Eine Vereidigung oder Das Offizielle – das Persönliche
(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe Nr. 5 vom 27. Juli 1855)
Ich will eine kleine, psychologisch interessante Anekdote aus der Verbrecherwelt erzählen.
Es handelte sich um eine Sache, wo man sich, wie man sagt, „freischwören“ konnte. D. h., man konnte sich für diese Zeit befreien, indem man sich durch einen Meineid für die Ewigkeit band. Der Betreffende war eine der Obrigkeit hinlänglich bekannte, öfters bestrafe Person. Die Obrigkeit konnte eine Vereidigung nicht verhindern, war aber moralisch vollkommen davon überzeigt, das ein Meineid geschworen werden würde. Und so schwor der Betreffende.
Nach der Vereidigung besuchte ihn der Kanzleirat im Arrest, fing ein Gespräch mit ihm an und sagte dann zu ihm: „Kannst du mir wirklich die Hand darauf geben, dass du die Wahrheit geschworen hast“? „Nein,“ antwortete er, „nein, Herr Kanzleirat, das kann ich nicht.“
Hier siehst du den Unterschied zwischen dem Offiziellen und dem Persönlichen. Für einen qualifizierten Verbrecher ist es etwas Offizielles, sich frei zu schwören. Deshalb bedenkt er sich keinen Augenblick, es zu tun. Er hegt auch nicht den geringsten Zweifel, dass sich das verantworten lasse. Durch eine langjährige Praxis mit der Sache vertraut, versteht er, dass man so etwas rein offiziell, unpersönlich abmacht. So besteht die Kunst für ihn bloß darin, einer Sache die Wendung zu geben, dass er sich freischwören kann. Die Ablegung des Eides bedeutet für ihn nicht mehr als zu einem, der niest, Prosit zu sagen oder auf einen Brief Wohlgeboren zu schreiben.
Vergebens sucht der Eid und die Feierlichkeit bei der Vereidigung Eindruck auf ihn zu machen, ihn als Person zu treffen. Er kommt sich bei dem – Geschäft selbst als offizielle Persönlichkeit vor und ist offiziell gegen jeden Eindruck gewappnet, den man, wie er zum voraus weiß, bei ihm hervorrufen will. Und so legt er den Eid ab. Das Ganze geschieht, wie er die Sache versteht, ex officio*.
Aber persönlich, nein, persönlich kann er sich nicht entschließen, eine Unwahrheit feierlich zu bekräftigen. „Kannst du mir die Hand darauf geben?“ „Nein, Herr Kanzleirat, das kann ich nicht.“
Gehe ich nun zu einer ganz anderen Welt über, so wird mir gewiss jeder, der mit den Verhältnissen auch nur ein wenig vertraut ist, sofort zugeben, dass man einen Geistlichen im Privatgespräch (besonders wenn man ihn persönlich zu berühren versteht) leicht dazu bringen kann, dass er sich zu anderen als den von ihm offiziell vorgetragenen Überzeugungen bekennt oder doch sich persönlich zweifelnd über das äußert, was er ex officio* „mit voller Überzeigung“ vorträgt. Und doch ist ja der Pfarrer eidlich verpflichtet. Er hat einen Eid abgelegt, der garantieren soll, dass es seine Überzeigung sei, was er vorträgt!
Ach ja, aber die eidliche Verpflichtung gehört in der Pfarrerswelt nun einmal zu dem Offiziellen – und dieses Offizielle muss einmal sein, damit man ein Amt bekommt. Man legt seinen Eid offiziell ab und trägt offiziell vor, worauf man eidlich verpflichtet ist. „Aber sage mir aufrichtig, lieber Pastor P., willst du mir deine Hand darauf geben, dass es deine Überzeugung ist? Willst du mir das bei dem Gedächtnis deiner seligen Frau bekräftigen? Es liegt mir um meiner selbst willen, um meine Zweifel womöglich los zu werden, so sehr viel daran, deine wahre Meinung zu erfahren!“ „Nein, lieber Freund, das kann ich nicht. Das darfst du nicht von mir verlangen.“
Eine Vereidiguing, die sollte doch unbedingt dafür garantieren, dass die Sache persönlich ist! Aber der Eid – der Eid, die Bedingung der Anstellung usw; führe uns nicht in Versuchung o Gott! – der Eid ist vielleicht offiziell abgelegt. „Ist das aber wirklich deine Überzeugung, was du lehrst? Ich beschwöre dich bei dem Gedächtnis deiner verstorbenen Frau, dass du mir, um mir zu helfen, deine aufrichtige Meinung sagst!“ „Nein, mein Freund, nein, das kann ich nicht!“
*von Amts wegen, amtlich, kraft Amtes