Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Christentum (Seite 1 von 2)

Entweder-Oder

(Entweder-Oder: Die Thematik eines Artikels von Sören Kierkekaard aus „Der Augenblick“ vom 24. Mai 1855. Um der Verständlichkeit willen wurde er um einige Nebengedanken gekürzt.)

Zu: „Das soll gesagt werden!“ – oder: Wie wird etwas Entscheidenedes angebracht?

Der Protest, den ich gegen das Bestehende erhoben habe, ist entscheidend. Ich bin nun darauf gefasst, dass auch der wohlwollendste Mensch dies als Vorwurf gegen mich kehrt: „Das ist ja fürchterlich, wie man einen da mir nichts, dir nichts, vor eine Entscheidung stellt.“ Meine Erwiderung ist einfach: „Es kann nicht anders sein.“ …

Doch ich kann mich auch genauer erklären. Dass man einen entscheidenden Gedanken anbringe, was doch die Aufgabe ist, das lässt sich nicht auf dieselbe Weise machen wie alles andere. Und wenn zugleich das Unglück unserer Zeit just dies „bis zu einem gewissen Grade“ ist, wenn sie bis zu einen gewissen Grade auf alles eingeht und eben hierin ihre Krankheit besteht: So muss man vor allem darauf achten, dass sie womöglich nicht auch bis zu einem gewissen Grade auf die Sache eingeht – weil hierdurch alles verloren ist. …

Und glaube mir: Ich kenne den Schaden unserer Zeit nur allzu gut. Dass er in der Charakterlosigkeit besteht, in dem „bis zu einem gewissen Grade“. Wie aber ein „spiegelblanker Schild von geschliffenem Stahl“, so blank, „dass er der Sonne leuchtenden Strahl mit verdoppeltem Glanze zurückwirft“, auch den geringsten Flecken unbedingt fürchtet – denn ist der Flecken noch so gering, so ist der Schild nicht mehr der, welcher er war -: so fürchtet ein entscheidender Gedanke unbedingt jede Berührung mit dem „bis zu einem gewissen Grade“. Das verstehe ich. Sollte ich das nicht verstehen, ich, den selbst die Kinder auf der Straße unter dem Namen kennen: „Entweder-Oder“?

Denn was ist Entweder-Oder? – Lass mich es sagen, der es wohl wissen muss. Entweder-Oder ist das Wort, vor dem die Flügeltüren aufspringen und die Ideale sich zeigen – holdseliger Anblick! Entweder-Oder ist das Zeichen, durch das uns der Zutritt zum Unbedingten wird – Gott sei Lob und Dank! Ja, Entweder-Oder ist der Schlüssel zum Himmel! Und was ist dagegen, was war und ist des Menschen Unglück? Das ist der Satan der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit, das „bis zu einem gewissen Grade“, das, auf das Christentum angewendet, – o verkehrtes Wunder oder wunderbare Verkehrtheit – dieses in ein Geschwätz verwandelt. Nein: entweder – oder! Wie herzlich auch der Schauspieler und die Schauspielerin auf der Bühne sich umarmen und liebkosen, es bleibt doch immer nur ein theatralisches Einverständnis, nur eine Theaterehe. Ganz so ist alles „bis zu einem gewissen Grade“ dem Unbedingten gegenüber nur etwas Theatralisches. …

Dem Gegensatz zum Folgenden zulieb will ich auch ein Bild aus des Lebens Tand zur Verdeutlichung herbeiziehen. Jeder Offizier aus des Königs persönlicher Umgebung trägt eine Auszeichenung, die ihn kenntlich macht. So waren alle wahren Diener des Christentums durch das Entweder-Oder gekennzeichnet. Durch den Ausdruck der Majestät, oder den Ausdruck dafür, dass man vor der göttlichen Majestät steht. Alles, was bloß bis zu einem gewissen Grade ist, hat aber nicht dem Christentum gedient, sondern höchstens sich selbst. Das Christentum kann aber, wenn es redlich sein will, nie eine andere Uniform tragen als die des Königs. Denn für Gottes Diener ist die Uniform nur dies: „Entweder – oder“.

Warum ich „Messias“ übersetze

Warum ich „Messias“ übersetze – das haben mich Leser meiner Übersetzung schon angefragt. Im Beitrag „Der Messias“ habe ich die Begriffe „Christus“, „Messias“, „gesalbter (König)“ ja schon erklärt. Ich habe diese Begriffe im Lauf der Jahre als Übersetzungsmöglichkeiten auch selbst mehrfach hin und her durchgekaut und ausprobiert. Und ich bin zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.

Das in den üblichen Bibelübersetzungen Gewohnte ist zunächst einmal „Christus“. Aber damit hatte ich meine Probleme. Ich komme in meinem Werdegang ja aus dem kirchlichen Heidenchristentum, das neutestamentlich gesehen überhaupt kein Christentum ist. Und von dort her ist mir die Bezeichnung „Christus“ eigentlich unmöglich geworden. Sie ist dort zu einem nichtssagenden Beinamen geworden, zu einer Floskel, die im Munde geführt wird, ohne die eigentliche Bedeutung zu bedenken oder gar zu kennen. Wenn z. B. einer der Kirchenfunktionäre von „Jesus Christus“ spricht, dann hat niemand den Eindruck, dass er vom Herrn der Welt spricht, von Gottes gesalbtem König, dem er unbedingten Gehorsam schuldig wäre.

Die Bezeichnung „Messias“ dagegen ist nicht nur gegenüber Juden ein Zeugnis, sie ist auch im weltlichen Sprachgebrauch präsent. Und es ist mir ja wichtig, in meiner Übersetzung Begriffe zu verwenden, die auch in der säkularen Sprache verständlich sind. Und hier hat „Messias“ eine interessante Bedeutung.

Als zum Beispiel Obama damals in den USA zum Präsidenten gewählt wurde, hieß es in den Medien angesichts der großen Begeisterung, er würde aber doch wohl auch kein Messias sein. Oder umgekehrt, als Bolsonaro in Brasilien die Wahl zum Präsidenten gewann, haben ihn manche („christliche“!) Kreise zum Messias ernannt, was ihm selber auch sehr gut gefallen hat.

So weit ich sehe, kann sich also die Welt unter „Messias“ irgendwie das Richtige vorstellen, nämlich eine Art Heilsbringer. Das ist weit mehr, als sie sich unter dem Beinamen „Christus“ vorstellt.

Und Jesus ist in der Tat nicht nur der Messias Israels, sondern der ganzen Welt. Das ist ja das grundlegende Ärgernis für die Juden, dass unser Messias Jesus eigentlich ihr Messias sein soll. Und umgekehrt ist es das Ärgernis für die Welt, dass Gott von ihr verlangt, Jesus, den jüdischen Messias, als ihren Messias anzuerkennen. Doch die Zumutungen, die Gott selbst den Menschen macht, darf man auf keinen Fall abschwächen.

Warum ich „Messias“ übersetze – das dürfte nun beantwortet sein. Ich habe in dem Begriff „Messias“ die verständlichste und prägnanteste Möglichkeit der Übersetzung gefunden. So prägnant, dass ich es auch zum Titel des Neuen Testaments gemacht habe: „Jesus der Messias“. Im ganzen Buch geht es nur um ihn.

Werde ein Schwätzer

Werde ein Schwätzer – und sieh: alle Schwierigkeiten verschwinden!

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard, veröffentlicht am 31. Mai 1855)

Wäre meine Meinung, mit diesem Rat das Geschlecht darüber zu belehren, was es künftig zu tun hat, so müsste ich mir freilich vorwerfen lassen, dass ich unendlich zu spät komme. Denn eben hierin ist nun schon jahrhundertelang mit entschiedenem Glück und siegreichem Fortgang praktiziert worden.

Während jede höhere Lebensauffassung (sogar schon im besseren Heidentum, vom Christentum ganz zu schweigen) die Sache so ansieht, dass der Mensch die Aufgabe hat, nach Gemeinschaft mit der Gottheit zu streben, und dass dieses Streben das Leben schwierig und um so schwieriger macht, je ernster, entschiedener und angestrengter das Streben wird, ist im Lauf der Zeiten das Menschengeschlecht auf andere Gedanken über die Bedeutung und Aufgabe des Lebens gekommen. In seiner natürlichen Klugheit hat das Menschengeschlecht dem Dasein sein Geheimnis abgelauscht. Es ist dahintergekommen, dass man sich das Leben leicht, bequem machen kann, wenn man es so haben will. (Und so will man es haben). Man braucht nur den Wert seiner selbst, den Wert des Menschen mehr und mehr heruntersetzen. So wird das Leben leichter und leichter. Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Einst war dem „Weibe“ ihr Gefühl ihr eigenes Selbst. Ein Leid genügte, um ihr Leben für das ganze Leben abzuschließen. Es durfte nur der Geliebte sterben oder ihr untreu werden, so verstand sie es als ihre Aufgabe, für dieses Leben verloren zu sein. Und das gibt ja, konsequent durchgeführt, lange, lange innere Kämpfe und Anfechtungen. Es veranlasst manchen schmerzlichen Zusammenstoß mit der Umgebung, kurz, es macht das Leben schwer. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Sei eine Schwatzbase – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Der Tod oder die Untreue des Geliebten wird dann höchstens eine kleine Pause, wie man etwa auf einem Ball auch einmal über einen Tanz sitzenbleibt. Eine halbe Stunde darauf tanzt du mit einem neuen Kavalier. Es wäre ja auch langweilig, die ganze Nacht mit einem Kavalier zu tanzen. Und was die Ewigkeit betrifft, so ist es ja ganz zweckmäßig, wenn man weiß, dass dort mehrere Kavaliere auf einen warten. Siehst du: alle Schwierigkeiten verschwinden. Das Leben wird vergnüglich, aufgeräumt, munter, leicht. Kurz, wir leben in einer herrlichen Welt, wenn man sich nur recht in sie zu finden weiß – indem man in Geschwätz aufgeht.

Einst war dem „Manne“ sein Charakter das eigene teure Selbst. Man hatte Grundsätze, Grundsätze, die man um keinen Preis verleugnete oder aufgab. Ja, man ließ lieber sein Leben, setzte sich lieber das ganze Leben hindurch jeder Misshandlung aus, als dass man das Mindeste an seinen Grundsätzen geopfert hätte. Denn man verstand, auch die geringste Abschwächung seiner Grundsätze hieße sie aufgeben, und in ihnen sich selbst aufgeben. Hierdurch wurde das Leben natürlich eitel Schwierigkeit. Und weshalb? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Habe heute eine Anschauung, morgen wieder eine andere, dann wieder die von vorgestern, und am Freitag wieder eine neue. Werde ein Schwätzer. Vervielfältige dich, parzelliere dein Selbst aus, habe die eine Anschauung anonym, eine andere mit Namen, die eine mündlich, eine weitere schriftlich, die eine als Beamter, die andere als Privatmann, die eine als Mann deiner Frau, die andere im Club. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Sieh (während alle Charaktermenschen, und je mehr sie es waren, um so gründlicher, es erfuhren und bezeugten, dass diese Welt mittelmäßig, elend, jämmerlich, verderbt, schlecht ist, nur auf Spitzbuben und Schwätzer berechnet), sieh, du findest nun, dass diese Welt ganz herrlich ist, ganz wie berechnet auf dich!

Einst hing dem „Menschen“ sein eigenes Selbst daran, dass er eine unendliche Vorstellung davon hatte, Christ zu sein. Es war ihm ein Ernst, abzusterben, sich selbst zu hassen, für die Lehre zu leiden. Und da fand er das Leben so schwierig, ja so qualvoll, dass selbst die Abgehärtesten unter diesen Schwierigkeiten fast erlagen, wie ein Wurm sich krümmten, und selbst die Demütigsten dem Verzweifeln nahe kamen. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Und werde dann entweder selbst Pfarrer, Dekan, Bischof, der – in Kraft eines heiligen Eides auf das Neue Testament – einmal in der Woche dreiviertel Stunden lang etwas Erhabenes herausschwatzt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Oder sei selbst Laie, der dreiviertel Stunden lang von dem Erhabenen, das der Prediger dreiviertel Stunden lag salbadert, sich erheben lässt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden! Fälsche so im tiefsten Grunde die göttliche oder christliche Lebensanschauung. Erkenne den rechten, den gottgefälligen Weg daran, dass er (ganz gegen das Wort Gottes!) leicht ist. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Diese Welt wird ganz herrlich und mit jedem Jahrhundert dieser herrlichen Lebensweise immer herrlicher und behaglicher und leichter!

Und geniere dich gar nicht, glaube mir, du brauchst dich vor niemandem zu schämen. Die ganze Kompanie ist von derselben Bonität. Darum wartet deiner die Lobrede, die Lobrede auf deine Klugheit, die Lobrede aus dem Munde der anderen. Diese halten mit ihrer Lobrede auf dich – wie klug berechnet! – sich selbst die Lobrede. Und sie würden dich daher nur verdammen, wenn du nicht wärest – wie die anderen.

Wem gelten die Verheißungen?

(Wem gelten die Verheißungen? – Ein Artikel von Sören Kierkegaard)

Wir, die „Christenheit“, können uns Christi Verheißungen gar nicht zueignen. Denn wir, die „Christenheit“, stehen nicht da, wo ein Christ nach der Forderung Christi und des Neuen Testaments stehen soll.

Denke dir, ein mächtiger Geist hätte einigen Menschen seinen Schutz zugesagt, jedoch unter der Bedingung, dass sie sich an einem bestimmten Ort einfänden, der nur mit Gefahr zu betreten wäre. Gesetzt nun, diese Menschen stellten sich an diesem Orte nicht ein, sie gingen vielmehr heim in ihre Wohnungen und rühmten es in begeisterten Worten untereinander, dass der Geist ihnen seinen mächtigen Schutz zugesagt habe, durch den sie gegen jeglichen Schaden gesichert wären, so ist das doch lächerlich!

So ist’s mit der Christenheit. Christus und das Neue Testament verstehen unter dem Glauben etwas ganz Bestimmtes. Glauben heißt, sich so entscheidend, als es für einen Menschen immer möglich ist, hinauszuwagen, brechend mit allem, was ein Mensch von Natur liebt, um sein Leben dadurch zu retten, dass man mit allem bricht, worin ein Mensch von Natur lebt. Denen aber, die glauben, wird auch Beistand wider alle Gefahren verheißen.

Aber wir in der „Christenheit“, wir spielen „Glaube“ und spielen „Christsein“. Wir sind so weit als möglich davon entfernt, mit dem zu brechen, was der natürliche Mensch liebt. Wir bleiben vielmehr daheim in unserem gemütlichen Heim, im Bereich der Endlichkeit. Und da schwatzen wir miteinander über alle die Verheißungen des Neuen Testaments. Oder wir lassen uns von den Geistlichen darüber vorschwatzen, dass niemand uns schaden könne, dass die Pforten der Hölle uns, die Kirche nicht überwältigen werden usf.

„Dass die Pforten der Hölle seine Kirche nicht überwältigen sollen“, diese Worte aus dem Munde Christi sind in der letzten Zeit meiner Behauptung, das Christentum sei gar nicht da, wiederholt entgegengehalten worden.

Hierauf ist meine Antwort: Jene Verheißung hilft uns nicht das Allermindeste. Denn das Geschwätz, worin wir leben, als wären wir damit Christen, ist gar nicht das, was Christus und das Neue Testament darunter verstehen, ein Christ zu sein.

Wage dich so entscheidend hinaus, dass du mit der ganzen Zeitlichkeit brichst, mit allem, worin und wofür sonst ein Mensch lebt. Wage dich so entscheidend hinaus, um Christ zu werden. So wirst du erstens (das ist die Lehre des Christentums) dadurch in den Kampf mit dem Teufel und den höllischen Mächten kommen (was dieser putzigen Christenheit freilich entgeht). Dann aber wird auch Gott, der Allmächtige, dich nicht fallen lassen, sondern dir wunderbar helfen. Und – du darfst überzeugt sein: Die Pforten der Hölle werden Christi Kirche nie überwältigen.

Aber die „Christenheit“ ist gar nicht Christi Kirche. Auch ich behaupte durchaus nicht, dass die Pforten der Hölle die Kirche Christi überwältigt haben. Nein, ich sage, die „Christenheit“ ist ein Geschwätz, das sich an das Christentum fest angeklammert hat wie das Spinngewebe an eine Frucht, und das nun so gut ist, sich mit dem Christentum verwechseln zu wollen, wie wenn das Spinngewebe sich für die Frucht halten wollte, weil es ja nicht so selten der Frucht anhängt.

Die Art Existenzen, wie sie die Millionen der Christenheit ausweisen, haben gar keine Beziehung zum Neuen Testament, sind eine Unwirklichkeit. Denn wahre Wirklichkeit ist nur da, wo ein Mensch in so entscheidendem Sinne gewagt hat, wie Christus es fordert. Und dann gelten ihm sofort auch die Verheißungen. Die „Christenheit“ aber ist dieser ekelhafte Jux, voll und ganz in der Endlichkeit zu bleiben und dann – die Verheißungen des Christentums mitzunehmen.

Wäre die Kontrolle nicht so leicht, so würden diese Legionen Christen oder die Pfaffen, die ihnen vorschwatzen, vermutlich auch den Anspruch erheben, die Christen könnten Wunder tun. Denn Christus hat es ja den Gläubigen verheißen. Er hat die Erde mit den Worten verlassen (Mrc. 16, 17.18), dass denen, die da glauben, diese Zeichen folgen sollen: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und so sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden. Auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden.“

Ganz so verhält es sich aber auch mit der Verheißung, dass die Pforten der Hölle die Kirche Christi nicht überwältigen sollen. Beides geht nur die an, die im Sinne des Neuen Testaments glauben. Nicht aber den Priesterbetrug mit diesen Bataillonen von Christen, die man, wie zwischen Sonntagsjägern und wirklichen Jägern unterschieden wird, Sonntagschristen nennen kann. Derlei Geschöpfe nimmt nicht einmal der Satan aufs Korn. Er sieht ja sehr gut, dass sie bereits dem Geschwätz zur Beute verfallen sind. Insofern ist es sogar lächerlich, wenn sie im Vertrauen auf Christi Verheißung sich vor den Pforten der Hölle sicher wähnen.

Die in langen Kleidern gehen

(Die in langen Kleidern gehen – Aus einem Artikel von Sören Kierkegaard)

„Hütet euch vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen!“ (Mt 12,38; Lk 20,46) – 15. Juni 1855.

Hütet euch vor denen, die in langen Kleidern gehen! Man braucht wohl nicht besonders zu sagen, dass Christus mit diesen Worten natürlich nicht die Kleidung der Betreffenden kritisieren will. Denn dagegen, dass die Kleider lang sind, hat er gewiss nichts einzuwenden. Hätte die Sitte den Geistlichen vorgeschrieben, kurze Kleider zu tragen, so hätte Christus gesagt: Hütet euch vor denen, die in kurzen Kleidern gehen. Und soll ich auch noch die letzte Möglichkeit ausschöpfen, um zu zeigen, dass es sich nicht um eine Kritik der Kleider handelt: Hätte die Sitte von den Geistlichen verlangt, ohne Kleider zu gehen, so hätte Christus gesagt: Hütet euch vor denen, die ohne Kleider gehen. Der Stand ist’s, den er treffen will, weil er einen ganz anderen Begriff von dem hat, was ein Lehrer ist. Und den Stand bezeichnet er nach seiner besonderen Tracht.

Hütet euch vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen! Eine verwässernde Bibelerklärung wird sich sofort des Wortes „gerne“ bemächtigen. Und sie wird herausfinden, dass Christus nur auf einzelne im Stande zielte, auf diejenigen, die eine eitle Ehre darein setzten, in den langen Kleidern zu gehen usf. Nein, mein lieber, langgekleideter Freund, das kannst du vielleicht Einfältigen von der Kanzel mit großer Feierlichkeit einbilden. Das entspricht ja auch ganz dem Christusbild, das im Sonntagsdienst vorgestellt wird. Mir wirst du das aber nicht weismachen; und der Christus des Neuen Testaments redet nicht so. Er redet stets von dem ganzen Stande. Und er kommt nicht mit dem nichtssagenden Geschwätz, dass es in ihm einige verdorbene Subjekte gebe. Denn das gilt ja zu allen Zeiten von allen Ständen, und folglich wäre damit lediglich nichts gesagt.

Nein, er fasst den Stand als ein Ganzes auf. Er sagt, dass er als Ganzes demoralisiert ist. Dass er als Ganzes auch die verderbliche Sitte hat, in langen Kleidern gehen zu wollen. Und dieses Urteil hat zum Grunde, dass der offizielle Geistliche gerade das Gegenteil von dem ist, was Christus unter einem Lehrer versteht. Denn der Lehrer nach Christi Sinn ist als solcher leidend. Offizieller Geistlicher sein heißt aber, im Genuss des Irdischen zu stehen und dabei noch raffinierterweise für einen Repräsentanten Gottes gelten zu dürfen. Und so ist es auch kein Wunder, dass sie gerne in langen Kleidern gehen. Denn alle anderen Stellungen im Leben werden nur mit Irdischem gelohnt. Die offizielle Geistlichkeit aber nimmt sich zum Raffinement auch noch etwas von dem Himmlischen.

Also: an und für sich ist es völlig gleichgültig, ob der Stand lange oder kurze Kleider trägt. Die Sache ist vielmehr diese. Sobald der Lehrer den Ornat bekommt, eine besondere Tracht, eine Standeskleidung, so hast du offiziellen Gottesdienst. Und das will Christus nicht haben. Lange Kleider, prachtvolle Kirchenbauten usw., alles dies hängt zusammen. Und es bildet zusammen die menschliche Verfälschung des neutestamentlichen Christentums, die in schändlicher Weise den Umstand ausnützt, dass die Masse sich nur zu leicht von sinnlichen Eindrücken betören lässt und darum (ganz gegen das Neue Testament) nach Sinneseindrücken über die Wahrheit des Christentums zu urteilen geneigt ist. Dies ist die menschliche Verfälschung des neutestamentlichen Christentums.

Und es verhält sich mit dem geistlichen Stand nicht wie mit anderen Ständen, dass an dem Stand selbst an und für sich nichts Böses ist. Nein, ein „geistlicher Stand“ ist, christlich betrachtet, an und für sich vom Bösen. Er ist eine Demoralisation, ist ein Produkt menschlicher Selbstsucht, welche die Richtung, die Christus dem Christentum gab, geradezu umgekehrt hat.

Da nun aber einmal lange Kleider zur Amtstracht der Geistlichen geworden sind, so kann man auch versichert sein, dass das seinen Sinn hat. Ich glaube, dass man das Wesen oder Unwesen des offiziellen Christentums äußerst bezeichnend bestimmen kann, wenn man darauf achtet, was darin liegt.

Lange Kleider bringen unwillkürlich auf den Gedanken, dass man etwas zu verstecken habe. Denn wenn dies der Fall ist, so sind lange Kleider äußerst zweckmäßig. Und das offizielle Christentum hat außerordentlich viel zu verdecken. Denn es ist von A bis Z eine Unwahrheit, die man am besten verdeckt – durch lange Kleider.

Hütet euch darum vor denen, die gerne in langen Kleidern gehen! Nach Christeus (der doch, da er selbst der Weg ist, am besten über den Weg Bescheid wissen musste) ist die Pforte eng, der Weg schmal – und wenige sind, die ihn finden. Was vielleicht am allermeisten bewirkt hat, dass die Anzahl dieser wenigen so gar klein und im Lauf der Jahrhunderte verhältnismäßig immer geringer geworden ist, das ist die ungeheure Sinnestäuschung, welche durch das offizielle Christentum eingetreten ist. Verfolgung, Misshandlung, Blutvergießen hat durchaus nicht in dieser Weise geschadet. Nein, das hat genützt, unberechenbaren Nutzen gestiftet im Vergleich mit diesem Grundschaden: einem offiziellen Christentum, das darauf berechnet ist, der menschlichen Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit zu Hilfe zu kommen, indem es den Menschen einbildet, dass Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit und Lebensgenuss Christentum sei. Man schaffe das offizielle Christentum ab und lasse eine Verfolgung kommen: im selben Augenblick ist das Christentum wieder da.

Babylon die Große

Babylon die Große ist ein Thema, das in der Offenbarung zwei ganze Kapitel einnimmt, ihre Beschreibung in Kap. 17 und ihr Ende in Kap. 18.

Doch das Stichwort „Babylon“ taucht schon im 1. Petrusbrief auf. Petrus richtet dort am Ende (5,13) auch Grüße von der Mitauserwählten (Gemeinde) in Babylon aus. Die damalige Christenverfolgung hatte ja ihre Wurzel in Rom. Und daraus kann man schließen, dass Babylon in dieser Situation zum Codenamen für Rom geworden war. Petrus war ja tatsächlich dort, wo er dann auch zum Märtyrer wurde.

Die Deutung auf Rom bestätigt sich dann in Offb 17,9: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt“. Dass Rom die Stadt auf den sieben Hügeln ist, ist sprichwörtlich. Und auch in Offb 17,18: „Die Frau, die du gesehen hast, ist die große Stadt, die ein Königreich hat über die Könige der Erde.” Diese Beschreibung passt zu den damaligen Zeiten exakt zur Hauptstadt des römischen Imperiums.

Dass Babylon einerseits als Stadt und andererseits als Frau beschrieben wird, passt gut zusammen. In der Antike wurden Städte gerne weiblich gesehen, z. B. auch als „Töchter“ ihres jeweiligen Landes. Jerusalem war ja auch die „Tochter“ Zion. Und Rom heißt auf lateinisch bzw. italienisch bis heute „Roma“, das ist eine weibliche Form.

„Roma“ war in der heidnischen Zeit allerdings auch der Name der Stadtgöttin, Patronin und Schutzheiligen von Rom. Unterworfene Völker mussten zum Zeichen ihrer Untertänigkeit in ihren Hauptstädten die entsprechenden Tempel errichten. In diesen mussten die Statuen des göttlichen Kaisers und der göttlichen Roma verehrt werden. Dieser Kult war den damaligen Christen natürlich vor Augen. Sie kannten sich aus mit dem Geheimnis von Offb 17,5: „Auf ihrer Stirn (war) ein Name geschrieben, ein Geheimnis: ‚Babylon die Große, die Mutter der Hurer und der Gräuel der Erde‘.“

Zum Verständnis hilft uns auch die Gegenüberstellung mit dem Gegenstück zur Babylon, der Gemeinde, die in den Kapiteln 19-22 erscheint. Auch hier ist eine Frau, die eine Stadt ist:

„Die Hochzeit des Lammes ist gekommen, seine Frau hat sich vorbereitet“ (19,7).

„Ich sah die heilige Stadt, ein neues Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, vorbereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann“ (21,2).

„Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen gehabt hatten, die voll gewesen waren mit den letzten sieben Plagen, und sprach mit mir: ‚Komm, ich zeige dir die Braut, die Frau des Lammes!‘ Und im Geist brachte er mich weg auf einen großen und hohen Berg, und er zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, die von Gott aus dem Himmel herabkam“ (21,9-10).

Statt dem irdischen Babylon bzw. Rom das himmlische Jerusalem, statt der Hure die Braut, die durch die Hochzeit zur Ehefrau des Lammes wird. Die Gemeinde des Herrn, diejenigen, die dem Lamm gefolgt sind, wo immer es hingeht, sind seine Frau, seine Stadt.

Da wir es hier abseits vom prophetischen Bild real mit einer Gruppe von Menschen zu tun haben, dürfen wir annehmen, dass es auch bei Babylon so ist. Wenn das Tier, auf dem die Hure sitzt, eine unsichtbare dämonische Macht ist, dann ist die Hure die in Menschen sichtbare Ausprägung dieser Macht. Und wenn das Tier in Gestalt des Kaisers Nero das Antichristentum im politischen Bereich darstellt, dann haben wir es bei der Hure mit dem Antichristentum im religiösen Bereich zu tun. Götzendienst war ja auch schon im Alten Testament belegt mit dem Urteil der Hurerei.

Nun müssen wir noch eine etwas eigenartige Rechnung aufdröseln, das Tier betreffend – 17,9-11: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt, und es sind sieben Könige: Fünf sind gefallen, einer ist da, ein anderer noch nicht gekommen. Wenn er kommt, muss er ein wenig bleiben. Das Tier, das war und nicht ist, ist auch selbst der achte und einer von den sieben und geht ins Verderben.“ Das ist eine ausführlichere Version von Vers 8: „Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht da und wird aus der Unterwelt heraufkommen und geht ins Verderben.“

Die Liste der römischen Kaiser, wie sie in Wikipedia dargestellt ist, beginnt mit dem Kaiser Augustus. Der fünfte ist dann Nero. Wenn fünf gefallen sind, dann ist jetzt auch Nero gestorben. Wir befinden uns im sogenannten Vierkaiserjahr 68-69 n. Chr.. Nach Nero kamen politische Wirren mit vier Kaisern in einem Jahr. Auf Galba folgten Otho und Vitellius, bis der Kaiser Vespasian die Stabilität im Reich wieder herstellen konnte.

Nach Nero (dem fünften) ist jetzt also einer da (der sechste) und ein anderer noch nicht gekommen (der siebte). Das Tier, das war und nicht ist, ist sicherlich Nero, den wir ja als erste Ausprägung des Antichristen identifiziert haben. Er ist ja einer von den sieben (der fünfte) und soll dann als achter wiederkommen und ein wenig bleiben.

Es gab damals wohl tatsächlich Gerüchte, Nero sei nicht tot, sondern in den Osten zu den Parthern geflohen. Von dort solle er mit einem großen Heer zurückkommen um sich die Herrschaft wieder zurückzuholen. Aber die Offenbarung spekuliert ja nicht mit menschlichen Gerüchten, sondern gibt prophetische Information.

Betrachten wir die Sache aus unserer Sicht von hinten her. Der achte Kaiser, der „ein wenig“ bleiben soll, ist dann das Kaisertum an sich. Es kehrt nach den Wirren im Jahr 68/69 zurück und bleibt. Wenn das Tier am Ende „ins Verderben“ geht, kann „ein wenig bleiben“ nur die gesamte Endzeit meinen, bis zum Ende.

Nach der Verlegung der Hauptstadt als Ost-Rom nach Konstantinopel, dem späteren Byzanz und heutigen Istanbul, regierten dort noch 1000 Jahre lang christliche Kaiser mit einem kirchlichen Patriarchen an ihrer Seite. Nachdem die muslimischen Türken im 15. Jahrhundert die Stadt erobert hatten, wanderte der Titel als „Zar“ weiter nach Moskau. Und auch heute noch regiert dort so etwas wie ein Zar mit einem Patriarchen an seiner Seite.

Nach dem Untergang des weströmischen Reiches durch die germanischen Eroberungen im 5. Jahrhundert übernahm in Rom der Papst den heidnischen Kaisertitel „Pontifex maximus“. Und mit der Krönung von Karl dem Großen zum Kaiser des heiligen römischen Reiches an Weihnachten 800 fing es an, dass der Papst im westlichen Europa und später bis in dessen überseeische Kolonien 1000 Jahre lang über Kaiser und Könige regierte. Und auch heute noch sitzt dort ein Papst, der als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates mit seinen diplomatischen Kanälen den Regierungen der Welt gerne sagen möchte, was sie tun sollen. Nur klappt es nicht mehr so ganz.

Wenn das Kaisertum (die weltliche Macht) das Tier ist, auf der die Hure sitzt, dann ist Babylon (als religiöse Macht) das dazugehörige abgefallene Christentum. Dieses stützt sich auf die staatliche Macht, und begleitet, infiltriert und – wenn möglich – regiert diese auch. Diese weltlich und dämonisch pervertierte Form des Christentums ist natürlich dazu da, Menschen vom wahren Christentum abzuhalten. Sie sollen abgehalten werden von der wahren Beziehung zu Gott durch Jesus den Messias. Die beste Bezeichnung für diese Perversion ist bis heute immer noch „Kirche„.

Sie verteidigten das Christentum

(Sie verteidigten das Christentum – ein Beitrag von Sören Kierkegaard)

Sie verteidigten das Christentum. Von seiner Macht war nie die Rede noch machte man Gebrauch davon. Sein „Du sollst“ war nie zu hören, damit kein Gelächter entstünde. Sie verteidigten das Christentum und sagten: „Verschmäht das Christentum nicht, es ist doch eine milde Lehre. Es enthält alle die milden Trostgründe, die jeder Mensch im Leben leicht noch einmal nötig haben kann. Ach Gott, das Leben lächelt uns ja nicht immer. Wir haben alle einen Freund nötig, und so ein Freund ist Christus. Verschmäht ihn nicht, er meint es so gut mit euch.“

Und es gelang; man hörte wirklich aufmerksam auf diese Rede, man schenkte diesem Bettler Herrn Jesus Christus Gehör. (Denn wenn er auch nicht selbst der Bettler war, so doch der, in dessen Namen man bettelte.) Man fand, dass etwas dran sei. Es kitzelte die Ohren der herrschsüchtigen Christenheit, dass es ja beinahe war, als solle abgestimmt werden – gut, unter der Bedingung nehmen wir das Christentum an. Gerechter Gott, und die Szene war die Christenheit, wo alle Christen sind, und da wurde das Christentum unter der Bedingung angenommen!

So ging es mit dem Christentum abwärts. Und nun lebt in der heutigen Christenheit, wo freilich von Strenge nie die Rede ist, ein verwöhntes, stolzes und doch feiges, trotziges und doch weichliches Geschlecht, das manchmal diese milden Trostgründe vortragen hört, aber kaum weiß, ob es Gebrauch davon machen will, selbst wenn das Leben am schönsten lächelt, und das sich in der Stunde der Not, wo man sehen kann, dass sie eigentlich doch nicht so milde sind, ärgert. Gerechter Gott, und die Szene ist die Christenheit!

Der Abfall vom Christentum

Ein Aufruhr im Trotz – ein Aufruhr in Heuchelei oder der Abfall vom Christentum. (Ein Artikel von Sören Kierkegaard.)

Dass der Mensch ein trotziges Geschöpf ist, weiß man wohl. Dass er aber ein äußerst kluges Geschöpf ist – sobald es Fleisch und Blut und irdisches Wohlsein gilt – darauf ist man nicht immer aufmerksam. Trotzdem ist es so. Und damit ist ja ganz wohl verträglich, dass man ganz richtig auch genug über die menschliche Dummheit klagt.

Behagt also dem Menschen etwas nicht, so sieht er zuerst klüglich nach, ob die Macht, die es ihm gebietet, nicht zu gewaltig ist, als dass er ihr Trotz bieten, ihr seine Macht entgegen stellen könnte. Ist sie nicht zu übermächtig, so empört er sich mit Trotz.

Ist aber die Macht, die ihm etwas Missfälliges gebietet, so übermächtig, dass ein Aufruhr im Trotz völlig aussichtslos ist – so greift er zur Heuchelei.

Dies gilt auch vom Christentum. Dass der Abfall vom Christentum längst eingetreten ist, das hat man nicht bemerkt. Denn der Abfall, der Aufruhr, geschah in und durch Heuchelei. Eben die Christenheit ist der Abfall vom Christentum.

Im Neuen Testament ist nach Christi eigener Lehre das Dasein des Christen, bloß menschlich geredet, eitel Qual. Eine Qual, gegen die alle anderen menschlichen Leiden fast nur Kinderspiel sind. Christus redet ganz offen davon, dass seine Jünger das Fleisch kreuzigen, sich selbst hassen, für die Lehre leiden müssen, dass sie weinen und heulen werden, während die Welt sich freut. Er stellt dem Jünger die Leiden in Aussicht, die das Herz am tiefsten verwunden: dass er Vater und Mutter, Weib und Kind hassen müsse, dass er ein Wurm sein werde und kein Mensch. So beschreibt die Schrift ja das Vorbild, und ein Christ sein heißt dem Vorbild gleichen. Daher auch diese unablässigen Ermahnungen, dass man sich nicht ärgern solle – daran nämlich, dass die allerhöchste, die göttliche Rettung und Hilfe für den Menschen ein solches Schrecknis sein solle.

Diese Bewandtnis hat es mit dem Christsein. Sieh, das ist nichts für uns Menschen. Von derlei Dingen möchten wir am liebsten dispensiert sein. Ja, wenn irgend welche menschliche Macht auf solches verfallen wäre, so hätten sich die Menschen sofort im Trotz gegen dieselbe empört.

Aber zum Unglück ist Gott eine Macht, gegen die man sich nicht im Trotz empören kann.

Da griff „der Mensch“ zur Heuchelei. Es gab nicht einmal Mut und Redlichkeit und Wahrhaftigkeit genug, um geradeheraus zu Gott zu sagen: „Darauf kann ich mich nicht einlassen“. Man griff zur Heuchelei und glaubte, dadurch vollkommen sichergestellt zu sein.

Man griff zur Heuchelei; man verfälschte den Begriff des Christen. Ein Christ zu sein, sagte man, ist eitel Glück und Seligkeit. „Was wäre ich, ach, was wäre ich, wenn ich kein Christ wäre! Welch unschätzbares Glück, ein Christ zu sein! Ja, ein Christ zu sein, das gibt dem Leben erst die rechte Bedeutung. Das gibt der Freude Geschmack und Linderung für das Leiden.“

Auf diese Weise wurden wir alle Christen. Und nun ging die Sache flott: die Künstler, die man hierfür besoldete, troffen von gesalbten Worten und hochtrabenden Redensarten, sandten verzückte Blicke zum Himmel und ließen die Tränen in Strömen fließen. Sie konnten Gott gar nicht überschwänglich genug für das große Glück danken, dass wir alle Christen sind usf.. Und das Geheimnis ist: Wir haben den Begriff des Christen verfälscht und hoffen nun, durch spitzbübische, heuchlerische Schmeichelei, durch süßlichen, ewig wiederholten Dank dafür – dass wir das Gegenteil von dem sind, was er unter einem Christen versteht, dadurch hoffen wir, ihm eine wächserne Nase zu drehen, wie wir dadurch auch uns selbst betrügen. Durch den inbrünstigen Dank dafür, dass wir Christen sind, hoffen wir dem zu entgehen, dass wir es werden sollen.

Sieh, darum ist die Kirche der zweideutigste Ort, den es gibt. Es sind ja gewiss andere Orte, die man gewöhnlich so nennt. Aber diese sind eigentlich nicht zweideutig, da sie ganz eindeutig sind, was sie sind. Und die eigentliche Zweideutigkeit wird eben dadurch aufgehoben, dass sie so genannt werden. Eine Kirche dagegen, ja sie ist ein zweideutiger Ort. Die vom Staat geschützten Kirchen in der „Christenheit“ sind das zweideutigste, das je existiert hat.

Denn Gott für Narren zu haben, ist nicht zweideutig. Zweideutig ist es dagegen, das für einen Gottesdienst auszugeben. Das Christentum abschaffen zu wollen, ist nicht zweideutig. Zweideutig ist es aber, die Abschaffung Ausbreitung zu heißen. Geld zum Kampf gegen das Christentum zu geben, ist nicht zweideutig. Zweideutig aber ist es, dafür Geld zu nehmen, dass man dem Christentum entgegenarbeitet – unter dem Vorgeben, dafür zu wirken.

Wahre Christen – viele Christen

(Wahre Christen – viele Christen – ein Artikel von Sören Kierkegaard)

Das Interesse und der Wille des Christentums ist: dass es wahre Christen gebe.

Der Egoismus der Geistlichkeit erheischt, sowohl um des Geldes als um der Macht willen, dass es viele Christen gebe.

„Und das ist sehr leicht zu machen, wie im Handumdrehen. Wir halten uns an die Kinder. Wir geben jedem Kind ein paar Tropfen Wasser auf den Kopf, und damit ist es ein Christ. Wenn ein paar ihre Wassertropfen nicht richtig bekommen haben, so macht das auch nichts. Sie sollen sich nur einbilden, dass man mit ihnen alles der Ordnung gemäß vorgenommen hat. Und dass sie damit Christen seien. So haben wir in ganz kurzer Zeit mehr Christen als Heringe in der Fangzeit, Millionen von Christen. Und so sind wir (auch mit Hilfe des Geldes) die größte Macht, welche die Welt je gesehen hat. Das mit der Ewigkeit ist und bleibt doch die sinnreichste Erfindung. Vorausgesetzt, dass die Idee in die rechten, praktischen Hände kommt. Denn der unpraktische Erfinder des Christentums war mit seiner Auffassung derselben ganz auf dem Holzweg.“

Nein, da wollen wir uns doch lieber noch an jene gegenüber diesen Manipulationen engelreinen Geschäfte halten, die der Staat trotzdem mit Zuchthaus bestraft. Da wollen wir uns lieber noch durch Fälschung von Zolletiketten und Nachahmung berühmter Fabriketiketten ein Vermögen erwerben. Denn diese christliche Falschmünzerei ist zu grauenhaft.

Wodurch gewinnt man denn hier Macht und irdisches Gut? Nicht dadurch, dass man den Stempel einer Sache nachahmt, die durch Leiden bis zur letzten Stunde, durch Leiden bis zu Gottverlassenheit bedingt wurde? Dass man den Stempel einer Sache nachahmt, die ein Gekreuzigter dem redlichen Willen, ihm nachzufolgen, anvertraute? Muss man dabei nicht jedes Gefühls dafür bar sein, dass es Liebe war, die litt? Liebe, die sterbend ihre Sache der Redlichkeit der Menschen anvertraute? Muss nicht jede Regung des Gewissens erstickt worden sein, dass man auf diese Weise Millionen von Menschen um das Höchste und Heiligste betrügt, indem man ihnen einbildet, dass sie Christen seien?

Im allgemeinen wird ein Verbrechen den Polizeiagenten um so mehr entflammen, ihm um so größeren Eifer geben, je größer, je verworfener es ist, je mehr Personen an ihm beteiligt sind. Aber das hat doch seine Grenze. Wird diese überschritten, so kann es ihm wohl passieren, dass er, wie vom Schwindel ergriffen, nach etwas greifen muss, um sich dran zu halten. Dass er sich wegschleichen möchte, um, was ihm sonst nie passiert, in Tränen Linderung zu suchen.

Also, es gab Millionen von Christen, christliche Staaten, Reiche, Lande, eine christliche Welt. Das ist aber nur die eine Seite der christlichen Kriminalsache. Wir kommen nun noch zu der Raffinesse, mit der man die Sache ausführt. Sie ist einzig in ihrer Art und ganz ohne Analogie. Wer sich nämlich durch Nachahmung von Zollstempeln und Fabrikmarken bereichert, verlangt doch nicht, dass man ihn als wahren Freund des Zollwesens oder der geschädigten Fabriken ehrt und achtet. Das bleibt den christlichen Falschmünzern vorbehalten.

Jenen egoistischen Eifer, auf eine dem Christentum durchaus zuwiderlaufende Weise möglichst viele Christen zu schaffen, schminkte man auf zum wahren christlichen Eifer für die Ausbreitung der Lehre. Als diente man auf diese Weise wirklich dem Christentum und nicht vielmehr durch einen Verrat am Christentum sich selbst. Diesen egoistischen Eifer stempelte man also fälschlich zum christlichen Eifer. Diese Falschmünzer wollten für die wahren Freunde des Christentums angesehen werden. Und jene unglücklichen Millionen, die man um ihr Geld prellte und zu Mitteln äußerlicher Macht missbrauchte, während man sie zum Ersatz um das Ewige prellte und mit einem Galimathias bepackt laufen ließ: jene unglücklichen Millionen verehrten und vergötterten die christlichen Falschmünzer als die wahren Diener des Christentums.

Es gibt Kinder- und Bubenstreiche, für die man einfach „eins hinter die Ohren“ gibt. Und es wäre erklärte Narrheit, wenn der Vater oder der Lehrer solche Streiche mit lebenslänglichem Zuchthaus abgestraft wissen wollte. Es wäre aber auch erklärte Narrheit, wenn man Verbrechen, die der Staat vernünftigerweise mit lebenslänglichem Zuchthaus abstraft, mit einem „hinter die Ohren“ abmachen wollte. Wovon man aber heute in diesen christlichen Staaten und Landen trotz aller der für die Wahrheit zeugenden Pfarrer nichts zu hören bekommt, das ist dies: dass es auch noch Verbrechen gibt, welche man wiederum – nur aus einem anderen Grunde als bei den Streichen eines Kindes – bloß in richtiger Narrheit mit Zuchthaus auf Lebenszeit bestrafen könnte, weil die Strafe in keinem Verhältnis zum Verbrechen stünde.

Je länger ich lebe, desto deutlicher wird es mir, dass man die eigentlichen Verbrechen in dieser Welt nicht straft. Kinderstreiche straft man. Aber das sind doch nicht eigentlich Verbrechen. Der Staat straft Verbrechen. Aber die eigentlichen Verbrechen, gegen welche man auch die vom Staat bestraften Verbrechen kaum mehr Verbrechen nennen kann, die bestraft niemand – in der Zeit.

Der Kutscher des Königs

(Der Kutscher des Königs – eine Parabel von Sören Kierkegaard.)

Es war einst ein reicher Mann, der ließ im Ausland für teures Geld ein Paar tadellose, erstklassige Pferde kaufen, die er zum eigenen Vergnügen haben und die zu fahren er selbst das Vergnügen haben wollte. Ein oder zwei Jahre gingen ins Land. Sah ihn jetzt einer sie fahren, der früher die Pferde kannte, er hätte sie nicht wiedererkannt; das Auge matt und schläfrig, der Gang ohne Haltung und Straffheit. Nichts vertrugen sie mehr, nichts hielten sie aus, kaum liefen sie eine Meile. Er musste unterwegs einkehren; manchmal blieben sie stehen, wenn er gerade am besten saß und fuhr. Und dabei hatten sie allerlei Launen und Unarten angenommen. Und trotz des reichlichen Futters, das sie natürlich bekamen, wurden sie magerer von Tag zu Tag.

Da berief er des Königs Kutscher. Der fuhr sie einen Monat lang: Und in der ganzen Gegend gab es kein Paar Pferde, die den Kopf so stolz trugen, deren Blick so feurig, deren Haltung so schön war; kein Paar Pferde, die soviel durchhielten: wenn es sein musste, sieben Meilen in einem Zug, ohne Einkehr. Wie kam das? Es ist leicht zu sehen. Der Besitzer, ohne Kutscher zu sein, fuhr sie nach den Begriffen der Pferde vom Fahren. Der Kutscher des Königs fuhr sie nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren.

So mit uns Menschen. Ach, wenn ich an mich selbst und an die Unzähligen denke, die ich kennen lernte, dann habe ich mir oft mit Wehmut gesagt: Hier sind Gaben genug, doch der Kutscher fehlt. Lange Zeit sind wir Menschen, ein Geschlecht ums andere, gefahren worden (um im Bilde zu bleiben) nach den Begriffen der Pferde vom Fahren; gelenkt, gebildet, erzogen nach dem Begriffe des Menschen vom Menschen. Sieh drum, was uns fehlt: Erhebung, und was weiter daraus folgt: dass wir so wenig aushalten, ungeduldig sofort die Mittel des Augenblicks brauchen und ungeduldig im Augenblick den Lohn sehen wollen für unsere Arbeit – die dann auch danach ist.

Einst war es anders. Einst gefiel es der Gottheit selbst, wenn ich so sagen darf, Kutscher zu sein. Und sie fuhr die Pferde nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren. Ach, was vermochte ein Mensch damals.

Denke an den heutigen Text! Da sitzen zwölf Männer, alle aus der Klasse, die wir den gemeinen Mann nennen. Sie hatten ihn, den sie als Gott verehrten, ihren Herrn und Meister, am Kreuz gesehen. Sie hatten alles verloren, wie man es von keinem anderen auch nur entfernt je sagen kann. Gewiss, danach fuhr er siegreich gen Himmel – doch damit war er aber auch fort. Und nun sitzen sie da und warten, dass ihnen der Geist gegeben werde, um, verflucht von dem Völkchen, dem sie angehören, eine Lehre zu verkünden, die den Hass der Welt gegen sie erregen wird. Diese zwölf Männer sollen die Welt umschaffen -, und zwar in furchtbarstem Maße wider ihren Willen.

Hier steht der Verstand noch still, wenn man sich nach so langer Zeit einen schwachen Begriff davon machen will. Der Verstand steht still, wenn irgend man einen hat. Es ist als müsste man den Verstand verlieren, wenn irgend man einen zu verlieren hat.

Es ist das Christentum, das durchgezogen werden soll. Und diese zwölf Männer, die zogen es durch. Sie waren in gewissem Sinne Menschen wie wir, doch sie wurden gut gefahren! Wahrhaftig! Es ging ihnen wie dem Paar Pferde, als sie der Kutscher des Königs fuhr. Nie hat ein Mensch sein Haupt in Erhebung über die Welt so stolz gehoben, wie die ersten Christen in Demut vor Gott. Und wie das Paar Pferde, wenn es sein musste, sieben Meilen lief, ohne anzuhalten, ohne auszuschnaufen: so liefen sie. Sie liefen siebzig Jahre in einem Zug, ohne ausgespannt zu werden, ohne Einkehr irgendwo. Nein, stolz, wie sie waren, in Demut vor Gott, sagten sie: „Das ist nichts für uns mit dem Zögern unterwegs; wir halten erst – bei der Ewigkeit!“

O heiliger Geist, der du lebendig machst; es fehlt ja nicht an Gaben, an Bildung, an Klugheit. Eher ist dessen zuviel hier. Was aber fehlt, ist, dass du das von uns nimmst, was uns zum Verderben ist: die Macht. Dass du dann die Macht nimmst und das Leben gibst. Gewiss geht das bei einem Menschen nicht zu ohne ein Grauen wie das des Todes, wenn du die Macht von ihm nimmst, um die Macht in ihm zu werden. Allein, wenn selbst Tiere später verstehen, wie gut es für sie war, dass der königliche Kutscher die Zügel ergriff, was ihnen zuerst Furcht einflößte und wogegen sich ihr Sinn dennoch vergebens empörte, – sollte dann ein Mensch nicht bald verstehen können, welche Wohltat es für einen Menschen ist, dass du die Macht nimmst und das Leben gibst.

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