(Schwören – ein Abschnitt des Kapitels „Volksmund“ in Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Schneller hat seine Beobachtungen im damaligen Palästina in den Jahren 1884 bis 89 gemacht.)
Schwören und Fluchen hört man leider an allen Orten, auf Straßen und Märkten, in Werkstätten und Häusern. Es ist überall, wo man Menschen trifft. Fast jede Behauptung beginnt mit den Worten: So wahr Gott lebt, so wahr du lebst, bei meinem Haupt, bei meinem Leben usw.. Ähnliche Redensarten hören wir ja oft genug bei den Propheten. So begann z. B. Elija seine Reden stets mit den Worten: „So wahr der Herr, der Gott Israels lebt, vor dem ich stehe“. Hier haben die Worte eine ehrfurchtgebietende Majestät. Das Volk aber missbrauchte diese Schwüre damals, wie heute, in der gedankenlosesten, der sündlichsten Weise.
Man kann heute auf dem Markt an keinem Laden vorbeigehen, ohne fortwährend Schwüre zu hören. Denn man gibt kaum ein Zehnpfennigstück aus, ohne dass der Verkäufer schwört, er könne die Ware nicht billiger geben. Der Käufer schwört dagegen, er könne nicht so viel bezahlen. Und so kann man es verstehen, wie nötig und wichtig jene Regel der Bergpredigt ist: „Ihr sollt allerdings nicht schwören! Eure Rede sei ja-ja, nein-nein, was darüber ist, das ist vom Übel“ (Mt 5,37). …
Die Juden zur Zeit Jesu hatten zu viel Respekt vor dem Namen Gottes, als dass sie denselben im täglichen Leben zu Schwüren missbraucht hätten. Allerdings konnten sie von der orientalischen Unart doch nicht lassen. Und so pflegten sie beim Himmel, bei der Erde, bei Jerusalem, bei ihrem Haupt usw. zu schwören. Hierauf beziehen sich die Worte des Herrn.
Er weist nach, dass es leere Sophistik ist, wenn man meint, diese Schwüre enthielten keinen Missbrauch des Namens Gottes. Und er zeigt von jedem einzelnen Schwur, dass er im Grunde doch bei Gott, bei seinem Stuhl, seiner Füße Schemel, seiner Königsstadt usw. geschworen ist. Dieses gedankenlose und meist verlogene Schwören verbietet der Herr (s. auch die Parallelstelle Ja 5,12).
Hier mag auch erwähnt werden, dass die Araber bis zum heutigen Tage bei den geringfügigsten Anlässen den Namen Gottes in törichtem Aberglauben aus Furcht vor Gespenstern und bösen Geistern unzählige Male missbrauchen. Fast bei jeder Berührung eines kleinen Kindes, über jedem neuen Topf, über den albernsten Kleinigkeiten, wird der Name Gottes wie ein mächtiger Zauberspruch und geheimer Talisman ausgesprochen, um sich und sein Haus gegen unheimliche Mächte zu feien. Gegen einen ähnlichen Missbrauch wendet sich Gottes Gebot. „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht vergeblich führen!“ (2 Mo 20,7). Dagegen befiehlt der Herr aus Anlass des Segens Aarons: „Ihr sollt meinen Namen auf die Kinder Israels legen, dass ich sie segne!“ (4 Mo 6,27).