Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Kategorie: Neues Testament (Seite 1 von 18)

Homosexualität

Homosexualität ist in heutiger Zeit ein offen besprochenes und gesellschaftlich relevantes Thema. In der westlichen Welt hat sich die Haltung dazu von Verbot und Verfolgung zu Akzeptanz und Anerkennung gewandelt. Und im Buhlen um die Anerkennung der Welt wird auch in kirchlichen Kreisen die Segnung von gleichgeschlechtlichen (Ehe-)Paaren diskutiert und praktiziert.

Wirkliche Christen orientieren sich aber nicht an den wandelbaren Meinungen in der Welt, sondern an dem in der Bibel geoffenbarten Willen Gottes. Und den Willen Gottes gilt es, im eigenen Leben umzusetzen und nicht in einer gottlosen Welt. Es geht also in diesem Artikel über Homosexualität nicht um Politik, sondern um Gehorsam gegenüber Gott im eigenen Leben und in der Gemeinde Gottes.

Die Aussage der Bibel ist zunächst einmal eindeutig. Schon im Gesetz Moses gibt es ein klares Verbot – 3 Mo 18,22: „Bei einem Männlichen sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt; es ist abscheulich.“

Dazu kommt dann noch die strafrechtliche Bestimmung: – 3 Mo 20,13: „Wenn ein Mann bei einem Männlichen liegt, wie man bei einer Frau liegt, haben beide etwas Abscheuliches getan. Sie sollen ganz gewiss getötet werden; ihre Blutschuld (liegt) bei ihnen.“

Ich habe diese Stellen in eigener Übersetzung zitiert. Die Aussagen sind für das Verhalten von Männern formuliert. Ein entsprechendes Verhalten von Frauen wird nicht erwähnt, dürfte aber sinngemäß mitgemeint sein. Damit war das Thema Homosexualität offensichtlich so geklärt, dass es im ganzen Alten Testament nirgendwo wieder vorkommt.

Auch im Neuen Testament begegnet uns das Phänomen zunächst nicht. Jesus hat in seiner Lehre nicht darüber gesprochen. Innerhalb Israels war die Sache offensichtlich auch damals kein Thema. Erst als die Botschaft von Jesus sich in der Heidenwelt ausbreitete, tauchte die Problematik auf. Paulus erwähnt sie, und zwar in drei seiner Briefe. In der Abgrenzung zum Heidentum und in der Heiligung der Heidenchristen musste man sich damit befassen. Er erwähnt die Sache in zwei Aufzählungen von sündigem Verhalten und geht im Römerbrief dann etwas ausführlicher darauf ein:

1 Ko 6,9b-10: „Weder Unzüchtige noch Götterverehrer noch Ehebrecher noch Verführer noch praktizierende Homosexuelle noch Diebe noch Habgierige, keine Trinker, keine Verleumder, keine Räuber werden das Reich Gottes erben.“

1 Tim 1,8-10: „Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand gesetzestreu damit umgeht und weiß, dass das Gesetz nicht für einen Gerechten gegeben ist, sondern für Verbrecher und Respektlose, Gottlose und Sünder, Würdelose und Unreine, Leute, die Vater und Mutter schlagen, Mörder, Unzüchtige, praktizierende Homosexuelle, Menschenhändler, Lügner, Meineidige – und alles andere, das der heilsamen Lehre entgegensteht.“

Rö 1,26-27: „Deswegen liefert Gott sie in verachtenswerte Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschen den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem gegen die Natur. Genauso verlassen auch die Männer den natürlichen Geschlechtsverkehr mit der Frau und entbrennen in ihrer Gier zueinander. Männer vollbringen die Schande mit Männern, und den Gegenlohn, der ihrer Irreführung gebührt, bekommen sie an sich selbst zurück.“

Vielleicht ist aufgefallen, dass ich nicht einfach mit „Homosexuelle“ übersetzt habe, sondern mit „praktizierende Homosexuelle“. An allen Stellen verurteilt die Bibel nämlich allein die homosexuellen Handlungen. Die Gefühlslage, die homoerotische innere Ausrichtung eines Menschen, steht offensichtlich auf einem anderen Blatt. Für seine Gefühle kann ein Mensch zunächst nichts, für seine Taten ist er aber voll verantwortlich.

An der Stelle im Römerbrief bestätigt Paulus ausdrücklich, dass auch die Frauen mitgemeint sind. Interessant sind auch seine Begründungen für die Verurteilung der Sache. Man praktiziert hier „verachtenswerte“ Leidenschaften, man vollbringt „Schande“. Das liegt voll und ganz auf der Linie der Bezeichnung „abscheulich“ im Gesetz Moses. Die gemeinten Praktiken verstoßen offensichtlich gegen die biblische Sicht von der Würde des Menschen. Und alles Verachtenswerte und Schändliche ist natürlich Sünde, was denn sonst.

In den oben zitierten Aufzählungen von besonderen Sündern stehen unter den anderen allerdings auch die „Unzüchtigen“. Das sind Heterosexuelle, die Unzucht treiben. Sie sind offensichtlich keinen Deut besser als unzüchtige Homosexuelle. Und so steht ein homoerotisch empfindender Christ mit einem heteroerotisch empfindenden Christen unter dem gleichen Gebot, das die Sünde der Unzucht verbietet. Nur, dass er nicht die Möglichkeit der Ehe hat, die von Gott her als Ort der sexuellen Gemeinschaft vorgesehen ist. Denn die Ehe ist in der Bibel immer die Ehe zwischen Mann und Frau.

Wenn man nun die generelle Empfehlung zur Ehelosigkeit im Neuen Testament ernst nimmt, dann hat ein homoerotisch empfindender Nachfolger von Jesus keine andere Stellung als ein Eheloser, der heteroerotisch empfindet. Jesus ist so sehr das Ein und Alles, dass man auf sexuelle Beziehungen verzichten kann. Verzicht ist auch eine der Ausformungen der Frucht des Geistes (Gal 5,22). Und dann ist ja bei Gott sowieso alles möglich: Kraft zum Verzicht, Befreiung von Bindungen, Heilung von Körper und Seele. Es gibt auch christliche Gruppen, die von der Möglichkeit zur Veränderung des sexuellen Empfindens Zeugnis ablegen.

Immerhin steht unter der oben genannten Aufzählung 1 Kor 6,9b-10 in Vers 11 der bedeutsame Satz: „Und einige von euch waren solche. Aber ihr wurdet abgewaschen, ihr wurdet heilig gemacht, ihr wurdet gerecht gemacht, durch den Namen des Herrn, Jesus des Messias, und durch den Geist unseres Gottes.“

Grabmäler für Propheten

(Grabmäler für Propheten – ein Auszug aus einem Artikel von Sören Kierkegaard. Der Artikel trägt den Titel: „Die Gleichzeitigkeit; was du dem Zeitgenossen tust, das allein ist das Entscheidende“. Veröffentlicht in „Der Augenblick“ am 11. September 1855.)

(Dieser Abschnitt „Grabmäler für Propheten“ bezieht sich auf die Aussage von Jesus in Mt 23,29-31: „Wehe euch, Theologen und Pharisäer, ihr Heuchler: Ihr baut den Propheten Grabstätten und verziert die Grabkammern der Gerechten und sagt: ‚Wenn wir zur Zeit unserer Vorfahren gelebt hätten, hätten wir nicht teilgenommen, als sie das Blut der Propheten vergossen.’ Damit seid ihr Zeugen über euch selbst, dass ihr die Nachkommen derer seid, die die Propheten ermordet haben.“)

Wer einem Jünger nur einen Becher kalten Wassers reicht, weil er ein Jünger ist, soll nicht um seinen Lohn kommen. Er soll eines Propheten Lohn haben. Wer hingegen dem Propheten, dem Jünger, wenn er tot ist, sein Grabmal errichtet und sagt: „Wenn …“ – er ist nach Jesu Christi Urteil ein Heuchler. Seine Schuld ist Blutschuld.

Er ist ein Heuchler. Ja, denn entweder hat er, der Grabmäler für Propheten baut, vielleicht wieder einen Propheten zum Zeitgenossen – den er im Bunde mit den anderen verfolgt. Und wenn es kein Prophet ist, so ist es vielleicht doch ein Gerechter, der für die Wahrheit leidet. Und wie von den anderen, so wird er auch von ihm verfolgt, von ihm, der Grabmäler für Propheten baut. Oder hast du einen solchen Zeitgenossen nicht, dann sollst du aber, um kein Heuchler zu werden, das Leben der verstorbenen Herrlichen dir so lebhaft vergegenwärtigen, dass du dadurch ebensoviel zu leiden bekommst, als dir beschieden gewesen wäre, wenn du einen zugleich mit dir lebenden Propheten als Propheten anerkannt hättest.

O, wenn du irgendwie um deine Seele ewig bekümmert bist, mit Furcht und Zittern an Gericht und Ewigkeit denkst; oder wenn du andererseits dich gehoben fühlst und noch mehr gehoben fühlen möchtest bei dem Gedanken, was der Mensch ist und dass auch du Mensch bist und dass du verwandt bist mit all den Herrlichen, den Echten (deren Würde daher auch nicht im Unechten, im Profit, in Sternen und Titeln, sondern im Echten, in Armut, Niedrigkeit, Misshandlung, Verfolgung, Leiden besteht): so achte wohl auf diesen Satz von der Gleichzeitigkeit! Entweder sollst du als Zeitgenosse eines leidenden Wahrheitszeugen das Leiden auf dich nehmen, das aus seiner Anerkennung folgt. Oder, wenn du einen solchen Zeitgenossen nicht hast, sollst du dir das Leben des verstorbenen Herrlichen lebendig vor Augen stellen und dadurch zu demselben Leiden kommen, wie wenn du ihn als Zeitgenossen anerkannt hättest. Achte wohl auf diesen Satz von der Gleichzeitigkeit! …

Dieser Gedanke der Gleichzeitigkeit ist mir der Gedanke meines Lebens. Auch darf ich in Wahrheit sagen, ich habe die Ehre, für die Verkündigung dieses Gedankens zu leiden. Darum sterbe ich fröhlich, mit unendlichem Dank gegen die Vorsehung. Sie hat es mir vergönnt, auf diesen Gedanken so aufmerksam zu werden und auch andere aufmerksam zu machen. Nicht als hätte ich ihn erfunden. Gott behüte mich vor solcher Vermessenheit. Nein, der Gedanke ist längst erfunden, er gehört dem Neuen Testament an.

Aber es war mir doch vergönnt, leidend diesen Gedanken wieder in Erinnerung zu bringen. Diesen Gedanken, der wie das Rattengift für die Ratten, Gift ist für die Dozenten, für dieses Geschmeiß, das recht eigentlich das Christentum ruiniert hat. Für die Dozenten, diese edlen Männer, die Grabmäler für Propheten bauen, die objektiv deren Lehre vortragen, die … das Leiden und Sterben der Herrlichen sich zunutze machen, selbst aber … sich draußen halten. In gemessener Entfernung bleiben sie von allem, was entfernt einer Leidensgemeinschaft mit den Herrlichen gleichsehen könnte oder einem die Leiden bringen könnte, die man sich durch Anerkennung der lebenden Herrlichen zugezogen hätte.

Die Gleichzeitigkeit ist das Entscheidende. Denke dir einen Wahrheitszeugen, also eines der abgeleiteten Vorbilder. Er hat allerlei Misshandlung und Verfolgung zu erleiden und hält lange stand. Zuletzt beraubt man ihn seines Lebens. Die Todesstrafe, zu der man ihn verdammt, ist grausam: Er soll lebendig verbrannt werden. Mit ausgesuchter Grausamkeit bestimmt man näher: Er soll langsam auf einem Rost gebraten werden.

Denke dir das! Ernst und Christentum verlangen von dir eine so genaue Vergegenwärtigung dieses Vorgangs, dass du gerade so zu leiden bekommst, als wenn du mit dem Menschen gelebt und ihn als das anerkannt hättest, was er ist. Das ist Ernst und Christentum.

Etwas anderes ist natürlich das Bestialische, das den Predigern kein Gräuel ist. Da gibt man dem Wahrheitszeugen mitsamt seinem Leiden einen guten Tag. Und doch, nein, das Bestialische ist das noch nicht. Nein, man sagt: „Dieses Herrlichen wollen wir nie vergessen. Sieh, darum wollen wir den 17. Dezember, seinen Todestag, als seinen Gedächtnistag feiern. Wir wollen uns einen rechten Eindruck von seinem Leben bewahren. Und zugleich wollen wir unserem Leben doch ‚einige Ähnlichkeit‘ mit dem seinen, dem wir ’nachstreben‘, verleihen. Und deshalb haben wir den heiligen Brauch, dass an diesem Tag jedes Haus einen gebratenen Fisch verspeist. Wohlgemerkt (das ist die Pointe!): einen auf dem Rost gebratenen Fisch verspeist. Und den delikatesten muss der Pfarrer haben.“

Das heißt: Den Gottesdienst, der im Leiden, ja im Sterben für die Wahrheit bestand, verwandelt man in den Gottesdienst, zu essen und zu trinken. In den Gottesdienst, dass der Pfarrer das beste Stück bekommt. Und so bekommt man das wahre (offizielle) Christentum. In diesem trägt der Prediger, wie in seiner Weise der gebratene Fisch, so auch auf seine besondere Weise (z. B. durch eine reizende Rede) zur festlichen Erhöhung des Tages bei. Und er sichert sich dadurch ein mit den Jahren wachsendes Einkommen, macht vielleicht Karriere usw. …

Das ist nur ein Beispiel. Aber ich räume ein, dass keines der abgeleiteten Vorbilder jeden unbedingt verpflichtet. Und es verpflichtet dann freilich auch nicht zu dem Bestialischen. Aber wenn die abgeleiteten Vorbilder nicht unbedingt verpflichten und auch nicht unbedingt jeden verpflichten, so verpflichtet dagegen „das Vorbild“, Jesus Christus. Er verpflichtet unbedingt und unbedingt jeden. Lebt also mit dir in deiner Zeit keiner, der für die Wahrheit zu leiden hat; fällt also diese Christenpflicht für dich weg, dich durch seine Anerkennung dem Leiden auszusetzen: so musst du dir doch „das Vorbild“ so vergegenwärtigen, dass du in ähnlicher Weise zu leiden bekommst wie einst durch die Anerkennung des lebendig Gegenwärtigen. Alles nachträgliche Staatmachen mit ihm, alles Prunken mit Denkmalen auf seinem Grab usw. usw. usw. ist nach Christi Urteil Heuchelei und dieselbe Blutschuld wie die seiner Mörder.

Das ist die christliche Forderung. Die mildeste, mildeste Form derselben ist doch wohl … die einfache Anerkennung, dass dies die Forderung ist. Und dass du dann hinfliehst zur Gnade. Dass aber einer die Forderung nicht nur nicht einlösen, sondern sogar verschwiegen haben will – und dafür zum Grabdenkmal spendieren will, wofür ihn der Pfarrer dann aus gutem Grund einen ernsten Christen nennt: dem wollte unser Herr Jesus Christus gewiss am allermeisten vorbeugen.

Kaltes Wasser für Propheten

(Kaltes Wasser für Propheten – ein Auszug aus einem Artikel von Sören Kierkegaard. Er hat die Überschrift „Die Gleichzeitigkeit; was du dem Zeitgenossen tust, das allein ist das Entscheidende“. Veröffentlicht in „Der Augenblick“ am 11. September 1855.)

„Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird eines Propheten Lohn empfangen. Und wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird eines Gerechten Lohn empfangen. Und wer einem von diesen Geringen nur einen Becher kalten Wassers reicht, weil er ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, er soll nicht um seinen Lohn kommen.“ So sagt unser Herr Jesus Christus, Mt 10,41-42.

Wahrlich, eine mehr als königliche und kaiserliche Freigebigkeit; so freigebig ist nur die Gottheit!

Und doch, sieh etwas näher zu. Es handelt sich hier darum, was man einem Zeitgenossen, was man als Zeitgenosse dem Propheten, dem Jünger tut. „Wer einem von diesen Geringen einen Becher kalten Wassers reicht“ – ja, hierauf kann doch der Nachdruck nicht liegen. Nein, der Nachdruck liegt auf dem: „weil er ein Jünger, ein Prophet ist“.

Wenn also ein Zeitgenosse sagen würde: „Ich halte den Menschen gewiss nicht für einen Propheten, für einen Jünger. Dagegen bin ich bereit, ihm einen Becher Wein zu reichen“. Oder wenn einer vielleicht bei sich im Stillen diesen Menschen für einen Jünger, einen Propheten ansähe, hätte aber, feige, nicht den Mut, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen. Oder wenn einer dem Propheten, dem Jünger, den ja als solchen die Zeitgenossen nicht anerkennen, im Gegensatz zu den andern Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, aber um billigeren Preis. Wenn ein solcher dann etwa sagen würde: „Ich halte ihn wohl für keinen Propheten. Aber er ist doch ein merkwürdiger Mensch, und ich mache mir ein Vergnügen daraus, ihm einen Becher Wein zu reichen.“ So müsste das eine- wie das anderemal die Antwort lauten: „Nein, mein Lieber, behalte er nur seinen Becher Wein! Davon redet die Schrift nicht.“

Sie redet nur von einem Becher kalten Wassers, den man ihm reicht. Aber man reicht ihn, weil er ein Jünger, ein Prophet ist. Und damit erkennt man ihn also voll und ganz als das an, was er in Wahrheit ist. Worauf Christus zielt, das ist die Anerkennung als als Jünger, als Prophet, und zwar von den Mitlebenden. Ob man die Anerkennung dadurch ausdrückt, dass man ein Glas kaltes Wasser reicht, oder dadurch, dass man ein Königreich schenkt, ist durchaus gleichgültig. Worauf es ankommt ist nur dies, warum man den Zeitgenossen anerkennt.

Somit ist nicht richtig, was die Besoldungspfarrer für die Pfarrbesoldung den Menschen einbilden. Da 10 Taler mehr sei als ein Glas kaltes Wasser, sagen sie, so sei es auch etwas weit Höheres, dem Propheten, dem Jünger 10 Taler zu geben, aber nicht, weil er der Prophet, der Jünger ist. Das sei mehr, als ihm ein Glas kaltes Wassers zu geben, weil er ein Prophet, ein Jünger ist. Nein, es geht vielmehr darum, dass man es darum gibt. Dass man also ausdrücken will, dass man den Menschen anerkennt für das, was er in Wahrheit ist, darauf kommt es an.

Aber es ist nicht leicht, das einem Mitlebenden zu tun. Hierzu braucht einer zwar nicht selbst ein Prophet, ein Jünger zu sein. Aber was er haben muss (und wohlgemerkt, bei redlichem Willen unbedingt auch haben kann), das ist zwei Drittel von eines Jüngers, eines Propheten Charakter. Denn einem Zeitgenossen gereicht, kann dieser Becher Wasser, oder richtiger dieses Weil, teuer zu stehen kommen. Von der Gegenwart, bei Leibesleben, wird nämlich der Prophet, der Jünger verhöhnt, gehasst, verwünscht, verabscheut, auf alle Weise verfolgt. Und verlass dich drauf: einem Jünger „als Jünger“ einen Becher Wasser zu reichen, zieht nach dem Neuen Testament mindestens Ausschluss aus der Synagoge nach sich. Damit bestrafte man ja jeden, der sich mit seinem Zeitgenossen Christus einließ.

Das wird natürlich von den Lügenpfaffen „vertuscht, verschleiert, verschwiegen, ausgelassen“. Sie schmachten ja vielmehr unter Schluchzen, Herzstößen, unterdrücktem Seufzen mit unsäglichem Verlangen danach, als Zeitgenossen Christi gelebt zu haben – um aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden, was ja natürlich der Pfründen- und Ämterjäger herzlichstes und tiefstes Verlangen ist.

Die Meineidigen

(Die Meineidigen – Auszüge aus dem Artikel „Was der ‚Pfarrer‘ für die Gesellschaft in Wahrheit zu bedeuten hat“. Von Sören Kierkegaard. Erschienen in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ am 30. August 1855.)

Ein Statistiker, der sich in die Sache eingearbeitet hat, müsste aus der Bevölkerungszahl einer großen Stadt die entsprechende Zahl der öffentlichen Dirnen, die sie verbraucht, erschließen können. Ein Statistiker, der sich in die Sache eingearbeitet hat, müsste aus der Größe einer Armee die zu guter Verpflegung nötige Anzahl von Ärzten angeben können. Und so müsste ein Statistiker, der sich damit befasste, aus der Bevölkerungsziffer eines Landes auch berechnen können, wie viele von Meineidigen (Geistlichen) erforderlich sind, damit dieses Land unter dem Schein des Christentums gegen das Christentum vollkommen sichergestellt wäre oder unter dem Schein des Christentums gänzlich ungestört heidnisch leben könnte, ganz ruhig und raffiniert, da dies eben Christentum sei. …

Und nun beginnt die Komödie. Für soundso viele Einwohner bedarf es, sagt der Statistiker, soundso viele Meineidige. Diese werden engagiert. Dass ihre Lehre und ihr Wandel kein neutestamentliches Christentum sind, sehen sie wohl selbst. „Aber“, sagen sie, „es ist unser Lebensunterhalt. Darum gilt es, die Ohren steif zu halten und uns nicht beikommen zu lassen.“

Das wären die Meineidigen. Die Gesellschaft hat vielleicht eine Ahnung davon, dass es mit den Eid auf das Neue Testament nicht richtig bestellt ist. „Doch für uns“, denkt die Gesellschaft, „gilt es natürlich, die Ohren steif zu halten und zu tun, als wäre alles in seiner Ordnung. Wir sind nur Laien, wir können uns mit der Religion nicht so befassen. Wir sind aber ganz ruhig im Vertrauen auf den Pfarrer, der ja eidlich auf das Neue Testament verpflichtet ist.“

Nun ist die Komödie fertig. Alles lauter Christen und alles christlich, auch die Geistlichen – und alles das gerade Gegenteil des neutestamentlichen Christentums. Es ist nur so gut wie unmöglich, den schlau verschlungenen Knoten anzufassen und hinter dieses Blendwerk zu kommen. Wie sollte einem ein Zweifel daran kommen, ob das Christentum überhaupt da sei? Dieser Gedanke ist ja ebenso unmöglich wie der Einfall, der Pfarrer sei ein Geschäftsmann. Er ist ja doch eidlich gebunden, dieser Welt zu entsagen. Also läuft das Gewerbe, das Geschäft unter der Firma „Weltentsagung“. … Wie sollte da einem einfallen – was wohl auch niemandem eingefallen ist, was auch niemand, hätte ich es nicht gesagt, gewusst hätte, dass ich unter dem „Meineidigen“ den „Pfarrer“ meine, den „Pfarrer“, der ja just Wahrheitszeuge ist.

Das bedeutet der „Pfarrer“ für die Gesellschaft. Von Generation zu Generation verbraucht sie die „notwendige“ Anzahl Meineidiger, damit sie unter dem Namen des Christentums gegen das Christentum vollkommen gesichert ist und ganz ungestört heidnisch leben kann. Und das ganz ruhig und raffiniert, da dies ja eben Christentum ist. …

Von Morgen bis Abend stellen diese Tausende oder Millionen der Gesellschaft die Lebensanschauung dar, die dem Christentum so direkt entgegengesetzt ist wie der Tod dem Leben. Das kann man noch nicht niederträchtig nennen, es ist einfach menschlich. Nun aber kommt das Niederträchtige. Tausend auf das Neue Testament vereidigte Männer sind nämlich darunter, die selber gleich der ganzen übrigen Gesellschaft die Lebensanschauung vertreten, die dem Christentum direkt entgegengesetzt ist. Zugleich garantieren sie aber der Gesellschaft, das sei Christentum. Nunmehr ist die Gesellschaft eine Niederträchtigkeit. …

Ich hatte einmal mit den verstorbenen Bischof Mynster folgendes Gespräch. Ich sagte zu ihm: „Die Geistlichen könnten ihr Predigen fast ebensogut bleiben lassen. All ihr Predigen habe gar keine Wirkung. Die Gemeinde denke ja in aller Stille bei sich: Ja, dafür sind sie bezahlt.“ Die ziemlich verwunderliche Antwort des Bischofs Mynster lautete: „Es ist etwas dran.“ Diese Antwort hatte ich eigentlich nicht erwartet. Denn wir waren zwar unter uns, allein in dieser Sache pflegte Bischof Mynster sonst die Vorsicht selbst zu sein. Ich für meine Person habe mich in diesen Dingen seither nur insoweit verändert, als es mir sehr deutlich geworden ist, dass der Geistliche doch in einem Sinne eine ungeheure Wirkung hat. Dass nämlich durch sein Dasein die ganze Gesellschaft, christlich verstanden, zu einer Gemeinheit wird.

Grüßen

(Grüßen – ein Abschnitt aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Er beschreibt sein Erleben im damaligen Palästina in den Jahren 1884 bis 89.)

Die Grüße der Araber erinnern uns auf Schritt und Tritt an das biblische Altertum. Man wird kaum eine andere Nation auf Erden finden, welche einen so großen Reichtum von feinen zierlichen, höflichen Redensarten hätte, welche von Hohen und Niedrigen, von Gelehrten und Ungelehrten mit gleicher Freigebigkeit gespendet werden. Das sind die Trümmer einer Periode, in welcher diese schönen Worte Äußerungen der inneren Freiheit und eines Adels der Gesinnung beim arabischen Volk waren. Heute ist aber gerade von diesem Wesen der Sache wenig mehr vorhanden. Fast nur die Worte und der Schein sind geblieben. Der schönen und sinnigen Grüße sind viele. Darum begnügt man sich häufig nicht mit einem einzigen Gruß. Die Begrüßung gestaltet sich vielmehr zu einem förmlichen Zwiegespäch, in welchem ein Glückwunsch den anderen erwidert und überbietet, z. B.:

A. Gott gebe dir einen guten Morgen!

B. Dir hundert gute Morgen!

A. Dein Morgen sei heilvoll!

B. Ja, Gott beschere dir einen heilvollen Morgen!

A. Dein Tag sei glückselig!

B. Glückselig und gesegnet sei dein Tag!

A.Friede sei mit dir!

B. Über dir sei Friede!

A. Gott baue dein Haus!

B. Er beschere dir langes Leben und erhalte dir deine Kinder!

A. Gott mit dir! Bleib uns freundlich gesinnt!

B. Gehe hin mit Frieden!

Wir haben oft gelesen, dass die Begrüßungen der Orientalen so überaus umständlich sind, ihr Küssen, Friede- und Segenswünschen so lange Zeit in Anspruch nehme. Deshalb soll sich Jesus auch genötigt gesehen habe, seinen Jüngern bei ihrer Aussendung die Reiseregel mit auf den Weg zu geben: „Grüßt niemand auf der Straße!“ (Lk 10,4). Dies ist gewiss unrichtig. Denn die einfache Begrüßung unterwegs ist, selbst wenn dieselbe mit Gruß und Umarmung verbunden ist, denn doch so sehr zeitraubend nicht, dass sie eine solche Vorschrift nötig oder erklärlich machen könnte.

Der freundliche Leser würde, wenn es sich nicht gerade um einen Befehl des Herrn selbst handelte, wahrscheinlich dabei das Gefühl haben, das dies doch den Eifer etwas zu weit getrieben heiße, dass die Jünger nicht einmal mehr jemandem auf der Straße guten Tag wünschen sollten, zumal wenn es ein lieber alter Freund gewesen wäre, der ihnen begegnete. Das Unterlassen eines solches einfachen Grußes hätte auch in der Tat jedermann als eine Grobheit empfunden. Und dies hätte ihrem evangelischen Amt sicher keinen Vorschub geleistet.

Die Sache wird aber ganz klar, sobald wir bedenken, dass das Wort „grüßen“ (sällem) bei den Orientalen noch eine andere Bedeutung hat. Und diese ist auch in jener Rede des Herrn gemeint. „Jemanden Grüßen“ heißt nämlich bei solchen, welche auf der Reise sind – und um solche handelt es sich hier -, so viel wie einen Besuch bei ihm machen. Gehe ich in die Wüste, um etwa eine Häuptling zu besuchen, und es stellt mich auf den Bergen ein Beduine zur Rede, was ich hier wolle, so werde ich ihm auf Arabisch sicher antworten: „Ich will deinen Schech (Häuptling) grüßen“. Will jemand von unseren Gemeindegliedern in Hebron nach Jerusalem reisen, und sagt zu Hause vor dem Weggehen, dass er unterwegs mir einen Besuch machen will, so wird er dies nie anders ausdrücken, als: „Ich will den Pastor auf der Straße grüßen.“

Diese Art von Grüßen meint der Herr. Er will sagen: „Lasst euch auf eurer Straße nicht durch gute Bekannte einladen, sie ‚zu grüßen‘, d. h. mit ihnen in ihr Haus zu gehen, wo sie nach Landessitte wahrscheinlich sofort schlachten und ein Mahl bereiten würden, um das Wiedersehen zu feiern, und wo ihr jedesmal einen oder mehrere Tage verlieren würdet. Dafür ist euer Beruf zu wichtig und zu eilig.“ Im Vorübergehen freundlich zu grüßen, ist aber etwas, was die Jünger Jesu gewiss stets ebenso getan haben, wie er selbst.

Das Wort, welches in den orientalischen Grüßen die größte Rolle spielt, ist Friede. Wie ein Klang aus einer versöhnten Welt, wie eine Erinnerung an ein ehemaliges goldenes Zeitalter und wie eine Sehnsucht und Ahnung kommender Versöhnung klingt’s durch alle Grüße Israels bis zu denen der heutigen Bewohner Palästinas, das süße Wort Friede. Wie köstlich lautet jener Gruß, mit welchem Amasai, der Hauptmann unter dreißig, den König David begrüßte? „Dein sind wir, David, und mit dir halten wir es, du Sohn Isais! Friede, Friede sei mit dir! Friede sei mit deinen Helfern! Denn dein Gott hilft dir!“ (1 Chr 13,18).

„Friede sei mit dir!“ Das ist auch heute noch der häufigste Grüß, den sich die Leute hierzulande bieten. Ein Muhammedaner zwar wird einem Christen diesen Gruß niemals gönnen. Wenn ein Christ ihn einem Muhammedaner gegenüber gebraucht, so wird er fast immer die Antwort bekommen: „Bekehre dich zum Propheten!“. Aber so sehr ist Friedewünschen und Grüßen für die Bewohner des alten Bibellandes gleichbedeutend, dass man heute wie damals ein und dasselbe Wort für beides hat. Und oft kann man kaum unterscheiden, welche von beiden Bedeutungen in erster Linie gemeint ist.

So kommt es, dass das Wort Salám (hebr. Schalom) vielfach eine sinnige Zweideutigkeit hat, welche auf mehrere Stellen des Neuen Testaments ein interessantes Licht wirft. So sagt der Herr (Mt 10,12f) zu seinen Jüngern: “ Wo ihr in ein Haus geht, so grüßt dasselbe! (D. h. in die Landessprache übersetzt: Sprecht zu demselben ‚Friede sei mit euch!‘.) Und so es dasselbe Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen.“ Dieser Gruß soll also bei den Jüngern des Herrn nicht ein bloßer Wunsch sein, sondern wirklichen Frieden ins Haus bringen.

Ein Vorfall in Hebron erinnerte mich vor kurzem an dies Wort. Ein Muhammedaner war dort an einem am Markt sitzenden Christen mit dem üblichen „Friede sei mit dir!“ vorübergegangen. Der antwortete wie gewöhnlich. „Über dir sei der Friede!“ Nachher erfuhr der erstere, dass der von ihm Begrüßte ein Christ sei. Da kam er zurück, fuhr mit größter Heftigleit auf ihn los, fing an, denselben mit Hilfe anderer Muhammedaner zu schlagen und zu misshandeln, indem er einmal übers andere rief: „Gib mir meinen Frieden zurück! Gib mir meinen Frieden zurück! Denn du bist ein Christ!“ Nur mit Mühe konnte der Christ von herbeieilenden Bekannten vor weiterer Misshandlung geschützt werden.

Es scheint also auch der heutigen Bevölkerung noch eine Erinnerung davon geblieben zu sein, dass der Gruß des Friedens eigentlich eine tatsächliche Wirkung haben soll, eine geistliche Bedeutung und Macht, mit welcher man nicht verschwenderisch umgehen soll, dass er eine „Perle“ ist, die man nicht „vor die Säue“ werfen darf. Darum das Geizen der Muhammedaner mit diesem Gruß, den jener Hebroner sogar wieder zurückhaben wollte. So sagt auch der Herr zu seinen Jüngern (Mt 10,13): „Ist es aber dasselbe Haus nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden!“

Auch beim Abschiednehmen ist der allgemeinste Gruß „ma‘ ssaláme!“ „Ziehe hin in Frieden!“. Wem fielen dabei nicht allerlei Stellen aus der Schrift ein, welche uns zeigen, wie uralt dieser Abschiedgruß ist (2 Mo 4,18; Ri 18,6; 1 Sam 1,17 usw.)! Auch der Herr, wenn er z. B. einen Kranken geheilt hatte, verabschiedete sich in landesüblicher Weise von ihm: „Gehe hin in Frieden!“ (Lk 7,50; Mk 5,34; Lk 8,48). So hatte dieser Gruß für diejenigen, welche ihn vom Herrn hörten, durchaus nichts Auffallendes. Und doch mögen sie jedesmal gefühlt haben, dass hier eine wirkliche Macht und Kraft des Friedens war, welche sie anderwärts nicht spürten. Denn im Mund des Herrn war dieser schöne Gruß der köstlichsten Vertiefung fähig.

Jesus selbst sagt seinen Jüngern einmal, dass dieser Abschiedgruß bei ihm etwas ganz anderes bedeute, als sonst bei der Welt. In seinen Abschiedsreden (Joh 14,27) sagt er: „Meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“. D. h., „als ein Abschiednehmender muss ich euch jetzt Lebewohl sagen oder in orientalischen Worten ‚Geht hin mit Frieden!‘. Aber diese Abschiedsformel wird von Menschen gedankenlos ausgesprochen, oder sie bleibt doch im besten Fall nur ein leerer Wunsch, den zu erfüllen man nicht die Macht hat. Ich aber hinterlasse euch damit wirklichen Frieden, jene innere Ruhe und Heiterkeit eines mit Gott versöhnten Herzens, die durch äußere Stürme nicht zerstört werden kann. Darum erschrecke euer Herz nicht und fürchte sich nicht, zumal ich euch gesagt habe: ‚Ich komme wieder zu euch!'“. Die ganze Abschiedsstimmung jener letzten Stunden weht durch diese bewegten Worte des Herrn, die er im Kreis der erschrocken lauschenden Jünger sprach.

Mit dem landesüblichen Gruß begrüßte Jesus seine Jünger auch, als er nach seiner Auferstehung plötzlich in den Kreis der bekümmerten Jünger trat, welche jenen Frieden noch nicht hatten finden können. Wenn einer, den wir selbst mit zu Grabe geleitet haben, plötzlich zu uns ins Zimmer träte und ruhig wie sonst immer „Guten Tag!“ sagen würde, als ob noch alles beim Alten wäre, so würde dies auf uns etwa denselben Eindruck machen, wie jenes Eintreten Jesu mit dem gewöhnlichen „Friede sei mit euch!“ auf die Jünger. Aber wenn jemals dieser Gruß mitteilte, was er sagte, so war es in jener Stunde. Großer, glücklicher Friede erfüllte die Herzen der Jünger und verließ sie nicht wieder. Da merkten sie, warum der Herr gesagt hatte: „Nicht gebe ich euch wie die Welt gibt!“ (Joh 20,21). …

Papst

„Papst“ als Bezeichnung kommt vom lateinisch/italienischen „Papa“, was bekanntermaßen „Vater“ heißt. Und so wird der (jeweilige) Papst auch als „Heiliger Vater“ bezeichnet und angeredet. Eigenartig ist, dass diese Anrede auch von Protestanten und anderen Andersgläubigen praktiziert wird, die der päpstlichen „Vaterschaft“ gar nicht unterstehen.

Jedenfalls hat schon Jesus das Führen genau dieses Titels grundsätzlich verboten. „Und ‚Vater‘ soll niemand von euch sich nennen lassen auf der Erde! Einer ist nämlich euer Vater, der himmlische.“ (Mt 23,9). Selbstverständlich hat Jesus hier nicht von den natürlichen Kindesvätern gesprochen, sondern von dem davon abgeleiteten religiösen Titel, der schon damals den theologischen Autoritäten beigemessen wurde. Unter seinen Jüngern darf es keinerlei Vater-Kind-Verhältnis geben! Selbstverständlich gilt dieses Verbot nicht allein für den Papst/Papa-Titel, sondern für alle, die sich als „Pater“ bzw. „Vater“ bezeichnen und anreden lassen.

Wenn für die Jünger von Jesus also ausschließlich Gott selbst der Vater ist, dann setzt man einen Menschen, wenn man ihm diesen Titel zuerkennt, an eine Stelle, die allein Gott zusteht. Insofern ist etwas dran, wenn man den Papst landläufig als den „Stellvertreter Gottes“ bezeichnet, auch wenn das kein offizieller Titel von ihm ist. Jedenfalls ist es, wenn man das tut, im harmlosen Fall korrigierbare Unkenntnis, im schwerwiegenden Fall aber Blasphemie, d. h. Gotteslästerung.

Der offizielle Titel des Papstes ist aber „vicarius christi“, das heißt „Stellvertreter des Christus“ bzw. des Messias. Diese Bezeichung kommt aus der Kirchentradition, die besagt, Jesus habe Petrus zu seinem Nachfolger als Leiter der Jüngergemeinde gemacht. Petrus sei dann der erste Bischof von Rom geworden, und so seien auch seine Nachfolger auf dem Stuhl des Bischofs von Rom weiterhin jeweils die Stellvertreter des Christus und Leiter der Kirche auf Erden.

(Der andere Papsttitel „pontifex maximus“ – „wichtigster Brückenbauer“ zwischen Mensch und Gott – war übigens ursprünglich der Titel des obersten Jupiter-Priesters in Rom. Der Titel ist dann vom heidnischen Priester auf die „göttlichen“ Kaiser übergegangen. Und nach dem Ende des weströmischen Kaisertums hat ihn gerne der römische Papst übernommen. Auch dieser Titel ist eine Lästerung gegenüber dem einzig wahren Brückenbauer zwischen Gott und Mensch, Jesus, den Gott selbst dazu bestimmt hat.)

Gegenüber menschlichen Leitungsansprüchen ist zu sagen, dass Jesus solche innerhalb seiner Jüngergemeinde prinzipiell abgelehnt hat. „Ihr sollt euch auch nicht ‚Leiter‘ nennen lassen! Denn euer Leiter ist einer, der Messias.“ (Mt 23,10). Und tatsächlich leitet Jesus nach dem Zeugnis des Neuen Testaments auch nach seiner Auferstehung selbst seine Gemeinde. Er ist ihr Haupt. „Und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, er ist Anfang, Erstgeborener aus den Toten, damit er in allem der Erste sei.“ (Kol 1,18). Dass neben diesem Haupt noch andere „Häupter“ oder gar „Oberhäupter“ Platz hätten, ist nicht vorstellbar.

Die Art und Weise, in der Jesus seine Gemeinde leitet, ist der Heilige Geist, den er seiner Gemeinde gegeben hat. Sein Reden und Wirken durch die Gaben des Geistes ist die bestimmende Größe in der Gemeinde. Das „Hüten“ bzw. „Weiden“, mit dem er Petrus tatsächlich beauftragt hat, ist demnach keine Leitungs- sondern eine Fürsorgefunktion. Diese Fürsorgepflicht ist in der Gemeinde dann an die Älteren bzw. Verantwortlichen übergegangen (z. B. 1 Petr 5,2).

Wenn ein Mensch also die Gemeinde Gottes „leiten“ will, dann muss er sich notwendigerweise an die Stelle des Heiligen Geistes bzw. des Messias setzen. Für Menschen, die sich an die Stelle des Messias bzw. des Christus setzen, hat das Neue Testament aber eine klare Bezeichnung: Antichrist. Das gilt nicht nur für den Papst, sondern für jede Art Päpstlichkeit, mit der Menschen sich anmaßen, Söhne und Töchter Gottes „leiten“ zu wollen …

Schwören

(Schwören – ein Abschnitt des Kapitels „Volksmund“ in Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Schneller hat seine Beobachtungen im damaligen Palästina in den Jahren 1884 bis 89 gemacht.)

Schwören und Fluchen hört man leider an allen Orten, auf Straßen und Märkten, in Werkstätten und Häusern. Es ist überall, wo man Menschen trifft. Fast jede Behauptung beginnt mit den Worten: So wahr Gott lebt, so wahr du lebst, bei meinem Haupt, bei meinem Leben usw.. Ähnliche Redensarten hören wir ja oft genug bei den Propheten. So begann z. B. Elija seine Reden stets mit den Worten: „So wahr der Herr, der Gott Israels lebt, vor dem ich stehe“. Hier haben die Worte eine ehrfurchtgebietende Majestät. Das Volk aber missbrauchte diese Schwüre damals, wie heute, in der gedankenlosesten, der sündlichsten Weise.

Man kann heute auf dem Markt an keinem Laden vorbeigehen, ohne fortwährend Schwüre zu hören. Denn man gibt kaum ein Zehnpfennigstück aus, ohne dass der Verkäufer schwört, er könne die Ware nicht billiger geben. Der Käufer schwört dagegen, er könne nicht so viel bezahlen. Und so kann man es verstehen, wie nötig und wichtig jene Regel der Bergpredigt ist: „Ihr sollt allerdings nicht schwören! Eure Rede sei ja-ja, nein-nein, was darüber ist, das ist vom Übel“ (Mt 5,37). …

Die Juden zur Zeit Jesu hatten zu viel Respekt vor dem Namen Gottes, als dass sie denselben im täglichen Leben zu Schwüren missbraucht hätten. Allerdings konnten sie von der orientalischen Unart doch nicht lassen. Und so pflegten sie beim Himmel, bei der Erde, bei Jerusalem, bei ihrem Haupt usw. zu schwören. Hierauf beziehen sich die Worte des Herrn.

Er weist nach, dass es leere Sophistik ist, wenn man meint, diese Schwüre enthielten keinen Missbrauch des Namens Gottes. Und er zeigt von jedem einzelnen Schwur, dass er im Grunde doch bei Gott, bei seinem Stuhl, seiner Füße Schemel, seiner Königsstadt usw. geschworen ist. Dieses gedankenlose und meist verlogene Schwören verbietet der Herr (s. auch die Parallelstelle Ja 5,12).

Hier mag auch erwähnt werden, dass die Araber bis zum heutigen Tage bei den geringfügigsten Anlässen den Namen Gottes in törichtem Aberglauben aus Furcht vor Gespenstern und bösen Geistern unzählige Male missbrauchen. Fast bei jeder Berührung eines kleinen Kindes, über jedem neuen Topf, über den albernsten Kleinigkeiten, wird der Name Gottes wie ein mächtiger Zauberspruch und geheimer Talisman ausgesprochen, um sich und sein Haus gegen unheimliche Mächte zu feien. Gegen einen ähnlichen Missbrauch wendet sich Gottes Gebot. „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht vergeblich führen!“ (2 Mo 20,7). Dagegen befiehlt der Herr aus Anlass des Segens Aarons: „Ihr sollt meinen Namen auf die Kinder Israels legen, dass ich sie segne!“ (4 Mo 6,27).

Sünde, die nicht vergeben wird

Sünde, die nicht vergeben wird, ist eine Realität in der Botschaft des Neuen Testaments. Doch stellt sich die Frage, wie oder womit jemand so sündigt, dass ihm nicht mehr vergeben werden kann. Diese Frage hat zu allen Zeiten Rätsel aufgegeben. Und manche eigenartigen Auslegungen haben christliche Glaubensgeschwister schwer belastet. Auf die Spur einer Antwort kommen wir, wenn wir den Zusammenhang beachten. Betrachten wir die Stellen, die davon sprechen:

Die Sünde gegen den heiligen Geist

„Amen, deswegen sage ich euch: Alle Versündigungen und Lästerungen können den Menschen vergeben werden, wie viel sie auch gelästert haben; die Lästerung des Geistes kann aber nicht vergeben werden. Jeder, der ein Wort gegen den Menschensohn gesagt hat, dem kann vergeben werden; wenn aber jemand etwas gegen den Heiligen Geist gesagt und gelästert hat, dem kann nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der kommenden. Er hat keine Vergebung bis in Ewigkeit, sondern ist einer ewigen Versündigung schuldig.“ (Mt 12,31-32 und Mk 3,28-29)

Jesus selbst hat die Sünde, die nicht vergeben wird, als Sünde gegen den heiligen Geist bezeichnet. In seiner Antwort auf die Theologen, die seine Befreiungstaten als das Werk Beelzebubs bezeichneten, sprach er diese Warnung aus. Das offensichtliche Werk des Heiligen Geistes als Teufelswerk zu bezeichnen und das durch Leute, die es von der Schrift her besser wissen müssten, das geht direkt gegen den Heiligen Geist. Und bei genauer Betrachtung ist es dann schon keine Warnung mehr, sondern ein Urteil.

Ich denke, man kann es sich so vorstellen: Dass jemand sich bekehrt und retten lässt, dazu muss ja schon der Heilige Geist an ihm arbeiten, ihn ziehen, wie Jesus gesagt hat. Wenn nun jemand den Heiligen Geist in dieser Weise ablehnt und verleumdet, also lästert, dann zieht sich der Heilige Geist dauerhaft von ihm zurück, und dann gibt es auch keine Rettung, keine Vergebung mehr. Die jüdische Theologenschaft zur Zeit von Jesus hat ja dann eindrücklich demonstriert, wie das ausgeht.

Die Sünde zum Tod

„Wenn jemand sieht, dass sich eines seiner Geschwister versündigt mit einer Sünde, (die) nicht zum Tod (führt), soll er (dafür) bitten und ihm Leben geben. (Das gilt) für die, die sich nicht zum Tod versündigen. Es gibt Sünde, (die) zum Tod (führt), für die sage ich nicht, dass man bitten soll.“ (1 Joh 5,16)

Dazu gehört wohl auch die Aussage von Jakobus: „Jeder wird aber versucht, wenn er von seiner eigenen Gier verlockt und geködert wird. Wenn die Gier dann schwanger geworden ist, gebiert sie Sünde. Und die Sünde, wenn sie vollbracht ist, gebiert Tod.“ (Jak 1,14-15)

Es gibt also zunächst einmal Sünden, für die man bitten kann, die dann auch vergeben werden. Das sind Sünden, die nicht zum Tod führen. In diese Richtung zeigt auch das Wort von Paulus: „Wenn ein Mensch bei irgendeinem Fehltritt überrascht wird, Geschwister, dann müsst ihr, die geistlichen Menschen, denjenigen wiederherstellen mit sanftem Geist!“ (Ga 6,1). Auch davon spricht Jakobus: „Gesteht einander also die Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet!“ (Jak 5,16)

Es gibt aber auch die Sünde, die zum Tod führt, für die man auch nicht mehr beten soll. Offensichtlich ist das eine solch endgültige und irreparable Trennung von Gott, dass dafür keinerlei Vergebung oder Rettung mehr möglich ist. Über eine solche Versündigung schreibt auch der Hebräerbrief:

Die Sünde des Abfalls

„Es ist allerdings unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet waren, die das Geschenk des Himmels geschmeckt haben, die Teilhaber am Heiligen Geist geworden sind, die Gutes vom Wort Gottes und Kräfte einer kommenden Welt geschmeckt haben und (dann dennoch) abgefallen sind, noch einmal erneut zu einer Sinnesänderung zu bringen. Sie haben für sich selbst den Sohn Gottes noch einmal ans Kreuz gehängt und zum Gespött gemacht.“ (Hebr 6,4-6)

Barnabas, der mutmaßliche Schreiber des Hebräerbriefs, beschreibt hier eindeutig den Fall eines mit allem Drum und Dran wiedergeborenen Christen. Dieser ist (damals vermutlich unter dem Druck der Christenverfolgung) von allem, was Gott ihm geschenkt hat, bewusst wieder abgefallen. Von so etwas wird man nicht ereilt oder überrascht, es geschieht vielmehr bewusst in voller Absicht. Auch das ist natürlich eine Form der Sünde gegen den Heiligen Geist. Und es gibt hier keine Möglichkeit der Rückkehr, Vergebung und Rettung mehr.

Erklärungsversuche

Die Sünde, die nicht vergeben wird, ist also eine bewusste, selbstverschuldete, und endgültige Distanzierung bzw. Trennung von Gott. Der „gewöhnliche“ Ungläubige, der Gott noch nicht wirklich kennen gelernt hat, kann diese Sünde also nicht begehen oder begangen haben. Der Gläubige, der über einen Fehltritt traurig ist und mit der Bitte um Vergebung und Reinigung zum Herrn zurückkommt, hat sie auch nicht begangen. Und jemand, der im Zuge des Erwachsenwerdens den ihm in seiner Jugend anerzogenen Glauben erst einmal ablegt, um auf eigenen Beinen zu stehen und sich selbst entscheiden zu können, hat sie vermutlich auch nicht begangen.

Es gibt wohl ein deutliches Zeichen dafür, dass jemand die Sünde, die nicht vergeben wird, begangen hat. Das ist fanatische Feindschaft gegen alles, was von Gott kommt. Ich erinnere mich an einen alten weisen Bruder (Walter Tlach), der sich damit persönlich auskannte. Seine Erzählung an uns als junge Studenten war die, dass in der NS-Zeit die schlimmsten Nazis oft ehemalige CVJM-er waren und ebenso in der Sowjetunion die fanatischsten Christenverfolger ehemalige Christen waren. Ich vermute, dass z. B. unter fanatischen Evolutionisten, Bibelkritikern, Klerikern und Sektierern auch solche Leute sein werden. Da kann man sich dann tatsächlich nur noch mit Grausen abwenden …

Gleichnisse

(Gleichnisse – ein Abschnitt des Kapitels „Volksmund“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Er beschreibt, was er in den Jahren 1884 bis 89 im damaligen Palästina erlebt hat.)

Der Herr Jesus hat in seinen Reden überall den Volkston gewählt, wie er denselben bei seinem langjährigen Leben und Arbeiten mit und unter dem Volk in Nazaret kennen gelernt hatte. Will man auch eine äußere Ursache wissen, warum seine Reden beim Volk einen so tiefen Eindruck machten, so dass sie erstaunt ausriefen: „Er predigt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mt 7,29), so ist es in erster Linie der Umstand, dass sich seine Rede nicht in subtilen Fragen und Frägeleien und in den Terminologien der Schriftgelehrten bewegte. Er hatte vielmehr den Müttern auf den Straßen und Märkten Nazarets „auf den Mund gesehen“. Er lehrte und redete in der kräftigen, bilderreichen Volkssprache.

Noch heute ist die Sprache des heiligen Landes ebenso bild- und gleichnisfroh wie damals. Der Araber liebt es, anstatt seine Meinung in kurzen, dürren Worten zu sagen, dieselbe in Gleichnisse zu kleiden, deren Sinn der Zuhörer selbst finden muss.

So kam neulich ein arabisches Gemeindemitglied zu mir. Nachdem alle üblichen Formen der Begrüßung mit oft wiederholter Anwünschung eines guten Tages, eines langen Lebens, Vermehrung der Familie, Erhaltung der Kinder, göttlicher Bewahrung und Gnade vorüber waren, begann er:

Abuna (d. h. unser Vater), ich will dir ein Wort sagen!

Ich: Habe die Gefälligkeit:!

Er: Gott verleihe dir einen glücklichen Morgen! Es war einmal ein Schaf, das ging in die Wüste und verirrte sich – das sei ferne von dir! Das Schaf stolperte von Berg zu Berg und von Tal zu Tal. Es hatte keine Weide. In den Dornen und Felsen lief es sich die Füße wund. Es war dem Verschmachten nahe. Glaube mir, es war in höchster Not. Was wird nun der gute Hirte tun, wenn er die traurige Lage seines Schafs erfährt?

Ich: Er wird es aufsuchen, zur Herde zurückführen und sorgfältig pflegen.

Er: Du hast recht geantwortet!

Nun sah er mich gespannt an, ob ich nicht die richtige Anwendung finde. Leider zeigte ich hiervon keine Spur. Da sagte er endlich: „Abuna! Gott verleihe dir langes Leben, Heil und Segen! Ich habe gegenwärtig absolut kein Geld!“ – Und nun waren wir im richtigen Fahrwasser. Es ist leicht, im Neuen Testament Analogien zu dieser Gleichnisrede zu finden. (Vgl. die kurze Antwort in drei Gleichnissen Mt 9,14-17).

Ein anderes Beispiel. – In meiner Filiale Beit-Djála gibt es eine katholische Partei, welche seit langer Zeit den Gliedern der evangelischen Gemeinde zu schaden sucht, wo immer sie kann. Vor einiger Zeit ermahnte ich einen Mann aus meiner dortigen Gemeinde, als er hierüber Klage bei mir führte, Frieden zu halten. Darauf antwortete er nicht etwa: „Wir können eben auf beiden Seiten die gegenseitigen Kränkungen und Schädigungen nicht vergessen“. Er fing vielmehr an: „Es war einmal eine Schlange, die drang in die Höhle des Fuchses und biss ihm sein Junges tot. Der Fuchs kam dazu und biss der Schlange aus Rache den Schwanz ab – das sei ferne von dir! Seither kann der Fuchs sein Junges nicht vergessen, aber die Schlange kann auch ihren Schwanz nicht vergessen“. Sprach’s, sonst kein Wort mehr oder weniger.

Wiederum ganz dieselbe Art, wie wir sie aus dem Evangelium kennen, Lehren oder Antworten nicht in kurzen Worten oder Regeln zu geben, sondern in Bilder und Gleichnisse zu kleiden, wodurch dieselben für die Zuhörer nicht nur eindrücklicher und einleuchtender, sondern auch behältlicher werden. Jeder Lehrer und Prediger im Orient muss daher heute noch dieselbe Lehrweise annehmen und üben. Ohne Gleichnisse darf ich z. B. meinen arabischen Zuhörern in der Predigt nichts sagen. Sind die Gleichnisse gut gewählt, so bin ich gespannter Aufmerksamkeit sicher. Sobald ich aber aus der Gleichnisrede zu sehr in den Lehrton verfalle, fangen sie an zu gähnen.

Auch die große Vorliebe der Orientalen für Sprichwörter gehört hierher. Kurze, frappante, oft paradoxe sprichwörtliche Redensarten flicht jeder Araber gerne in die Unterhaltung ein. Bei jeder Versammlung, auf allen Märkten kann man solche hören. Wie oft antworten die Leute auf eine Frage mit einem kurzn Sprichwort, ohne ein Wort hinzuzufügen.

Auch der Herr liebte sprichwörtliche Rede. So sagt er, um etwas Unmögliches zu bezeichnen: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher, der sein Vertrauen auf Reichtum setzt (Mk 10,24), ins Reich Gottes komme“ (Mt 19,24). Mit jener falschen Erklärung, dass „Nadelöhr“ ein kleines Stadttor Jerusalems bezeichne, bricht man dem Gleichnis die Spitze ab. Der Herr will sagen, dass (bei Menschen) das Seligwerden jener noch unmöglicher sei als unmöglich, wie das Durchgehen eines Kamels durch ein Nadelöhr. Nur Gottes Weisheit könne noch einen Weg finden.

Machen die Pharisäer dem Herrn Vorwürfe darüber, dass seine Jünger nicht fasten, so antwortet er: „Wie können die Hochzeitleute fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?“ (Mt 9,15; Lk 5,34). Tadeln sie seinen freundlichen Umgang mit Zöllnern und Sündern, so sagt er statt aller weiteren Auseinandersetzungen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“ (Mt 9,12; Mk 2,17).

In vielen einzelnen Ausdrücken vernehmen wir noch die Ausdrücke des Altertums. Wer dächte nicht an die Sprache der Erzväter, wenn er z. B. einen Araber, über dem er steht, fragt: Wie heißt du? und der antwortet: Dein Knecht heißt Isaak, deine Magd heißt Sara, Mirjam, Uarda usw.!

Oder wem fiele nicht das Wort des Jakobus ein (Ja 2,16), wenn er hört, wie ein Araber einem Bettler, dem er nichts geben will, niemals kurzweg sagt: Ich gebe dir nichts! sondern stets: allah iatík! D. h. Gott gebe dir, Gott berate dich usw.! Sobald der Bettler dieses Wort hört, weiß er, dass er nichts bekommt, und seine Bettelei verstummt.

Übernachten

(Übernachten – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er beschreibt die Zustände, wie er sie in den Jahren 1884-89 im damaligen Palästina selbst erlebt hat.)

Wo kann man bei solchen Reisen in Palästina übernachten? Es ist schon oben gelegentlich der Weihnachtsgeschichte erwähnt worden, dass in Palästina keine Gasthäuser oder Hotels existieren. Dennoch fällt es dem Reisenden nicht schwer, ein Unterkommen zu finden. Gastfreundschaft ist ja von jeher der Ruhm und die Ehre des Morgenländers gewesen. Je ursprünglicher die Menschen noch sind, namentlich also in der Wüste, desto williger und zuvorkommender wird diese altberühmte Tugend geübt. Es ist ein Zeichen der Rohheit und im Auge des Arabers schimpflich, einen Gast nicht freundlich aufzunehmen. Und es ist nicht eine leere Phrase, was der Araber zu seinem Gast zu sagen pflegt: Beti betak. Das heißt: mein Haus ist dein Haus.

Damit ist nicht gesagt, dass man eine jede beliebige verdächtige Gestalt, der man in der Wüste begegnet, als guten Hausfreund behandelt. Dazu gehört, dass man in seinem Zelt sein Gast und Hausgenosse gewesen ist. Ist das nicht der Fall, so sehen es viele als ihr unbestrittenes Privilegium an, dem freundlichen Wanderer die Sorge um seinen Mammon so erheblich zu erleichtern, als nur irgend in ihren Kräften steht. Und wenn diese Freiherren in der Wüste vom Raub leben, so ist das nicht etwa eine Sünde in ihren Augen. Es ist vielmehr ihr Erwerbszweig, so gut wie man an der nordischen Küste den Strandsegen als einen berechtigten Erwerbszweig ansieht. Für dessen Ausgiebigkeit betete und dankte man früher sogar im allgemeinen Kirchengebet.

So war es, wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt, eine unsichere Sache, allein zwischen Jerusalem und Jericho zu reisen. Man liebte daher damals wie heute, für diese Reise eine Karawane abzuwarten. …

Wo indessen das Gastfreundschaftsverhältnis durch Eintreten in ein Zelt oder Haus und durch gemeinsame Mahlzeit eingeleitet ist, da wird es auch heilig gehalten. Meistens braucht man, wenn man sich einer Hütte naht, nicht erst lange anzuklopfen. Die Leute kommen dem Fremden vielmehr entgegen und laden ihn aufs freundlichste ein, nicht an der Tür ihrer Hütte vorbeizugehen.

So lesen wir auch von Abraham, dass er eines Tages, als die Sonne am heißesten war, an der Tür seiner Hütte sitzend seine Augen aufhob und drei Männer erblickte. Und da er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seiner Hütte und bückte sich nieder auf die Erde und sprach: “ Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so gehe nicht vor deinem Kecht vorüber. Man soll auch ein wenig Wasser bringen und eure Füße waschen.“ (1 Mo 18,3f.).

Solch‘ freundlich zuvorkommendes Einladen eines ganz fremden Mannes ist mir zu wiederholten Malen auf den Bergen Judas begegnet. In manchen Gegenden werden dem Gast auch, wie wir hier bei Abraham lesen, die Füße gewaschen. Dann erhält er und sein Reittier Speise und Trank, so gut es eben der Wirt gerade leisten kann.

Dies Pietätsverhältnis der Gastfreundschaft der Beduinen in der Wüste findet übrigens seine Grenzen an den Genzen des Stammes, welchem der Wirt angehört. Es kann vorkommen, dass jemand einen Fremden aufs liebenswürdigste aufnimmt und bewirtet und ihn dann eben so dienstfertig als sein Gastfreund bis an die Grenze geleitet. Sobald diese aber überschritten ist, fällt er als sein Räuber über ihn her und plündert ihn aus.

Bei meinen Reisen durchs Land war ich zum Übernachten häufig genötigt, einen der Einwohner des Dorfs, in welchem ich abends ankam, um gastfreundliche Aufnahme zu bitten. Diese versagte man mir auch niemals. Gewöhnlich gab ich am nächsten Morgen dem Weib eine Vergütung. Die Araber früherer Zeiten, deren noble Gesinnung bekannt ist, würden dies freilich als eine Beleidigung angesehen haben. Unter sich halten es die Araber noch heute meistens so. Bei uns Europäern machen sie sich hierüber weniger Skrupel. Denn der Europäer ist nach allgemeiner Auffassung nur dazu da, um ausgebeutet zu werden.

Übernachten kann man im Sommer auch draußen. So habe ich selbst öfters einfach unter freiem Himmel kampiert. Das Pferd wurde an einen Felsen oder einen großen Stein gebunden, der Mantel oder die Reisedecke um den Leib geschlagen. Die Satteltasche wurde als Kopfkissen untergelegt.

Auch die Reisegesellschaft Jesu hat ohne Zweifel oft im Freien übernachtet. Treffen wir sie doch selbst in kalter Aprilnacht draußen in Getsemane! In solchen Fällen wickelten sich Jesus und seine Jünger in ihre Abája, ihren Mantel aus Schaf- oder Kamelswolle. Ihren Kopf legten sie auf einen Stein oder eine Erderhebung, wie der Erzvater Jakob. Aber manchmal, und besonders in kühlerer Jahreszeit, baten sie auch um Privatgastfreundschaft. Dabei mussten sich die zwölf bis zwanzig Personen zum Übenachten wahrscheinlich oft auf mehrere Häuser verteilen.

Nach Ankunft fremder Gäste in einem Haus versammeln sich gewöhnlich viele Männer, oft fast das ganze Dorf, in dem Haus. Sie nehmen auf den Matten rings an den Wänden herum Platz. Dabei nehmen z. B. wir gewöhnlich Gelegenheit, aufmerksamen Ohren das Evangelium vorzulesen und zu erklären. So führen auch die bekannten Evangelisten des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, welche zweimal des Jahres das heilige Land durchziehen, ihr Amt hauptsächlich in solchen Abendstunden unter einer so versammelten Gesellschaft aus.

So mag auch Jesus, wenn sich des Abends im Haus des Gastgebers die Leute eines Dorfs oder eines Städtchens um ihn versammelten, seinen Mund aufgetan und das Wort vom „Königreich der Himmel“ verkündigt haben. Währenddessen saßen die Zuhörer rings am Boden, und eine kleine Ölampel breitete ihr mattes Licht über die lauschende Versammlung, in deren Herzen nächtlicherweise ein Widerschein des ewigen Lichts hineinfiel.

Wenn den Herrn nichts mehr für länger an einen Ort fesselte, so schied er eines Morgens aus dem Haus, das ihn gastlich aufgenommen. Er verließ es auch dann nie, wenn etwa Vornehmere ihn in ihr Haus einluden. (Mt 10,11; Lk 10,7). Waren die Leute, bei denen er mit seinen Jüngern zum Übernachten war, arm, so wird Jesus, welcher ohnedies einen Teil seiner Kasse für die Armen bestimmte (Lk 11,41; Mt 26,11), den Judas wohl angewiesen haben, etwas zu bezahlen.

Dass dies aber nicht das Gewöhnliche war, geht aus Mt 10,11 hervor. Hier wies Jesus seine Jünger bei ihrer Aussendung an, Privatgastfreundschaft anzunehmen, und verbot ihnen doch, Geld mitzuführen. Eine Fehlbitte wird Jesus selten getan haben, wenn er um gastliche Aufnahme an ein Haus klopfte. Selbst im heidnischen Syrophönizien am Ufer des blauen Mittelmeeres klopfte er eines Tages an einem Haus an, um dort, wie einst Elija, unweit Sarepta, eine Zeit lang vor aller Welt verborgen zu bleiben (Mk 7,24).

Nur einmal nahmen ihn Samariter nicht zum Übernachten auf, weil er nach dem verhassten Jerusalem zog. Aber wir sehen aus der Entrüstung der „Donnerskinder“ Jakobus und Johannes, wie unerhört dieser Fall war. Das nahe sichtbare Karmelgebirge hatte sie an jenem Tag an Elija erinnert. Darum hätten sie am liebsten gleich ihm Feuer vom Himmel fallen lassen (Lk 9,54). Jesus aber tadelte sie ernstlich und ging mit ihnen weiter bis zu einem anderen Dorf. …

Jedenfalls muss Jesus eine gesunde, kräftige Natur gehabt haben, welche allen diesen Strapazen und Entbehrungen in Frost und Hitze gewachsen war. Darum konnte er auch auf einem von Wind und Wellen herumgejagten Schiff ebenso ruhig schlafen, wie unter den Öl- oder Feigenbäumen auf den Bergen Palästinas. …

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