Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Offenbarung (Seite 3 von 3)

Die Endzeit

Die Endzeit ist ein Thema, das viele Christen schon viel bewegt hat. Dabei schaut man leider oft in die Zukunft, ohne zu beachten, dass die Endzeit längst begonnen hat.

Am Pfingsttag erklärt Petrus das Geschehen mit Bezug auf eine Prophetie von Joel. Apg 2,17: „Es ist vielmehr das, was durch den Propheten Joel gesagt ist: ‚Es wird sein‘ in den letzten Tagen, sagt Gott, ‚da werde ich ausgießen von meinem Geist auf alle Menschen … . Die „letzten Tage“ hatten also damals begonnen. Eines ihrer Kennzeichen ist das Ausgießen des Heiligen Geistes durch Gott. Und das Ausgießen des Geistes geht ja weiter, jedesmal wenn ein Mensch neu aus Gott geboren wird, bis Jesus kommt.

Auch Paulus spricht von den „letzten Tagen“, die bereits angebrochen sind – 2 Tim 3,1-2: „Das musst du wissen, dass in den letzten Tagen schwierige Zeiten sein werden. Denn (so) werden die Menschen sein: egoistisch, geldgierig, Angeber, überheblich, Lästerer, Eltern widerstrebend, undankbar, würdelos, …“. Die einen erfüllt der Herr mit Heiligem Geist, die anderen offenbaren ihr sündiges Wesen. Auch das wird so weitergehen, bis der Herr kommt.

Und im 1. Korintherbrief sagt er mit Blick auf jene sündige Generation, die nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste sterben musste – 1 Kor 10,11: „Diese Dinge geschahen beispielhaft an jenen, geschrieben wurden sie aber zur Warnung für uns, zu denen das Ende der Zeiten gekommen ist.“ Das Ende der Zeiten könnte man auch mit „Ziel der Äonen“ übersetzen. Das Ziel der Geschichte Gottes ist also die jetzige Zeit, in der er sein Königreich in Gestalt der Gemeinde aufbaut. Die Entrückung bei der Ankunft des Herrn ist dann der Höhepunkt kurz vor dem Abschluss der Zeit.

Auch Petrus schreibt darüber – 1 Petr 1,20-21a – über den Messias: „Er war zwar vor Erschaffung der Welt schon bekannt, wurde aber sichtbar gemacht für die letzte der Zeiten wegen euch, die durch ihn gläubig sind an Gott.“ Mit dem ersten Erscheinen des Messias hat also die letzte der Zeiten begonnen. Bei seinem zweiten Erscheinen ist sie dann zu Ende.

Ganz deutlich sagt es Johannes – 1 Joh 2,18: „Kinder, es ist die letzte Zeit. Und wie ihr gehört habt, dass ein Antichrist kommt, so sind jetzt auch viele Antichristen entstanden. Daran erkennen wir, dass es die letzte Zeit ist.“ Die letzte Zeit, die Endzeit, ist demnach auch die antichristliche Zeit, und sie hatte damals schon angefangen.

Und auch der Hebräerbrief geht davon aus – Heb 1,1-2: „Nachdem Gott vielseitig und vielfältig schon lange zu unseren Vorfahren gesprochen hat durch die Propheten, hat er auf die letzte dieser Zeiten hin zu uns gesprochen durch den Sohn.“ Mit dem Sohn hat also die letzte der Zeiten dieser Welt begonnen.

Auch Jesus hat natürlich davon gesprochen. Seine Lehre über die Endzeit haben uns die neutestamentlichen Autoren in Mt 24, Mk 13 und Lk 21 berichtet. Besonders interessant ist es, die Themen, die Jesus in dieser „Endzeitrede“ anspricht, mit den Themen zu vergleichen, die in Offb 6 und 7 während des Öffnens der sechs Siegel erscheinen:

In Mt 23,4-5 und 23-24 spricht Jesus von falschen „Gesalbten“. – Beim ersten Siegel in Offb 6,2 erscheint der Antichrist.

Mt 23,6-7 spricht von kommenden Kriegen. – Beim zweiten Siegel in Offb 6,3-4 tritt der Krieg in Person auf.

In Mt 23,7 sagt Jesus Hungersnöte voraus. – Beim dritten und vierten Siegel in Offb 6,5-8 erscheinen Inflation und Tod.

Mt 23,9 bereitet die Jünger auf Verfolgung vor. – Beim fünften Siegel in Offb 6,9-11 erscheinen Seelen von Ermordeten am Altar im Himmel.

In Mt 23,14 geht die Botschaft hinaus in die ganze Welt. – Unter dem sechsten Siegel (Teil 2) in Offb 7,1-8 erhält die Vollzahl des Gottesvolkes die Versiegelung mit Heiligem Geist.

Mt 23,19 spricht dann von den Zeichen an Sonne Mond und Sternen am Ende der Zeit. Der entsprechende Inhalt wird ebenso unter dem sechsten Siegel (Teil 1) in Offb 6,12-17 offenbart.

In Mt 23,30-31 wird die Ankunft des Herrn und die Entrückung seiner Auserwählten angekündigt. – Und unter dem sechsten Siegel (Teil 3) in Offb 7,9-17 sehen wir die entrückte Gemeinde als unzählbare Schar im Himmel vor Gottes Thron.

Diese Parallelität kann kein Zufall sein. Was Jesus als Irdischer über die letzte Zeit gelehrt hat, bekräftigt er also noch einmal als Auferstandener in der Offenbarung. Der Inhalt der Siegel-Offenbarungen entspricht sehr deutlich der Endzeitrede in den Evangelien.

Und wenn die Visionen während der Siegelöffnung die Kurzfassung der Sache sind, dann dürfen wir erwarten, auch in der folgenden Langfassung wieder auf diese Inhalte zu treffen.

Mit dieser Betrachtungsweise erscheint die Offenbarung nun nicht mehr als Spekulationsobjekt. Sie ist vielmehr wieder ein neutestamentliches Buch, das mit den anderen übereinstimmt. Und am Ende kann man sie vielleicht sogar noch recht einfach verstehen …

Die Seelen am Altar

Die Seelen am Altar erscheinen in der Offenbarung bei der Öffnung des fünften Siegels – Offb 6,9-11: „Als (das Lamm) das fünfte Siegel öffnete, sah ich unten am Opferaltar die Seelen derer, die getötet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie haben. Sie riefen mit lauter Stimme: ‚Bis wann, Gebieter, Heiliger und Wahrer, richtest und rächst du nicht unser Blut an den Bewohnern der Erde?‘ Und jedem von ihnen wurde ein weißes Gewand gegeben, und es wurde ihnen gesagt, dass sie noch kurze Zeit ruhen würden, bis auch ihre Mitsklaven vollendet wären, die von ihren Geschwistern, die getötet werden wie sie.“

Der Altar, den Johannes hier sieht, ist der Altar des himmlischen Heiligtums. Die Seelen am Altar sind Seelen von getöteten Christen. Es sind nur ihre Seelen da, sie sind noch nicht körperlich auferstanden. Aber sie sind nicht im Hades, in der Totenwelt, wie die übrigen verstorbenen Menschen, sondern im Himmel bei Gott.

Nachdem die vier ersten Siegel Vorgänge auf der Erde schilderten, kommt nun beim fünften Siegel ein Blick in den Himmel. Aber indirekt zeigt auch das fünfte Siegel einen Vorgang auf der Erde, dort herrscht nämlich Christenverfolgung.

Nachdem die christliche Gemeinde in den ersten 30 Jahren hauptsächlich Druck von jüdischer Seite erlebt hatte, kam ein Umschwung. Auch die zuerst eher neutrale heidnische Umwelt begann, die Christen zunehmend kritischer zu sehen. Und durch den Kaiser Nero erfolgte dann die erste offizielle Verfolgung durch den römischen Staat.

Nun sehen wir die Seelen von Getöteten unten am Opferaltar im Himmel. An den irdischen Opferaltar wurde unten das Blut der Opfertiere hingegossen. Und so sind auch die, die für Jesus ihr Leben geopfert und ihr Blut vergossen haben, unten am himmlischen Altar. Ihr Ruf nach dem Gericht Gottes wird gehört, aber sozusagen vertagt. Denn es wird noch mehr ihrer Geschwister geben, die für Jesus ihr Leben lassen. Offensichtlich weiß Gott auch hier, wie viele es sein werden. Inzwischen erhalten sie ihr weißes Gewand, das Zeichen der Gerechtigkeit. Und man sagt ihnen, sie sollen einstweilen ruhen.

Das ist ein interessanter Einblick in das, was die Heiligen im Himmel tun: Sie ruhen. Im weiteren Verlauf bestätigt auch die Aussage in Offb 14,13 diese Ruhe der Heiligen: „Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel: ‚Schreibe: Glücklich sind die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben! Ja, der Geist sagt, dass sie ruhen werden von ihren Mühen, denn ihre Taten folgen ihnen.’”

Und um es für gewisse Mitchristen deutlich zu machen: Wenn die Heiligen im Himmel ruhen, dann kann man sie nicht anrufen, sie hören keine Gebete, leisten keine Fürbitte, tun keine Wunder, nehmen keine Gaben an und lassen sich nicht verehren. Man sollte ihnen ihre Ruhe bei Gott lassen und gönnen und sich mit allen Anliegen direkt an den Herrn wenden, der versprochen hat, Gebete zu hören.

Die apokalyptischen Reiter

Die apokalyptischen Reiter tauchen in Offb 6 nacheinander auf, während Jesus, das Lamm, die ersten vier Siegel der Schriftrolle öffnet. Man nennt sie „apokalyptisch“, weil man sie aus der „Apokalypse“ kennt. Das ist ein antiqierter Ausdruck für das Buch der Offenbarung. Schauen wir sie uns einmal an:

„Und ich sah, dass das Lamm eines der sieben Siegel öffnete. Und ich hörte eines der vier Lebewesen sagen wie mit einer Donnerstimme: ‚Geh!‘ Und ich sah: Da war ein weißes Pferd, und der Reiter darauf hatte einen Bogen. Man gab ihm einen Siegeskranz, und er zog los als Sieger, um zu siegen.

Als es das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite Lebewesen sagen: ‚Geh!‘ Und ein anderes Pferd ging hinaus, ein feuerrotes. Dem Reiter darauf wurde gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, damit sie einander töten. Man gab ihm ein großes Schwert.

Als es das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen sagen: ‚Geh!‘ Und ich sah: Da war ein schwarzes Pferd, und der Reiter darauf hatte eine Waage in seiner Hand. Ich hörte etwas wie eine Stimme mitten zwischen den vier Lebewesen: ‚Ein Kilo Weizen um einen Denar und drei Kilo Gerste um einen Denar, dem Öl und dem Wein darfst du aber nicht schaden!‘

(Ein Denar entspricht ungefähr dem Wert von 25 Euro. Das Öl und der Wein stehen für Luxusgüter, die Reiche sich auch in der Teuerung immer noch leisten können.)

Als es das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens sagen: ‚Geh!‘ Und ich sah: Da war ein ein grünliches Pferd, und der Reiter darauf hatte einen Namen, ‚der Tod‘. Und die Totenwelt folgte ihm.

Ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten durch Schwert, durch Hunger, durch Krankheit und durch die wilden Tiere der Erde.“

Eines ist deutlich: Die apokalyptischen Reiter sind damals hinausgegangen auf die Erde; Johannes hat keine ferne Zukunft geschaut, sondern lebendige Realität. Und sie sind zwar hintereinander hinausgeritten, aber sie gehören zusammen. Sie sind gleichzeitig am Werk und bestimmen die Weltgeschichte mit – bis heute.

Die Reiter zwei bis vier kann man gut erkennen. Der zweite Reiter ist der Krieg. Der dritte Reiter ist die Inflation, die immer auf den Krieg folgt. Und der vierte Reiter ist der Tod, der neben Krieg und Hunger auch durch Krankheit und wilde Tiere unter den Menschen sein Werk verrichtet. Und wenn man auch Viren und Bakterien zu den wilden Tieren zählt, ist diese Aussage bis heute hoch aktuell. Natürlich sind diese Reiter dämonische Mächte, die man – wohlgemerkt: vom Thronbereich Gottes – aussendet.

Schwieriger ist der erste Reiter einzuordnen, der Sieger mit seinem Bogen. Als „Sieger“ mag einem zuerst Jesus einfallen, aber er ist ja am Siegelöffnen und verursacht den Ausritt. Und so ist es nicht gut vorstellbar, dass er sich hier selbst aussendet. Und den Reiter auf die Siegesbotschaft zu deuten, das Evangelium, das siegreich hinauszieht, hat die gleiche Schwierigkeit, die auch die Deutung auf Jesus selbst hat. Die Gefolgschaft der anderen drei Reiter passt überhaupt nicht dazu. Zumal sich die Ausage in Vers 6 „ihnen wurde Macht gegeben … zu töten“ auf alle vier Reiter bezieht.

Wo finden wir in der Offenbarung bzw. im Neuen Testament eine Siegergestalt, die zu den drei anderen Reitern passt? Einen, der es auch noch fertigbringt, auszusehen wie Jesus? Da kommt nur der Antichrist in Frage. Auch er ist eine dämonische Macht. Und über ihn steht in Offb 13,7 der furchtbare Satz: „Es wurde ihm gegeben, Krieg zu führen mit den Heiligen und sie zu besiegen.“ Da haben wir unseren Sieger mit seinem Bogen. Und seine Gefolgschaft, bestehend aus Krieg, Inflation, Hunger und Tod, passt wunderbar dazu.

So werden die apokalyptischen Reiter hier kurzgefasst als Mächte enthüllt, die die Menschheitsgeschichte mitbestimmen. Das geht seit damals durch die ganze Endzeit, bis Jesus kommt und der Sache ein Ende macht.

Die Gemeinde des Herrn, die gegenüber diesen Mächten ihren Weg finden muss, kommt in diesen vier Siegelvisionen noch nicht vor. Wir werden sie unter dem fünften Siegel und in Kapitel 7 finden.

Das Buch mit sieben Siegeln

Das Buch mit sieben Siegeln erscheint in Offb 5,1: „Und ich sah auf der rechten Hand dessen, der auf dem Thron sitzt, eine Schriftrolle, beschrieben von innen und von hinten, mit sieben Siegeln versiegelt.“ Dieses Buch auf der Hand Gottes ist insofern eine etwas rätselhafte Angelegenheit, als dass wir weder in der Bibel noch in der biblischen Umwelt eine direkte Parallele dazu finden. Aber es gibt Ähnlichkeiten:

1) Bei der Einsetzung des Königs Joasch in 2 Kön 12 wurde ihm neben der Krönung und der Salbung auch eine „Ordnung“ übergeben.

2) Der Prophet Hesekiel erhielt nach seiner in Hes 1 beschriebenen Berufung in Hes 2 eine Schriftrolle mit prophetischen Botschaften, die er aufessen sollte.

3) Dem Kommentar von Adolf Pohl zur Offenbarung entnehme ich, dass römische Rechtsurkunden siebenfach versiegelt waren, vom Aussteller der Urkunde und von sechs Zeugen. Und mit dem Öffnen der Siegel wurde die Urkunde in Kraft gesetzt.

Vielleicht müssen wir von allen diesen ungefähren Parallelen etwas entnehmen. Das Buch bzw. die Schriftrolle in Offb 5 ist in Gottes Hand, kommt also von Gott. Sie kann nur Gottes Gedanken und Pläne enthalten. Die Frage ist, wer sie übernehmen und ausführen kann. Das Lamm, das die Sünde und den Tod besiegt hat, kann es. Jesus nimmt die Schriftrolle, und die himmlische Welt sagt unisono: „Das Lamm, das getötet war, ist würdig, die Macht zu empfangen …“. Hier wird ein König eingesetzt. Und er hat die Vollmacht, die Siegel zu brechen und den Plan Gottes zu offenbaren und auszuführen.

Schauen wir uns das Buch mit den sieben Siegeln als Schriftrolle etwas genauer an. Sie ist „von innen und von hinten“ beschrieben. Schriftrollen waren aus Einzelblättern zusammengeklebt und konnten sehr lang sein. Sie wurden auf der Vorderseite beschrieben, und diese war beim Zusammenrollen dann „innen“. Zusammengerollt konnte die Rolle dann am Anfang auf dem senkrechten Rand des Papiers bzw. Papyrus versiegelt werden. Auf diesem Rand müssen wir uns die sieben Siegel in einer Reihe von oben nach unten vorstellen.

Nun sahen damals zusammengerollte Schriftrollen zunächst einmal alle gleich aus. Und es wäre mühsam gewesen, wenn man eine bestimmte Rolle suchte, zum Nachsehen alle erst aufmachen zu müssen. Deshalb bekamen sie im zusammengerollten Zustand außen, also „hinten“ auf der Rückseite eine Beschriftung, die den Inhalt der Rolle zusammengefasst darstellte, also eine Art Inhaltsangabe. So konnte man an jeder Rolle schon von außen den Inhalt erkennen.

So auch auf unserer Schriftrolle in der Hand des Lammes. Sie ist innen und hinten beschrieben. Solange also die Siegel geöffnet werden, ist die Rolle an sich noch geschlossen, das Innere ist noch nicht sichtbar. Also läuft jetzt nur die Kurzfassung, die außen drauf steht, vor den Augen von Johannes ab. Erst, wenn das siebte Siegel offen ist, ist auch die Rolle offen, und es erscheint der eigentliche Inhalt in der langen Fassung.

Und so haben wir von Offb 4,1 bis 8,1 ein zusammenhängendes Geschehen. Erst sehen wir Gott auf dem Thron, umgeben von der Engelwelt. Dann erscheint bei ihm das Lamm, der siegreiche Jesus, und übernimmt mit der Schriftrolle die Königsmacht. Dann öffnet er ein Siegel um das andere, bis die Rolle offen ist. Und währenddessen wird eine Kurzfassung dessen sichtbar, was dann ab Offb 8,2 als ausführlicher Inhalt der Schriftrolle erscheint.

Die 24 Ältesten

Die 24 Ältesten sind ein wichtiges Detail im Verständnis der Offenbarung. So heißen traditionell die 24 Gestalten um den Thron Gottes, die Johannes in Offb 4,4 beschreibt: „Rings um den Thron sind vierundzwanzig Throne, und auf den Thronen sitzen vierundzwanzig Ältere, gekleidet in weiß leuchtende Kleider, mit goldenen Kronen auf ihren Köpfen.“

Zunächst einmal: Es sind wie auch sonst im Neuen Testament keine „Ältesten“, sondern „Ältere“, weil das griechische Wort „presbýteroi“ einfach so heißt. Und dann bilden sie die nächste Umgebung um den Thron Gottes. Noch näher dran sind nur die vier Lebenwesen, die in den folgenden Versen beschrieben werden. Diese sind uns auch schon aus anderen Nennungen und Schilderungen in der Bibel bekannt: Es sind die Cherubim, die Thronengel Gottes. Eigentlich sind sie nicht „näher dran“, der Thron Gottes besteht vielmehr aus ihnen.

Die Zahl 24 hat natürlich zu Spekulationen verleitet. Sie erinnert in ihrer Vollkommenheit an 12 + 12, also z. B. an 12 Stämme Israels plus 12 Apostel von Jesus. Und so hat man hier schon je 12 Vertreter des alttestamentlichen und des neutestamentliche Gottesvolkes sitzen sehen wollen. Aber die Sache ist nicht so einfach – oder sogar viel einfacher.

Die Lösung finden wir, wenn wir den Zusammenhang betrachten, in diesem Fall die zusammenhängende Vision von Kap. 4 bis Kap. 8,1. Sie beschreibt ein fortlaufendes Geschehen, das das Auftauchen des Buches mit den sieben Siegeln und deren Öffnung begleitet. Deutlich ist, dass in Kapitel 5 Jesus in Gestalt des Lammes als Überwinder im Himmel auftaucht. Das ist offensichtlich erst nach seiner Hinrichtung am Kreuz und seiner Auferstehung. Kapitel 4 beschriebt demnach den Zustand davor.

Und dann darf man schon fragen, welche Vertreter der neutestamentlichen Gemeinde vor der Himmelfahrt des Herrn schon im Himmel präsent gewesen sein sollen. Auch alttestamentliche Vertreter sind bis auf wenige Ausnahmen erst um die Auferstehung von Jesus auferstanden. Und welche 12 das dann gewesen sein könnten, ist auch nicht klar. Wenn es die 12 Stammväter wären, wo blieben dann Abraham, Isaak, Jakob oder auch Mose? Also, ein netter Gedanke, aber bei genauem Hinsehen schwierig.

Die einfache Lösung ist: Es handelt sich um eine besondere Art von Engeln. Natürlich besonders mächtige Engel, vielleicht so etwas wie der Thronrat Gottes. Dass sich in der Zahl dieser 24 mächtigen Engel die Zahlen des irdischen Gottesvolkes widerspiegeln, ist dann sogar ein durchaus passender Gedanke.

Das Verständnis der 24 Älteren als mächtige Engel wird in Offb 5,11 bekräftigt: „Und ich sah, und ich hörte die Stimme vieler Engel und der Lebewesen und der Älteren rings um den Thron, ihre Zahl war zehntausend mal zehntausend und tausend mal tausend.“ Im himmlischen Lobpreis Gottes und dann des Lammes vereinigen sich die 4 Cherubim, die 24 Älteren und die 100 Millionen anderen Engel zu einem gemeinsamen Engelchor.

Nun haben wir die 24 Älteren um den Thron als mächtige Engel identifiziert. Und dann dürfen wir getrost noch warten, bis auch die menschliche Gemeinde Gottes in der Geschichte auftaucht. Ich sage hier schon mal: In Kapitel 7.

Die Nikolaiten

Die Nikolaiten werden in zwei der sieben Briefe an die sieben Gemeinden in der Offenbarung von Jesus angesprochen. An die Gemeinde in Ephesus – 2,6: „Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hasst, wie auch ich sie hasse.“ Und an die Gemeinde in Pergamon – 2,15: „So hast auch du Leute, die sich genauso an die Lehre der Nikolaiten halten.“ Der Name dieser Gruppierung ist wohl am ehesten damit erklärbar, dass sie von einen geistigen Anführer und Lehrer mit Namen „Nikolaos“ (Nikolaus) ausging.

Diese Nikolaiten sind aus andern Quellen der damaligen Zeit nicht bekannt. Alles, was wir über sie wissen, müssen wir dem Zusammenhang der Briefe in der Offenbarung entnehmen. Im Brief an die Gemeinde in Ephesus wird inhaltlich nichts darüber gesagt. Es heißt nur, dass die Gemeinde ihre Werke richtigerweise hasst, wie auch Jesus sie hasst.

Im Brief an die Gemeinde in Pergamon wird es konkret. „Aber ich habe ein ‚wenig‘ gegen dich: Du hast dort Leute, die sich an die Lehre Bileams halten, der den Balak lehrte, den Nachkommen Israels ein Ärgernis vorzusetzen: Fleisch von Götteropfern zu essen und Unzucht zu treiben. So hast auch du Leute, die sich genauso an die Lehre der Nikolaiten halten.“

Die Nikolaiten werden hier mit dem heidnischen Seher Bileam und seinem zerstörerischen Einfluss auf das Volk Israel verglichen. Dieser ist in 4 Mo 25,1-2 in Verbindung mit 4 Mo 31,16 nachzulesen. Sie lehren (und praktizieren), dass Christen Fleisch von Götteropfern essen und Unzucht treiben dürfen. Sie nehmen sich eine (falsch verstandene „christliche“?) Freiheit, die auch sonst im Neuen Testament überall abgewiesen wird. Unreinheit im religiösen und im sexuellen Bereich hat in der christlichen Gemeinde keinen Platz. Christliche Freiheit ist nicht Freiheit zum Sündigen, sondern Freiheit von der Sünde.

Ohne den Begriff „Nikolaiten“ zu erwähnen, wird der Sachverhalt auch im Brief an die Gemeinde in Thyatira angesprochen. „Ich habe gegen dich, dass du die Frau Isebel zulässt, die sich ‚Prophetin‘ nennt, die lehrt und meine Sklaven irreführt, dass sie Unzucht treiben und Fleisch von Götteropfern essen.“ Auch hier wird die Sache mit einer alttestamentlichen Verführergestalt, in diesem Fall Isebel, verglichen. Es klingt so, als sei in Thyatira direkt eine konkrete Frauengestalt als „Prophetin“ am Werk gewesen, die die Rolle Isebels einnahm.

In Pergamon und Thyatira hatte sich diese Art von Unreinheit schon mehr oder weniger weit in der Gemeinde ausgebreitet. Es war höchste Zeit, sich mit klarer Trennung dagegen abzugrenzen. Und es ist deutlich, dass es im Neuen Testament keinerlei Kompromiss mit Sünde und Unreinheit gibt. Dazu hat der auferstandene Jesus hier in der Offenbarung noch einmal ein letztes Wort gesprochen.

Die Engel der Gemeinden

Die Engel der Gemeinden, diese Bezeichnung, die in den ersten Kapiteln der Offenbarung in der Lutherübersetzung auftaucht, müssen wir ergründen. In der einleitenden Vision der Offenbarung sieht Johannes Jesus in überwältigender Macht und Herrlichkeit. Er ist umringt von sieben Leuchtern und hat sieben Sterne in seiner rechten Hand.

Jesus selbst gibt die Erklärung dazu – Offb 1,20 (Lutherübersetzung): „Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter ist dies: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.“

Nun könnte man spekulieren, dass in der unsichtbaren Welt für jede Gemeinde irgendwie ein Engel zuständig sei, obwohl ansonsten nirgends im Neuen Testament auch nur die Spur einer solchen Vorstellung vorkommt. Im Gegenteil, Herr der Gemeinde ist Jesus selbst, und er leitet sie durch den Heiligen Geist, der der Gemeinde gegeben ist. Auch der Gedanke, dass Jesus einem irdischen Menschen einen Brief diktieren muss, um mit einem Wesen in der unsichtbaren Welt zu kommunizieren, ist doch recht eigenartig.

Ein guter Teil dieses Problems lässt sich lösen, wenn man sich erinnert, dass das griechische Wort „ángelos“ – von dem das deutsche „Engel“ abgeleitet ist – in seiner eigentlichen Bedeutung „Bote“ heißt. Der Bote ist der Überbringer einer Botschaft. Erst damit, dass auch „Boten“ Gottes so bezeichnet wurden, ist daraus der Begriff „Engel“ entstanden. Nun haben wir also keine Engel der Gemeinden mehr, sondern Boten der Gemeinden. Aber was sind das nun für Boten?

Manche Ausleger haben mit dieser Bedeutung des Wortes an Leiter der Gemeinden gedacht. Jemand muss ja den Brief in Empfang nehmen und sich um die Umsetzung der Botschaft kümmern. Doch auch diese Sichtweise krankt daran, dass wir im Neuen Testament keine solchen alleinigen Gemeindeleiter finden. Wir finden immer nur mehrere Ältere bzw. Verantwortliche, die auch nicht alleine, sondern in Einmütigkeit mit der ganzen Gemeinde die Verantwortung tragen.

Aber auch diese Schwierigkeit lässt sich lösen, wenn man entdeckt, dass grammatikalisch der Genitiv auch erklärende Bedeutung haben kann. Der nachfolgende Genitiv erklärt das Wort davor. Der Genitiv „der Gemeinden“ erklärt dann die „Boten“. Und dann heißt „Boten der Gemeinden“, dass die Boten die Gemeinden sind. Und damit kommt man zurecht. Die Boten Gottes in der Welt sind die Gemeinden. Der Bote Gottes in Ephesus ist die Gemeinde in Ephesus. Dazu passt auch, dass die Briefe inhaltlich immer die ganze Gemeinde ansprechen. Z. B.: „Du hast den Namen, dass du lebst, und du bist tot.“

Die Adressaten, die Jesus Johannes angibt, bestätigen, dass die Gemeinden gemeint sind – Kap. 1,11: „Schreibe, was du siehst, in eine Schriftrolle und schick sie den sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!“ Wie auch die anderen Schriften im Neuen Testament, soll die ganze Gemeinde sie lesen, geistlich verarbeiten und umsetzen..

Im Bild sind nun also nicht nur die sieben Leuchter sieben Gemeinden. Auch die sieben Sterne sind sieben Gemeinden – in ihrer Funktion als Boten. Das drückt die zwei Seiten der christlichen Existenz aus: Der Leuchter steht im Heiligtum vor Gott. Das ist die Gott zugewandte anbetende Seite. Der Stern ist ein Licht in der Nacht. Das ist die der Welt zugewandte Seite, das Licht, das in der Finsternis leuchtet. Wir haben hier wieder Beispiele für prophetische Symbolsprache.

Die sieben angeschrieben Gemeinden liegen im damaligen wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des römischen Reichs. Sie stehen natürlich stellvertretend für alle Gemeinden bzw. die ganze Gemeinde. Und jede Gemeinde bzw. jeder Christ sollte schauen, wo er sich darin wiederfindet, und entsprechende Konsequenzen ziehen: „Wer ein Ohr hat, soll hören, was der Geist den Gemeinden sagt!“ (Auch hier wieder: „den Gemeinden“.)

Die Offenbarung

Die Offenbarung an Johannes ist im Neuen Testament das Buch, über das große Verwirrung besteht. Viele unterschiedliche Auslegungen aus unterschiedlichen Richtungen haben die Situation nicht einfacher, sondern immer komplizierter gemacht. Die vielen bildhaften Visionen und teilweise rätselhaften Aussagen haben offensichtlich auch die Phantasie angeregt. Und so wurde aus dem Buch vieles heraus- bzw. in es hineingelesen, was gar nicht drin steht.

Um die Offenbarung zu verstehen, muss man also viel Ballast abwerfen von allem, was man schon darüber gehört und gelesen hat, und den Versuch machen, zu einem einfachen Verständnis des Bibeltextes zu kommen.

Wenn man nach dem Text selbst geht, hat hier der echte Jesus dem echten Johannes diese echte Offenbarung geschenkt, um sie aufzuschreiben. Und in diesem Buch sind sieben echte Briefe an sieben echte Gemeinden enthalten. Wir sollten auch davon ausgehen, dass schon Johannes selbst alles verstanden hat, was Jesus ihm offenbart hat. Und auch die Leser des Buchs konnten verstehen, was Johannes geschrieben hat. Die Offenbarung war nach ihrer Veröffentlichung schnell weit verbreitet. Im 2. Jahrhundert gehörte sie zu den viel gelesenen und geschätzten Büchern des Neuen Testaments. In den weiteren Verfolgungen im römischen Reich war sie das „Trostbuch“ der Gemeinde. Niemand hat sie damals in Zweifel gezogen.

Es ist dann genau wie bei den anderen Briefen im Neuen Testament: Sie sind von konkreten Autoren an konkrete Empfänger geschrieben. Aber durch ihre geistliche Inspiriertheit und Wirkung wurden sie als Reden Gottes an die ganze Gemeinde erkannt und in den Kanon des Wortes Gottes aufgenommen.

Wir müssen also versuchen, die Offenbarung mit den Augen der ersten Leser zu lesen. Wir müssen versuchen zu verstehen, was sie verstehen konnten. Dann können wir daraus die richtigen Lehren auch für uns und unsere Zeit ziehen – und das Reden Gottes vernehmen.

Zum Verstehen der Offenbarung als biblische Schrift werden uns auch parallele Aussagen in den anderen Schriften helfen. Genauso wird der gesamte Zusammenhang des Neuen Testaments einiges dazu beitragen.

Dass die Verbannung von Johannes auf die Insel Patmos zur Zeit der ersten Verfolgung unter dem Kaiser Nero im Jahr 65 n. Chr. stattfand, lässt sich aus der Zahl des Tieres in Kapitel 13 schließen. Um das Jahr 68 dürfte er dort die Offenbarung empfangen und aufgeschrieben haben.

Eine alte Überlieferung, die Tertullian berichtet, gibt Auskunft über das Schicksal von Petrus, Paulus und Johannes während dieser Verfolgung. Petrus wurde hingerichtet am Kreuz, Paulus als römischer Staatsbürger wurde (humanerweise schnell) geköpft, Johannes wurde in heißes Öl gesteckt. Zum Schrecken der Verfolger geschah aber das Wunder, dass Johannes das tödliche Ölbad unbeschadet überstand. Um den unheimlichen Wundermann loszuwerden, schickte man ihn dann in die Verbannung.

Dass der Johannes, der die Offenbarung aufgeschrieben hat, tatsächlich der Sohn von Zebedäus und der Jünger von Jesus ist, daran bestand in der frühen Zeit kein Zweifel. Spätere Datierungen sind demnach auch unwahrscheinlich, weil Johannes irgendwann zu alt gewesen wäre. Die Offenbarung sieht nicht aus wie das Werk eines Greises. Machen wir uns also auf, die Offenbarung zu verstehen, wie Johannes und die ersten Christen sie verstanden haben …

Israel

Eine wichtige und in manchen christlichen Kreisen viel besprochene Frage ist, was das Neue Testament zum Thema „Israel“ sagt. Israel ist zunächst das alttestamentliche Volk Gottes. Ihm sandte Gott, „als die Zeit erfüllt war“, seinen Sohn, Jesus den Messias. Und an Jesus dem Messias hat sich Israel dann gespalten. Ein größerer Teil Israels hat Jesus als Messias abgelehnt. Ein kleinerer Teil Israels in Gestalt der Jünger und der ersten Gemeinde hat Jesus angenommen. Und der ablehnende Teil Israels war dann nicht nur bei der Hinrichtung von Jesus die treibende Kraft, sondern auch bei der Verfolgung der ersten Gemeinde.

Über das Verhältnis dieser beiden Teile Israels hat Paulus ausführlich im Römerbrief geschrieben, in den Kapiteln 9 bis 11. Er legt dar, dass es einen ungläubigen Teil Israels gibt, der sich mit seiner Ablehnung selbst vom Geschenk Gottes im Messias ausgeschlossen hat, und dass es den gläubigen „Rest“ Israels gibt, mit dem Gott nun seinen Weg weitergeht.

Und in den gläubigen Rest-Teil Israels werden dann auch Nichtjuden aufgenommen. Ihnen hat Gott die Türe geöffnet, ins Volk Gottes hereinzukommen. Und so sind sie nicht mehr „Fremde und Ausländer“, sondern „Mitbürger der Heiligen und Angehörige Gottes“ (Eph 2,19). Paulus stellt das im Bild des Olivenbaums dar: Alte Zweige wurden abgeschnitten, neue Zweige werden eingepfropft, die genauso dazugehören. Die gläubige Gemeinde aus Juden und Nichtjuden ist nun das gläubige und treue Volk Gottes – Israel.

Das hatte auch Jesus selbst schon dem ablehnenden Teil Israels angekündigt. Mt 21,47: „Das Reich Gottes wird von euch weggenommen werden und einem Volk gegeben werden, das dessen Früchte hervorbringt.“

Die Haltung der Gemeinde zum abtrünnigen Teil Israels ist aber eindeutig. Es ist die Haltung, die auch Jesus selbst hatte: Schmerz und Trauer und der Wunsch, sie auch weiterhin zu gewinnen. Sie zu verfolgen und möglichst auszurotten, war nie ein Gedanke der christlichen Gemeinde. Der „christliche“ Antisemitismus konnte erst auf dem Boden des kirchlichen Antichristentums aufkommen und seine bösen Früchte hervorbringen.

Paulus sagt, dass Gott auch für den abtrünnigen Teil Israels an seinen Zusagen festhält. Auch wenn es ein untreues Israel gibt, bleibt Gott doch treu. Und wenn Jesus wiederkommt, wird auch dieser Teil Israels ihn als seinen Messias erkennen und annehmen und gerettet werden. Aber bis dahin ist das einzige Volk Gottes und damit das „Israel Gottes“ die Gemeinde.

In Gal 6,16 schreibt Paulus: „Friede und Erbarmen über alle, die sich nach dieser Regel richten, über das (ganze) Israel Gottes!“ Nachdem er die Forderung nach der physischen Beschneidung der bekehrten Nichtjuden abgewehrt hat, hat er diese neue Regel in Vers 15 so beschrieben: „Weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit ist etwas, sondern eine neue Schöpfung!“

Anstelle der physischen Beschneidung gibt es nun in der neuen Geburt eine geistliche Beschneidung. Röm 3,28-29: „Nicht der ist nämlich ein Jude, der es im Sichtbaren ist, und nicht das ist Beschneidung, was am Körper sichtbar ist. Vielmehr ist der ein Jude, der es im Verborgenen ist, und Beschneidung des Herzens (geschieht) im Geist, nicht mit Buchstaben. Das Lob eines solchen (Menschen) kommt nicht von Menschen, sondern von Gott.“ Die Beschneidung ist also nicht abgeschafft, sondern sie wird erfüllt in der Reinigung des Herzens durch den Heiligen Geist.

Paulus geht hier tatsächlich so weit, diese nach der neuen Regel „Beschnittenen“ nun auch als die wahren „Juden“ zu bezeichnen. Die abtrünnigen Juden haben also trotz ihrer physischen Beschneidung ihr eigentliches „Judentum“ verloren, ihre Beziehung zu Gott. Und ein hereinkommender Nichtjude wird nun durch die Beschneidung des Herzens zu einem Angehörigen des Volkes Gottes, zu einem „Juden“.

Von seiner Ursprungsgeschichte her bezeichnete sich Israel auch gerne als das „Zwölf-Stämme-Volk“. Und hier löst sich auch das Rätsel um die Frage, an wen Jakobus seinen Brief geschrieben hat. „Jakobus, ein Sklave Gottes und des Herrn, Jesus des Messias: an die zwölf Stämme in der Diaspora. Seid gegrüßt!“ (Jak 1,1). Dass Jakobus an Gläubige schreibt, ist vom Inhalt des Briefes her ganz klar. Wenn nun die Gläubigen das wahre „Israel Gottes“ sind, dann sind sie auch das Zwölf-Stämme-Volk.

Von hier aus fällt dann auch Licht auf eine der Visionen in der Offenbarung – Offb 7,1-8:

„Danach sah ich vier Engel an den vier Enden der Erde stehen, die halten die vier Winde der Erde fest, damit kein Wind wehen soll über die Erde, über das Meer und über jeglichen Baum. Und ich sah einen anderen Engel heraufkommen vom Aufgang der Sonne, der hatte ein Siegel des lebendigen Gottes und rief mit lauter Stimme zu den vier Engeln, denen es gegeben worden war, der Erde und dem Meer zu schaden: ‚Schadet weder der Erde, noch dem Meer, noch den Bäumen, bis wir die Sklaven unseres Gottes auf ihren Stirnen versiegelt haben!‘ Und ich hörte die Zahl derer, die versiegelt wurden: ‚hundertvierundvierzigtausend‘.

Es sind Versiegelte aus jedem Stamm der Nachkommen Israels: vom Stamm Juda zwölftausend Versiegelte, vom Stamm Ruben zwölftausend, vom Stamm Gad zwölftausend, vom Stamm Ascher zwölftausend, vom Stamm Naftali zwölftausend, vom Stamm Manasse zwölftausend, vom Stamm Simeon zwölftausend, vom Stamm Levi zwölftausend, vom Stamm Issachar zwölftausend, vom Stamm Sebulon zwölftausend, vom Stamm Josef zwölftausend, vom Stamm Benjamin zwölftausend Versiegelte.“

Für das „Versiegeln“ gibt es Parallelstellen im Neuen Testament:

„Es ist Gott, der uns samt euch festigt auf den Messias hin, der uns gesalbt hat, der uns versiegelt hat, der als Anzahlung den Geist gegeben hat, der in unseren Herzen ist.“ (1 Kor 1,21).

„In ihm wurdet ihr auch, als ihr zum Glauben kamt, versiegelt mit dem versprochenen Heiligen Geist, der eine Anzahlung unseres Erbes ist auf die erworbene Erlösung hin, zum Lob seiner Herrlichkeit.“ (Eph 1,13b+14).

„Und macht nicht den Heiligen Geist Gottes traurig, mit dem ihr versiegelt wurdet auf den Tag der Erlösung hin!“ (Eph 4,30).

Das ist die neutestamentliche Lehre von der „Versiegelung“.

Und mit dieser Erkenntnis verstehen wir nun auch die Vision in der Offenbarung. Die vier Winde (die das letzte Gericht über die Erde bringen sollen) müssen still bleiben, bis die zwölf Stämme (die gläubige Gemeinde aus Juden und Nichtjuden) versiegelt sind mit dem Heiligen Geist. Das ist ja ein fortlaufender Prozess, solange noch immer durch neue Geburt neue Gläubige hereinkommen. Das geht so lange, bis es hundervierundvierzigtausend sind (die volle – symbolische – Zahl, die Gott in seinem Plan festgelegt hat).

Und dann kommt das Ende. Jesus holt die Gemeinde weg, und wir sehen sie in der darauf folgenden Vision in Offb 7,9-17 als unzählbare Menge, als vollendete Gemeinde vor dem Thron Gottes. (Dass die unzählbare Menge aus 144.000 besteht, ist nur scheinbar ein Widerspruch: Gott kann sie zählen, Menschen können es nicht.)

Der Antichrist

Der Antichrist – der Autor im Neuen Testament, der diesen Ausdruck geprägt und gebraucht hat, ist Johannes. Ich zitiere hier einen zentralen Vers dazu aus dem ersten Johannesbrief – 1 Joh 2,18: „Kinderchen, es ist die letzte Zeit. Und wie ihr gehört habt, dass ein Antichrist kommt, so sind jetzt auch viele Antichristen entstanden. Daran erkennen wir, dass es die letzte Zeit ist.“

Drei grundlegende Aussagen kann man in diesem Vers erkennen:

– Die „letzte Zeit“ hatte damals begonnen, wir leben seither in der letzten Zeit.

– Der kommende Antichrist war in der ersten Generation der Christen schon für die allernächste Zukunft angekündigt.

– Johannes schreibt, er ist „jetzt“ da, und es sind „viele Antichristen“ entstanden.

Die Diskrepanz zwischen dem einen und den vielen Antichristen lässt sich auflösen, wenn man mit der Offenbarung (Kap. 13) den Antichristen als eine dämonische Macht begreift, die sich mit einem Heer von Dämonen vieler kleinerer und größerer menschlicher Antichristen als Werkzeuge bedient.

In ihrer Grundstruktur zeigt die Offenbarung in letzter Tiefe das satanische Gegenprogramm gegen Gott:

Der Satan, der Drache, die alte Schlange ist das Gegenbild zu Gott.

Das wilde Tier aus der Unterwelt, der Antichrist, ist das Gegenbild zu Jesus dem Messias, dem Lamm.

Das zweite Tier, der falsche Prophet, der macht, das alle Welt das erste Tier anbetet, ist das Gegenbild zum Heiligen Geist, dem Geist der Prophetie.

Die große Hure Babylon ist das Gegenbild zur Gemeinde, der Braut des Lammes.

Der Ausdruck „Antichrist“ passt sehr gut, denn griechisch „anti“ heißt auf Deutsch „gegen“ oder „anstelle“. Einer, der sich gegen den Christus bzw. Messias Gottes an dessen Stelle setzen will, das ist dieser dämonische tierische Geist. Und nicht zu vergessen, er ist laut biblischer Aussage schon lange da. Es gilt also nicht, sich davor zu fürchten, dass der Antichrist irgendwann einmal kommt. Es gilt vielmehr zu erkennen, dass er da ist und am Werk ist. Und wenn man sich vor etwas fürchten will, dann bitte davor, dass man irgendwie mit ihm verwickelt sein könnte.

Die Sicht von Johannes hat auch Paulus, wenn er in 2 Thess 2,3-8 schreibt:

„Dass euch ja niemand auf irgend eine Art etwas vortäuscht! Denn (der Tag des Herrn kommt nicht), ohne dass zuerst der Abfall kommt und der Mensch des Unrechts enthüllt wird, der Sohn des Verderbens, der Gegner, der sich über alles erhebt, was ‚Gott‘ oder ‚Heiligtum‘ heißt, so dass er sich ins Tempelhaus Gottes setzt und sich vorzeigt: Er sei Gott. Erinnert ihr euch nicht, dass ich euch das sagte, als ich noch bei euch war? Ihr wisst, was ihn jetzt niederhält, bis er zu seiner Zeit enthüllt wird. Das Geheimnis des Unrechts ist allerdings schon am Werk. Nur der, der es bis jetzt niederhält, muss aus der Mitte getan werden, und dann wird der Verbrecher enthüllt werden. Ihn wird der Herr, Jesus, mit dem Hauch seines Mundes beseitigen, zunichtemachen bei seiner sichtbaren Ankunft.“

Den zweiten Thessalonicherbrief hat Paulus auf seiner zweiten Missionsreise geschrieben, das ist etwa 15 Jahre früher als der erste Johannesbrief. Und Paulus schrieb damals schon, das Geheimnis des Unrechts sei bereits am Werk. Und der, der es niederhält, hatte 15 Jahre später schon nachgelassen, als Johannes schreibt, sie sind jetzt da. Für den, „der es bis jetzt niederhält“, bleibt dann eigentlich nur eine Erklärung. Es muss die erste Generation der Apostel, der Gesandten von Jesus sein, die zu ihrer Wirkungszeit diesen Gegner noch aufgehalten hat.

Es ist erstaunlich, dass Paulus auch solche Inhalte in der ersten Unterweisung einer jungen Gemeinde schon drin hatte. Es muss für den Aufbau der Gemeinde sehr wichtig gewesen sein, dieses Geheimnis zu kennen. Die Schlüsselaussage über diesen Gegner ist bei ihm: Er setzt sich ins Tempelhaus Gottes und zeigt sich vor: Er sei Gott.

Nun müssen wir natürlich klarstellen, was im Neuen Testament das Tempelhaus Gottes ist: Es ist die Gemeinde. In 1 Petr 2,5 wird das vielleicht am schönsten beschrieben: „Lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen, als geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott willkommen sind durch Jesus den Messias.“

Seit beim Sühnetod von Jesus am Kreuz der Vorhang im Tempel zerrissen war, war der steinerne Tempel in Jerusalem als Wohnort Gottes auf Erden abgelöst. Nun wohnt er seit dem ersten Pfingsten im Geist in seiner Gemeinde, wie auch Paulus es ausgedrückt hat in Eph 2,21-22: „In ihm (Jesus) wird das ganze Bauwerk zusammengefügt und wächst zu einem heiligen Tempelhaus im Herrn, in dem auch ihr mit aufgebaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.“

In diesem Haus Gottes den Platz des Messias einzunehmen und dieses Werk zu zerstören, ist also der Auftrag der antichristlichen Macht. Unsere Brüder und Schwestern in früheren Jahrhunderten hatten eine klare Sicht vom Abfall im Christentum in der frühen Zeit. Der Abfall war die Entwicklung von menschlichen Machtpositionen in der Gemeinde, verbunden mit Verweltlichung der Umgangsformen, der Ersatz des Geistlichen durch das Menschliche. Man könnte auch sagen: der Ersatz des Geistlichen durch dieGeistlichen„.

Ein großer Schritt auf diesem Weg war um 300 n. Chr. die Anerkennung des Christentums als offizielle Religion durch Kaiser Konstantin. Sie war unter anderem verbunden mit staatlichen Gehältern für Bischöfe und Finanzierung kirchlicher Prachtbauten. Den Höhepunkt der Entwicklung sehen wir im Papsttum, als Papst Innozenz III. um 1000 n. Chr. auch über den Kaiser und die Könige in Europa regierte. Kein Wunder, dass schon in der Offenbarung die große Stadt Rom als Hauptsitz der großen Hure gesehen wird.

Für Martin Luther war es völlig klar, dass der Papst in Rom der Antichrist ist, der im Tempel Gottes sitzt als Gott bzw. Abgott. Leider hat Luther den Antichristen nur in der einen Person und Position gesehen und nicht im gesamten Prinzip der menschlichen Herrschaft in der Gemeinde. Sonst hätte er sich nicht dazu verleiten lassen, sich auf protestantischer Seite selbst zu einer Art Papst zu entwickeln und anstatt biblischer Gemeinde eine neue Art von Kirche aufzubauen nach dem alten System der Theologen- und Pfarrerherrschaft.

Und so kennen wir das Prinzip der „Päpstlichkeit“ bis heute in Kirchen, Freikirchen, noch freieren Kirchen, bis hin zu Hauskirchen. Und die Gemeinde als „Wohnung Gottes im Geist“ bleibt auf der Strecke.

Es hat sich erfüllt, was Johannes geschaut hat. Offb 13,7: „Und ihm (dem Tier) wurde gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu besiegen.“ Für mich ist das einer der erschütterndsten Sätze im Neuen Testament. Denn er besagt, dass auch das zu Gottes Plan gehört. Und es ist ja wahr, wir sind besiegt. Wo ist die neutestamentliche Gemeinde geblieben?

Für Johannes war das allerdings schon damals kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Offb 13,10: „Hier ist die Ausdauer und der Glaube der Heiligen!“

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