Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Christentum (Seite 1 von 2)

Staat – Christentum

(„Staat – Christentum“ – ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 27. Juni 1885)

Der Staat steht in einem direkten Verhältnis zur Zahl, zum Numerischen. Wenn darum ein Staat im Niedergang begriffen ist, so kann endlich die Zahl seiner Bürger so klein werden, dass dieser Staat aufgehört hat. Und dann kommt dieser Begriff nicht mehr zur Anwendung.

Das Christentum verhält sich anders zur Zahl. Ein einziger wahrer Christ genügt, damit man in Wahrheit sagen kann, das Christentum sei da. Ja, das Christentum steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Zahl. Wenn alle Christen geworden sind, ist der Begriff nicht mehr anzuwenden. Denn der Begriff „Christ“ ist ein polemischer Begriff. Christ kann man nur im Gegensatz zu anderen sein, oder gegensätzlicher Weise. So ist es im Neuen Testament.

Und diese Eigentümlichkeit des Christentums entspricht genau dem, dass Gott geliebt sein will. Gott setzt nämlich die Liebe zu ihm, um sie zu potenzieren, dem Widerspruch aus. Und so bekommt der Christ, welcher Gott liebt, im gegensätzlichen Verhältnis zu anderen Menschen durch deren Hass und Verfolgung zu leiden. Sobald man den Gegensatz gegen andere wegnimmt, verliert die Existenz des Christen ihren Sinn. So ist das aber in der „Christenheit“ geschehen, die das Christentum dadurch hinterlistig abgeschafft hat, dass „wir alle“ Christen sind.

Also, der Begriff „Christ“ steht in einem umgekehrten, der Staat in einem geraden Verhältnis zur Zahl. Und so hat man Christentum und Staat ineinander aufgehen lassen … zum Besten des Geschwätzes und der Geistlichkeit. Denn Christentum und Staat so zu verschmelzen, hat ebensoviel Sinn, als von einer Elle Butter zu reden. Oder es hat womöglich noch weniger Sinn, da Butter und Elle doch nur nichts miteinander zu tun haben, Staat und Christentum aber sich umgekehrt zueinander verhalten, voneinander divergieren.

Doch in der „Christenheit“ wird das nur schwer verstanden. Denn in der „Christenheit“ hat man – das ist dort ganz in Ordnung – keine Ahnung davon, was Christentum ist. In ihr kann man am allerwenigsten auf den Gedanken kommen oder sich von dem Gedanken überzeugen lassen, dass das Christentum durch seine Ausbreitungabgeschafft worden ist, durch diese Millionen von Namenschristen, deren Zahl wohl nur verdecken soll, dass es einen Christen, also Christentum, gar nicht gibt. Denn wie man durch langes Gerede bekanntlich eine Sache zerreden kann, so hat das Menschengeschlecht, der einzelne in ihm, sich das Christentum zerreden, vom Leib schwatzen lassen – durch den Lärm des Namenschristentums, des christlichen Staates, einer christlichen Welt. Und Gott soll durch alle diese Millionen wohl im Kopf so wirr werden, dass er den Schwindel nicht entdeckt, dass er nicht sieht, es sei nicht ein einziger Christ da.

Sind „wir“ wirklich Christen …

Sind „wir“ wirklich Christen, was ist dann Gott?

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“. Erschienen am 4. Juni 1855)

Die Sache verhält sich doch so: dass unser Begriff eines „Christen“ eine Einbildung ist, dass diese ganze Maschinerie mit einer Staatskirche und 1000 geistlich-weltlichen Kanzleiräten eine ungeheure Augenverblendung ist, die uns in der Ewigkeit nicht das Mindeste helfen wird, die sich im Gegenteil in eine Anklage gegen uns verkehren wird … Und wenn sich die Sache so verhält, dann wollen wir in diesem Fall doch um der Ewigkeit willen diese Maschinerie je eher, je lieber loswerden … –

Wenn sich die Sache aber nicht so verhält, wenn der „Christ“ wirklich das ist, was „wir“ unter einem solchen verstehen: Was ist dann Gott im Himmel?

Er ist das lächerlichste Wesen, das je gelebt hat. Sein Wort ist das lächerlichste Buch, das je ans Licht gekommen ist. Himmel und Erde in Bewegung zu setzen (wie er ja in seinem Wort tut), mit der Hölle, mit ewiger Strafe zu drohen – um das zu bekommen, was „wir“ unter einem „Christen“ verstehen. (Und wir sind ja „wahre Christen“!) Nein, etwas so Lächerliches ist noch nie dagewesen!

Denke dir, es trete ein Mann mit scharfgeladener Pistole auf jemanden zu und sagte zu ihm: „Ich schieße dich nieder“; – oder stelle dir seine Drohung noch schecklicher vor, denke dir, er sage: „Ich bemächtige mich deiner Person und martere dich auf die grausamste Weise zu Tode, wenn du nicht (Nun merke wohl, was da kommt:) – wenn du nicht dein Leben hier auf Erden so profitabel und genussreich anlegst, als es dir möglich ist!“, so ist das doch wohl äußerst lächerlich. Denn um das zu bewirken, braucht man wirklich nicht mit einer scharfgeladenen Pistole oder der qualvollsten Todesart zu drohen. Denn vielleicht wären sogar weder die scharfgeladene Pistole noch die qualvollste Todesart imstande, das überhaupt zu verhindern.

Und so auch hier: Durch die Schrecken einer ewigen Strafe (fürchterliche Drohung!) und durch die Verheißung einer ewigen Seligkeit bewirken zu wollen – ja, das bewirken zu wollen, was „wir“ sind! (Denn der Christ ist ja das, was „wir“ unter ihm verstehen!) Also das bewirken zu wollen, was „wir“ sind: dass wir das Leben wählen, nach dem es uns am meisten gelüstet! (Denn dass wir das Zuchthaus meiden, gebietet ja die einfache Klugheit!)

Die schrecklichste Art von Gotteslästerung ist die, welche die „Christenheit“ verschuldet. Dass sie den Gott des Geistes in ein lächerliches Geschwätz verwandelt. Und die geistloseste Art von Gottesverehrung – geistloser als alles, was je das Heidentum aufbrachte, geistloser als die Verehrung eines Steins, eines Ochsen, eines Insekts, geistloser als alles, was überhaupt an Geistlosigkeit möglich ist – ist dies: als Gott einen Faselhans anzubeten.“

Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament

(Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament – ein Artikel von Sören Kierkegaard. Aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855)

In dem Neuen Testament sind alle Verhältnisse, alle Proportionen im Großen angelegt.

Das Wahre ist ideal dargestellt; andererseits gehen auch die Irrtümer, die Ausschreitungen ins Große: es wird vor Heuchelei gewarnt, vor allerlei Irrlehre, vor Werkheiligkeit usw. usw.

Aber seltsam genug, das Neue Testament nimmt absolut keine Rücksicht auf das, was in dieser Welt leider nur in allzu großer Masse vorhanden ist, auf das, was den Inhalt dieser Welt bildet: auf die Salbaderei, die Jämmerlichkeit, die Mittelmäßigkeit, das Geschwätz und Gewäsch, das Christentumsspiel, die allgemeine Phrasenhaftigkeit usw.

Hieraus entsteht nun die Schwierigkeit, dass man mit Hilfe des Neuen Testaments fast unmöglich das wirkliche Leben anfassen kann, die wirkliche Welt, in der wir leben, in der auf einen qualifizierten Heuchler immer 100.000 Schwätzer kommen, auf einen qualifizierten Ketzer immer 100.000 Silbenstecher.

Das Neue Testament scheint hohe Vorstellungen davon zu hegen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Auf der einen Seite hält es das Ideal vor. Und wenn es die Verkehrtheit schildert, so sieht man wieder, dass es von der menschlichen Existenz eine hohe Vorstellung hat. Aber das Geschwätz, die Kleinlichkeit, die Mittelmäßigkeit erhalten nie ihren Treff.

Dessen hat sich die Faselei seit undenklicher Zeit bedient, um sich als die wahre christliche Rechtgläubigkeit festzusetzen – und das gab diese unübersehbaren Bataillone von Christen. Diese, wenn auch nicht durch Geist, so doch durch die Zahl mächtige Rechtgläubigkeit macht es sich zunutze, dass man sie in Wahrheit – und damit hat sie wirklich Recht – nicht der Heuchelei, der Irrlehre usw. beschuldigen kann. Denn weil man dies nicht kann, ergo ist sie die wahre christliche Rechtgläubigkeit.

Das macht sich auch ganz gut. Überall nämlich hat das Höchste und das Niedrigste eine gewisse flüchtige Ähnlichkeit miteinander. Dieses ist wie jenes nicht das, was dem Höchsten etwas nahe steht. Oder beide sind nicht das, was zwischen dem Hohen und dem Niederen vermittelt. So hat es eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, über und unter aller Kritik zu sein. Dies gilt nicht von der Rechtgläubigkeit jener Massen und der Geistlichen, die von jenen in Masse leben. Sie ähnelt dem wahren Evangelium insofern, als sie unleugbar nicht Irrlehre, Ketzerei ist.

Übrigens gleicht sie dem wahren Christentum noch weniger als irgendwelche Ketzerei und Irrlehre. Die Sache verhält sich so: So hoch das wahre Christentum über aller Ketzerei, allen Irrtümern und Verirrungen steht, so tief liegt das Geschwätz unter den Ketzereien, Irrtümern und Verirrungen. Aber, wie gesagt, die Schwierigkeit an dem Neuen Testament ist diese: dass es, für das Ideal gegen Geister kämpfend, nie speziell dieses ungeheure Korpus aufs Korn nimmt, das in der „Christenheit“ beständig die wahre christliche Rechtgläubigkeit repräsentiert, deren christlicher Ernst darin seinen Ausdruck findet, dass „Wahrheitszeugen“ – welch satirischer Selbstwiderspruch! – in dieser Welt Karriere und Glück machen, indem sie sonntags schildern, wie die Wahrheit in dieser Welt leiden muss.

Darauf muss man wohl achten. Und wenn man darauf achtet, so wird man sehen, dass das Neue Testament doch Recht hat, dass doch alles so kommt, wie das Neue Testament es vorausgesagt hat. Mitten in diesen ungeheuren Völkern von „Christen“, in diesem Gewimmel von „Christen“ leben hie und da einige Einzelne, ein Einzelner. Für ihn ist der Weg schmal – vgl. das Neue Testament. Er wird von allen gehasst – vgl. das Neue Testament. Ihn totzuschlagen gilt für einen Dienst gegen Gott – vgl. das Neue Testament. Es ist doch ein kurioses Buch, dieses neue Testament; es bekommt doch Recht. Denn dieser Einzelne, diese Einzelnen – ja die waren die Christen.

Lobrede auf das Menschengeschlecht

Lobrede auf das Menschengeschlecht

oder

Beweis, dass das Neue Testament nicht mehr Wahrheit sei

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855.)

Im Neuen Testament stellt der Heiland der Welt, unser Herr Jesus Christus, die Sache so dar. „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenig ist derer, die ihn finden.“

… nun aber sind, um bloß bei Dänemark zu bleiben, wir alle Christen. Der Weg ist so breit als überhaupt möglich, am allerbreitesten in Dänemark, da es der Weg ist, auf dem wir alle gehen. Dabei ist er in jeder Beziehung bequem und die Pforte so weit als nur möglich. (Weiter kann doch eine Pforte nicht sein, als dass alle en masse durch sie gehen können.) –

Ergo ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Ehre sei dem Menschengeschlecht! Du, o Heiland der Welt, du hast doch eine zu geringe Vorstellung von dem Menschengeschlecht gehabt. Denn du hast die Erhabenheit nicht vorausgesehen, die es in seiner Perfekibilität durch stetig fortgesetztes Streben erreichen kann!

In dem Grade ist also das Neue Testament nicht mehr Wahrheit. Der Weg ist so breit als möglich, die Pforte so weit als möglich, und wir alle sind Christen. Ja ich wage noch einen Schritt weiterzugehen – denn die Sache begeistert mich. Es handelt sich ja um eine Lobrede auf das Menschengeschlecht. Ich wage zu behaupten, dass die Juden unter uns im Durchschnitt bis zu einem gewissen Grad Christen sind. Christen so gut wie wir anderen alle. In dem Grad sind wir alle Christen, in dem Grad ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Wir wollen der Verherrlichung des Menschengeschlechts gewiss nicht mit Aufstellung unwahrer Behauptungen dienen. Wir müssen aber doch darüber wachen, dass uns nichts, nichts entgeht, das seine Erhabenheit beweist oder andeutet. Ich wage daher noch einen Schritt weiterzugehen. Da mir aber die nötigen Kenntnisse fehlen, um in der Sache eine bestimmte Meinung zu haben, so wage ich bloß eine Vermutung auszusprechen. Das Endurteil überlasse ich den Sachverständigen, den Leuten vom Fach:

Zeigen sich nicht auch bei den Haustieren, wenigstens bei den edleren, bei Pferden, Hunden, Kühen, Zeichen des Christentums? Das ist gar nicht unwahrscheinlich. Man bedenke nur, was das heißen will, in einem christlichen Staat zu leben, in einem christlichen Volk, wo alles christlich ist und alle Christen sind, wo man immer und überall nichts anderes sieht als Christen und Christentum, Wahrheit und Wahrheitszeugen? Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dies auf die edleren Haustiere einen Einfluss ausübt, und dass die steigende Veredelung (was nach Meinung der Zoologen und der Pfarrer stets das Wichtigste ist) sich auf die Nachkommenschaft vererbt.

Jakobs List ist ja bekannt. Um gesprenkelte Lämmer zu bekommen, legte er gesprenkelte Stäbe in die Wasserrinne, so dass die Mutterschafe nichts als Gesprenkeltes sahen und darauf gesprenkelte Lämmer zur Welt brachten. Es ist gar nicht unwahrscheinlich – doch will ich, da ich nicht Fachmann bin, darüber keine bestimmte Meinung haben und würde die Entscheidung am liebsten einem aus Theologen und Zoologen zusammengesetzten Komitee überlassen – es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass die Haustiere in der „Christenheit“ schließlich eine christliche Nachkommenschaft zur Welt bringen. Mir schwindelt fast bei diesem Gedanken. Dann aber wird – zur Ehre des Menschengeschlechts – das Neue Testament nach dem größtmöglichen Maßstab nicht mehr Wahrheit sein.

Du, o Heiland der Welt, als du bekümmert fragtest: „Wann ich wiederkomme, werde ich dann wohl auch Glauben finden auf Erden“? – und als du dein Haupt im Tode neigtest, da dachtest du wohl kaum daran, dass deine Erwartungen in einem solchen Grade übertroffen werden sollten; dass das Menschengeschlecht auf eine so schöne und rührende Weise das Neue Testament zur Unwahrheit machen und fast deine Bedeutung in Frage stellen würde. Denn sollten so rare Wesen wirklich eines Erlösers bedürfen oder je eines solchen bedurft haben?

Drei Formen von Ärgernis

(Drei Formen von Ärgernis – ein Abschnitt aus dem Buch „Die Krankheit zum Tode“ von Sören Kierkegaard. Erschienen am 30. Juli 1849)

Die niedrigste der drei Formen von Ärgernis, die – menschlich gesprochen – unschuldigste, ist diejenige, das Ganze mit Christus unentschieden zu lassen und so zu urteilen: Ich erlaube mir nicht, darüber zu urteilen; ich glaube nicht, aber ich verurteile nichts. Dass dies eine Form des Ärgernisses ist, entgeht den meisten. Die Sache ist, man hat das christliche „Du sollst“ rein vergessen. Daher kommt es, dass man nicht sieht, dass es Ärgernis ist, Christus in die Indifferenz zu stellen. Dass das Christentum dir verkündet ist, bedeutet: du sollst eine Meinung über Christus haben. Er selber oder dies, dass er ist und dass er dagewesen ist, ist die Entscheidung des ganzen Daseins. Ist Christus dir verkündet, so ist es Ärgernis, zu sagen: Ich will darüber keine Meinung haben.

Doch muss dies mit einer gewissen Einschränkung verstanden werden in diesen Zeiten, wo Christus so mittelmäßig verkündet wird, wie es geschieht. Es leben freilich viele Tausende, die das Christentum verkünden hörten und dabei niemals etwas von diesem „Du sollst“ gehört haben. Aber der, der es gehört hat und dann sagt: ich will keine Meinung darüber haben, der nimmt Ärgernis. Er leugnet nämlich Christi Gottheit, dass sie das Recht hat, von einem Menschen zu fordern, er solle eine Meinung haben.

Es hilft nicht, dass ein solcher Mensch sagt: „Ich sage ja nichts aus, weder ja noch nein, über Christus“. Denn dann fragt man ihn bloß: Hast du denn überhaupt keine Meinung darüber, wieweit du über ihn eine Meinung haben sollst oder nicht? Antwortet er darauf: Ja, dann fängt er sich selbst. Und antwortet er: Nein, so urteilt das Christentum dennoch, dass er eine Meinung darüber haben solle und also wiederum über Christus, dass kein Mensch so vermessen sein solle, Christi Leben wie eine Kuriosität dastehen zu lassen.

Wenn Gott sich gebären lässt und Mensch wird, so ist dies kein sinnloser Einfall. Es ist nichts, worauf er kommt, um sich doch etwas vorzunehmen, vielleicht um der Langeweile ein Ende zu machen, die, wie man frech gesagt hat, mit dem Gottsein verbunden sein soll. Dies geschieht nicht, um Abenteuer zu erleben. Nein, Gott tut es, und so ist dieses Faktum der Ernst des Daseins. Und dies ist wiederum der Ernst in diesem Ernst: dass jeder darüber eine Meinung haben soll.

Wenn ein König eine Provinzstadt besucht, sieht er es als eine Beleidigung an, wenn ein Beamter – falls er nicht gesetzliche Gründe hat – es unterlässt, ihm seine Aufwartung zu machen. Was aber würde er sagen, wenn einer das ganze Faktum ignorieren würde, dass der König in der Stadt wäre? Wenn er den Privatmann spielen würde, der in dieser Hinsicht „auf seine Majestät und das Königsrecht pfeift“? Und so auch, wenn es Gott gefällt, Mensch zu werden – und es dann einem Menschen gefällt (und was der Beamte für den König ist, das ist jeder Mensch fürGott) darüber zu sagen: Ja, das ist etwas, worüber ich keine Meinung zu haben wünsche. So spricht man vornehm über das, was man im Grunde übersieht: also übersieht man vornehm Gott.

Die nächste der drei Formen von Ärgernis ist die negative, aber leidende. Sie fühlt wohl, dass sie es nicht vermag, Christus zu ignorieren, die Sache mit Christus dahingestellt sein zu lassen und dann im übrigen Leben viel zu tun zu haben. Dazu ist sie nicht imstande. Aber glauben kann sie auch nicht. Sie fährt fort, auf ein und denselben Punkt hinzustarren, auf das Paradox (Christus zugleich als Gott und einzelner Mensch). Insofern ehrt sie doch das Christentum, sie drückt aus, dass diese Frage: Was dünkt dich um Christus? wirklich das Entscheidende ist. Jemand, der so im Ärgernis lebt, lebt dann wie ein Schatten dahin. Sein Leben wird verzehrt, weil er in seinem Innersten immer mit dieser Entscheidung beschäftigt ist. Und so drückt er aus (wie das Leiden der unglücklichen Liebe im Verhältnis zur Liebe), welche Realität das Christentum hat.

Die letzte der drei Formen von Ärgernis ist die positive. Sie erklärt das Christentum für Unwahrheit und Lüge. Sie leugnet Christus (dass er dagewesen sei und dass er der ist, der zu sein er sagte) entwedet doketisch oder rationalistisch. So wird Christus entweder nicht wirklich ein einzelner Mensch, sondern nur scheinbar (doketisch). Oder er wird nur ein einzelner Mensch (rationalistisch). Christus wird entweder doketisch Poesie und Mythologie, die nicht Anspruch auf Wirklichkeit hat. Oder er wird rationalistisch eine Wirklichkeit, die nicht Anspruch erhebt, göttlich zu sein. In diesem Verneinen von Christus als Paradox liegt natürlich die Leugnung alles Christlichen: der Sünde, der Vergebung der Sünden usw.

Diese Form von Ärgernis ist Sünde wider den heiligen Geist. Wie die Juden von Christus sagten, er treibe die Teufel mit Hilfe des Teufels aus, so macht dieses Ärgernis Christus zu einer Erfindung des Teufels.

Die Möglichkeit des Ärgernisses

(Die Möglichkeit des Ärgernisses – ein Abschnitt aus Sören Kierkegaards Buch „Die Krankheit zum Tode“ von 1849. Aus dem Kapitel „Die Sünde, das Christentum modo ponendo aufzugeben, es für Unwahrheit zu erklären“)

Es ist die Möglichkeit des Ärgernisses, die nicht weggenommen werden kann, dass es einen unendlichen Qualitätsunterschied zwischen Gott und Mensch gibt. Aus Liebe wird Gott Mensch. Er sagt: Sieh her, was es ist, Mensch zu sein. Aber, fügt er hinzu, o nimm dich in Acht, denn ich bin zugleich Gott. Selig, der sich nicht an mir ärgert! Er nimmt als Mensch eines geringen Knechtes Gestalt an. Damit drückt er aus, was ein geringer Mensch zu sein heißt, damit kein Mensch sich ausgeschlossen glauben kann oder meinen soll, dass es menschliches Ansehen ist und Ansehen unter den Menschen, was einen näher zu Gott bringt. Nein, er ist der geringe Mensch. Sieh hierher, sagt er, und vergewissere dich dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein. O aber nimm dich in Acht, denn ich bin zugleich Gott. Selig, der sich nicht an mir ärgert!

Oder umgekehrt: Der Vater und ich sind eins. Doch ich bin dieser einzelne geringe Mensch, arm, verlassen, in die Gewalt der Menschen gegeben. Selig, der sich nicht an mir ärgert! Ich dieser geringe Mensch, bin derjenige, welcher macht, dass Taube hören, Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden, Tote auferstehen. Selig, der sich nicht an mir ärgert!

In Verantwortlichkeit gegenüber der höchsten Stelle erkühne ich mich deshalb zu sagen, dass dieses Wort: Selig, der sich nicht an mir ärgert!, mit zur Verkündigung von Christo gehört, wenn auch nicht auf dieselbe Weise, wie die Einsetzungsworte zum Abendmahl, so doch wie die Worte: Jeder prüfe sich selbst. Sie sind Christi eigene Worte. Und sie müssen, besonders in der Christenheit, immer wieder wiederholt, eingeschärft und gesagt werden zu jedem Einzelnen besonders.

Überall, wo diese Worte nicht mit erklingen, oder in jedem Falle, wo die Darstellung des Christlichen nicht in jedem Punkt durchdrungen ist von diesem Gedanken: da ist das Christentum Blasphemie. Denn ohne Leibwache und ohne Diener, die ihm den Weg bereiten konnten und die Menschen aufmerksam machen konnten, wer es war, der da kam: ging Jesus hier auf Erden in geringer Knechtsgestalt. Aber die Möglichkeit des Ärgernisses schützte und verteidigte ihn. Sie befestigte eine klaffende Tiefe zwischen ihm und dem, der ihm am nächsten war oder am nächsten stand.

Der nämlich, der nicht Ärgernis nimmt, er betet an im Glauben. Anbeten aber, welches der Ausdruck des Glaubens ist, heißt ausdrücken, dass der unendlich tiefe Abgrund der Qualität zwischen ihnen befestigt ist.

Entweder-Oder

(Entweder-Oder: Die Thematik eines Artikels von Sören Kierkekaard aus „Der Augenblick“ vom 24. Mai 1855. Um der Verständlichkeit willen wurde er um einige Nebengedanken gekürzt.)

Zu: „Das soll gesagt werden!“ – oder: Wie wird etwas Entscheidenedes angebracht?

Der Protest, den ich gegen das Bestehende erhoben habe, ist entscheidend. Ich bin nun darauf gefasst, dass auch der wohlwollendste Mensch dies als Vorwurf gegen mich kehrt: „Das ist ja fürchterlich, wie man einen da mir nichts, dir nichts, vor eine Entscheidung stellt.“ Meine Erwiderung ist einfach: „Es kann nicht anders sein.“ …

Doch ich kann mich auch genauer erklären. Dass man einen entscheidenden Gedanken anbringt, was doch die Aufgabe ist, das lässt sich nicht auf dieselbe Weise machen wie alles andere. Und wenn zugleich das Unglück unserer Zeit just dies „bis zu einem gewissen Grade“ ist, wenn sie bis zu einen gewissen Grade auf alles eingeht und eben hierin ihre Krankheit besteht: So muss man vor allem darauf achten, dass sie womöglich nicht auch bis zu einem gewissen Grade auf die Sache eingeht – weil hierdurch alles verloren ist. …

Und glaube mir: Ich kenne den Schaden unserer Zeit nur allzu gut. Dass er in der Charakterlosigkeit besteht, in dem „bis zu einem gewissen Grade“. Wie aber ein „spiegelblanker Schild von geschliffenem Stahl“, so blank, „dass er der Sonne leuchtenden Strahl mit verdoppeltem Glanze zurückwirft“, auch den geringsten Flecken unbedingt fürchtet – denn ist der Flecken noch so gering, so ist der Schild nicht mehr der, welcher er war -: so fürchtet ein entscheidender Gedanke unbedingt jede Berührung mit dem „bis zu einem gewissen Grade“. Das verstehe ich. Sollte ich das nicht verstehen, ich, den selbst die Kinder auf der Straße unter dem Namen kennen: „Entweder-Oder“?

Denn was ist Entweder-Oder? – Lass mich es sagen, der es wohl wissen muss. Entweder-Oder ist das Wort, vor dem die Flügeltüren aufspringen und die Ideale sich zeigen – holdseliger Anblick! Entweder-Oder ist das Zeichen, durch das uns der Zutritt zum Unbedingten wird – Gott sei Lob und Dank! Ja, Entweder-Oder ist der Schlüssel zum Himmel! Und was ist dagegen, was war und ist des Menschen Unglück? Das ist der Satan der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit, das „bis zu einem gewissen Grade“, das, auf das Christentum angewendet, – o verkehrtes Wunder oder wunderbare Verkehrtheit – dieses in ein Geschwätz verwandelt. Nein: entweder – oder! Wie herzlich auch der Schauspieler und die Schauspielerin auf der Bühne sich umarmen und liebkosen, es bleibt doch immer nur ein theatralisches Einverständnis, nur eine Theaterehe. Ganz so ist alles „bis zu einem gewissen Grade“ dem Unbedingten gegenüber nur etwas Theatralisches. …

Dem Gegensatz zum Folgenden zuliebe will ich auch ein Bild aus des Lebens Tand zur Verdeutlichung herbeiziehen. Jeder Offizier aus des Königs persönlicher Umgebung trägt eine Auszeichnung, die ihn kenntlich macht. So waren alle wahren Diener des Christentums durch das Entweder-Oder gekennzeichnet, durch den Ausdruck der Majestät, oder den Ausdruck dafür, dass man vor der göttlichen Majestät steht. Alles, was bloß bis zu einem gewissen Grade ist, hat aber nicht dem Christentum gedient, sondern höchstens sich selbst. Das Christentum kann aber, wenn es redlich sein will, nie eine andere Uniform tragen als die des Königs. Denn für Gottes Diener ist die Uniform nur dies: „Entweder – oder“.

Warum ich „Messias“ übersetze

Warum ich „Messias“ übersetze – das haben mich Leser meiner Übersetzung schon angefragt. Im Beitrag „Der Messias“ habe ich die Begriffe „Christus“, „Messias“, „gesalbter (König)“ ja schon erklärt. Ich habe diese Begriffe im Lauf der Jahre als Übersetzungsmöglichkeiten auch selbst mehrfach hin und her durchgekaut und ausprobiert. Und ich bin zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.

Das in den üblichen Bibelübersetzungen Gewohnte ist zunächst einmal „Christus“. Aber damit hatte ich meine Probleme. Ich komme in meinem Werdegang ja aus dem kirchlichen Heidenchristentum, das neutestamentlich gesehen überhaupt kein Christentum ist. Und von dort her ist mir die Bezeichnung „Christus“ eigentlich unmöglich geworden. Sie ist dort zu einem nichtssagenden Beinamen geworden, zu einer Floskel, die im Munde geführt wird, ohne die eigentliche Bedeutung zu bedenken oder gar zu kennen. Wenn z. B. einer der Kirchenfunktionäre von „Jesus Christus“ spricht, dann hat niemand den Eindruck, dass er vom Herrn der Welt spricht, von Gottes gesalbtem König, dem er unbedingten Gehorsam schuldig wäre.

Die Bezeichnung „Messias“ dagegen ist nicht nur gegenüber Juden ein Zeugnis, sie ist auch im weltlichen Sprachgebrauch präsent. Und es ist mir wichtig, in meiner Übersetzung Begriffe zu verwenden, die auch in der säkularen Sprache verständlich sind. Und hier hat „Messias“ eine interessante Bedeutung.

Als zum Beispiel Obama damals in den USA zum Präsidenten gewählt wurde, hieß es in den Medien angesichts der großen Begeisterung, er würde aber doch wohl auch kein Messias sein. Oder umgekehrt, als Bolsonaro in Brasilien die Wahl zum Präsidenten gewann, haben ihn manche („christliche“!) Kreise zum Messias ernannt, was ihm selber auch sehr gut gefallen hat.

So weit ich sehe, kann sich also die Welt unter „Messias“ irgendwie etwas Richtiges vorstellen, eine Art Heilsbringer. Das ist weit mehr, als sie sich unter dem Beinamen „Christus“ vorstellt.

Und Jesus ist in der Tat nicht nur der Messias Israels, sondern der ganzen Welt. Das ist ja das grundlegende Ärgernis für die Juden, dass unser Messias Jesus eigentlich ihr Messias sein soll. Und umgekehrt ist es das Ärgernis für die Welt, dass Gott von ihr verlangt, Jesus, den jüdischen Messias, als ihren Messias anzuerkennen. Doch die Zumutungen, die Gott selbst den Menschen macht, darf man auf keinen Fall abschwächen.

Warum ich „Messias“ übersetze, dürfte hiermit beantwortet sein. Ich habe in dem Begriff „Messias“ die verständlichste und prägnanteste Möglichkeit der Übersetzung gefunden. So prägnant, dass ich es auch zum Titel meiner Übersetzung des Neuen Testaments gemacht habe: „Jesus der Messias„. Im ganzen Buch geht es nur um ihn.

Werde ein Schwätzer

Werde ein Schwätzer – und sieh: alle Schwierigkeiten verschwinden!

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard, veröffentlicht am 31. Mai 1855)

Wäre meine Meinung, mit diesem Rat das Geschlecht darüber zu belehren, was es künftig zu tun hat, so müsste ich mir freilich vorwerfen lassen, dass ich unendlich zu spät komme. Denn eben hierin ist nun schon jahrhundertelang mit entschiedenem Glück und siegreichem Fortgang praktiziert worden.

Während jede höhere Lebensauffassung (sogar schon im besseren Heidentum, vom Christentum ganz zu schweigen) die Sache so ansieht, dass der Mensch die Aufgabe hat, nach Gemeinschaft mit der Gottheit zu streben, und dass dieses Streben das Leben schwierig und um so schwieriger macht, je ernster, entschiedener und angestrengter das Streben wird, ist im Lauf der Zeiten das Menschengeschlecht auf andere Gedanken über die Bedeutung und Aufgabe des Lebens gekommen. In seiner natürlichen Klugheit hat das Menschengeschlecht dem Dasein sein Geheimnis abgelauscht. Es ist dahintergekommen, dass man sich das Leben leicht, bequem machen kann, wenn man es so haben will. (Und so will man es haben). Man braucht nur den Wert seiner selbst, den Wert des Menschen mehr und mehr heruntersetzen. So wird das Leben leichter und leichter. Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Einst war dem „Weibe“ ihr Gefühl ihr eigenes Selbst. Ein Leid genügte, um ihr Leben für das ganze Leben abzuschließen. Es durfte nur der Geliebte sterben oder ihr untreu werden, so verstand sie es als ihre Aufgabe, für dieses Leben verloren zu sein. Und das gibt ja, konsequent durchgeführt, lange, lange innere Kämpfe und Anfechtungen. Es veranlasst manchen schmerzlichen Zusammenstoß mit der Umgebung, kurz, es macht das Leben schwer. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Sei eine Schwatzbase – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Der Tod oder die Untreue des Geliebten wird dann höchstens eine kleine Pause, wie man etwa auf einem Ball auch einmal über einen Tanz sitzenbleibt. Eine halbe Stunde darauf tanzt du mit einem neuen Kavalier. Es wäre ja auch langweilig, die ganze Nacht mit einem Kavalier zu tanzen. Und was die Ewigkeit betrifft, so ist es ja ganz zweckmäßig, wenn man weiß, dass dort mehrere Kavaliere auf einen warten. Siehst du: alle Schwierigkeiten verschwinden. Das Leben wird vergnüglich, aufgeräumt, munter, leicht. Kurz, wir leben in einer herrlichen Welt, wenn man sich nur recht in sie zu finden weiß – indem man in Geschwätz aufgeht.

Einst war dem „Manne“ sein Charakter das eigene teure Selbst. Man hatte Grundsätze, Grundsätze, die man um keinen Preis verleugnete oder aufgab. Ja, man ließ lieber sein Leben, setzte sich lieber das ganze Leben hindurch jeder Misshandlung aus, als dass man das Mindeste an seinen Grundsätzen geopfert hätte. Denn man verstand, auch die geringste Abschwächung seiner Grundsätze hieße sie aufgeben, und in ihnen sich selbst aufgeben. Hierdurch wurde das Leben natürlich eitel Schwierigkeit. Und weshalb? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Habe heute eine Anschauung, morgen wieder eine andere, dann wieder die von vorgestern, und am Freitag wieder eine neue. Werde ein Schwätzer. Vervielfältige dich, parzelliere dein Selbst aus, habe die eine Anschauung anonym, eine andere mit Namen, die eine mündlich, eine weitere schriftlich, die eine als Beamter, die andere als Privatmann, die eine als Mann deiner Frau, die andere im Club. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Sieh (während alle Charaktermenschen, und je mehr sie es waren, um so gründlicher, es erfuhren und bezeugten, dass diese Welt mittelmäßig, elend, jämmerlich, verderbt, schlecht ist, nur auf Spitzbuben und Schwätzer berechnet), sieh, du findest nun, dass diese Welt ganz herrlich ist, ganz wie berechnet auf dich!

Einst hing dem „Menschen“ sein eigenes Selbst daran, dass er eine unendliche Vorstellung davon hatte, Christ zu sein. Es war ihm ein Ernst, abzusterben, sich selbst zu hassen, für die Lehre zu leiden. Und da fand er das Leben so schwierig, ja so qualvoll, dass selbst die Abgehärtesten unter diesen Schwierigkeiten fast erlagen, wie ein Wurm sich krümmten, und selbst die Demütigsten dem Verzweifeln nahe kamen. Und warum? Wozu alle diese Schwierigkeiten? Werde ein Schwätzer – und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden!

Werde ein Schwätzer. Und werde dann entweder selbst Pfarrer, Dekan, Bischof, der – in Kraft eines heiligen Eides auf das Neue Testament – einmal in der Woche dreiviertel Stunden lang etwas Erhabenes herausschwatzt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Oder sei selbst Laie, der dreiviertel Stunden lang von dem Erhabenen, das der Prediger dreiviertel Stunden lag salbadert, sich erheben lässt, im Übrigen aber allem Höheren guten Tag sagt. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden! Fälsche so im tiefsten Grunde die göttliche oder christliche Lebensanschauung. Erkenne den rechten, den gottgefälligen Weg daran, dass er (ganz gegen das Wort Gottes!) leicht ist. Und sieh, alle Schwierigkeiten verschwinden. Diese Welt wird ganz herrlich und mit jedem Jahrhundert dieser herrlichen Lebensweise immer herrlicher und behaglicher und leichter!

Und geniere dich gar nicht, glaube mir, du brauchst dich vor niemandem zu schämen. Die ganze Kompanie ist von derselben Bonität. Darum wartet deiner die Lobrede, die Lobrede auf deine Klugheit, die Lobrede aus dem Munde der anderen. Diese halten mit ihrer Lobrede auf dich – wie klug berechnet! – sich selbst die Lobrede. Und sie würden dich daher nur verdammen, wenn du nicht wärest – wie die anderen.

Vom Interesse an meiner Sache

(Ein Artikel von Sören Kiekegaard, August 1855)

Vom Interesse, das meiner Sache bewiesen wird

In einer Hinsicht ist das Interesse an meiner Sache groß genug. Was ich schreibe, findet Verbreitung – in gewissem Sinne fast mehr, als mir lieb ist, wiewohl ich ihm andererseits die weiteste Verbreitung wünschen muss. Doch ich tue natürlich nichts, was auch nur im geringsten den Kunstgriffen gliche, wie sie Politiker, Marktschreier und Bauernfänger anzuwenden pflegen. Also, man liest, was ich schreibe. Viele lesen es mit Interesse, mit großem Interesse, das weiß ich.

Dabei bleibt es vielleicht aber auch bei so manchen. Nächsten Sonntag geht man zur Kirche, wie gewohnt. Man sagt: „Kierkegaard hat ja im Grunde Recht. Und seine Ausführungen über den ganzen offiziellen Gottesdienst, dass er Gott zum Narren mache und Gotteslästerung sei, sind äußerst interessant zu lesen. Allein wir sind nun einmal daran gewöhnt. Wir haben nicht die Kraft, das aufzugeben. Doch seine Artikel lesen wir wirklich mit Vergnügen. Man kann ordentlich gespannt und ungeduldig auf eine neue Nummer sein, um von dieser unleugbar interessanten Kriminalsache noch mehr zu erfahren.“

Doch dieses Interesse ist nicht eigentlich erfreulich. Es ist eher betrübend, ein trauriges weiteres Zeugnis dafür, dass das Christentum nicht nur nicht da ist, sondern dass die Leute in unseren Zeiten, wie ich es ausdrücken möchte, nicht einmal in der Verfassung sind, Religion zu haben. Vielmehr ist ihnen diejenige Leidenschaft fremd und unbekannt, die jede Religion erheischt, ohne die man überhaupt keine Religion, am wenigsten das Christentum, haben kann.

Lass mich zur Darlegung meines Gedankens ein Bild benutzen. Ich verwende es einesteils sehr ungern, da ich von so etwas lieber nicht rede. Doch wähle und benutze ich es mit gutem Bedacht. Ja ich meine, es wäre unverantwortlich, wenn ich es nicht benutzen würde. Denn der Ernst der Sache erfordert, dass alles aufgeboten wird, um dem, der es nötig hat, seinen Zustand recht zu verleiden, recht ihm selbst zuwider zu machen.

Einem Manne ist seine Frau untreu, er weiß aber nichts davon. Nun hat er einen Freund, der – ein zweifelhafter Freundesdienst, wird vielleicht mancher sagen – ihn darüber aufklärt. Der Mann gibt zur Antwort: „Ich habe dir mit lebhaftem Interesse zugehört. Ich bewundere deinen Scharfsinn, mit dem du eine so vorsichtig verheimlichte Untreue, von der ich keine Ahnung hatte, aufgespürt hast. Dass ich mich aber nun, da ich die Sache weiß, von ihr scheiden lassen sollte, nein, dazu kann ich mich nicht entschließen. Ich bin meine Häuslichkeit nun einmal gewohnt und kann sie nicht entbehren. Zudem hat sie Vermögen, das kann ich auch nicht entbehren. Hingegen leugne ich nicht, dass ich jede weitere Mitteilung in der Sache mit dem lebhaftesten Interesse aufnehmen werde. Denn sie ist – ohne dir ein Kompliment machen zu wollen – doch sehr interessant.“

Auf diese Weise Sinn für das Interessante zu haben, das ist ja fürchterlich. Und so ist es auch fürchterlich: es als „interessant“ zu wissen, dass der Gottesdienst, den man pflegt, Gotteslästerung ist, und dann bei demselben zu bleiben, weil man ihn nun einmal so gewohnt ist. Im Grunde heißt das nicht nur Gott, sondern auch sich selbst verachten.

Man findet es verächtlich, für einen Ehemann zu gelten und es eigentlich doch nicht zu sein. Und doch kann ein Mann ja ohne eigene Schuld durch die Untreue der Frau in diese Lage kommen. Man hält es vollends für jämmerlich, sich in ein solches Verhältnis zu finden und darin zu bleiben. Aber in solcher Weise Religion zu haben, dass man selbst weiß, der eigene Gottesdienst ist Gotteslästerung (und das begegnet niemandem ohne eigene Schuld); das also zu wissen, und dann doch fortdauernd es gelten lassen zu wollen, dass man diese Religion hat: das heißt im tiefsten Grunde sich selbst verachten.

Ja, es gibt doch etwas, das noch trauriger ist. Trauriger, als was die Menschen gern für das Traurigste ansehen, das einem Begegnen kann, nämlich vom Verstande zu kommen. Es gibt etwas noch Traurigeres! Es gibt einen sittlichen Stumpfsinn, einen Schmutz der Charakterlosigkeit, der schrecklicher, vielleicht auch unheilbarer ist, als die Zerrüttung des Verstandes. Dass aber ein Mensch nicht mehr gehoben werden kann, dass sein eigenes Wissen ihn nicht mehr zu heben vermag: das ist vielleicht das Traurigste, was man einem Menschen nachsagen kann. Dem Kinde gleich, das seinen Drachen steigen lässt, lässt er sein Wissen steigen. Es ist ihm intersssant, ungeheuer interessant, ihm nachzusehen, mit den Augen ihm zu folgen, allein – ihn erhebt es nicht. Er bleibt im Schmutz, mehr und mehr krankhaft nach dem Interessanten schmachtend.

Wer du daher auch seist: Wenn es so bei dir steht, so schäme dich, schäme dich, schäme dich!

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