Das Neue Testament verstehen

Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

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Die zehn Gebote

Die zehn Gebote kommen im Alten Testament zweimal vor, nämlich in 2 Mo 20, wo Gott die Worte vom Berg herab direkt zum Volk Israel spricht, und in 5 Mo 5, wo Mose sie vor dem Einzug ins Land Kanaan dem Volk noch einmal wiederholt.

Wenn ich beim Übersetzen der alttestamentlichen Texte auch die griechische Übersetzung mitlese, dann habe ich vier Versionen davon, zwei hebräische und zwei griechische. Und hier fällt auf, dass die Reihenfolge von drei der zehn Gebote in den Versionen verschieden ist. Und auch an anderen Stellen der Bibel werden diese Gebote in unterschiedlicher Reihenfolge aufgezählt. Es handelt sich um die Gebote (nach biblischer Zählung) 6 – 8, ich zitiere hier die Versionen:

2 Mo 20 hebräisch:

Du sollst nicht morden! Du sollst nicht die Ehe brechen! Du sollst nicht stehlen!

2 Mo 20 griechisch:

Du sollst nicht die Ehe brechen! Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht morden!

5 Mo 5 hebräisch:

Du sollst nicht morden! Du sollst nicht die Ehe brechen! Du sollst nicht stehlen!

5 Mo 5 griechisch:

Du sollst nicht die Ehe brechen! Du sollst nicht morden! Du sollst nicht stehlen!

Wir sehen: Die zwei hebräischen Versionen sind gleich, und die griechischen Versionen stimmen darin überein, dass das Verbot des Ehebruchs zuerst kommt. Und ich erinnere daran, dass von der Textüberlieferung her die griechischen Texte die älteren sind. Die griechischen Übersetzer haben also zu ihrer Zeit „Du sollst nicht die Ehe brechen!“ als 6. Gebot vorgefunden.

Das passt zusammen mit der Darstellung, die ich von meinem damaligen Professor für Altes Testament Hartmut Gese gelernt habe. Der Kern seiner Aussage besteht nämlich darin, dass sich das Gebot „Du sollst nicht stehlen!“ ursprünglich auf den Menschen bezog. Du sollst nicht (Menschen) stehlen, also nicht rauben, entführen, versklaven, etc.. Es bezieht sich auf alles, was auch heute noch als Menschenhandel und Freiheitsberaubung strafbar ist.

Und damit ergibt es eine sehr sinnvolle Reihenfolge. Die zehn Gebote lassen sich dann einteilen in fünf Gebotspaare, die sich jeweils auf ein gemeinsames Thema beziehen. Ich zitiere die Gebote in Kurzform:

1. Gebotspaar – es geht um Gott an sich

a) Es soll für dich keine anderen Götter geben gegen mich!

b) Du sollst dir kein Gottesbild machen!

2. Gebotspaar – es geht um die Beziehung zu Gott:

a) Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht für Nichtiges verwenden!

b) Bewahre den Tag der Ruhe, dass du ihn heilig hältst!

3. Gebotspaar – es geht um die dem Menschen übergeordnete Gruppe, die Familie:

a) Ehre deinen Vater und deine Mutter!

b) Du sollst nicht die Ehe brechen!

4. Gebotspaar – es geht um den Menschen an sich, sein Leben und seine Freiheit:

a) Du sollst nicht morden!

b) Du sollst nicht stehlen!

5. Gebotspaar – es geht um den Mitmenschen, sein Recht und seinen Besitz:

a) Du sollst nicht als falscher Zeuge aussagen gegen deinen Mitmenschen!

b) Du sollst nicht gierig sein nach der Frau deines Mitmenschen, du sollst nicht gierig sein nach dem Haus deines Mitmenschen, seinem Feld, seinem Knecht, seiner Magd, seinem Rind, seinem Esel und allem, was deinem Mitmenschen gehört!”

Wir sehen hier eine Lebensordnung, die vom Schöpfer des Universums bis zum Esel im Stall des Nachbarn alle Lebensbereiche umfasst, regelt und schützt. Und ich denke, dass die Weisheit, die diese zehn Worte hervorgebracht hat, nicht menschlichen Ursprungs ist. Das hätte auch der Weiseste so nicht hingekriegt …

Was macht Menschen unrein?

Was macht Menschen unrein? Auf diese Frage gibt es im Neuen Testament eine eindeutige Antwort, und zwar von Jesus persönlich. In der Auseinandersetzung mit den Pharisäern um das Essen von Speisen mit unreinen Händen hat Jesus den folgenden Grundsatz aufgestellt. Mk 7,15: „Es gibt nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingeht, das ihn unrein machen kann. Das, was aus dem Menschen herauskommt, ist vielmehr das, was den Menschen unrein macht.“

Auf Nachfrage der Jünger hat er es dann ausführlicher erklärt. Mk 7,18-23: „Versteht ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann, denn es geht nicht ins Herz, sondern in den Bauch und geht hinaus ins Klo, und so werden alle Speisen gereinigt.“ Er sagte: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlechten Gedanken: Hurereien, Diebstähle, Morde, Ehebrüche, Habgierigkeiten, Bosheiten, Hinterlist, Hemmungslosigkeit, böser Blick, Lästerung, Einbildung, Unvernunft. Dieses Böse kommt alles von innen heraus und macht den Menschen unrein.“

Was macht Menschen unrein? Die Unreinheit steckt im Herzen des Menschen. Und sie äußert sich damit, dass der Mensch sündigen Impulsen folgt, die aus seinem eigenen Herzen kommen. Was macht Menschen unrein? Die Unreinheit betrifft ganz direkt das Herz des Menschen. Und auf die Frage nach der Reinigung des Herzens hatten und haben die Pharisäer keine Antwort. (Auch nicht die „christlichen“ Pharisäer …) Hier hilft nur der neue Weg mit der Kraft des von Jesus vergossenen Blutes und der Kraft des Heiligen Geistes.

Bevor wir also über mögliche Sünde sprechen, die durch Dinge von außen kommt, stelle klar, dass die Wurzeln der Sünde in dir ausgerottet sind. Oder wie Johannes es ausdrückt – 1 Joh 3,9: Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist.“

Für von außen kommende Dinge gibt es im Neuen Testament dann erstaunlicherweise Bereiche, in denen es verschiedene Meinungen und Erkenntnisstände geben darf. So beim Essen von Fleisch, das womöglich heidnischen Göttern geweiht sein könnte, beim Einhalten oder Nichteinhalten von Feiertagen und beim Befolgen von Speisegeboten. Dazu hat Paulus zwei Prinzipien aufgestellt:

Zum einen: „Für die Reinen ist alles rein.“ (Tit 1,15) und „Alles von Gott Erschaffene ist gut. Nichts ist verwerflich, was mit Dank angenommen werden kann.“ (1 Tim 4,4)

Zum anderen: „Es ist zwar alles rein, aber schlimm für den Menschen, der etwas isst, obwohl es ihm ein Anstoß ist. (Da) ist es gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken und nichts, woran dein Bruder oder deine Schwester sich stößt. Du, den Glauben, den du (diesbezüglich) hast, habe ihn für dich selbst vor Gott! Glücklich ist der, der sich nicht selbst verurteilt in dem, was er für gut erklärt. Wer Zweifel hat, wenn er isst, ist aber verurteilt, weil es nicht aus Glauben kommt. Alles, was nicht aus Glauben kommt, ist Sünde.“ (Röm 14,20-23)

Wir dürfen also alles, was aus der Welt im Sinne von Gottes Schöpfung kommt, mit Dank annehmen, gebrauchen und genießen. Andererseits ist es klar, dass wir uns in keiner Weise an der Sünde der Menschen in der Welt beteiligen. Und in der Abgrenzung dieser beiden Dinge haben wir deshalb in Verantwortung vor Gott tatsächlich einen Freiraum für eigene Erkenntnis. Dabei muss auch Freiraum zum Wachsen in der Erkenntnis bleiben. Phil 3,5: „Und wenn ihr in etwas anders denkt, wird Gott euch auch das enthüllen.“

In solchen Bereichen sollte unter Christen daher liebevolle Toleranz und gegenseitige Rücksichtnahme geübt werden. Und es gibt schon gar keinen Grund, mit solchen Themen unter Christen oder gar in der Welt zu „missionieren“ …

Die Datierung der Ereignisse

Die Datierung der Ereignisse im Neuen Testament ist eine anspruchsvolle und vielschichtige Aufgabe. Der Bibelleser hat es demgegenüber eher einfach: Er schlägt in seiner Bibel hinten die Zeittafel auf, und dort steht, wann sich was ereignet hat. Dass hinter dieser Zeittafel eine Menge historischer Forschung und Arbeit steckt, ist manchem wohl nicht so bewusst. Man denkt auch nicht, dass manche Angaben der Zeittafel durchaus nicht so eindeutig sind, wie sie da stehen.

Die Schwierigkeit besteht zunächst darin, dass die Zeitrechnung „vor“ oder „nach“ „Christi Geburt“ in der Antike noch nicht existierte. Erst historisch forschende Mönche (die damaligen Wissenschaftler) im 9. Jahrhundert haben sie erfunden und errechnet, sogar mit erstaunlicher Genauigkeit. Sie haben sich dabei aus heutiger Sicht nur um zwei Jahre verrechnet, weshalb Jesus im Jahr 2 „v. Chr.“ geboren ist.

Bis dahin hatte man die verschiedensten parallel laufenden Zeitrechnungen, meistens nach den Regierungszeiten der Herrscher oder der Päpste. Es ist ein Puzzlespiel, mit allen verfügbaren Chroniken diese Regierungszeiten einander zuzuordnen und einen gemeinsamen Zeitablauf darzustellen. Die Mönche haben diese Aufgabe damals mit Bravour bewältigt und mit der Geburt des Erlösers einen sinnvollen Fixpunkt gewählt, von dem aus man vor- oder zurückrechnen konnte.

Das Neue Testament fällt also in eine Zeit, in der man diesen Fixpunkt noch nicht hatte. Die Datierung der Ereignisse war auf andere aktuelle Zeitrechnungen angewiesen. Unter den Autoren des Neuen Testaments ist es Lukas, der präzise Angaben macht. An entscheidender Stelleliefert er uns eine sehr präzise Datierung. Lk 3,1-2: „Im Jahr 15 der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus römischer Regent von Judäa war, Herodes Fürst von Galiläa, Philippus, sein Bruder, Fürst von Ituräa und dem Land Trachonitis, und Lysanias Fürst von Abilene, unter den Obersten Priestern Hannas und Kajafas, kam das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn von Zacharias, in der Wüste.“

Lukas hat hier sechs Regierungszeiten kombibiert, um eine präzise Angabe für das erste Auftreten Johannes des Täufers zu machen. Damit war dann auch das Auftreten von Jesus verknüpft. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Johannes am Jordan anfing, wo man sich nicht in der drückenden Hitze des Sommers, sondern in der angenehmen Wärme des Winters aufhielt, kommt man mit dem Puzzle der Regierungszeiten, das Lukas uns bietet, besonders mit dem Jahr 15 des Kaisers Tiberius, auf den Winter vom Jahr 27 auf 28 n. Chr..

Das Ende der irdischen Wirkungszeit von Jesus müsste dann ein paar Jahre danach zu finden sein. Hier wird gerne eine andere Methode der Zeitbestimmung mit verwendet, nämlich die astronomische Rückrechnung. Die astronomische Wissenschaft kann erstaunlich präzise zurückrechnen, wann genau in welchem Jahr Vollmond und Neumond war, oder gar eine totale oder teilweise Sonnen- oder Mondfinsternis.

Beim Tod von Jesus ist der entscheidende Zeitpunkt das Pesach-Fest. Dieses richtet sich nach dem jüdischen (pharisäischen) Jahreskalender, der sich an den Mondperioden orientiert. Danach ist der wahrscheinlichste Zeitpunkt das Jahr 30, und zwar am 7. April nach unserem Kalender. Das ist der 14. Tag des jüdischen Monats Nisan. Mit dem Auftreten von Johannes dem Täufer im Winter 27/28 und den vom Johannesevangelium berichteten zwei Jahren der Wirkungszeit von Jesus passt das wunderbar zusammen.

Von Tod und Auferstehung im Jahr 30 an waren es 40 Jahre, bis im Jahr 70 der Tempel zerstört wurde. Das war das Ende des alttestamentlichen Opferkults. 40 Jahre nach dem Opfertod von Jesus am Kreuz werden die Tieropfer abgeschafft. Ich finde diesen Zeitraum von 40 Jahren auch aus geistlichen Gründen bedeutsam. Die 40-er Zahl als 40 Jahre oder 40 Tage hat in der Geschichte Gottes immer wieder eine auffallende Rolle gespielt.

Allerdings gedenken die Kirchen weder am 14. Nisan noch am 7. April feierlich des Todes von Jesus. Karfreitag und Ostern liegen immer auf dem ersten Wochenende nach dem ersten Frühlingsvollmond. Das hat nach langem und teilweise erbittertem Streit in der frühen Kirche das Konzil von Nicäa im Jahr 325 n. Chr. festgelegt.

Der Ablauf der Passionswoche

Was ich in diesem Abschnitt schreibe, konnte ich selbst zunächst nicht gleich glauben, als ich es zum ersten Mal las. Aber die Argumente haben mich auf den zweiten und dritten Blick völlig überzeugt. Der Ablauf der Passionswoche in dieser Darstellung beruht auf den Büchern: „Bargil Pixner: Wege des Messias und Stätten der Urkirche“ und „Dr. Eugen Ruckstuhl: Die Chronologie des Letzten Mahles und des Leidens Jesu.“ Es geht grob gesagt darum, dass der Gründonnerstag nicht stimmen kann. Das letzte Abendmahl von Jesus mit seinen Jüngern kann nicht erst am Abend vor seiner Hinrichtung gewesen sein.

Wir haben im Neuen Testament zwei Zeitangaben für den letzten Tag, also den Freitag: Johannes sagt Joh 19,14, dass die letzte Verhandlung bei Pilatus am Freitag (nach römischer Zeitrechnung) „um die sechste Stunde“ war. Das war also spätestens um sechs Uhr morgens. Markus sagt Mk 15,25 (nach jüdischer Zeitrechnung): „Es war die dritte Stunde, als sie ihn ans Kreuz hängten.“ Das war also spätestens neun Uhr vormittags.

Diese Zeitangaben passen gut zusammen für diesen letzten Tag. Aber wenn man Jesus erst in der Nacht davor verhaftet hat, wann hat dann der jüdische Oberste Rat getagt? Wann hat man ihn an Pilatus überstellt, wann der an Herodes und der wieder zurück an Pilatus? Man sieht, das geht nicht in der einen Nacht und auch nicht an dem einen Vormittag bis zur Hinrichtung. Der Ablauf der Passionswoche muss anders gewesen sein.

In der Zeit, die dem Neuen Testament folgte, begann man, wöchentliches und jährliches christliches Brauchtum zu entwickeln. Und da pflegten die Christen, zweimal in der Woche zu fasten, und zwar nicht wie die Pharisäer am Dienstag und am Donnerstag. Sie fasteten vielmehr am Mittwoch und am Freitag, weil der Herr, Jesus, „am Mittwoch ausgeliefert“ und „am Freitag getötet“ wurde. Aus der Überlieferung von den Anfängen her wusste man damals noch, dass Jesus in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, die nach jüdischem Verständnis zum Mittwoch zählt, ausgeliefert bzw. verhaftet wurde.

Dazu passt die Tatsache, dass in jener Woche nach dem essenischen Kalender das Pesach auf den Mittwoch fiel, das Pesach-Mahl also auf den Dienstagabend nach Sonnenuntergang, als der Mittwoch begonnen hatte. Jesus hat nach dem essenischen Kalender in einem essenischen Haus in Jerusalem mit seinen Jüngern das Pesach gefeiert. Der Ablauf der Passionswoche ergibt dann folgendes Bild:

In der Nacht zum Mittwoch: Abendmahl, Abschiedsreden, Gebet in Getsemani, Verhaftung, Verhör bei Hannas und Verleugnung durch Petrus.

Am Mittwoch: Erste Verhandlung im Obersten Rat bei Kajaphas, Verspottung und Misshandlung von Jesus, und (anzunehmen) sicherlich auch erste Kontakte in der Sache zu Pilatus. Dann bleibt auch Zeit, den jüdischen Rechtsgrundsatz einzuhalten: Ein Todesurteil muss noch einmal überschlafen werden, es darf frühestens am Tag nach der ersten Verhandlung definitiv gefasst werden.

In der Nacht auf Donnerstag: Jesus im Gewahrsam des Obersten Priesters.

Am Donnerstag: Zweite Verhandlung im Obersten Rat mit Todesurteil über Jesus. Überstellung an Pilatus und erste Verhandlung dort. Überstellung an Herodes, Verhör und Verspottung dort. Rücküberstellung an Pilatus mit dem vorläufigen Unschuldsurteil durch Pilatus.

In der Nacht auf Freitag: Jesus im Gewahrsam des römischen Regenten.

Freitag: Bis 6 Uhr morgens Volksmenge bei Pilatus mit der Bitte um Freilassung eines Gefangenen. Dann Freilassung des Bar Abbas, Geißelung von Jesus. Nach der letzten Verhandlung Todesurteil über Jesus auf Druck des Obersten Rats und der Volksmenge. Jesus von den römischen Soldaten mit Purpurgewand und Dornenkrone als ohnmächtiger König der Juden verspottet. Dann nach Golgota geführt und zwischen 8 und 9 Uhr ans Kreuz gehängt. Die weiteren Ereignisse jenes Tages um die Hinrichtung von Jesus setze ich als bekannt voraus …

Die Tageszeiten

Die Tageszeiten und die Zeitangaben dazu sind bei den Berichten über Jesus an manchen Stellen hilfreich für das Verständnis. In einer Kultur, in der es keine Uhren gibt, läuft manches anders, als wir es gewohnt sind. Natürlich gab es Sonnenuhren, aber sicherlich nur bei Wohlhabenden, die sich an ihren Gebäuden so was einrichten konnten. Aber der einfache Mensch, besonders auf dem Land, hatte so etwas nicht. Er brauchte es für die Tageszeiten auch nicht, er hatte die Sonne am Himmel und wusste, wo sie gerade steht. Und wenn die Sonne mal nicht scheint, geht auch die Sonnenuhr nicht.

Von der Sonne her gibt es für die Tageszeiten drei Fixpunkte am Tag: Sonnenaufgang, Mittag (wenn die Sonne am höchsten steht) und Sonnenuntergang. In der jüdisch-orientalischen Kultur hatte man die Zeit von Sonnenaufgang bis -untergang in 12 Stunden eingeteilt. Die Zeit von Untergang bis Aufgang verlief in vier „Nachtwachen“. Aufgang und Untergang sind nach unserer Zeitrechnung um 6 Uhr morgens und um 6 Uhr bzw. 18 Uhr abends. (Im Sommer sind die Stunden etwas länger und im Winter etwas kürzer …)

Die erste Stunde ist also von 6 bis 7 Uhr morgens, die zwölfte Stunde von 17 bis 18 Uhr abends. Die Nachtwachen sind drei Stunden lang, also von 18 bis 21, 21 bis 24, 0 bis 3 und 3 bis 6 Uhr. Wichtig ist zu merken, dass die Angabe z.B. „dritte Stunde“ keinen Zeitpunkt meinen kann, sondern den Zeitraum dieser Stunde bezeichnet, also von 8 bis 9 Uhr. Wenn Jesus also zur „dritten Stunde“ gekreuzigt wurde, dann meint das zwischen 8 und 9 Uhr am Morgen. Und wenn er zur „neunten Stunde“ starb, dann heißt das zwischen 14 und 15 Uhr. Exaktere Zeitangaben können wir den Texten (nach unserem Verständnis leider) nicht entnehmen. Ich denke, das System mit den 12 Stunden am Tag und den 4 Wachen bei Nacht ist soweit klar.

Die Überraschung kommt jetzt: Nach Mk 15,25 war es die „dritte Stunde“, in der sie Jesus ans Kreuz hängten. Nach Joh 19,14 war es aber „etwa die sechste Stunde“, in der Pilatus an jenem Tag das Todesurteil sprach und ihn zur Hinrichtung am Kreuz übergab. Diese Zeitangaben passen natürlich nicht zusammen.

Den scheinbaren Widerspruch kann man aber auflösen. (Ich denke, dass Hans Bruns das in seiner Bibelübersetzung zum ersten Mal so vorgeschlagen hat.) Man nimmt an, dass Johannes, der sein Evangelium nach der alten Überlieferung in der römischen Hochburg Ephesus geschrieben hat, in seinem Bericht nicht die jüdisch-orientalische, sondern die römische Tageszeitrechnung benutzt hat. Die römische Zeitrechnung gilt im Grunde heute noch. Sie hat 12 Stunden von Mitternacht bis Mittag und 12 Stunden von Mittag bis Mitternacht. Nur zählen wir heute, um Verwechslungen zu vermeiden, die Stunden von 0 bis 24, damit man nicht immer fragen muss, ob vormittags oder nachmittags.

Pilatus hat also aus römischer Sicht in der „sechsten Stunde“ zwischen 5 und 6 Uhr am Morgen das Urteil gesprochen. Und dann passt die Ausführung desselben in der „dritten Stunde“ nach jüdischer Rechnung zwischen 8 und 9 Uhr gut dazu. Heutzutage erscheint uns diese Zeit am Morgen als recht früh. Aber der Tagesrythmus der Menschen ohne elektrisches Licht ist ein völlig anderer ist als der unsere, die wir einen Lichtschalter betätigen und die Nacht zum Tage machen. Die Aktivität des „Sonnenmenschen“ geht von der Morgendämmerung bis in die Abenddämmerung.

Johannes hat also für die Tageszeiten die römische Rechnung benutzt, was vom eben Genannten her logisch erscheint. Dann muss man aber annehmen, dass er das in seinem ganzen Evangelium getan hat. Und dann verschieben sich auch an anderen Stellen die Zeiten gegenüber dem, was wir uns bisher vielleicht vorgestellt haben. Unter der Abwägung, ob die Zeitangabe morgens oder abends meint, ergeben sich folgende Sachverhalte:

Nach Joh 1,38 sind die ersten Jünger in der „zehnten Stunde“ zwischen 9 und 10 Uhr morgens Jesus gefolgt.

Nach Joh 4,6 saß Jesus in der „sechsten Stunde“ zwischen 5 und 6 Uhr abends ermüdet am Jakobsbrunnen, als die samaritische Frau mit ihrem Wasserkrug erschien.

Und nach Joh 4,52 hat Jesus den Sohn des Königlichen in der „siebten Stunde“ zwischen 6 und 7 Uhr abends geheilt.

In den Zusammenhang der jeweiligen Erzählungen passen diese Zeitangaben auf jeden Fall sehr gut hinein.

Die Essener

Im Blick auf Leute, die das Reich Gottes erwarteten, muss ich etwas über die Essener erzählen (Betonung auf dem zweiten e: Esséner, – also keine Bewohner der Stadt Essen). Von ihnen haben wir in der Bibel noch nichts gelesen, aber Flavius Josephus berichtet in seinem Buch über den jüdischen Krieg, dass es in Israel damals drei religiöse Richtungen unter den Juden gab: die Sadduzäer, die Pharisäer und die Essener. Pharisäer und Sadduzäer sind uns aus der Bibel gut bekannt, Essener nicht.

Lange Zeit wusste man in der Geschichtsforschung außer dem, was Josephus berichtet hat, nichts über die Essener. Aber dann wurden die berühmten Schriftrollen in den Höhlen von Qumran entdeckt und auch die dortige essenische Siedlung ausgegraben, und plötzlich waren die Berichte von Josephus hochaktuell. Jetzt hatte man nicht nur Informationen von Josephus über sie, sondern auch authentische Aussagen aus ihren eigenen Schriften.

Die Essener waren sehr ernsthafte „Gott hingegebene“ Leute – so wäre die Bezeichnung ins Deutsche zu übersetzen. Sie bildeten eine vom restlichen Volk abgegrenzte feste Gemeinschaft. In sie konnte man nur nach dreijähriger Probe- und Bewährungszeit aufgenommen werden. Ihr Ziel kann man damit beschreiben, ein heiliges und priesterliches Volk Gottes zu sein. Und so gehörten auch viele Priester zu ihnen, die sich mit dem verweltlichten sadduzäischen Priestertum in Jerusalem nicht identifizieren konnten. Es gab unter ihnen auch echte prophetische Gaben.

Sie lebten nach strengen Regeln, mit denen sie die Vorschriften des Gesetzes über die priesterliche Reinheit auf ihre ganze Gemeinschaft übertrugen. Sie hatten auch einen eigenen altüberlieferten Kalender. Nach diesem fiel ihre Feier der Feste oft auf andere Termine als bei den Pharisäern und Sadduzäern. Um ihr Reinheitsideal einzuhalten, lebten sie gerne abgesondert in eigenen Siedlungen, wie in der von Qumran.

Es gab auch Verheiratete unter ihnen, aber im Gegensatz zu den Pharisäern schätzten sie die Ehelosigkeit hoch ein. Andererseits nahmen sie verwaiste Kinder auf, um sie in ihrer Gemeinschaft großzuziehen. Als einzige Gruppierung in der gesamten Antike lehnten sie die Sklaverei komplett ab. Niemand unter ihnen war Sklave oder durfte Sklaven besitzen. Jeder sollte mit eigenen Händen seinen Lebensunterhalt selbst erarbeiten.

In Jerusalem gab es auf dem südlichen Hügel, der heute Zionsberg genannt wird, oberhalb des Hinnom-Tals ein von Essenern bewohntes Viertel, das durch eine eigene Mauer innerhalb der Stadtmauer vom Rest der Stadt abgegrenzt war. Es war eine archäologische Sensation, als man das von Josephus erwähnte Essener-Tor dort tatsächlich durch eine Ausgrabung nachweisen konnte.

Nun bleibt aber das Rätsel, warum diese Leute als wichtige Zeitgenossen von Jesus im Neuen Testament nicht in Erscheinung treten. Dieses Rätsel kann man lüften, wenn man im Neuen Testament nach „Gott hingegebenen“ Leuten sucht. Das griechische Wort dafür, „eulabés“, kommt im Neuen Testament nicht oft vor, aber an interessanten Stellen, z.B. Luk. 2,25: „Und sieh, in Jerusalem war ein Mann, dessen Name war Simeon, dieser Mann war gerecht und Gott hingegeben. Er erwartete die Hilfe Israels, und Heiliger Geist war auf ihm.“ Simeon, ein echter Prophet, ein Essener? Das klingt einleuchtend …

Als Jahre später nach der Steinigung von Stefanus die erste Christenverfolgung in Jerusalem ausbrach, da heißt es in Apg. 8,2: „Gott hingegebene Leute bestatteten aber Stefanus und machten eine große Klage über ihn.“ Als die Christen zerstreut wurden, tauchten Essener auf und nahmen sich des Leichnams von Stefanus an.

Dann schauen wir uns noch die drei Geschwister in Betanien an, Lazarus, Marta und Maria: Drei unverheiratete Erwachsene, die zusammen leben, diese Lebensform ist für das damalige Israel so ungewöhnlich, dass sie eigentlich nur Essener sein können.

Und als Jesus für seinen Einzug in Jerusalem einen Esel braucht, sagt er den Jüngern: Folgt einem Mann, der einen Wasserkrug trägt. Nun wird das aber erst bedeutsam, wenn man bedenkt, dass damals in Israel das Tragen von Wasserkrügen Frauensache war. Nur ein unverheirateter Mann musste seinen Krug selber tragen. Und dass der ein Essener war, passt mit der Tatsache zusammen, dass das Obergeschoss, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl beging, zu einem Haus in dem oben genannten Essenerviertel gehörte. Als Sadduzäer und Pharisäer den Tod von Jesus beschlossen hatten, stellten ihm Essener noch einen Saal für die Pesach-Feier zur Verfügung.

Es geht noch weiter: In diesem Obergeschoss des Hauses im Essener-Viertel traf sich nach der Auferstehung von Jesus die erste Gemeinde. Und so fand hier auch an Pfingsten die Ausgießung des Heiligen Geistes statt. So passt auch Apg. 2,5 ins Bild: „Es gab aber jüdische Gott hingegebene Leute aus allen Völkern unter dem Himmel, die sich in Jerusalem niederließen“, die nun zusammenströmten. So erfahren wir auch, dass es bei den Essenern nicht nur einheimische Juden gab. Es gab bei ihnen auch solche, die aus der Diaspora in aller Welt nach Israel zurückgekommen waren.

Und wenn es in Apg 6,7 heißt: „… und eine große Menge der Priester gehorchten dem Glauben“, dann dürfen wir annehmen, dass das wohl weniger Sadduzäer waren, sondern eher Essener.

Die Essener als eigene Gemeinschaft verschwanden über den jüdischen Krieg aus der Geschichte. Sie waren wohl besonders gut auf das Reich Gottes vorbereitet gewesen. Wir dürfen annehmen, dass eine große Zahl von ihnen in Jesus die Erfüllung ihres Glaubens fand. Dann ging die Essener-Gemeinschaft in ihrer Mehrheit einfach in der christlichen Gemeinde auf.

Flavius Josephus

Flavius Josephus – mit diesem Mann möchte ich euch hier bekannt machen Er selbst kommt im Neuen Testament gar nicht vor. Aber er hat uns mehr als andere sehr viele Informationen über dessen zeitgeschichtliche Hintergründe geliefert. Um nicht alles über ihn selbst schreiben zu müssen, zitiere ich an dieser Stelle den Wikipedia-Artikel über ihn:

„Flavius Josephus (geboren 37/38 n. Chr. in Jerusalem; gestorben um 100 vermutlich in Rom) war ein jüdisch-hellenistischer Historiker. Als junger Priester aus der Jerusalemer Oberschicht hatte Josephus eine aktive Rolle im Jüdischen Krieg. Er verteidigte Galiläa im Frühjahr 67 gegen die römische Armee unter Vespasian. In Jotapata geriet er in römische Gefangenschaft. Er prophezeite dem Feldherrn Vespasian dessen künftiges Kaisertum. Als Freigelassener begleitete er Vespasians Sohn Titus in der Endphase des Kriegs und wurde so Zeuge der Eroberung von Jerusalem (70 n.Chr.).

Mit Titus kam er im folgenden Jahr nach Rom, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Er erhielt das römische Bürgerrecht und lebte fortan von einer kaiserlichen Pension und dem Ertrag seiner Landgüter in Judäa. Die Muße nutzte er zur Abfassung mehrerer Werke in griechischer Sprache: eine Geschichte des Jüdischen Kriegs, eine Geschichte des jüdischen Volks von der Erschaffung der Welt bis zum Vorabend dieses Kriegs, eine kurze Autobiografie als Anhang dazu und als Spätwerk eine Verteidigung des Judentums gegen die Kritik zeitgenössischer Autoren.“

Als Beispiel für den Zusammenhang mit der biblischen Geschichte zitiere ich hier einen der Berichte von Flavius Josephus. Ich zitiere ihn in gekürzter und vereinfachter Form (aus der „Geschichte des jüdischen Volks“):

„Um diese Zeit gerieten Aretas, der König von Peträa und Herodes (Antipas) in Streit. Herodes der Fürst hatte des Aretas Tochter geheiratet und lebte mit ihr schon lange Zeit. Als er nach Rom reiste, kehrte er bei seinem Stiefbruder ein, der auch Herodes hieß. Hier fasste er eine so heftige Neigung zu dessen Gattin Herodias, dass er mit dem Plan umging, sie zur Ehe zu nehmen. Herodias war damit einverstanden, und so kamen sie überein, dass sie gleich nach seiner Rückkehr aus Rom in sein Haus kommen solle. Sie stellte jedoch die Bedingung, dass er des Aretas Tochter verstoße.

Seine Gattin hatte aber von der Abmachung mit Herodias Kenntnis erlangt. Sie verlangte, als er aus Rom zurückkehrte, nach Machärus gebracht zu werden. Das war eine Festung, die zwischen dem Gebiet des Herodes und dem ihres Vaters Aretas lag. Herodes erfüllte ihren Wunsch, ohne zu ahnen, dass sie um sein Vorhaben wusste. Als sie dort ankam, brach sie gleich nach Arabien auf. Und so gelangte sie in kurzer Zeit zu ihrem Vater, dem sie des Herodes Plan mitteilte.

Daraufhin brachen die Feindseligkeiten aus. Nachdem es auch noch einen Streit um die Festsetzung der Grenzen gab, boten beide Fürsten ihre Streitmacht auf. So kam es zum Krieg, zu dem beide, statt selbst mit auszurücken, ihre Feldherren entsandten. Gleich beim ersten Zusammenstoß wurde des Herodes Heer aufgerieben, da es von einigen Überläufern verraten wurde.

Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorn Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung von Johannes dem Täufer die gerechte Strafe gefordert habe. Den letzteren nämlich hatte Herodes hinrichten lassen, obwohl er ein edler Mann war, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen.

Da nun infolge der wunderbaren Anziehungskraft solcher Reden eine gewaltige Menschenmenge zu Johannes strömte, fürchtete Herodes, das Ansehen des Mannes möchte das Volk zum Aufruhr treiben, und hielt es daher für besser, ihn rechtzeitig aus dem Weg zu räumen. Auf diesen Verdacht hin ließ also Herodes den Johannes in Ketten legen, nach der Festung Machärus bringen und dort hinrichten. Sein Tod aber war, wie gesagt, nach der Überzeugung der Juden die Ursache, weshalb des Herodes Heer aufgerieben worden war, da Gott in seinem Zorn diese Strafe über den Fürsten verhängt hatte.“

Gemeinde und Welt

Es gibt in christlichen Kreisen eine Unklarheit, die in vielen Bereichen ständig für Verwirrung sorgt. Ich meine die fehlende Unterscheidung zwischen der Gemeinde des Herrn und der Welt. Mal meint man mit „wir“ die Christen, mal meint man mit „wir“ die Gesellschaft. Hier sollte man deutlich unterscheiden lernen, um nicht ständig Politik und Reich Gottes durcheinanderzuwerfen.

Im Neuen Testament ist sehr klar, dass „Gemeinde“ und „Welt“ zwei einander gegenüber stehende Größen sind. Die Gemeinde besteht aus allen, die aus Gott geboren sind und lernen, sich vom Geist Gottes leiten lassen. Die Welt besteht aus allen, die natürlich geboren sind und sich von den Gegebenheiten der menschlichen Natur leiten und verleiten lassen. Jesus hat gerade auch in seinen Abschiedsreden sehr deutlich gemacht, dass die Seinen zwar „in der Welt“ sind, aber nicht „von der Welt“. In seiner Gemeinde zählt nicht die natürliche Geburt, sondern die geistliche Geburt. Und so gibt es das im Neuen Testament geläufige „drinnen“ und „draußen“.

Ich zitiere die deutliche Erklärung von Paulus – 2 Kor 5,9-13: „Im (vorigen) Brief hatte ich euch geschrieben, dass ihr keinen Umgang mit Unzüchtigen haben sollt. (Ich meinte da) ganz und gar nicht die Unzüchtigen dieser Welt oder die Habgierigen und Räuber oder Götterverehrer. Da müsstet ihr ja aus der Welt hinausgehen. Jetzt schreibe ich euch aber, dass ihr keinen Umgang haben sollt mit jemandem, der sich „Bruder“ nennen lässt und (dabei) ein Unzüchtiger ist oder ein Habgieriger, ein Götterverehrer, ein Verleumder, ein Trinker, ein Räuber. Mit einem solchen dürft ihr auch nicht essen! Was liegt mir denn daran, über die draußen zu urteilen? Müsst ihr nicht über die bei euch drinnen urteilen? Über die draußen spricht Gott das Urteil. Ihr aber müsst ‚den Bösen entfernen aus eurer Mitte‘!“

Ein interessanter Ansatz: Unsere Aufgabe in der Gemeinde ist neben dem geistlichen Aufbau auch notfalls das Entfernen von hartnäckigen Sündern, um die Gemeinde in Reinheit vor Gott zu erhalten. Die Welt dürfen wir sich selbst bzw. dem Urteil Gottes überlassen. In der Welt sind wir Licht, Salz und Zeugnis. In der Gemeinde stehen wir gemeinsam vor dem heiligen Gott, wo kein Platz für Sünde ist. Nur wer bereit ist, sich zu reinigen bzw. sich kraft des Blutes von Jesus reinigen zu lassen, kann aufgenommen werden in die Gemeinde und seinen Platz dort behalten.

Die wesensmäßige Barriere zwischen Gemeinde und Welt wurde leider schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums aufgehoben. Das war ein wichtiger Baustein für den Sieg des Antichristentums. „Welt“ und „Gemeinde“ wurden zusammengeführt, es entstand eine „christliche“ Welt bzw. eine weltliche „Christenheit“. Aus der Braut des Lammes wurde die Hure Babylon, am besten beschrieben mit dem Wort „Kirche„. Und die wirkliche Gemeinde des Herrn wurde von ihr verfolgt.

Nur wenn wir in unserem Denken diese Unterscheidung von Gemeinde und Welt wieder benennen und beachten, können wir geistliche Gemeinde bauen. Die Gemeinde wird dabei ihren Platz „in der Welt“ haben, aber die Welt darf keinen Platz in der Gemeinde haben. Sie darf keinen Platz haben in den Köpfen, in den Herzen, in den Strukturen. Das bedeutet völlige Reinigung von allen überkommenen weltlichen Denkweisen, Verhaltensmustern und Strukturen. Wie könnte die Gemeinde sonst die Vorhut der neuen Welt Gottes sein?

Jesus von Nazaret

In neueren Bibelübersetzungen wird Jesus gerne als „Jesus von Nazaret“ bezeichnet. Dass Jesus trotz seiner Geburt in Betlehem in Nazaret in Galiläa aufgewachsen ist, ist aus dem Neuen Testament bekannt. Hinter der Bezeichnung „von Nazaret“ stecken im griechischen Text aber zwei unterschiedliche Wörter. Das sind Jesus der „Nazarener“ und Jesus der „Nazoräer“, die auch eine unterschiedliche Bedeutung haben:

Der Begriff „Nazoräer“ leitet sich von dem hebräischen Wort „Nezer“ ab. Dieses bedeutet bei Pflanzen „Trieb, Spross“ und kommt in Jes 11,1 als Ankündigung des Messias vor: Der untaugliche Stamm des israelitischen Königshauses wird abgehauen. Aber aus dem Baumstumpf soll ein neuer „Trieb“ hervorkommen, der neue, endgültige König, der Messias. In Israel gab es die Menschen, die sich bewusst waren, von König David abzustammen. Sie warteten darauf, dass aus ihren Reihen der Messias kommen sollte. Nach diesem „Nezer“ aus Jesaja trugen sie die Bezeichnung „Nazoräer“. Vermutlich kommt von daher auch der Name des Ortes „Nazaret“, in dem eine Gruppe von ihnen wohnte. An den Stellen, an denen Jesus „Nazoräer“ genannt wird, wird damit also seine Abstammung von König David bezeichnet. Da wo er „Nazarener“ heißt, bezeichnet das seine Herkunft aus Nazaret, dem Ort der Nazoräer.

Josef als offizieller Vater und Maria als leibliche Mutter von Jesus waren beide Nazoräer, also Nachkommen von David, wie auch die beiden unterschiedlichen Stammbäume von Jesus bei Matthäus und Lukas bezeugen. Josef muss einer der Nazoräer aus Betlehem, der „Stadt Davids“ gewesen sein, weil er sich bei der großen Eintragung zu Ehren des Kaisers Augustus dort registrieren lassen musste. Als lediger Maurer war er im Land herumgekommen und hatte seine Maria wohl „auf Arbeit“ in Nazaret gefunden, wo ebenfalls eine Gruppe von Nazoräern wohnte.

Es ist bemerkenswert, dass Jesus nie seine Geburt aus Betlehem ins Feld geführt hat. Seine Gegner wollten ja aufgrund seiner Herkunft aus Nazaret in Galiläa beweisen, das er nicht der Messias sei. Der musste ja nach Micha 5,1 aus Betlehem kommen. Jesus suchte aber Glauben. Und es war klar, dass der auch nicht kommen würde, wenn er eine Geburtsurkunde aus Betlehem vorlegen würde. Er hatte eine andere Linie:

Mt 11, 4-6: „Geht und sagt Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder und Gelähmte gehen, Aussätzige werden gereinigt und Gehörlose hören, Tote stehen auf und Armen wird gute Botschaft gebracht. Und glücklich ist, wer keinen Anstoß an mir nimmt.“

Und Joh 8,37-38: „Wenn ich die Werke meines Vaters nicht tue, dürft ihr mir nicht glauben. Wenn ich sie aber tue – wenn ihr auch mir nicht glaubt -: dann glaubt den Werken, damit ihr wisst und erkennt, dass der Vater in mir ist und ich im Vater!“

Jesus sagte die Worte Gottes und tat die Werke Gottes. So etwas wie sich rechtfertigen, sich ausweisen, werben oder überreden war ihm fremd. Wer ihm glaubt, empfängt seine Gaben. Wer nicht glaubt, bekommt auch kein Zeichen aus dem Himmel.

Vielleicht könnten wir für das, was wir „Evangelisation“ nennen, noch einiges davon lernen …

Der Messias

Der Messias ist der von Gott eingesetzte König und Herrscher. Das hebräische Wort heißt „Maschíach“. Wenn der Grieche das auszusprechen oder zu schreiben versucht, wird es zu „Messias“. Ins Griechische übersetzt heißt es „christós“, was die Lateiner dann mit „Christus“ als Fremdwort übernommen haben. Auf Deutsch heißt es „Gesalbter“. Es ist eigentlich ein Adjektiv, zu dem man sinngemäß das Substantiv „König“ ergänzen muss: „gesalbter König“.

Wir erinnern uns, wie schon der Prophet Samuel zuerst Saul und später David zum König salbte. Diese Salbung geschah mit Öl, wobei „Öl“ in der Bibel immer Olivenöl ist. „Salbung“ ist eigentlich eine verharmlosende Übersetzung, denn man schüttete das Öl auf den Kopf, und es lief überall runter.

Das Öl hat die symbolische Bedeutung des Heiligen Geistes. Die Salbung bedeutet die Verleihung des Heiligen Geistes, den der im Auftrag Gottes Gesalbte zur Ausübung seiner Aufgabe braucht. Die Salbung war das Zentrum des Rituals bei der Einsetzung des Königs in Israel. Und der König war der (von Gott) „Gesalbte“ bzw. der „Messias“.

Wir lesen es in Psalm 2, Vers 2: „Die Könige der Erde haben sich aufgestellt, die Obersten haben sich versammelt gegen den Herrn und gegen seinen Messias.“ In dem Psalm geht es um den Tag der Einsetzung des neuen Königs. Gegen ihn erhebt sich in der Nachbarschaft Israels offensichtlich von Anfang an bittere Feindschaft. Aber wenn es Gottes König ist, dann geht diese Feindschaft nicht nur gegen den König. Sie geht auch gegen Gott, der ihn eingesetzt hat. Die Einsetzungsworte sind, Vers 7: „Mein Sohn bist du heute, ich habe dich geboren, bitte von mir!“

Zu Zeiten des Neuen Testaments wartete man in Israel dringend auf den Messias. Das lag daran, dass die von Gott eingesetzte Königslinie der Nachkommen Davids schon ein paar Jahrhunderte nicht mehr an der Regierung war. Alles andere, was man als „König“ erlebte, wie zum Beispiel Herodes, entsprach nicht dem, was man von einem König erwartete, der das Königreich Israel als „Königreich Gottes“ wieder aufrichten sollte.

Kein Wunder, dass die Leute wie elektrisiert waren, als Johannes der Täufer mit der Botschaft auftrat: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ Wenn das Reich Gottes nahe ist, dann ist auch der Messias nahe. Nachdem Johannes zuerst abstreiten musste, selbst der Messias zu sein, kam dann Jesus zu ihm an den Jordan. Er, der die Taufe zur Sündenvergebung nicht nötig gehabt hätte, ging trotzdem ins Wasser. Wo andere die Sünden abgaben, nahm er sie auf sich und wurde zum „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt“. So sagte es Johannes dann über ihn aus.

Als Jesus im Wasser wieder aufstand, kam der heilige Geist vom Himmel herab auf ihn. Diese Geschichte war mir lange Zeit wohlbekannt, bis ich endlich die eigentliche Bedeutung begriff: dass hier der Messias gesalbt wurde. Nicht mit Öl, dem Symbol, wurde er gesalbt, sondern mit dem Original, dem Heiligen Geist. Und nicht von einem Propheten oder Priester wurde er gesalbt, sondern von Gott selbst, direkt aus dem Himmel herab. Dann wundert einen auch die Stimme nicht mehr, die aus dem Himmel kam: „Du bist mein Sohn, der Geliebte, an dem ich Gefallen habe.“

Ab hier ist Jesus im eigentlichen Sinne der Messias. Er hat nach einer Zeit des Fastens dann seinen Dienst angetreten, um das Werk Gottes auszuführen, das bis heute noch nicht zu Ende ist. Erst mit der Ausrüstung des Heiligen Geistes hat Jesus die Zeichen und Wunder getan, die die Bestätigung seines Auftrags von Gott waren.

Johannes der Täufer, der es miterlebte, hat es hinterher als Zeuge bestätigt – Joh 1, 32-34: Johannes sagte als Zeuge aus: „Ich habe gesehen, dass der Geist wie eine Taube aus dem Himmel herabkam und auf ihm blieb. Ich kannte ihn nicht, aber der, der mich gesandt hat, Menschen ins Wasser zu tauchen, der hatte mir gesagt: ‚Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der Menschen in Heiligen Geist taucht.‘ Und ich habe es gesehen und sage als Zeuge aus: Er ist der Sohn Gottes.“

Das Reich Gottes entfaltete sich dann aber anders, als die Menschen es erwarteten. Das gehört zum Thema: „Unterschiede zwischen den Gedanken Gottes und denen der Menschen“. Aber diesen Unterschied zu erkennen, daran haben wir auch in der Nachfolge von Jesus bis heute zu tun …

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