Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Monat: Juli 2022 (Seite 1 von 2)

Matthias Claudius

(Matthias Claudius hat zur Problematik der Bibelauslegung in seiner humorvollen Art die folgenden zwei Parabeln verfasst:)

Eine Parabel vom Schlüssel

Es war einmal ein Edler, dessen Freunde und Angehörige um ihre Freiheit gekommen und in fremdem Lande in eine harte Gefangenschaft geraten waren. Er konnte sie in solcher Not nicht wissen und beschloss, sie zu befreien.

Das Gefängnis war fest verwahrt und von inwendig verschlossen, und niemand hatte den Schlüssel.

Als der Edle sich ihn, nach vieler Zeit und Mühe, zu verschaffen gewusst hatte, band er dem Kerkermeister Hände und Füße und reichte den Gefangenen den Schlüssel durchs Gitter, dass sie aufschlössen und mit ihm heimkehrten. Die aber setzten sich hin, den Schlüssel zu besehen und darüber zu ratschlagen. Es ward ihnen gesagt: der Schlüssel sei zum Aufschließen, und die Zeit sei kurz. Sie aber blieben dabei, zu besehen und zu ratschlagen; und einige fingen an, an dem Schlüssel zu meistern und daran ab- und zuzutun.

Und als er nun nicht mehr passen wollte, waren sie verlegen und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten. Die andern aber hatten’s ihren Spott und sagten: der Schlüssel sei kein Schlüssel, und man brauche auch keinen.

Eine Parabel vom Ackerbau

Es war eine Zeit, wo die Menschen sich mit dem, was die Natur brachte, behelfen und von Eicheln und anderer und harter und schlechter Kost leben mussten.

Da kam ein Mann mit Namen Osiris von ferne her und sprach zu ihnen: „Es gibt eine bessere Kost für den Menschen und eine Kunst, sie immer reichlich zu schaffen. Ich komme, euch das Geheimnis zu lehren.“ Und er lehrte sie das Geheimnis und richtete einen Acker vor ihren Augen zu. Und er sagte: „Seht, das müsst ihr tun! Das Übrige tun die Einflüsse des Himmels!“ Die Saat ging auf und wuchs und brachte Frucht. Und die Menschen waren des sehr verwundert und erfreuet und baueten den Acker fleißig und mit großem Nutzen.

In der Folge fanden einigen von ihnen den Bau zu simpel, und sie mochten die Beschwerlichkeiten der freien Luft und Jahreszeiten nicht ertragen. „Kommt“, sprachen sie, „lasst uns den Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern einfassen und ein Gewölbe darüber machen und denn da drunter mit Anstand und mit aller Bequemlichkeit den Ackerbau treiben. Die Einflüsse des Himmels werden so nötig nicht sein, und überdies sieht sie kein Mensch.“

„Aber“, sagten andere, „Osiris ließ den Himmel offen und sagte: Das müsst ihr tun! Und das Übrige tun die Einflüsse des Himmels!“. „Das tat er nur“, antworteten sie, „den Ackerbau in Gang zu bringen. Auch kann man doch den Himmel an dem Gewölbe malen.“

Sie fassten darauf ihren Acker regelrecht und nach der Kunst mit Wand und Mauern ein, machten ein Gewölbe darüber und malten den Himmel daran. Und die Saat wollte nicht wachsen! Sie bauten und pflügten und düngten und ackerten hin und her. Und die Saat wollte nicht wachsen! Sie ackerten hin und her.

Und viele von denen, die umher standen und ihnen zusahen, spotteten über sie! Am Ende auch über den Osiris und sein Geheimnis.

(Eine Parallele zu diesen Parabeln von Matthias Claudius gibt es bei Sören Kierkegaard. Sie befindet sich in seinem Vergleich mit dem Gebot des Königs.)

Die Totenwelt

Das griechische Wort „Hades“ steht für das Jenseits, die Totenwelt, den Ort oder die Welt der Totengeister. Der Mensch, der seinem Wesen nach Geist ist, verlässt beim Tod seinen Körper. Als reines Geistwesen existiert er danach weiter in der Welt der Toten, die sich mit der Welt der Lebenden durchaus auch überlappen kann. Diese Sichtweise war über Jahrtausende der gesamten Menschheit zu eigen und wird so auch in der Bibel bestätigt. Erst der moderne Materialismus und Atheismus hat sie geleugnet.

Die bekannten Nahtoderfahrungen, die 3-5 % der Menschen nachweislich machen, könnten immer noch ein Beweis für die Wahrheit dieser Sichtweise sein. Doch sie werden von „Wissenschaftlern“ kurzerhand zu Produkten von chemischen Reaktionen erklärt, die sich angeblich beim Sterben im Gehirn abspielen. Auch hier gilt wohl das Wort von Paulus: „Während sie behaupten, weise zu sein, werden sie zu Narren.“ (Rö 1,22).

Im Alten Testament ist natürlich ebenfalls von der Totenwelt die Rede, das hebräische Wort dafür heißt „sche’ól“. Als griechische Übersetzung dafür hat man den Begriff „Hades“ übernommen, so auch im Neuen Testament.

Ein anschaulicher Bericht dazu ist im Alten Testament der Vorgang, dass der König Saul den Geist des verstorbenen Propheten Samuel aus der Totenwelt holen lässt (1 Sam 28). Im Neuen Testament gibt die Geschichte, die Jesus über den reichen Mann und den armen Lazarus erzählt, einen Einblick in diese Welt (Lk 16,19-31).

In der deutschen Sprachentwicklung gab es für die Totenwelt bis ins Mittelhochdeutsche den Begriff „Hel“, den wir leider verloren haben. Er hat sich nämlich gewandelt in das spätere Wort „Hölle“, das eine völlig andere Bedeutung hat. Denn die „Hölle“ ist nicht der gegenwärtige Aufenthaltsort der Toten, sondern der zukünftige Ort der Strafe. Für die Hölle gab es im Griechischen überhaupt keinen Begriff, ja, nicht einmal eine Vorstellung. Man musste im biblischen Griechisch aus dem Hebräischen das Lehnwort „Géhenna“ dafür übernehmen.

Diese beiden Orte sollte man nicht durcheinanderbringen. Der Hades als Totenwelt ist das Jenseits, wo die Toten vorübergehend bleiben bis zum letzten Gericht. Die Hölle, die Géhenna, ist der ewige Ort der Strafe für die Ungerechten und Unbrauchbaren nach dem letzten Gericht. (Die fundierteste Lehre über die Hölle ist übrigens in dem Buch von David Pawson zu finden: „Der Weg zur Hölle„.)

Da die Welt der Toten kein „Reich“ ist im Sinne eines Staatswesens, verwende ich in meiner Übersetzung nicht den älteren Ausdruck „Totenreich“, sodern den etwas neutraleren Begriff „Totenwelt“. Umgangssprachlich wäre das „Jenseits“ ein bekannter und benutzter Ausdruck dafür, aber er ist leider zu ungenau und passt in der Übersetzung nicht an allen Stellen.

Taufen

Das griechische Wort „baptízein“, das im Deutschen gewöhnlich unter „taufen“ bekannt ist, heißt richtigerweise „untertauchen“. Und zwar ist es transitiv gemeint: „etwas oder jemanden untertauchen“. In der Passivform heißt es dann „untergetaucht werden“ oder „sich untertauchen lassen“. So kommt es im Neuen Testament meist vor, und so gebe ich es in meiner Übersetzung wieder. (Wenn im Griechischen z. B. ein Schiff „baptízetai“, dann wird es nicht „getauft“, sondern es geht gerade unter.)

Das Untertauchen als Ritus im Zusammenhang mit dem Eintritt ins Reich Gottes war bei Johannes dem Täufer und bei Jesus von Anfang an ein integraler Bestandteil der Botschaft und der persönlichen Hinwendung zu Gott.

Da es dazu kein praktikables deutsches Substantiv gibt, halte ich in meiner Übersetzung für das griechische „báptisma“ an dem allgemein üblichen Begriff „Taufe“ fest. So stelle ich auch den Zusammenhang her: „Taufe“ durch „Untertauchen“. Die im Neuen Testament selten gebrauchte Nebenform „baptismós“ übersetze ich mit „Tauchbad“.

Im Neuen Testament lassen sich eigenverantwortliche Menschen auf freiwilliger Basis untertauchen. Und das geschieht im Zusammenhang von Glaube, Sinnesänderung, Taufe und Empfang des Heiligen Geistes. Die Taufe bringt in diesem Zusammenhang die Lebensübergabe, die völlige Übergabe des Menschen an Gott bzw. Jesus zum Ausdruck. Das beinhaltet auch das, was Paulus sagt: das Begraben des alten Menschen und die Auferstehung in ein neues Leben hinein.

Ein „Taufen“, das an Menschen ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen vollzogen wird, kann im neutestamentlichen Sinn keine Taufe sein. Die Kindertaufe ist keine Taufe. Die Beziehung zu Gott ist persönlich. Man kann einen Menschen nicht ohne sein Wissen und Wollen mit Gott in Verbindung bringen. Und das Untertauchen zu ersetzen durch Besprengen mit ein bisschen Wasser ist genauso ein willkürliches und eigenmächtiges Abweichen vom gottgegebenen Vorbild.

Die Unsinnigkeit der Kindertaufe wird besonders deutlich, wenn man sich vorstellt, man würde dasselbe an einem Erwachsenen vollziehen. Man holt ihn, ohne dass er weiß, um was es geht, sonntags aus dem Bett und zieht ihm eine Art Hochzeitskleid an. Man trägt ihn mit Gewalt in eine Kirche und hält ihn dem Pfarrer hin. Der beträufelt in einer feierlichen Zeremonie seinen Kopf mit ein bisschen Wasser, und damit ist er offiziell ein Christ. Ein fröhliches Familienfest als eigentlicher Höhepunkt dieses Ereignisses ist dann aber doch nicht mehr so recht vorstellbar …

Schriftgelehrte

Schriftgelehrte als Zunft der in den heiligen Schriften ausgebildeten Theologen benennt das Neue Testament mit zwei unterschiedlichen griechischen Begriffen. Da ist zum einen der „grammateús“, was von „grámma – Buchstabe, Schrift“ kommt und üblicherweise mit „Schriftgelehrter“ übersetzt wird. Der andere Begriff ist „nomikós“, was von „nómos – Gesetz“ kommt und am besten mit „Gesetzeskundiger“ wiedergegeben wird.

Schriftgelehrte kamen auch damals schon mit einem Studium und einer offiziellen Ordination zu ihrem Titel und Status und hoben sich damit vom gewöhnlichen Volk ab. Und so gleichen sie darin auch den heutigen Theologen, es ist immer noch dasselbe System. Aus Gründen der Aktualität benutze ich in meiner Übersetzung daher für das häufigere „grammateús“ den Begriff „Theologe“. Bei „nomikós“, das seltener vorkommt, bleibe ich bei „Gesetzeskundiger“. So verwende ich für die zwei griechischen Begriffe auch im Deutschen zwei unterschiedliche Wörter.

Jesus selbst war in diesem Sinne kein Theologe, auch seine Jünger nicht, und das war Absicht. Jesus hat die Zunft der Theologen gänzlich als Heuchler entlarvt und komplett abgelehnt. An verschiedenen Stellen der Evangelien wird das deutlich, ganz besonders in seiner Schlussabrechnung in Mt 23. Selbstverständlich hat er sich damit ihre bittere Feindschaft zugezogen.

In der neutestamentlichen Gemeinde haben solche offiziellen Theologen dann auch keine Rolle gespielt. Paulus war zwar ein ausgebildeter Theologe von der pharisäischen Richtung. Er hatte in Jerusalem bei dem berühmten Lehrer Gamaliel studiert. Aber nach seiner Bekehrung zu Jesus als dem Messias hatte das in seinem Dienst und Auftrag keine Bedeutung mehr. Es war ein Teil seines alten Lebens, das er hinter sich gelassen hatte. So wie Jesus die offizielle Theologenzunft ausdrücklich abgelehnt hatte, galt das in seiner Gemeinde. Ein bekehrter Theologe war kein „Theologe“ mehr.

Nur in einem Sinn gibt es in der christlichen Gemeinde noch Theologen, nämlich in dem, dass alle Christen jetzt Theologen sind, weil sie alle Gott kennen.

Die Predigt

Die Predigt, wie wir sie aus dem kirchlichen Bereich kennen, findet in einem religiösen Raum statt. Dabei spricht ein kirchlich Beauftragter von einer Kanzel oder einem Pult „herab“ in einem Monolog an Zuhörer. Diese Art zu lehren ist innerhalb der neutestamentlichen Gemeinde so nicht denkbar. Im Alltagsdeutsch ist der Begriff ja auch in eine negative Bedeutung übergegangen, im Sinne von „Anpredigen“ oder „Moralpredigt“. Der negative Touch hat seinen Ursprung ganz sicher in Erfahrungen mit kirchlichen Predigten und Predigern.

Die in frommen Kreisen so genannte und hochgehaltene „Wortverkündigung“ als Teil eines sonntäglichen Programms namens „Gottesdienst“ soll möglichst „gut“ sein. Das heißt, sie soll unterhaltsam und gehaltvoll sein und auf jeden Fall die frommen Ansichten des Hörers möglichst bestätigen. Auf keinen Fall darf sie jemandem zu nahe treten oder jemanden erschrecken. Die „Wortverkündigung“ verkündigt viele Wörter und – dazwischen versteckt – auch mehr oder weniger etwas vom Wort Gottes. Und zwischen den Zeilen kann man dann ganz gut heraushören, was der Prediger vielleicht meint, wenn man es hören will.

Das grundlegend Falsche an dieser Art der Predigt ist ihre Unverbindlichkeit. Der Prediger hat einen Auftritt vor Publikum. Er allein ist dafür zuständig, was er sagt und wie er es sagt. Und die Zuhörer sind allein dafür zuständig, was sie heraushören und was sie daraus machen. Es war eine interessante Erfahrung für mich, als eine Predigthörerin einmal begeistert eine meiner Predigten lobte – für etwas, das ich in der Predigt mit keinem Wort gesagt hatte.

Unverbindlich heißt, der eine darf sagen, was er will, die anderen dürfen hören, was sie wollen, von „umsetzen“ oder „tun“ ganz zu schweigen. Die Hauptsache ist, dass beide Seiten am Ende irgendwie mit sich zufrieden sein können, dann war es eine „gute“ Predigt. Nun, ich weiß, dass es auch Prediger gibt, die ihre Sache ernst meinen, aber es ändert nichts am System. Es ist keine biblische Art zu lehren.

Was im Neuen Testament mit der Botschaft Gottes geschieht, ist nach außen hin „verkünden“ bzw. „verkündigen“ und nach innen, in der Gemeinde, „lehren“. Und diese Lehre des Neuen Testaments ist maßgeblich, einheitlich und für alle verbindlich. Die uns bekannten „Predigten“ dagegen sind subjektive Darstellungen des jeweiligen Predigers und – zum Glück – völlig unverbindlich. Niemand muss sie ernst nehmen und sich danach richten. Ein Sonderfall ist es, wenn der Prediger seine Predigt verbindlich macht, dann wird er zum Sektierer.

Das griechische Wort „kerýssein/verkünden“, das kirchlicherseits gerne mit „predigen“ gleichgesetzt wird, beschreibt die Tätigkeit eines „kéryx“. Das ist ein öffentlicher Ausrufer bzw. ein offizieller Übermittler einer offiziellen Botschaft. Ein öffentlicher Ausrufer oder Übermittler einer Botschaft wäre früher ja auch niemals ein „Prediger“ gewesen.

Abgesehen von dem unbiblischen Rahmen, in der die Predigt stattfindet, ist sie auch pädagogisch die denkbar ineffektivste Form des Lehrens. Man zähle einmal alle Predigten zusammen, die alle Prediger an einem Sonntag in allen „Gemeinden“ vortragen. Und dann zähle man zusammen, was in Summe geistlich dabei herauskommt. An ihren Früchten werdet ihr sie klar erkennen …

Die griechischen Begriffe, die man anderweitig schon mit „predigen“ übersetzt hat, gebe ich in meiner Übersetzung wie folgt wieder: euangelízesthai – (gute) Botschaft bringen / katangéllein – verkündigen / kerýssein – verkünden.

Pastor

„Pastor“ ist das lateinische Wort für „Hirte“, griechisch „poimén“. Im Neuen Testament kommt es im wörtlichen Sinn vor, z. B. bei den Hirten auf dem Feld im Bericht von der Geburt des Messias (Lukas 2). Im übertragenen Sinn ist es an mehreren Stellen eine bildhafte Bezeichnung für Jesus. Er ist der von Gott gesandte gute Hirte, der Anführer und Versorger seiner Herde, der Gemeinde.

Als Bezeichnung von Verantwortlichen in der Gemeinde taucht „Hirten“ nur ein einziges Mal auf. Das ist in der Aufzählung der Gaben Eph 4,11, und zwar in der Kombination „Hirten und Lehrer“. Aus dieser Tatsache kann man vielleicht auch schließen, dass es keine häufige Bezeichnung war. Das „Hüten“ als deren Tätigkeit wird zweimal genannt, in Apg 20,28 und 1 Pe 5,2.

In 1 Pe 5,4 wird in der Unterweisung gegenüber den „Älteren“ Jesus als der „oberste Hirte“ bezeichnet. Das macht deutlich, wem allein die Vorrang- und Machtstellung in der Gemeinde gehört. Gegenüber dem „obersten Hirten“ sind die menschlichen „Hirten“ dann eben die Älteren in der Gemeinde. In der Verantwortung vor Jesus üben sie innerhalb der geschwisterlichen Gemeinde ihre dienende Funktion aus.

Natürlich hat man das Wort ins Lateinische als „pastor“ übersetzt, weil „Hirte“ auf Lateinisch eben „pastor“ heißt. Das lateinische Wort „pastor“ aber im Deutschen als Titel eines ordinierten Amtsträgers zu verwenden, ist der Sache nicht angemessen und der gemeinschaftlichen Struktur der christlichen Gemeinde fremd. Die Sonderrolle des „Pastors“, wie wir ihn aus protestantischen und freikirchlichen Traditionen kennen, hat in der geschwisterlichen Gemeinde keinen Platz. Außerdem hat Jesus das Führen von religiösen, kirchlichen oder „geistlichen“ Titeln in Mt 23,8-10 eindeutig verboten.

In der Gemeinde, wie Gott sie gewollt hat, sind „Pastoren“ oder „Pfarrer“ (Pfarrherren) nicht vorgesehen. Im Neuen Testament sind sie nirgends zu finden.

Ausführlich bearbeitet habe ich diese Thematik in meinem Buch „Die Gemeinde des Messias„.

Das Kreuz

Das griechische Wort „staurós“ heißt eigentlich „Pfahl“ oder „Balken“. Es wird aber auch für das römische Hinrichtungsinstrument verwendet, das auf Lateinisch „crux“ heißt. Das Kreuz bestand aus einem senkrecht feststehenden Pfahl und einem abnehmbaren Querbalken.

Einen Verurteilten band oder nagelte man zunächst mit den Armen an den Querbalken. Dann wurde der Querbalken mit dem daran hängenden Verurteilten hinaufgehoben und oben auf dem Pfahl befestigt. Danach wurden die herabhängenden Füße links und rechts mit je einem Nagel seitlich an den Pfahl genagelt. Da der Querbalken also oben auf dem Pfahl war, sah das „Kreuz“ aber nicht wie das übliche „t“ aus, sondern wie ein „T“.

(Jesus wurde also nicht mit drei, sondern mit vier Nägeln angenagelt – zwei durch die Unterarme, zwei durch die Fußknöchel. Die Tafel mit der Anschuldigung gegen ihn wurde auch nicht über ihm „am“ Kreuz befestigt, sondern nach Joh 19,19 „auf“ dem Kreuz, also oben auf dem Querbalken.)

Diese Art des Kreuzes als Hinrichtungsinstrument war ein Machtsymbol des römischen Staates und in den ersten zwei bis drei Jahrhunderten als christliches Symbol undenkbar. Das Symbol der Christen war der Fisch. Mit Kreuzen zu hantieren, ist in der christlichen Gemeinde niemandem in den Sinn gekommen. Erst als sich das Christentum mit dem römischen Staat vermischte, wurde das heidnische Kreuz als christliches Symbol ausgegeben, als Symbol der „christlichen“ Macht im römischen Staat.

Das „Wort vom Kreuz“, von dem Paulus spricht, bezieht sich also nicht auf einen heilbringenden Gegenstand. Es bezieht sich auf ein historisches Ereignis, die Hinrichtung des Messias, die Grundlage der Rettung. Im Neuen Testament verkündet man also nicht das „Kreuz“, sondern den „Kreuzestod“ des Messias. Deshalb verwende ich in meiner Übersetzung zwar „Kreuz“, wenn vom Hinrichtungsinstrument die Rede ist, aber „Kreuzestod“, wenn es um das Zentrum der christlichen Botschaft geht. Das zugehörige Verbum gebe ich nicht mit „kreuzigen“ wieder, sondern aussagekräftiger mit „ans Kreuz hängen“ oder „hinrichten am Kreuz“.

Als Symbol der pseudochristlichen bzw. antichristlichen Macht steht das Kreuz auch heute noch auf Kirchtürmen, Feldfluren und Bergspitzen, hängt in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen, wird am Revers, um den Hals und am Rosenkranz getragen, wird als heiliger Gegenstand verehrt und dient – auch in der Form des Bekreuzigens – als Symbol der Unterwerfung unter die kirchliche Macht und als Segens- und Schutzzauber.

Wer sich mit der Geschichte des abendländischen „Christentums“ beschäftigt, wird darauf stoßen, dass man mit dem Kreuz nicht nur Jesus selbst tötete. Unter diesem Zeichen verfolgte man auch zahllose seiner Nachfolger. Man nannte sie „Ketzer“, sperrte sie ein, folterte sie unter Vorhaltung des Kreuzes und brachte sie um. „Kreuz“-Züge wurden nicht nur gegen Muslime im Orient und in Spanien geführt. Sie wurden auch im Herzen Europas gegen abweichende christliche Gruppierungen wie die Waldenser, Albigenser und die Katharer geführt.

Ich habe den dringenden Verdacht, dass wir es hier mit dem Zeichen des Antichristen zu tun haben. Jedenfalls kenne ich kein anderes Zeichen, auf das die Beschreibung aus der Offenbarung besser passen würde: “ … dass sie sich ein Kennzeichen machen auf ihre rechte Hand oder auf ihre Stirn, … „.

Ein Beweisfoto aus unserer Zeit (Osternachtgottesdienst Moskau 2023):

Neben Putin war auch der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin vor Ort. Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichte Foto zeigt, wie die beiden das Kreuzzeichen machen. Bild: dpa

(Quelle: tagesschau.de)

Aus der Historie (Quelle: Spiegel Geschichte, Ausgabe 3/2023):

Eine Illustration aus dem 19. jahrhundert zum „Wirken“ von Konrad von Marburg. Konrad war ein Ketzerjäger im frühen 13. Jahrhundert, der im Auftrag des Papstes Hunderte Menschen auf den Scheiterhaufen brachte. Spätere Inqisitoren orienterten sich an dem „kurzen Prozess“, den Konrad eingeführt hatte – einem Verfahren ohne Freispruch, ohne Verteidigung und mit erzwungenen Geständnissen.
Mit einer Garotte (undatiertes Originalexemplar) konnte man angebliche Ketzer quälen und hinrichten.

Kirche

Das Wort, das in katholischen Bibelübersetzungen an einigen Stellen als „Kirche“, in anderen Bibeln meist als „Gemeinde“ auftaucht, heißt auf Griechisch „ekklesía“. Als „ecclesia“ ist es ins Lateinische gekommen, als Fachausdruck dann auch ins Deutsche.

Ekklesía“ ist im Griechischen eigentlich kein religiöser Begriff, sondern gehört in den politischen Raum. Er bezeichnet die „Volksversammlung“ in der griechischen Stadt-Demokratie, die Versammlung der freien und stimmberechtigten Bürger eines Stadt-Staates (nach damaligen Verständnis ohne Frauen und Sklaven). In diesem säkularen Sinn kommt das Wort auch im Neuen Testament in Apg 19 dreimal vor: „ … die Volksversammlung war völlig durcheinander gekommen, … wird es in der gesetzmäßigen Volksversammlung aufgeklärt werden, … als er dies gesagt hatte, entließ er die Volksversammlung.“

Der Hintergrundbegriff des Alten Testamentes ist das Hebräische „qahál“, das ebenfalls für die Volksversammlung – in diesem Fall Israels – steht.

Die Bezeichnung ist im Neuen Testament bewusst gewählt, um zu zeigen, dass hier ein neues Volk Gottes aus freien, gleichberechtigten und mündigen Bürgern entsteht. Das Wesen dieser neuen Volksversammlung hat nichts gemein mit allem, was wir uns üblicherweise unter dem Namen „Kirche“ vorstellen. Nichts mit Großorganisation, Pfarrer, Kirchengebäude oder „Gottesdienst„.

Bei meiner Übersetzung habe ich mich nach einigem Überlegen dazu entschieden, für „ekklesía“ ebenfalls den geläufigen Begriff „Gemeinde“ zu verwenden. Eine Alternative wäre „Gemeinschaft“ gewesen. Aber dafür gibt es im Griechischen auch ein eigenes Wort (koinonía), und in christlichen Kreisen hat auch „Gemeinschaft“ schon wieder einen kirchlichen Klang.

Für die Übersetzung „Gemeinde“ spricht, dass der Begriff im Deutschen auch in der säkularen Sprache geläufig ist. Abgesehen vom kommunalen Verständnis bezeichnet er hier die Gesamtheit oder Versammlung einer bestimmten Anhängerschaft oder Gruppierung (z. B. eine Fan-Gemeinde, eine Trauergemeinde, die türkische Gemeinde etc.). Damit kommt man dem Verständnis der „christlichen Gemeinde“ am ehesten nahe.

Eine Schwierigkeit besteht aber darin, dass man sich in christlichen Kreisen unter „Gemeinde“ leider auch wieder etwas anderes vorstellt. Etwas, das wiederum stark in Richtung „Kirche“ geht. Der „Pastor“ hält in der „Gemeinde“ einen „Gottesdienst“. Nicht umsonst spricht man da von der Frei-„Kirche“. Und wenn sich eine Freikirche einfach „Ekklesia“ nennt oder „Gemeinde für Urchristentum“, ist damit natürlich nichts gewonnen. Man hat dann nur wieder neue Plaketten im konfessionellen Etikettenschwindel erfunden.

Vom Neuen Testament her müsste man radikal umdenken, aber das eingespielte System will bzw. kann dann doch niemand ändern.

Hilfreich ist es, anhand einer Konkordanz oder eines Suchprogramms im Neuen Testament die Stellen zu erforschen, wo von der Gemeinde die Rede ist. Man wird dort die Dinge nicht finden, die einem sofort einfallen, wenn man an Kirche oder Gemeinde denkt. Es gibt keine Pfarrer oder Pastoren. Es gibt keine Kirchengebäude oder Gemeindezentren. Und es gibt keine Gottesdienste im Sinne von rituell ablaufenden und gesteuerten Veranstaltungen. Die neutestamentliche Gemeinde ist wesensmäßig völlig anders. Sie ist von Glaube, Gemeinschaft und Gleichwertigkeit bestimmt. Sie wird nicht von Menschen geleitet, sondern vom Heiligen Geist.

Die „Kirche“, wie wir sie kennen, ist allerdings auch dem Neuen Testament nicht unbekannt. In der Offenbarung wird sie prophetisch im Bild der Hure Babylon dargestellt.

Die ausführliche Darlegung der neutestamentlichen Sicht auf „Kirche“ und „Gemeinde“ habe ich in meinem Buch „Die Gemeinde des Messias“ veröffentlicht.

Der Oberste Priester

Der „Oberste Priester“ ist der verständlichere Begriff für das traditionelle Wort „Hohepriester“, das zum religiösen Insiderwort geworden ist. „Oberster Priester“, wie ich es übersetze, stellt gegenüber „Hohepriester“ auch eine wörtlichere Übersetzung des griechischen „archiereús“ dar.

Der erste Oberste Priester in Israel war Aaron, der Bruder Moses. Jeder weitere Oberste Priester musste in direkter Linie von Aaron abstammen. Seine wichtigste Aufgabe war, im Tempeldienst das Volk vor Gott zu vertreten, insbesondere am großen Versöhnungstag, dem Jom Kippur.

Der Oberste Priester zur Zeit der öffentlichen Wirksamkeit von Jesus war Kajafas. Außer ihm wird in den Evangelien aber auch Hannas als Oberster Priester bezeichnet. Der war nicht nur der Schwiegervater von Kajafas, sondern auch dessen Amtsvorgänger. Eigentlich amtierte ein Oberster Priester lebenslang, bis zu seinem Tod. Doch die Römer hatten darauf keine Rücksicht genommen und Hannas aus politischen Gründen abgesetzt. Der blieb nach seiner Absetzung aber als graue Eminenz im Hintergrund aktiv, zog die Fäden und führte inoffiziell auch weiterhin den Titel.

Außerdem werden „oberste Priester“ auch als Gruppe genannt. Dabei handelt es sich um die männlichen näheren Verwandten des Obersten Priesters. Diese waren in die Verwaltung des Tempeldienstes und die politischen Geschäfte mit eingebunden. Und aus ihrem Kreis würde bei der Absetzung oder dem Ableben des amtierenden Obersten Priesters auch wieder dessen Nachfolger bestimmt.

Die Obersten Priester aus dem Alten Testament werden im Neuen Testament abgelöst durch Jesus. Er hat sich am Kreuz auf Golgota selbst als endgültiges Sühneopfer dargebracht und wurde dann von Gott eingesetzt als ewiger Oberster Priester im himmlischen Heiligtum. Der Hebräerbrief beschreibt ausführlich, wie das alte Priestertum nach der Ordnung Aarons endete, als Gott – in Erfüllung der Prophetie von Ps 110,4 – Jesus zum Obersten Priester nach der Ordnung Malki-Zedeks machte.

„Weil wir nun, Geschwister, durch das Blut von Jesus Freiheit haben zum Zugang ins Heiligtum, den er für uns in Kraft gesetzt hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist durch seinen menschlichen Körper, und (weil wir) einen mächtigen Priester über das Haus Gottes (haben), wollen wir hingehen: mit wahrem Herzen, mit Überzeugung des Glaubens, die Herzen gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gebadet mit reinem Wasser!“ (Hebr 10,19-22.)

Gottesdienst

Was „Gottesdienst“ ist, steht ausdrücklich und klar im Neuen Testament. Paulus hat es so formuliert: „Ich ermutige euch also, Geschwister, wegen des Erbarmens Gottes, dass ihr eure Leiber zur Verfügung stellt als Opfer, lebendig, heilig und Gott wohlgefällig, als eure Gottesverehrung, die dem Wort entspricht.” (Römer 12,1). Das Wort „latreía“, das ich hier mit „Gottesverehrung“ übersetze, würde am ehesten dem deutschen „Gottesdienst“ entsprechen.

Es ist fast überflüssig zu bemerken, dass eine solche Art des Gottesdienstes natürlich nichts mit ein oder zwei organisierten Veranstaltungen pro Woche zu tun hat.

Die neue Form der Gottesverehrung im neuen „Haus Gottes“ beschreibt Jakobus so: „Eine Gottesverehrung, die rein und unbefleckt ist bei Gott dem Vater, ist die: nach Waisen und Witwen zu schauen in ihren Schwierigkeiten, sich selbst unbefleckt zu halten von der Welt.” (Jakobus 1,27).

Vielleicht lässt sich das Prinzip so formulieren: Wir dienen Gott, indem wir für ihn und füreinander da sind. Gott dient uns, indem er persönlich und durch unsere Geschwister für uns da ist. Eine zeremoniell ablaufende Veranstaltung abzuhalten und sie dann auch noch „Gottesdienst“ zu nennen, das wäre in der neutestamentlichen Gemeinde keinem eingefallen.

Natürlich gab es in der neutestamentlichen Gemeinde regelmäßige, auch tägliche Treffen, Versammlungen, Zusammenkünfte, oder wie wir es nennen wollen. Wie es da so etwa zuging, können wir bei Paulus nachlesen:

„Wie ist es denn, Geschwister, wenn ihr zusammenkommt? Jeder hat ein Lied, hat eine Lehre, hat eine Entdeckung, hat eine Gebetssprache, hat eine Deutung. Alles soll geschehen, um aufzubauen! Wenn jemand in einer Gebetssprache spricht, auch zwei oder höchstens drei, dann der Reihe nach, und jemand soll übersetzen. Wenn aber kein Übersetzer da ist, soll er in der Gemeinde schweigen. Für sich selbst soll er aber sprechen und für Gott. Propheten sollen zwei oder drei sprechen, die anderen sollen beurteilen. Wenn einem anderen, der dasitzt, etwas offenbart wird, soll der erste schweigen. Ihr könnt doch – je einer – alle prophetisch sprechen, damit alle lernen und alle ermutigt werden.” (1.Korinther 14,26-31).

Es würde mich sehr wundern, wenn jemand in dieser Beschreibung den ihm bekannten „Gottesdienst“ in irgendeiner Weise wiederfinden würde. Auf jeden Fall ist zur Zeit des Neuen Testaments niemand auf den Gedanken gekommen, die Treffen der Christen als „Gottesdienst“ zu bezeichnen.

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