Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

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Kaltes Wasser für Propheten

(Kaltes Wasser für Propheten – ein Auszug aus einem Artikel von Sören Kierkegaard. Er hat die Überschrift „Die Gleichzeitigkeit; was du dem Zeitgenossen tust, das allein ist das Entscheidende“. Veröffentlicht in „Der Augenblick“ am 11. September 1855.)

„Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird eines Propheten Lohn empfangen. Und wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird eines Gerechten Lohn empfangen. Und wer einem von diesen Geringen nur einen Becher kalten Wassers reicht, weil er ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, er soll nicht um seinen Lohn kommen.“ So sagt unser Herr Jesus Christus, Mt 10,41-42.

Wahrlich, eine mehr als königliche und kaiserliche Freigebigkeit; so freigebig ist nur die Gottheit!

Und doch, sieh etwas näher zu. Es handelt sich hier darum, was man einem Zeitgenossen, was man als Zeitgenosse dem Propheten, dem Jünger tut. „Wer einem von diesen Geringen einen Becher kalten Wassers reicht“ – ja, hierauf kann doch der Nachdruck nicht liegen. Nein, der Nachdruck liegt auf dem: „weil er ein Jünger, ein Prophet ist“.

Wenn also ein Zeitgenosse sagen würde: „Ich halte den Menschen gewiss nicht für einen Propheten, für einen Jünger. Dagegen bin ich bereit, ihm einen Becher Wein zu reichen“. Oder wenn einer vielleicht bei sich im Stillen diesen Menschen für einen Jünger, einen Propheten ansähe, hätte aber, feige, nicht den Mut, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen. Oder wenn einer dem Propheten, dem Jünger, den ja als solchen die Zeitgenossen nicht anerkennen, im Gegensatz zu den andern Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, aber um billigeren Preis. Wenn ein solcher dann etwa sagen würde: „Ich halte ihn wohl für keinen Propheten. Aber er ist doch ein merkwürdiger Mensch, und ich mache mir ein Vergnügen daraus, ihm einen Becher Wein zu reichen.“ So müsste das eine- wie das anderemal die Antwort lauten: „Nein, mein Lieber, behalte er nur seinen Becher Wein! Davon redet die Schrift nicht.“

Sie redet nur von einem Becher kalten Wassers, den man ihm reicht. Aber man reicht ihn, weil er ein Jünger, ein Prophet ist. Und damit erkennt man ihn also voll und ganz als das an, was er in Wahrheit ist. Worauf Christus zielt, das ist die Anerkennung als als Jünger, als Prophet, und zwar von den Mitlebenden. Ob man die Anerkennung dadurch ausdrückt, dass man ein Glas kaltes Wasser reicht, oder dadurch, dass man ein Königreich schenkt, ist durchaus gleichgültig. Worauf es ankommt ist nur dies, warum man den Zeitgenossen anerkennt.

Somit ist nicht richtig, was die Besoldungspfarrer für die Pfarrbesoldung den Menschen einbilden. Da 10 Taler mehr sei als ein Glas kaltes Wasser, sagen sie, so sei es auch etwas weit Höheres, dem Propheten, dem Jünger 10 Taler zu geben, aber nicht, weil er der Prophet, der Jünger ist. Das sei mehr, als ihm ein Glas kaltes Wassers zu geben, weil er ein Prophet, ein Jünger ist. Nein, es geht vielmehr darum, dass man es darum gibt. Dass man also ausdrücken will, dass man den Menschen anerkennt für das, was er in Wahrheit ist, darauf kommt es an.

Aber es ist nicht leicht, das einem Mitlebenden zu tun. Hierzu braucht einer zwar nicht selbst ein Prophet, ein Jünger zu sein. Aber was er haben muss (und wohlgemerkt, bei redlichem Willen unbedingt auch haben kann), das ist zwei Drittel von eines Jüngers, eines Propheten Charakter. Denn einem Zeitgenossen gereicht, kann dieser Becher Wasser, oder richtiger dieses Weil, teuer zu stehen kommen. Von der Gegenwart, bei Leibesleben, wird nämlich der Prophet, der Jünger verhöhnt, gehasst, verwünscht, verabscheut, auf alle Weise verfolgt. Und verlass dich drauf: einem Jünger „als Jünger“ einen Becher Wasser zu reichen, zieht nach dem Neuen Testament mindestens Ausschluss aus der Synagoge nach sich. Damit bestrafte man ja jeden, der sich mit seinem Zeitgenossen Christus einließ.

Das wird natürlich von den Lügenpfaffen „vertuscht, verschleiert, verschwiegen, ausgelassen“. Sie schmachten ja vielmehr unter Schluchzen, Herzstößen, unterdrücktem Seufzen mit unsäglichem Verlangen danach, als Zeitgenossen Christi gelebt zu haben – um aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden, was ja natürlich der Pfründen- und Ämterjäger herzlichstes und tiefstes Verlangen ist.

Grüßen

(Grüßen – ein Abschnitt aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Er beschreibt sein Erleben im damaligen Palästina in den Jahren 1884 bis 89.)

Die Grüße der Araber erinnern uns auf Schritt und Tritt an das biblische Altertum. Man wird kaum eine andere Nation auf Erden finden, welche einen so großen Reichtum von feinen zierlichen, höflichen Redensarten hätte, welche von Hohen und Niedrigen, von Gelehrten und Ungelehrten mit gleicher Freigebigkeit gespendet werden. Das sind die Trümmer einer Periode, in welcher diese schönen Worte Äußerungen der inneren Freiheit und eines Adels der Gesinnung beim arabischen Volk waren. Heute ist aber gerade von diesem Wesen der Sache wenig mehr vorhanden. Fast nur die Worte und der Schein sind geblieben. Der schönen und sinnigen Grüße sind viele. Darum begnügt man sich häufig nicht mit einem einzigen Gruß. Die Begrüßung gestaltet sich vielmehr zu einem förmlichen Zwiegespäch, in welchem ein Glückwunsch den anderen erwidert und überbietet, z. B.:

A. Gott gebe dir einen guten Morgen!

B. Dir hundert gute Morgen!

A. Dein Morgen sei heilvoll!

B. Ja, Gott beschere dir einen heilvollen Morgen!

A. Dein Tag sei glückselig!

B. Glückselig und gesegnet sei dein Tag!

A.Friede sei mit dir!

B. Über dir sei Friede!

A. Gott baue dein Haus!

B. Er beschere dir langes Leben und erhalte dir deine Kinder!

A. Gott mit dir! Bleib uns freundlich gesinnt!

B. Gehe hin mit Frieden!

Wir haben oft gelesen, dass die Begrüßungen der Orientalen so überaus umständlich sind, ihr Küssen, Friede- und Segenswünschen so lange Zeit in Anspruch nehme. Deshalb soll sich Jesus auch genötigt gesehen habe, seinen Jüngern bei ihrer Aussendung die Reiseregel mit auf den Weg zu geben: „Grüßt niemand auf der Straße!“ (Lk 10,4). Dies ist gewiss unrichtig. Denn die einfache Begrüßung unterwegs ist, selbst wenn dieselbe mit Gruß und Umarmung verbunden ist, denn doch so sehr zeitraubend nicht, dass sie eine solche Vorschrift nötig oder erklärlich machen könnte.

Der freundliche Leser würde, wenn es sich nicht gerade um einen Befehl des Herrn selbst handelte, wahrscheinlich dabei das Gefühl haben, das dies doch den Eifer etwas zu weit getrieben heiße, dass die Jünger nicht einmal mehr jemandem auf der Straße guten Tag wünschen sollten, zumal wenn es ein lieber alter Freund gewesen wäre, der ihnen begegnete. Das Unterlassen eines solches einfachen Grußes hätte auch in der Tat jedermann als eine Grobheit empfunden. Und dies hätte ihrem evangelischen Amt sicher keinen Vorschub geleistet.

Die Sache wird aber ganz klar, sobald wir bedenken, dass das Wort „grüßen“ (sällem) bei den Orientalen noch eine andere Bedeutung hat. Und diese ist auch in jener Rede des Herrn gemeint. „Jemanden Grüßen“ heißt nämlich bei solchen, welche auf der Reise sind – und um solche handelt es sich hier -, so viel wie einen Besuch bei ihm machen. Gehe ich in die Wüste, um etwa eine Häuptling zu besuchen, und es stellt mich auf den Bergen ein Beduine zur Rede, was ich hier wolle, so werde ich ihm auf Arabisch sicher antworten: „Ich will deinen Schech (Häuptling) grüßen“. Will jemand von unseren Gemeindegliedern in Hebron nach Jerusalem reisen, und sagt zu Hause vor dem Weggehen, dass er unterwegs mir einen Besuch machen will, so wird er dies nie anders ausdrücken, als: „Ich will den Pastor auf der Straße grüßen.“

Diese Art von Grüßen meint der Herr. Er will sagen: „Lasst euch auf eurer Straße nicht durch gute Bekannte einladen, sie ‚zu grüßen‘, d. h. mit ihnen in ihr Haus zu gehen, wo sie nach Landessitte wahrscheinlich sofort schlachten und ein Mahl bereiten würden, um das Wiedersehen zu feiern, und wo ihr jedesmal einen oder mehrere Tage verlieren würdet. Dafür ist euer Beruf zu wichtig und zu eilig.“ Im Vorübergehen freundlich zu grüßen, ist aber etwas, was die Jünger Jesu gewiss stets ebenso getan haben, wie er selbst.

Das Wort, welches in den orientalischen Grüßen die größte Rolle spielt, ist Friede. Wie ein Klang aus einer versöhnten Welt, wie eine Erinnerung an ein ehemaliges goldenes Zeitalter und wie eine Sehnsucht und Ahnung kommender Versöhnung klingt’s durch alle Grüße Israels bis zu denen der heutigen Bewohner Palästinas, das süße Wort Friede. Wie köstlich lautet jener Gruß, mit welchem Amasai, der Hauptmann unter dreißig, den König David begrüßte? „Dein sind wir, David, und mit dir halten wir es, du Sohn Isais! Friede, Friede sei mit dir! Friede sei mit deinen Helfern! Denn dein Gott hilft dir!“ (1 Chr 13,18).

„Friede sei mit dir!“ Das ist auch heute noch der häufigste Grüß, den sich die Leute hierzulande bieten. Ein Muhammedaner zwar wird einem Christen diesen Gruß niemals gönnen. Wenn ein Christ ihn einem Muhammedaner gegenüber gebraucht, so wird er fast immer die Antwort bekommen: „Bekehre dich zum Propheten!“. Aber so sehr ist Friedewünschen und Grüßen für die Bewohner des alten Bibellandes gleichbedeutend, dass man heute wie damals ein und dasselbe Wort für beides hat. Und oft kann man kaum unterscheiden, welche von beiden Bedeutungen in erster Linie gemeint ist.

So kommt es, dass das Wort Salám (hebr. Schalom) vielfach eine sinnige Zweideutigkeit hat, welche auf mehrere Stellen des Neuen Testaments ein interessantes Licht wirft. So sagt der Herr (Mt 10,12f) zu seinen Jüngern: “ Wo ihr in ein Haus geht, so grüßt dasselbe! (D. h. in die Landessprache übersetzt: Sprecht zu demselben ‚Friede sei mit euch!‘.) Und so es dasselbe Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen.“ Dieser Gruß soll also bei den Jüngern des Herrn nicht ein bloßer Wunsch sein, sondern wirklichen Frieden ins Haus bringen.

Ein Vorfall in Hebron erinnerte mich vor kurzem an dies Wort. Ein Muhammedaner war dort an einem am Markt sitzenden Christen mit dem üblichen „Friede sei mit dir!“ vorübergegangen. Der antwortete wie gewöhnlich. „Über dir sei der Friede!“ Nachher erfuhr der erstere, dass der von ihm Begrüßte ein Christ sei. Da kam er zurück, fuhr mit größter Heftigleit auf ihn los, fing an, denselben mit Hilfe anderer Muhammedaner zu schlagen und zu misshandeln, indem er einmal übers andere rief: „Gib mir meinen Frieden zurück! Gib mir meinen Frieden zurück! Denn du bist ein Christ!“ Nur mit Mühe konnte der Christ von herbeieilenden Bekannten vor weiterer Misshandlung geschützt werden.

Es scheint also auch der heutigen Bevölkerung noch eine Erinnerung davon geblieben zu sein, dass der Gruß des Friedens eigentlich eine tatsächliche Wirkung haben soll, eine geistliche Bedeutung und Macht, mit welcher man nicht verschwenderisch umgehen soll, dass er eine „Perle“ ist, die man nicht „vor die Säue“ werfen darf. Darum das Geizen der Muhammedaner mit diesem Gruß, den jener Hebroner sogar wieder zurückhaben wollte. So sagt auch der Herr zu seinen Jüngern (Mt 10,13): „Ist es aber dasselbe Haus nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden!“

Auch beim Abschiednehmen ist der allgemeinste Gruß „ma‘ ssaláme!“ „Ziehe hin in Frieden!“. Wem fielen dabei nicht allerlei Stellen aus der Schrift ein, welche uns zeigen, wie uralt dieser Abschiedgruß ist (2 Mo 4,18; Ri 18,6; 1 Sam 1,17 usw.)! Auch der Herr, wenn er z. B. einen Kranken geheilt hatte, verabschiedete sich in landesüblicher Weise von ihm: „Gehe hin in Frieden!“ (Lk 7,50; Mk 5,34; Lk 8,48). So hatte dieser Gruß für diejenigen, welche ihn vom Herrn hörten, durchaus nichts Auffallendes. Und doch mögen sie jedesmal gefühlt haben, dass hier eine wirkliche Macht und Kraft des Friedens war, welche sie anderwärts nicht spürten. Denn im Mund des Herrn war dieser schöne Gruß der köstlichsten Vertiefung fähig.

Jesus selbst sagt seinen Jüngern einmal, dass dieser Abschiedgruß bei ihm etwas ganz anderes bedeute, als sonst bei der Welt. In seinen Abschiedsreden (Joh 14,27) sagt er: „Meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“. D. h., „als ein Abschiednehmender muss ich euch jetzt Lebewohl sagen oder in orientalischen Worten ‚Geht hin mit Frieden!‘. Aber diese Abschiedsformel wird von Menschen gedankenlos ausgesprochen, oder sie bleibt doch im besten Fall nur ein leerer Wunsch, den zu erfüllen man nicht die Macht hat. Ich aber hinterlasse euch damit wirklichen Frieden, jene innere Ruhe und Heiterkeit eines mit Gott versöhnten Herzens, die durch äußere Stürme nicht zerstört werden kann. Darum erschrecke euer Herz nicht und fürchte sich nicht, zumal ich euch gesagt habe: ‚Ich komme wieder zu euch!'“. Die ganze Abschiedsstimmung jener letzten Stunden weht durch diese bewegten Worte des Herrn, die er im Kreis der erschrocken lauschenden Jünger sprach.

Mit dem landesüblichen Gruß begrüßte Jesus seine Jünger auch, als er nach seiner Auferstehung plötzlich in den Kreis der bekümmerten Jünger trat, welche jenen Frieden noch nicht hatten finden können. Wenn einer, den wir selbst mit zu Grabe geleitet haben, plötzlich zu uns ins Zimmer träte und ruhig wie sonst immer „Guten Tag!“ sagen würde, als ob noch alles beim Alten wäre, so würde dies auf uns etwa denselben Eindruck machen, wie jenes Eintreten Jesu mit dem gewöhnlichen „Friede sei mit euch!“ auf die Jünger. Aber wenn jemals dieser Gruß mitteilte, was er sagte, so war es in jener Stunde. Großer, glücklicher Friede erfüllte die Herzen der Jünger und verließ sie nicht wieder. Da merkten sie, warum der Herr gesagt hatte: „Nicht gebe ich euch wie die Welt gibt!“ (Joh 20,21). …

Übernachten

(Übernachten – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er beschreibt die Zustände, wie er sie in den Jahren 1884-89 im damaligen Palästina selbst erlebt hat.)

Wo kann man bei solchen Reisen in Palästina übernachten? Es ist schon oben gelegentlich der Weihnachtsgeschichte erwähnt worden, dass in Palästina keine Gasthäuser oder Hotels existieren. Dennoch fällt es dem Reisenden nicht schwer, ein Unterkommen zu finden. Gastfreundschaft ist ja von jeher der Ruhm und die Ehre des Morgenländers gewesen. Je ursprünglicher die Menschen noch sind, namentlich also in der Wüste, desto williger und zuvorkommender wird diese altberühmte Tugend geübt. Es ist ein Zeichen der Rohheit und im Auge des Arabers schimpflich, einen Gast nicht freundlich aufzunehmen. Und es ist nicht eine leere Phrase, was der Araber zu seinem Gast zu sagen pflegt: Beti betak. Das heißt: mein Haus ist dein Haus.

Damit ist nicht gesagt, dass man eine jede beliebige verdächtige Gestalt, der man in der Wüste begegnet, als guten Hausfreund behandelt. Dazu gehört, dass man in seinem Zelt sein Gast und Hausgenosse gewesen ist. Ist das nicht der Fall, so sehen es viele als ihr unbestrittenes Privilegium an, dem freundlichen Wanderer die Sorge um seinen Mammon so erheblich zu erleichtern, als nur irgend in ihren Kräften steht. Und wenn diese Freiherren in der Wüste vom Raub leben, so ist das nicht etwa eine Sünde in ihren Augen. Es ist vielmehr ihr Erwerbszweig, so gut wie man an der nordischen Küste den Strandsegen als einen berechtigten Erwerbszweig ansieht. Für dessen Ausgiebigkeit betete und dankte man früher sogar im allgemeinen Kirchengebet.

So war es, wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt, eine unsichere Sache, allein zwischen Jerusalem und Jericho zu reisen. Man liebte daher damals wie heute, für diese Reise eine Karawane abzuwarten. …

Wo indessen das Gastfreundschaftsverhältnis durch Eintreten in ein Zelt oder Haus und durch gemeinsame Mahlzeit eingeleitet ist, da wird es auch heilig gehalten. Meistens braucht man, wenn man sich einer Hütte naht, nicht erst lange anzuklopfen. Die Leute kommen dem Fremden vielmehr entgegen und laden ihn aufs freundlichste ein, nicht an der Tür ihrer Hütte vorbeizugehen.

So lesen wir auch von Abraham, dass er eines Tages, als die Sonne am heißesten war, an der Tür seiner Hütte sitzend seine Augen aufhob und drei Männer erblickte. Und da er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seiner Hütte und bückte sich nieder auf die Erde und sprach: “ Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so gehe nicht vor deinem Kecht vorüber. Man soll auch ein wenig Wasser bringen und eure Füße waschen.“ (1 Mo 18,3f.).

Solch‘ freundlich zuvorkommendes Einladen eines ganz fremden Mannes ist mir zu wiederholten Malen auf den Bergen Judas begegnet. In manchen Gegenden werden dem Gast auch, wie wir hier bei Abraham lesen, die Füße gewaschen. Dann erhält er und sein Reittier Speise und Trank, so gut es eben der Wirt gerade leisten kann.

Dies Pietätsverhältnis der Gastfreundschaft der Beduinen in der Wüste findet übrigens seine Grenzen an den Genzen des Stammes, welchem der Wirt angehört. Es kann vorkommen, dass jemand einen Fremden aufs liebenswürdigste aufnimmt und bewirtet und ihn dann eben so dienstfertig als sein Gastfreund bis an die Grenze geleitet. Sobald diese aber überschritten ist, fällt er als sein Räuber über ihn her und plündert ihn aus.

Bei meinen Reisen durchs Land war ich zum Übernachten häufig genötigt, einen der Einwohner des Dorfs, in welchem ich abends ankam, um gastfreundliche Aufnahme zu bitten. Diese versagte man mir auch niemals. Gewöhnlich gab ich am nächsten Morgen dem Weib eine Vergütung. Die Araber früherer Zeiten, deren noble Gesinnung bekannt ist, würden dies freilich als eine Beleidigung angesehen haben. Unter sich halten es die Araber noch heute meistens so. Bei uns Europäern machen sie sich hierüber weniger Skrupel. Denn der Europäer ist nach allgemeiner Auffassung nur dazu da, um ausgebeutet zu werden.

Übernachten kann man im Sommer auch draußen. So habe ich selbst öfters einfach unter freiem Himmel kampiert. Das Pferd wurde an einen Felsen oder einen großen Stein gebunden, der Mantel oder die Reisedecke um den Leib geschlagen. Die Satteltasche wurde als Kopfkissen untergelegt.

Auch die Reisegesellschaft Jesu hat ohne Zweifel oft im Freien übernachtet. Treffen wir sie doch selbst in kalter Aprilnacht draußen in Getsemane! In solchen Fällen wickelten sich Jesus und seine Jünger in ihre Abája, ihren Mantel aus Schaf- oder Kamelswolle. Ihren Kopf legten sie auf einen Stein oder eine Erderhebung, wie der Erzvater Jakob. Aber manchmal, und besonders in kühlerer Jahreszeit, baten sie auch um Privatgastfreundschaft. Dabei mussten sich die zwölf bis zwanzig Personen zum Übenachten wahrscheinlich oft auf mehrere Häuser verteilen.

Nach Ankunft fremder Gäste in einem Haus versammeln sich gewöhnlich viele Männer, oft fast das ganze Dorf, in dem Haus. Sie nehmen auf den Matten rings an den Wänden herum Platz. Dabei nehmen z. B. wir gewöhnlich Gelegenheit, aufmerksamen Ohren das Evangelium vorzulesen und zu erklären. So führen auch die bekannten Evangelisten des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem, welche zweimal des Jahres das heilige Land durchziehen, ihr Amt hauptsächlich in solchen Abendstunden unter einer so versammelten Gesellschaft aus.

So mag auch Jesus, wenn sich des Abends im Haus des Gastgebers die Leute eines Dorfs oder eines Städtchens um ihn versammelten, seinen Mund aufgetan und das Wort vom „Königreich der Himmel“ verkündigt haben. Währenddessen saßen die Zuhörer rings am Boden, und eine kleine Ölampel breitete ihr mattes Licht über die lauschende Versammlung, in deren Herzen nächtlicherweise ein Widerschein des ewigen Lichts hineinfiel.

Wenn den Herrn nichts mehr für länger an einen Ort fesselte, so schied er eines Morgens aus dem Haus, das ihn gastlich aufgenommen. Er verließ es auch dann nie, wenn etwa Vornehmere ihn in ihr Haus einluden. (Mt 10,11; Lk 10,7). Waren die Leute, bei denen er mit seinen Jüngern zum Übernachten war, arm, so wird Jesus, welcher ohnedies einen Teil seiner Kasse für die Armen bestimmte (Lk 11,41; Mt 26,11), den Judas wohl angewiesen haben, etwas zu bezahlen.

Dass dies aber nicht das Gewöhnliche war, geht aus Mt 10,11 hervor. Hier wies Jesus seine Jünger bei ihrer Aussendung an, Privatgastfreundschaft anzunehmen, und verbot ihnen doch, Geld mitzuführen. Eine Fehlbitte wird Jesus selten getan haben, wenn er um gastliche Aufnahme an ein Haus klopfte. Selbst im heidnischen Syrophönizien am Ufer des blauen Mittelmeeres klopfte er eines Tages an einem Haus an, um dort, wie einst Elija, unweit Sarepta, eine Zeit lang vor aller Welt verborgen zu bleiben (Mk 7,24).

Nur einmal nahmen ihn Samariter nicht zum Übernachten auf, weil er nach dem verhassten Jerusalem zog. Aber wir sehen aus der Entrüstung der „Donnerskinder“ Jakobus und Johannes, wie unerhört dieser Fall war. Das nahe sichtbare Karmelgebirge hatte sie an jenem Tag an Elija erinnert. Darum hätten sie am liebsten gleich ihm Feuer vom Himmel fallen lassen (Lk 9,54). Jesus aber tadelte sie ernstlich und ging mit ihnen weiter bis zu einem anderen Dorf. …

Jedenfalls muss Jesus eine gesunde, kräftige Natur gehabt haben, welche allen diesen Strapazen und Entbehrungen in Frost und Hitze gewachsen war. Darum konnte er auch auf einem von Wind und Wellen herumgejagten Schiff ebenso ruhig schlafen, wie unter den Öl- oder Feigenbäumen auf den Bergen Palästinas. …

Jesus als Wanderer

(Jesus als Wanderer – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller.)

Es gehört zu den größten Reizen des Reisens in Palästina, dass es uns auf so manchem steilen Felsenpfad, den wir etwa in heißer Mittagsglut übersteigen, oft plötzlich einfällt: Hier ist einst auch Jesus gewandert mit seinen zwölf Jüngern.

Jesus war ein rüstiger Wanderer. Das ganze Land auf und ab hat er durchzogen. Bald finden wir ihn in Nazaret, bald an den Ufern des Jordans, bald in der Königsstadt Jerusalem, bald an den Gestaden des Sees Genezaret, bald in Samarien, bald jenseits des Jordans, bald am blauen Mittelländischen Meer bei Tyrus und Sidon, bald an den steilen Abhängen des felsigen, schneebedeckten Hermon bei Cäsarea Philippi. Die Evangelisten haben über die Reisen des Herrn kein Tagebuch geführt, in welchem jede Reise sorgfältig einregistriert wäre. Es kam ihnen nur darauf an, uns zu berichten, was während dieser Reisen geschehen ist. Forscht man aber den Spuren in den Evangelien nach, so scheint der Herr, abgesehen von zahlreichen kleineren Ausflügen und Märschen in der Umgebung des Sees Genezaret, während seiner öffentlichen Wirksamkeit fünf bis sechs größere Reisen durchs Land unternommen zu haben.

In den Zwischenzeiten, namentlich in den Monaten der Regenzeit, hielt er sich in Kafarnaum auf. Wahrscheinlich wohnte er im Haus des Petrus und Andreas. Während dieser Zeit mögen die Jünger mit ihrer Hände Arbeit ihr Brot für sich und ihre Familie verdient haben. Und wie Sankt Paulus in weit höherem Maß noch als andere Rabbiner es für eine Ehre hielt, sich neben seinem großen Apostelamt durch seiner Hände Arbeit zu ernähren, so hat es auch Jesus zweifellos nicht für eine Entwürdigung seines Berufs gehalten, sich bei solchen Gelegenheiten an der Arbeit zu beteiligen. Ein Segel aufzusetzen, ein Steuer zu führen, ein Schiff im Sturm zu lenken hat er sicher ebenso gut verstanden wie seine Jünger. Dass er sich bei den zahlreichen Fahrten mit seinen Jüngern stets vornehm zurückgezogen habe, ohne mitanzufassen, sieht dem nicht gleich, der an jenem letzten Abend die Jünger bei Tisch bediente und ihnen die Füße wusch.

Am Sonnabend ging Jesus, wo immer er war, auf der Reise oder in Kafarnaum, in die Synagoge, um das Volk zu lehren. Zuweilen scheint Jesus während seines Wanderlebens auch auf den Straßen gelehrt zu haben. (Lk 13,26). Auf Straßen und Märkten wird ja im Orient vieles vorgenommen, was im Abendland nur im Haus geschieht. Jedenfalls aber tat der Herr dies nur während der ersten Zeit seiner Tätigkeit. Damals folgten ihm ja oft Tausende nach. Der Zudrang war so ungeheuer, dass er sich in Kafarnaum nicht mehr öffentlich in der Stadt sehen lassen konnte. (Mk 1,45.) Daher verlegte er sein Lehren und Predigen hinaus aufs freie Feld und in verlassene „Wüsten„. Aus allen benachbarten Landschaften bis auf drei oder vier Tagereisen versammelten sich die Leute um den rasch berühmt gewordenen Lehrer. Sie kamen aus Jerusalem, aus Idumäa, von jenseits des Jodans, von Tyrus und Sidon usw. (Mk 3,8).

Nach und nach wurde es aber einsamer um Jesus. Der Zuzug der Fremden wurde seltener, der Hass seiner Feinde gefährlicher. Seine Reisen dienten oft mehr seiner persönlichen Sicherheit, als der Predigt des Evangeliums vor dem Volk. Aber in jener ersten Blütezeit, die sich wie ein erquickender Morgentau über Galiläa legte, geschahen die Reisen Jesu in aller Öffentlichkeit. Den Reiseplan machte er freilich stets allein, und oft kannten die Jünger das Ziel der Reise nicht. Dadurch wurde ein unnützes Zusammenströmen von Negierigen vermieden, welche nur interessante und wunderbare Dinge sehen wollten. Um Aufsehen war es ja dem Herrn nicht zu tun, sondern um die stille Aussaat in die Herzen.

Zuweilen sandte er seine Jünger auch ohne seine Begleitung aus. Währenddessen reiste Jesus als Wanderer ganz allein durchs Land (Mt 10). Was auf diesen einsamen Wanderungen in Städten, Dörfern oder Zelten geschehen und gesprochen worden ist, davon ist leider keine Kunde auf uns gekommen.

Aber meistens reiste er mit seinen Jüngern zusammen, auch begleitet von einer größeren Zahl wohlhabender Frauen. Diese hatten ihm viel zu danken und wollten überall sein Lehren und Predigen mitanhören (Lk 8,1f.). Sie sorgten auch für den Unterhalt der Gesellschaft, „sie taten ihm Handreichung von ihrer Habe.“ Selbst konnte ja Jesus als Wanderer jetzt nichts mehr verdienen. Sein früheres Vermögen hatte er wohl seiner Mutter überlassen. Er führte ein Wanderleben und hatte dabei nicht einmal mehr so viel, wie die Füchse und die Vögel unter dem Himmel, die er auf seinen Wanderungen oft sah, ein eigenes Plätzchen, wo er des Nachts sein müdes Haupt hinlegen konnte. Jene Frauen und andere dankbare Leute gaben daher Geldbeträge, welche Jesus auch annahm. Er bestellte in Judas Ischariot einen Kassenverwalter. „Der hatte den Beutel und trug, was gegeben ward.“ (Jo 12,6). So zog er „von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.“ (Lk 8,1).

Und wie Judas die Geldangelegenheiten zu besorgen hatte, so haben wohl andere je nach Anlage und Geschick andere Zweige des gemeinschaftlichen Haushalts übernommen. So mag einer von den Zwölfen auf den Reisen besonders für den Proviant gesorgt haben, vielleicht Philippus (Jo 6,5). Wenn z. B. die Reise von Jericho nach Jerusalem führte, wo man vor Betanien auf keine Ortschaft traf, musste irgendwo in der Wüste, sei es unter einem schattigen Felsvorsprung, sei es bei lagernden Beduinen, zu gemeinsamer Mahlzeit Rast gemacht werden. Auf anderen Reisen, deren Wege von Zeit zu Zeit Dörfer und Ortschaften berührten, wurde das Nötige unterwegs gekauft.

Auch heute noch ist dies nicht anders, da man von Wirtshäusern in den Dörfern nichts weiß. Am heißen Mittag pflegen wir auf Reisen nicht in Häusern einzukehren, deren dumpfe Luft oft wenig erquickend sein würde. Wir lagern uns vielmehr zur Mahlzeit am liebsten außerhalb der Ortschaften unter schattigen Bäumen. Natürlich muss sich in der Nähe des Lagerplatzes eine Quelle oder eine Zisterne befinden. Sonst fehlt dem durstigen Wanderer das erquickende Labsal, frisches Wasser.

Einer von uns geht etwa noch hinein ins Dorf, um einen für das Essen notwendigen Einkauf zu besorgen. Die Zurückbleibenden schöpfen zunächst das nötige Wasser. Bei einer sprudelnden Quelle ist dies sehr einfach. Aus einer Zisterne dagegen kann man das Wasser nur mit einem (gewöhnlich ledernen) Schöpfeimer heraufholen, welcher an einem Strick hinuntergelassen wird. Haben die Reisenden einen solchen nicht unter ihrem Gerät, so müssen sie warten, bis ihnen jemand aus dem nahen Dorf eine solchen zur Benutzung überlässt. Sind nachher alle beisammen, so beginnt die einfache Mahlzeit unter freiem Himmel im Schatten der Bäume.

Der Baumeister

(Der Baumeister – Teil 1 des Kapitels „Der Baumeister“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„)

Auf unseren Bildern, welche Jesus während seines Aufenthalts in Nazaret darstellen, sehen wir ihn gewöhnlich mit Hobel und Säge bewaffnet an der Hobelbank stehen. Meist noch als Kind, um Josef zu helfen, während Maria irgendwo im Hintergrund der Tischlerwerkstatt zu sehen ist. Wir haben aber schon oben ausgeführt, dass „Tektoon“, d. h. einer, welcher Häuser baut, in Palästina, wo auf dem Gebirge alle Häuser aus Stein erbaut werden, nur einen Baumeister bedeuten kann. Sämtliche Gleichnisse des Herrn, welche auf Bauten Bezug nehmen, reden von Steinbauten.

Noch heutzutage wollen die Betlehemer Baumeister die Geheimnisse ihrer Kunst nur auf ihre eigenen Söhne vererben. Und so hat auch Josef den jungen Jesus in seine Kunst eingeführt. Er hat ihm die beste Art Steine zu fügen, Gewölbe zu runden usw. gezeigt. Als Josef dann starb, führte Jesus das Handwerk selbständig fort. Jene Stelle, aus welcher man folgern muss, dass Josef schon seit längerer Zeit gestorben war, zeigt uns Jesus als selbständigen Meister. Denn er wird dort (Mk 6,3) nicht etwa der Sohn des Baumeisters, sondern „der Baumeister, Marias Sohn“ genannt.

Freilich wird Jesus wohl nicht ausschließlich mit der Bauarbeit beschäftigt gewesen sein. Teils weil dieser Beruf nur für einen Teil des Jahres Beschäftigung und Verdienst bietet, teils aus Neigung geben sich z. B. in Betlehem fast alle Baumeister, mehr oder weniger, auch mit Landbau ab. Die Gleichnisse von Jesus deuten darauf hin, dass dies auch bei ihm der Fall war. Denn jedermann nimmt seine Vergleiche aus solchen Gebieten, in denen er heimisch ist. Wir finden aber in den Gleichnissen des Herrn auf nichts so viel Bezug genommen, wie auf Landbau und Bauarbeit. Betreffs des Landbaus, welcher naturgemäß die meisten Gleichnisse darbot, bedarf es keiner besonderen Beispiele. Aber auch auf den Häuserbau spielt der Herr besonders gerne an. Ansonsten zieht er außer dem Fischergewerbe seiner Jünger gar kein Handwerk, jedenfalls nicht die Zimmermannskunst, zu seinen Gleichnissen heran.

Gleich am Anfang seiner Tätigkeit, nachdem er kaum Hammer und Kelle niedergelegt hat und zum ersten Mal in seinem neuen göttlichen Beruf vor dem herrlichen Tempel in Jerusalem steht, spricht er (Jo 2,19): „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten!“. Jesus hat dabei natürlich nicht mit dem Finger auf seinen Leib gedeutet, wie manche es erklären wollen. Sonst hätte ihn jedermann verstehen müssen. Es war vielmehr ein Rätselwort, wie es der Herr manchesmal gesprochen hat. Auch wenn niemand in seiner Umgebung den wahren Sinn verstand. Selbst seine Gleichnisse, z. B. von viererlei Ackerfeld, blieben oft zunächst ganz unverstanden, solange er keine Erklärung hinzufügte. Die Leute nun, welche wussten, dass der, welcher jenes Wort vor dem Tempel stehend sprach, ein Baumeister war – und dazu gehörten vor allem seine Jünger -, konnten den Sinn nicht erfassen.

Jesus aber wollte durch solche Worte das Nachdenken anregen. Solche Rätselworte waren wie Saatkörner, welche erst einige Zeit in der Tiefe der Seele ruhen mussten, bis sie aufgehen konnten. Ihre scheinbare Unverständlichkeit machte sie nur um so behaltbarer. Denkende Leute kamen allmählich auf den Gedanken, dass der Herr in einem weit tieferen Sinn, als bisher, ein Baumeister sein könnte. Die Mehrzahl der Gedankenlosen dagegen bezog das Wort einfach auf sein bisheriges Handwerk und machte ihn lächerlich. „Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“

Der Zweck des Herrn, das Nachdenken zu wecken, wurde auch trefflich erreicht. So großes Aufsehen machte jenes Wort, dass man es ihm selbst im Todesgericht noch vorwarf. Und auch später noch bei der Steinigung des Stefanus wurde es als Verbrechen vorgebracht. Aber erst nach der Auferstehung, so bemerkt Johannes, ging den Jüngern ein Licht darüber auf, was der Herr vor einigen Jahren mit dem seltsamen Wort gemeint hatte. …

Wie oft hören wir auch sonst aus den Gleichnissen des Herrn den früheren Baumeister reden. Für sein eigenes Schicksal, die Verwerfung vonseiten Israels, nimmt er ein Gleichnis vom Bauplatz. Es wurde, so sagt er ungefähr, ein Bau aufgeführt. Die Bauleute stehen auf dem Bauplatz zusammen und besehen die Bausteine. Einen Stein werfen sie als ganz untauglich weg. Aber gerade dieser Stein wurde zur großen Verwunderung aller zum Eckstein des Hauses. Der Bauherr hatte es so bestimmt. (Mt 21,42; Mk 12,10).

Oder Lk 14,28 sehen wir den Baumeister, der vor Ausführung eines Baues seinen Kostenüberschlag macht: Wer wollte einen Turm bauen und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten! Aber hat er erst den Grund gelegt, was bei den Bauten in Palästina oft besonders kostspielig ist, und kann es nachher doch nicht ausführen, so wird er von jedermann ausgelacht.

Gerade die Grundlegung beim Bau führt der Herr öfters an. Bekanntlich muss der Grund eines Hauses in Palästina auf dem Fels liegen, wenn man auch noch so tief graben muss. Diesem Grundsatz gemäß, den jeder Baumeister befolgen muss, will Jesus, wie früher bei seinen Bauten, seine Gemeinde auf den Felsen bauen. Und so stark und fest soll der Bau gegründet und gefügt sein, dass selbst die Pforten der Hölle ihn nicht überwältigen sollen. Ja den ganzen Ernst, die Summa der Bergpredigt, fasst der Herr am Schluss derselben in ein vom Bauplatz genommenes Gleichnis. „Darum wer diese meine Rede hört und tut sie, den vergleiche ich mit einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute. Wer sie aber hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf den Sand baute.“ (Mt 6,24-26). …

Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, wie sehr auch später noch die Regeln der Baukunst in den Gedanken des Herrn lagen. Und sie bestätigen uns, dass nicht Tischlerei oder Zimmerei, sondern Häuserbau der Beruf des Herrn vor seinem Amtsantritt war.

Jünger

„Jünger“ ist im Neuen Testament die bekannte Bezeichnung für die Nachfolger von Jesus. Das Wort ist die Übersetzung des griechischen „mathetés“. Das kommt von dem Wort „manthánein / lernen“ und bezeichnet also im eigentlichen Sinne einen „Lernenden“. Wir hätten im Deutschen dafür auch Worte wie Schüler, Student, Lehrling oder Auszubildender. Aber sie bringen nicht die richtige Vorstellung von der Sache zum Ausdruck.

Bei einem „Schüler“ sehen wir vor unserem geistigen Auge eine Schulklasse, bei einem „Studenten“ einen Hörsaal, bei einem „Azubi“ einen Ausbildungbetrieb. Das alles passt nicht zur antiken Jüngerschaft. Ein Jünger ist natürlich ein Schüler, deshalb ist das Gegenstück dazu auch der Lehrer. Aber er lernt nicht stundenweise in einem Klassenzimmer, sondern er tritt in eine Lebensgemeinschaft mit einem Lehrer ein. Er sucht sich den Lehrer aus, dieser muss ihn aber auch annehmen. Die Worte seines Lehrers sind dann so wichtig für ihn, dass er sie auswendig lernt. Aber er will nicht nur die Worte des Lehrers lernen, sondern auch das daraus folgende Handeln. Und deshalb muss er die vorbildliche Umsetzung der Worte im Leben des Lehrers auch mit eigenen Augen beobachten.

Es gibt eine nette Anekdote aus der jüdischen Überlieferung dazu. Ein Rabbi (die jüdische Bezeichnung für einen Lehrer) wollte abends mit seiner Frau zu Bett gehen. Dabei entdeckte er zwei seiner Jünger, die sich in seinem Schlafzimmer versteckt hatten. Empört stellte er die beiden zu Rede, was sie hier zu suchen hätten? Die bezeichnende Antwort der beiden war: „Rabbi, wir wollen lernen!“

Im Neuen Testament finden wir deshalb nicht nur Jünger von Jesus. Wir finden auch Jünger von Johannes dem Täufer und Jünger der jüdischen Theologen. Paulus z. B. war ein Jünger des hoch geachteten Rabbinen Gamaliel gewesen, der in der Apostelgeschichte auch einmal in Erscheinung tritt (Apg 5,34-39).

Insofern war es nichts Neues, dass auch Jesus diese Art von Jüngern hatte. Neu bei ihm war die große Zahl von Jüngern, die er hatte. Denn bei Jesus waren es nicht nur die „Zwölf“, sondern alle, die ihm folgten, und das ging zeitweise in die Tausende. Und das ganz Neue dabei war, dass er Frauen als Jüngerinnen akzeptierte.

So konnten letztlich alle, die an ihn als den Messias glaubten, als seine Jünger bezeichnet werden. In Ablehnung dagegen nannten sich die jüdischen Theologen die „Jünger von Mose“ (Joh 9,28).

Beachtenswert ist, dass die Bezeichnung „Jünger“ für die Gläubigen in der Apostelgeschichte einfach weitergeht. Überall, wo man hinkommt, findet man Jünger. Und das ist eine aufschlussreiche Benennung. Auch die Christen in der Gemeinde sind und bleiben Jünger. Sie bleiben Lernende. Eine interessante Frage an jeden Christen: Bist du ein Lernender? Bist du immer noch ein Lernender?

Und wer ist der Lehrer? Diese Frage hat Jesus ein für alle Mal beantwortet. Mt 23,8: „Ihr aber sollt euch nicht ‚Rabbi‘ nennen lassen! Einer ist nämlich euer Lehrer, ihr alle seid Geschwister.“

Natürlich gibt es in der Gemeinde des Neuen Testaments auch Lehrer – Geschwister mit der Gabe des Lehrens. Aber auch ihr Lehrer ist Jesus, und man folgt nicht ihnen, sondern ihm. Ein falscher Lehrer bindet Menschen an sich, ein richtiger Lehrer weist sie in die Nachfolge von Jesus.

Auch das Ziel eines Jüngers hat Jesus klar definiert. Lk 6,40: „Es ist kein Jünger über dem Lehrer. Als Ausgebildeter soll aber jeder wie sein Lehrer sein.“ Wenn Jesus der Lehrer des Jüngers ist, dann ist das Ziel der Ausbildung, wie Jesus zu sein. Deswegen bleiben Christen wohl auch zeitlebens Jünger …

Maria

Maria war die junge Frau, die Gott in Israel auswählte zu der einzigartigen Aufgabe, die irdische Mutter seines Sohnes Jesus zu sein. Sie war in Nazaret aufgewachsen und gehörte zu der dort ansässigen Gruppe von Nazoräern. Ihr Vater war Eli, der Sohn von Mattat. „Nazoräer“ war die Bezeichnung für die leiblichen Nachkommen des Königs David. Von denen gab es damals – ca. 1000 Jahre nach David – eine ganze Menge. Die Nazoräer wussten, dass nach Gottes Zusage an David aus ihren Reihen der „Sohn Davids“, der Messias, kommen würde, und waren in entsprechender Erwartung.

Maria war verlobt mit Josef, der von Beruf Maurer war und aus Betlehem kam. Auch Josef war ein Nazoräer, von denen es in Betlehem, der „Stadt Davids“, ebenfalls eine Gruppe gab. Vermutlich war er als lediger junger Handwerker auf Arbeit im Land unterwegs und kam so nach Nazaret. Und da ist ihm eine hübsche junge stammverwandte Nazoräerin besonders aufgefallen.

Als Josef und Maria verlobt waren, galten sie – wie damals üblich – schon als Mann und Frau. Aber bis zur Hochzeit wurde die Ehe – ebenfalls wie üblich – sexuell nicht vollzogen. Das blieb der Hochzeitsnacht vorbehalten – nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam. Und so war es natürlich erklärungsbedürftig, als die Jungfrau Maria plötzlich schwanger war.

Josef erklärte sich die Sache natürlich zuerst auf die menschliche Weise. Aber ein Engel gab ihm im Traum die göttliche Erklärung, dass dieses Kind etwas Heiliges ist, das von Gott kommt. Und so respektierte er die Heiligkeit dieses Geschehens und nahm Maria zu sich, was Heirat bedeutet. Er war aber nicht ehelich mit ihr zusammen, bis das Kind geboren war. Maria blieb also Jungfrau bis zur Geburt von Jesus.

Danach haben die beiden offensichtlich eine normale Ehe geführt. Denn in Nazaret kannte man vier Brüder von Jesus: Jakobus, Josef, Simon und Judas. Und auch von Schwestern ist die Rede, ohne Zahlenangabe, also mindestens zwei. In dieser Familie ist Jesus aufgewachsen als ältester Sohn und ältester Bruder. Da zu der Zeit, als die Kinder erwachsen waren, der Vater Josef nicht mehr erwähnt wird, muss man annehmen, dass er inzwischen verstorben war.

Josef war ein Handwerker, der auf den Bau von Häusern spezialisiert war. Und da man damals die Häuser nicht aus Holz, sondern aus Stein baute, ist es richtig, als seinen Beruf nicht Zimmermann, sondern Maurer anzugeben. Natürlich haben seine Söhne dieses Handwerk von ihm erlernt und in seinem Betrieb gearbeitet. Man darf sicher annehmen, dass er in Nazaret auch seiner eigenen Familie ein Haus gebaut hatte.

Maria als Mutter müssen wir uns als tüchtige und fleißige Hausfrau und Versorgerin der Familie vorstellen. Und jede Familie betrieb damals auch ein gewisses Maß an landwirtschaftlicher Selbstversorgung. Es ist unter diesen Gesichtspunkten direkt auffallend, wie häufig Jesus in seiner Lehre Vergleiche und Beispiele sowohl aus der Landwirtschaft als auch vom Bau benutzt hat.

Als der Vater Josef verstarb, nahm nach der Tradition der älteste Sohn den Platz des Familienoberhauptes ein. Maria war nun Witwe und Jesus Chef der Familie und des dazugehörigen Bauunternehmens. Deshalb ging die Familie auch noch mit, als Jesus von Nazaret im Bergland nach Kafarnaum an den See Genezaret zog.

Doch Jesus entwickelte dann die Idee, in Kafarnaum alles stehen und liegen zu lassen, um mit seinen Jüngern – die ihm offensichtlich wichtiger waren – auf Reisen zu gehen. Und da setzte in der Familie etwas aus, als ihr Oberhaupt Jesus sie so zurückließ. Sie beobachteten die Sache eine Weile und beschlossen dann, etwas zu unternehmen. Sie „zogen los, um ihn zu ergreifen, denn sie sagten: ‚Er ist völlig daneben!'“ (Mk 3,21). Dieser Versuch, noch einmal mit ihm zu reden, ging gründlich schief. Sie drangen nicht einmal zu ihm vor. Jesus ließ sie vor allen Leuten abblitzen und behauptete, seine Jünger seien jetzt seine Mutter und seine Geschwister (Mk 3,31-35). Damit war vorläufig der Bruch komplett.

In der Zeit, als Jesus großen Zulauf hatte und bei vielen Leuten Begeisterung auslöste, ereignete sich einmal etwas Denkwürdiges: „… da erhob eine Frau aus der Menge ihre Stimme: ‚Glücklich ist der Mutterleib, der dich trug, und die Brust, an der du gestillt wurdest!‘ Er aber sagte: ‚Nein! Vielmehr sind die glücklich, die das Wort Gottes hören und einhalten.’“ (Lk 11,27-28). Jesus selbst hat den ersten Ansatz einer aufkommenden Verehrung seiner Mutter sofort im Keim erstickt.

Natürlich wusste Maria, was um die Geburt von Jesus herum alles geschehen und gesagt worden war. Aber höchstwahrscheinlich hatte auch sie sich den Messias zunächst noch anders vorgestellt. In der Nähe von Jesus tauchte sie jedenfalls nicht mehr auf, z. B. unter den Jüngerinnen, die Lukas mit Namen erwähnt. Erst an dem Pessachfest, an dem Jesus hingerichtet wurde, stand sie mit den anderen in der Nähe des Kreuzes. Vermutlich war sie als fromme Jüdin wie jedes Jahr zu Pessach nach Jerusalem gekommen. Und hier bekam sie die turbulenten Ereignisse um ihren ältesten Sohn direkt mit.

Joh 19,25-27: „Beim Kreuz von Jesus standen seine Mutter, die Schwester seiner Mutter, Maria, die (Frau) von Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, sagte er dann der Mutter: ‚Frau, das ist dein Sohn!‘ Danach sagte er dem Jünger: ‚Das ist deine Mutter!‘ Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.“

Hier erfahren wir, dass Maria auch eine Schwester hatte. Aus den verschiedenen Aufzählungen der Frauen, die beim Kreuz waren, sein Begräbnis beobachteten und seine Auferstehung bezeugten, kann eigentlich nur Salome ihre Schwester sein. Denn die anderen erwähnten Frauen hießen ebenfalls Maria, und zwei Schwestern hätte man ja nicht denselben Namen gegeben.

Wenn Salome die Schwester von Maria war, dann waren ihre Söhne Jakobus und Johannes sogar Cousins von Jesus. Und dann liegt es auch etwas näher, dass Jesus am Kreuz Johannes mit der Fürsorge für seine Mutter betraute. Die Verborgenheit dieser verwandtschaftlichen Beziehungen zeigt aber auch, dass Jesus seine Lehre, dass menschliche Verwandtschaft im Reich Gottes keinerlei Bedeutung hat, selbst praktizierte.

Nach der Himmelfahrt von Jesus waren aber alle wieder da. „Diese alle hielten sich einmütig ans Gebet, mit den Frauen und Maria, der Mutter von Jesus, und seinen Geschwistern.“ (Apg 1,14). Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle, dass – wie Paulus berichtet – Jesus als Auferstandener seinem Bruder Jakobus erschienen war. Nun gehörte auch seine Familie zur Gemeinde.

Danach hören wir im Neuen Testament nichts mehr über Maria. Sie war eine einfache Gläubige in der Gemeinde wie alle anderen auch. Natürlich konnte sie noch alles bezeugen, was sich um Jesus auch schon vor seiner Geburt und danach ereignet hatte. Auch Lukas hat sie in ihren späteren Jahren für seinen Bericht über Jesus noch interviewt.

Dass sie irgendwann verstarb und begraben wurde, wird mit der Tradition über das „Begräbnis Mariens“ in der orthodoxen Kirche zuverlässig überliefert. Es ist also nichts mit einer leiblichen Himmelfahrt, die ihr in der römischen Tradition angedichtet wurde. Aber sicherlich ist sie im geistlichen Sinne nicht gestorben. Sie ist heimgegangen zu ihrem Herrn, der auf Erden einmal ihr Sohn gewesen war.

Jakobus

Jakobus ist der Name von drei wichtigen Persönlichkeiten im Neuen Testament. Hebräisch heißt der Name Ja’akóv. Die Griechischsprechenden haben dann mit einer griechischen Endung „Jákobos“ daraus gemacht, die Lateiner „Jakobus“ und die Deutschen „Jakob“.

Den ersten Jakobus treffen wir bei den Fischern am See Genezaret. Er war der Sohn von Zebedäus und der Bruder von Johannes. Auf den Ruf von Jesus hin ließ er alles stehen und liegen und folgte ihm als Jünger nach. Jesus berief ihn dann in den Kreis seiner „Zwölf“ Gesandten. Er gehörte auch zum ganz engen Jüngerkreis und war dabei, wenn Jesus manchmal nur drei seiner Jünger zu etwas mitnahm. Von den zwölf Gesandten war er derjenige, der mit seinem Sendungsauftrag nie über Jerusalem hinauskam, denn im Jahr 42 ließ ihn der damalige König Agrippa umbringen.

Der zweite Jakobus begegnet uns ebenfalls unter den zwölf Jüngern. Er heißt „Jakobus, der Sohn von Alfäus“. Wir erfahren im Neuen Testament nichts weiter über ihn persönlich, außer dass er bei den „Zwölf“ natürlich immer mit gemeint ist. Er soll nach alter Tradition sein Missionsgebiet auf der iberischen Halbinsel gefunden haben. Noch heute pilgern Leute auf den verschiedenen „Jakobswegen“ zu seinem angeblichen Grab in Santiago de Compostela. (Statt einfach Jesus nachzufolgen …)

Der dritte Jakobus ist der leibliche Bruder bzw. Halbbruder von Jesus. Er wird erstmals genannt, als sich die Leute von Nazaret über die Botschaft von Jesus in ihrem Versammlungshaus wunderten. „Ist das nicht der Maurer, der Sohn von Josef dem Maurer? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus, Josef, Simon und Judas? Seine Schwestern, sind sie nicht alle hier bei uns?“ Da hier der Vater Josef nicht genannt wird, muss er damals bereits verstorben gewesen sein.

Josef und Maria hatten also nach Jesus, ihrem Ältesten, noch mindestens sechs weitere Kinder, vier Söhne und mindestens zwei Töchter. Übrigens waren Josef und Jesus keine Zimmerleute, wie eine bekannte Tradition behauptet. Sie waren Leute, die Häuser bauten, aber damals baute man nicht mit Holz, sondern mit Stein. Der Gedanke liegt sicherlich nahe, dass alle Söhne das Handwerk des Vaters lernten, also auch Jakobus.

Als Jesus seinen öffentlichen Dienst angetreten hatte, fand er bei seinen Angehörigen dafür kein Verständnis. Markus hat es uns deutlich überliefert. Mk 3,20-21: „Er ging in ein Haus, und wieder kam die Menschenmenge zusammen, so dass sie nicht einmal Brot essen konnten. Seine Angehörigen hörten es und zogen los, um ihn zu ergreifen, denn sie sagten: ‚Er ist völlig daneben!'“ Wir müssen natürlich annehmen, dass Jakobus als verbliebener ältester Sohn an dieser Aktion führend beteiligt war.

Die Antwort von Jesus war deutlich. Mk 3,31-35: „Als seine Mutter und seine Geschwister dann kamen, standen sie draußen und schickten zu ihm, um ihn zu rufen. Eine Menge saß um ihn herum und man sagte ihm: ‚Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern sind da draußen, sie suchen dich.‘ Er antwortete ihnen: ‚Wer sind meine Mutter und meine Geschwister?‘ Und er schaute umher über die, die rings um ihn saßen, und sagte: ‚Seht, meine Mutter und meine Geschwister! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.’“

Auch Johannes berichtet über die Ablehnung von Seiten seiner Angehörigen. Joh 7,2-5: „Das Fest der Juden, das Laubhüttenfest, war aber nahe. Seine Geschwister sagten nun zu ihm: ‚Geh weg von hier und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger (dort) deine Taten sehen, die du tust! Niemand tut doch etwas im Verborgenen, wenn er in der Öffentlichkeit sein will! Wenn du diese Dinge tust, mach dich der Welt sichtbar!‘ Seine Geschwister glaubten nämlich auch nicht an ihn.“

Ansonsten hört man nichts mehr von ihnen, solange Jesus unterwegs war. Erst als Jesus am Kreuz hing, war zumindest seine Mutter Maria wieder da.

Doch als Jesus auferstanden war, geschah etwas, das uns wiederum nur Paulus berichtet. In 1 Kor 15 zählt er in einer authentischen Überlieferung verschiedene Erscheinungen des auferstandenen Jesus auf, darunter die Folgende. V. 7: „Danach ist er Jakobus erschienen.“ Hier kann nur sein leiblicher Bruder Jakobus gemeint sein, denn den Zwölf hatte er sich ja zuvor schon gezeigt.

Jesus hatte also als Auferstandener eine besondere Begegnung mit seinem bis dahin vermutlich noch ungläubigen Bruder Jakobus. Das liegt dann auf der Linie wie später die Begegnung mit dem noch ungläubigen Paulus. Für Jakobus war das jedenfalls lebensverändernd, sogar für die ganze Familie. Denn am Anfang der Apostelgeschichte heißt es dann über die in Jerusalem mit den Jüngern Versammelten (1,14): „Diese alle hielten sich einmütig ans Gebet, mit den Frauen und Maria, der Mutter von Jesus, und seinen Geschwistern.“

Von da an waren sie Teil der Jerusalemer Urgemeinde. Jakobus wurde mit der Zeit sogar einer der führenden Männer dort. Im Galaterbrief (1,9) schreibt Paulus viele Jahre später, dass Jakobus, Kefas (Petrus) und Johannes als die „Pfeiler“ der Gemeinde in Jerusalem angesehen wurden.

Nachdem unter dem König Agrippa Jakobus, der Sohn von Zebedäus, ermordet worden war, verließ auch Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis vorübergehend die Stadt. Auch die anderen der Zwölf werden – außer Johannes – im Folgenden nicht mehr erwähnt. Offensichtlich waren sie in ihrer Mission unterwegs.

In dieser Zeit, vermutlich in den Jahren 47 oder 48, sah Jakobus dann wohl die Verantwortung, an die sich immer weiter ausdehnende Gesamtgemeinde einen Brief zu schrieben. Diese war den Inhalten des Briefs nach damals noch stark judenchristlich geprägt. Die spätere Auseinandersetzung um die Beschneidung der Nichtjuden spielte noch keine Rolle. Der Jakobusbrief ist damit der früheste von allen neutestamentlichen Briefen.

Fischer vom See Genezaret

Fischer vom See Genezaret machen ein Drittel der zwölf Jünger von Jesus aus. Doch viele Jahre hatte ich mich immer wieder etwas gewundert über den Ruf in die Nachfolge, den uns Matthäus berichtet hat – Mt 4,18-22: „Als er am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, der ‚Petrus‘ genannt wird, und Andreas, seinen Bruder, wie sie ein Wurfnetz in den See warfen. Sie waren nämlich Fischer. Und er sagte ihnen: ‚Kommt mit mir! Ich will euch zu Menschenfischern machen.‘ Sogleich verließen sie die Netze und folgten ihm. Als er von dort weiterging, sah er zwei andere Brüder, Jakobus, den Sohn von Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, im Schiff mit Zebedäus, ihrem Vater, wie sie ihre Netze richteten, und er rief sie. Sogleich verließen sie das Schiff und ihren Vater Zebedäus und folgten ihm.“

Wie kam es, dass Fischer vom See Genezaret für einen eher zufällig daherkommenden unbekannten neuen Lehrer auf einen Zuruf hin alles stehen und liegen ließen, um ihm zu folgen? Und woher wusste Jesus, dass ausgerechnet diese vier Männer die Richtigen für seine Nachfolge waren? Das konnte eigentlich nur eine geheime Offenbarung Gottes sein, wie sie im Leben von Jesus natürlich immer wieder vorkam. Sicherlich hat man diese wunderbare Geschichte in der Kinderstunde auch recht spannend erzählt bekommen. Aber das Geheimnis dieses Ereignisses lüftete sich, als ich die Geschichte beim Erstellen meiner Evangelienharmonie mit den ergänzenden Informationen aus dem Johannesevangelium zusammenbrachte. Alle Beteiligten kannten sich nämlich bereits.

In Joh 1,35-51 wird berichtet, dass Jesus bei Johannes dem Täufer vorbeikam, der sich damals auf der Ostseite des Sees Genezaret aufhielt. Jesus hatte gerade vierzig Tage Gebet und Fasten samt Versuchung durch den Teufel überstanden. Johannes der Täufer bezeichnete Jesus dort als das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt. Daraufhin folgten zwei der Johannesjünger Jesus. Einer der zwei war Andreas, der Bruder von Simon Petrus. Den anderen hat Johannes in seinem Bericht nicht mit Namen genannt. Aber wenn Johannes in seinem Bericht einen der Jünger nicht mit Namen nennt, dann meint er sich selbst. Also, Andreas und Johannes waren damals zuerst bei Johannes dem Täufer und dann bei Jesus. Dann brachte Andreas seinen Bruder Simon mit zu Jesus, dann kamen noch Philippus und Natanael dazu. Natanael ist wohl der Jünger, der an anderer Stelle „Bartholomäus“ heißt, „Sohn von Tholomäus“.

Diese fünf Jünger gingen dann von der Ostseite des Sees aus schon mindestens einen Monat lang mit Jesus. Sie folgten ihm durch Galiläa bis nach Nazaret und Kana. Dort erlebten sie das Wunder auf der Hochzeit mit und, wie Johannes sagt, „glaubten an ihn“. Drei der vier Fischer vom See Genezaret waren also in dieser Zeit schon bei Jesus gewesen. Und Johannes hat seinem Bruder Jakobus natürlich alles berichtet. Nachdem Jesus von Nazaret nach Kafarnaum umgezogen war und nach einer kurzen Pause von dort zu seinem Antrittsbesuch in Jerusalem aufbrach, war es dann doch kein so großes Wunder mehr, dass sie sich am See so willig von ihm rufen ließen, mit ihm zu gehen.

Wobei eine wirkliche Nachfolge von Jesus doch immer irgendwie ein großes Wunder ist …

Frauen bei Lukas

Frauen bei Lukas – dieser besondere Gesichtspunkt soll hier betrachtet werden. Bei dieser Thematik hebt sich Lukas von den anderen Evangelien ab.

Auch bei Matthäus, Markus und Johannes spielen die Frauen im Bericht über die Hinrichtung am Kreuz und die Auferstehung eine wichtige Rolle. Bei Lukas erfahren wir aber schon vorher von ihnen, Lk. 8,1-3: „Und als er der Reihe nach durch Stadt und Dorf zog, da verkündete er und brachte die gute Nachricht vom Reich Gottes, auch die Zwölf mit ihm und einige Frauen. Diese waren geheilt von bösen Geistern und Gebrechen. (Es waren) Maria, die ‚Magdalena‘ genannt wurde, von der sieben dämonische Geister hinausgegangen waren, Johanna, die Frau von Chuzas, einem Verwalter des Herodes, Susanna und viele andere, die ihnen (mit Mitteln) aus ihrem Vermögen dienten.“

Jesus hatte also im größeren Jüngerkreis außerhalb der Zwölf nicht nur männliche Jünger. Er hatte auch Jüngerinnen, was den Gepflogenheiten der damaligen Zeit widersprach. Damit verstehen wir auch besser, warum Maria, als sie „zu Füßen des Herrn“ saß und ihm zuhörte, „sich den guten Teil ausgewählt“ hatte, statt Marta in der Küche zu helfen. Auch das berichtet uns natürlich Lukas (Lk 10,38-42).

Auch wichtige Frauengestalten würden wir ohne ihn nicht kennen: Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer, die Prophetin Hanna, die Sünderin, die Jesus die Füße salbte, und in der Apostelgeschichte Tabitha, Lydia und Damaris. Und an vielen Stellen seines Berichts legt Lukas nebenbei Wert darauf, dass „auch Frauen“ dabei waren oder dazukamen.

Zur obigen Stelle Lk 8,1-3 gibt es noch eine Feinheit zu beachten. Ich hatte sie ursprünglich einmal so übersetzt, wie sie in den meisten Übersetzungen steht: „Und als er der Reihe nach durch Stadt und Dorf zog, da verkündete er und brachte die gute Nachricht vom Reich Gottes. Und die Zwölf waren bei ihm und einige Frauen, die geheilt waren von bösen Geistern und Gebrechen: Maria, die ‚Magdalena‘ genannt wurde, von der sieben dämonische Geister hinausgegangen waren, Johanna, die Frau von Chuzas, einem Verwalter des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen (mit Mitteln) aus ihrem Vermögen dienten.“

Durch einen Vortrag, den ich als Aufzeichnung von einer Tagung der Studiengemeinschaft Wort und Wissen bekam, wurde ich auf die oben genannte alternative Übersetzungsmöglichkeit aufmerksam. Sie überzeugte mich sofort. In der griechischen Schreibkultur von damals setzte man keine Satzzeichen, man machte nicht einmal Abstände zwischen den Wörtern. Das Schreibmaterial war teuer, deshalb sparte man Platz. Der erste Satz hätte in der damaligen Schreibweise etwa so ausgesehen:

UNDALSERDERREIHENACHDURCH

STADTUNDDORFZOGDAVERKÜNDE

TEERUNDBRACHTEDIEGUTENACHR

ICHTVOMREICHGOTTES

Kein Wunder, dass nicht nur Schreiben, sondern auch Lesen eine Kunst war! Und das heißt nun, dass alle Satzzeichen im Deutschen vom Übersetzer stammen. Er hat die Aufgabe, Satzzeichen zu setzen und damit das Lesen erheblich leichter zu machen.

Und so gibt es in Lk 8,1-3 zwei Möglichkeiten – ist der Unterschied aufgefallen? In der üblichen (zweiten) Version tut Jesus seinen Dienst, und die zwölf Jünger und die Frauen sind bei ihm. In der alternativen (ersten) Version sind die Zwölf und die Frauen mit ihm im Dienst. Wen wundert’s, dass ich im Zusammenhang des Neuen Testaments das letztere für die wahrscheinlichere und glaubwürdigere Version halte? Im Reich Gottes sind Frauen gleichwertig und gleichberechtigt – und Lukas ist ein wichtiger Zeuge dafür.

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