher Selbstsucht, welche die Richtung, die Christus dem Christentum gab, geradezu umgekehrt hat.

Da nun aber einmal lange Kleider zur Amtstracht der Geistlichen geworden sind, so kann man auch versichert sein, dass das seinen Sinn hat. Ich glaube, dass man das Wesen oder Unwesen des offiziellen Christentums äußerst bezeichnend bestimmen kann, wenn man darauf achtet, was darin liegt.

Lange Kleider bringen unwillkürlich auf den Gedanken, dass man etwas zu verstecken habe. Denn wenn dies der Fall ist, so sind lange Kleider äußerst zweckmäßig. Und das offizielle Christentum hat außerordentlich viel zu verdecken. Denn es ist von A bis Z eine Unwahrheit, die man am besten verdeckt – durch lange Kleider.

Hütet euch darum vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen! Nach Christeus (der doch, da er selbst der Weg ist, am besten über den Weg Bescheid wissen musste) ist die Pforte eng, der Weg schmal – und wenige sind, die ihn finden. Was vielleicht am allermeisten bewirkt hat, dass die Anzahl dieser wenigen so gar klein und im Lauf der Jahrhunderte verhältnismäßig immer geringer geworden ist, das ist die ungeheure Sinnestäuschung, welche durch das offizielle Christentum eingetreten ist. Verfolgung, Misshandlung, Blutvergießen hat durchaus nicht in dieser Weise geschadet. Nein, das hat genützt, unberechenbaren Nutzen gestiftet im Vergleich mit diesem Grundschaden: einem offiziellen Christentum, das darauf berechnet ist, der menschlichen Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit zu Hilfe zu kommen, indem es den Menschen einbildet, dass Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit und Lebensgenuss Christentum sei. Man schaffe das offizielle Christentum ab und lasse eine Verfolgung kommen: im selben Augenblick ist das Christentum wieder da.

Babylon die Große

Babylon die Große ist ein Thema, das in der Offenbarung zwei ganze Kapitel einnimmt, ihre Beschreibung in Kap. 17 und ihr Ende in Kap. 18.

Doch das Stichwort „Babylon“ taucht schon im 1. Petrusbrief auf. Petrus richtet dort am Ende (5,13) auch Grüße von der Mitauserwählten (Gemeinde) in Babylon aus. Die damalige Christenverfolgung hatte ja ihre Wurzel in Rom. Und daraus kann man schließen, dass Babylon in dieser Situation zum Codenamen für Rom geworden war. Petrus war ja tatsächlich dort, wo er dann auch zum Märtyrer wurde.

Die Deutung auf Rom bestätigt sich dann in Offb 17,9: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt“. Dass Rom die Stadt auf den sieben Hügeln ist, ist sprichwörtlich. Und auch in Offb 17,18: „Die Frau, die du gesehen hast, ist die große Stadt, die ein Königreich hat über die Könige der Erde.” Diese Beschreibung passt zu den damaligen Zeiten exakt zur Hauptstadt des römischen Imperiums.

Dass Babylon einerseits als Stadt und andererseits als Frau beschrieben wird, passt gut zusammen. In der Antike wurden Städte gerne weiblich gesehen, z. B. auch als „Töchter“ ihres jeweiligen Landes. Jerusalem war ja auch die „Tochter“ Zion. Und Rom heißt auf lateinisch bzw. italienisch bis heute „Roma“, das ist eine weibliche Form.

„Roma“ war in der heidnischen Zeit allerdings auch der Name der Stadtgöttin, Patronin und Schutzheiligen von Rom. Unterworfene Völker mussten zum Zeichen ihrer Untertänigkeit in ihren Hauptstädten die entsprechenden Tempel errichten. In diesen mussten die Statuen des göttlichen Kaisers und der göttlichen Roma verehrt werden. Dieser Kult war den damaligen Christen natürlich vor Augen. Sie kannten sich aus mit dem Geheimnis von Offb 17,5: „Auf ihrer Stirn (war) ein Name geschrieben, ein Geheimnis: ‚Babylon die Große, die Mutter der Hurer und der Gräuel der Erde‘.“

Zum Verständnis hilft uns auch die Gegenüberstellung mit dem Gegenstück zur Babylon, der Gemeinde, die in den Kapiteln 19-22 erscheint. Auch hier ist eine Frau, die eine Stadt ist:

„Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, seine Frau hat sich vorbereitet“ (19,7).

„Ich sah die heilige Stadt, ein neues Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, vorbereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann“ (21,2).

„Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen gehabt hatten, die voll gewesen waren mit den letzten sieben Plagen, und sprach mit mir: ‚Komm, ich zeige dir die Braut, die Frau des Lammes!‘ Und im Geist brachte er mich weg auf einen großen und hohen Berg, und er zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, die von Gott aus dem Himmel herabkam“ (21,9-10).

Statt dem irdischen Babylon bzw. Rom das himmlische Jerusalem, statt der Hure die Braut, die durch die Hochzeit zur Ehefrau des Lammes wird. Die Gemeinde des Herrn, diejenigen, die dem Lamm gefolgt sind, wo immer es hingeht, sind seine Frau, seine Stadt.

Da wir es hier abseits vom prophetischen Bild real mit einer Gruppe von Menschen zu tun haben, dürfen wir annehmen, dass es auch bei Babylon so ist. Wenn das Tier, auf dem die Hure sitzt, eine unsichtbare dämonische Macht ist, dann ist die Hure die in Menschen sichtbare Ausprägung dieser Macht. Und wenn das Tier in Gestalt des Kaisers Nero das Antichristentum im politischen Bereich darstellt, dann haben wir es bei der Hure mit dem Antichristentum im religiösen Bereich zu tun. Götzendienst war ja auch schon im Alten Testament belegt mit dem Urteil der Hurerei.

Nun müssen wir noch eine etwas eigenartige Rechnung aufdröseln, das Tier betreffend – 17,9-11: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt, und es sind sieben Könige: Fünf sind gefallen, einer ist da, ein anderer noch nicht gekommen. Wenn er kommt, muss er ein wenig bleiben. Das Tier, das war und nicht ist, ist auch selbst der achte und einer von den sieben und geht ins Verderben.“ Das ist eine ausführlichere Version von Vers 8: „Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht da und wird aus der Unterwelt heraufkommen und geht ins Verderben.“

Die Liste der römischen Kaiser, wie sie in Wikipedia dargestellt ist, beginnt mit dem Kaiser Augustus. Der fünfte ist dann Nero. Wenn fünf gefallen sind, dann ist jetzt auch Nero gestorben. Wir befinden uns im sogenannten Vierkaiserjahr 68-69 n. Chr.. Nach Nero kamen politische Wirren mit vier Kaisern in einem Jahr. Auf Galba folgten Otho und Vitellius, bis der Kaiser Vespasian die Stabilität im Reich wieder herstellen konnte.

Nach Nero (dem fünften) ist jetzt also einer da (der sechste) und ein anderer noch nicht gekommen (der siebte). Das Tier, das war und nicht ist, ist sicherlich Nero, den wir ja als erste Ausprägung des Antichristen identifiziert haben. Er ist ja einer von den sieben (der fünfte) und soll dann als achter wiederkommen und ein wenig bleiben.

Es gab damals wohl tatsächlich Gerüchte, Nero sei nicht tot, sondern in den Osten zu den Parthern geflohen. Von dort solle er mit einem großen Heer zurückkommen um sich die Herrschaft wieder zurückzuholen. Aber die Offenbarung spekuliert ja nicht mit menschlichen Gerüchten, sondern gibt prophetische Information.

Betrachten wir die Sache aus unserer Sicht von hinten her. Der achte Kaiser, der „ein wenig“ bleiben soll, ist dann das Kaisertum an sich. Es kehrt nach den Wirren im Jahr 68/69 zurück und bleibt. Wenn das Tier am Ende „ins Verderben“ geht, kann „ein wenig bleiben“ nur die gesamte Endzeit meinen, bis zum Ende.

Nach der Verlegung der Hauptstadt als Ost-Rom nach Konstantinopel, dem späteren Byzanz und heutigen Istanbul, regierten dort noch 1000 Jahre lang christliche Kaiser mit einem kirchlichen Patriarchen an ihrer Seite. Nachdem die muslimischen Türken im 15. Jahrhundert die Stadt erobert hatten, wanderte der Titel als „Zar“ weiter nach Moskau. Und auch heute noch regiert dort so etwas wie ein Zar mit einem Patriarchen an seiner Seite.

Nach dem Untergang des weströmischen Reiches durch die germanischen Eroberungen im 5. Jahrhundert übernahm in Rom der Papst den heidnischen Kaisertitel „Pontifex maximus“. Und mit der Krönung von Karl dem Großen zum Kaiser des heiligen römischen Reiches an Weihnachten 800 fing es an, dass der Papst im westlichen Europa und später bis in dessen überseeische Kolonien 1000 Jahre lang über Kaiser und Könige regierte. Und auch heute noch sitzt dort ein Papst, der als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates mit seinen diplomatischen Kanälen den Regierungen der Welt gerne sagen möchte, was sie tun sollen. Nur klappt es nicht mehr so ganz.

Wenn das Kaisertum (die weltliche Macht) das Tier ist, auf der die Hure sitzt, dann ist Babylon (als religiöse Macht) das dazugehörige abgefallene Christentum. Dieses stützt sich auf die staatliche Macht, und begleitet, infiltriert und – wenn möglich – regiert diese auch. Diese weltlich und dämonisch pervertierte Form des Christentums ist natürlich dazu da, Menschen vom wahren Christentum abzuhalten. Sie sollen abgehalten werden von der wahren Beziehung zu Gott durch Jesus den Messias. Die beste Bezeichnung für diese Perversion ist bis heute immer noch „Kirche„.

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