Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Christen (Seite 1 von 2)

Grabmäler für Propheten

(Grabmäler für Propheten – ein Auszug aus einem Artikel von Sören Kierkegaard. Der Artikel trägt den Titel: „Die Gleichzeitigkeit; was du dem Zeitgenossen tust, das allein ist das Entscheidende“. Veröffentlicht in „Der Augenblick“ am 11. September 1855.)

(Dieser Abschnitt „Grabmäler für Propheten“ bezieht sich auf die Aussage von Jesus in Mt 23,29-31: „Wehe euch, Theologen und Pharisäer, ihr Heuchler: Ihr baut den Propheten Grabstätten und verziert die Grabkammern der Gerechten und sagt: ‚Wenn wir zur Zeit unserer Vorfahren gelebt hätten, hätten wir nicht teilgenommen, als sie das Blut der Propheten vergossen.’ Damit seid ihr Zeugen über euch selbst, dass ihr die Nachkommen derer seid, die die Propheten ermordet haben.“)

Wer einem Jünger nur einen Becher kalten Wassers reicht, weil er ein Jünger ist, soll nicht um seinen Lohn kommen. Er soll eines Propheten Lohn haben. Wer hingegen dem Propheten, dem Jünger, wenn er tot ist, sein Grabmal errichtet und sagt: „Wenn …“ – er ist nach Jesu Christi Urteil ein Heuchler. Seine Schuld ist Blutschuld.

Er ist ein Heuchler. Ja, denn entweder hat er, der Grabmäler für Propheten baut, vielleicht wieder einen Propheten zum Zeitgenossen – den er im Bunde mit den anderen verfolgt. Und wenn es kein Prophet ist, so ist es vielleicht doch ein Gerechter, der für die Wahrheit leidet. Und wie von den anderen, so wird er auch von ihm verfolgt, von ihm, der Grabmäler für Propheten baut. Oder hast du einen solchen Zeitgenossen nicht, dann sollst du aber, um kein Heuchler zu werden, das Leben der verstorbenen Herrlichen dir so lebhaft vergegenwärtigen, dass du dadurch ebensoviel zu leiden bekommst, als dir beschieden gewesen wäre, wenn du einen zugleich mit dir lebenden Propheten als Propheten anerkannt hättest.

O, wenn du irgendwie um deine Seele ewig bekümmert bist, mit Furcht und Zittern an Gericht und Ewigkeit denkst; oder wenn du andererseits dich gehoben fühlst und noch mehr gehoben fühlen möchtest bei dem Gedanken, was der Mensch ist und dass auch du Mensch bist und dass du verwandt bist mit all den Herrlichen, den Echten (deren Würde daher auch nicht im Unechten, im Profit, in Sternen und Titeln, sondern im Echten, in Armut, Niedrigkeit, Misshandlung, Verfolgung, Leiden besteht): so achte wohl auf diesen Satz von der Gleichzeitigkeit! Entweder sollst du als Zeitgenosse eines leidenden Wahrheitszeugen das Leiden auf dich nehmen, das aus seiner Anerkennung folgt. Oder, wenn du einen solchen Zeitgenossen nicht hast, sollst du dir das Leben des verstorbenen Herrlichen lebendig vor Augen stellen und dadurch zu demselben Leiden kommen, wie wenn du ihn als Zeitgenossen anerkannt hättest. Achte wohl auf diesen Satz von der Gleichzeitigkeit! …

Dieser Gedanke der Gleichzeitigkeit ist mir der Gedanke meines Lebens. Auch darf ich in Wahrheit sagen, ich habe die Ehre, für die Verkündigung dieses Gedankens zu leiden. Darum sterbe ich fröhlich, mit unendlichem Dank gegen die Vorsehung. Sie hat es mir vergönnt, auf diesen Gedanken so aufmerksam zu werden und auch andere aufmerksam zu machen. Nicht als hätte ich ihn erfunden. Gott behüte mich vor solcher Vermessenheit. Nein, der Gedanke ist längst erfunden, er gehört dem Neuen Testament an.

Aber es war mir doch vergönnt, leidend diesen Gedanken wieder in Erinnerung zu bringen. Diesen Gedanken, der wie das Rattengift für die Ratten, Gift ist für die Dozenten, für dieses Geschmeiß, das recht eigentlich das Christentum ruiniert hat. Für die Dozenten, diese edlen Männer, die Grabmäler für Propheten bauen, die objektiv deren Lehre vortragen, die … das Leiden und Sterben der Herrlichen sich zunutze machen, selbst aber … sich draußen halten. In gemessener Entfernung bleiben sie von allem, was entfernt einer Leidensgemeinschaft mit den Herrlichen gleichsehen könnte oder einem die Leiden bringen könnte, die man sich durch Anerkennung der lebenden Herrlichen zugezogen hätte.

Die Gleichzeitigkeit ist das Entscheidende. Denke dir einen Wahrheitszeugen, also eines der abgeleiteten Vorbilder. Er hat allerlei Misshandlung und Verfolgung zu erleiden und hält lange stand. Zuletzt beraubt man ihn seines Lebens. Die Todesstrafe, zu der man ihn verdammt, ist grausam: Er soll lebendig verbrannt werden. Mit ausgesuchter Grausamkeit bestimmt man näher: Er soll langsam auf einem Rost gebraten werden.

Denke dir das! Ernst und Christentum verlangen von dir eine so genaue Vergegenwärtigung dieses Vorgangs, dass du gerade so zu leiden bekommst, als wenn du mit dem Menschen gelebt und ihn als das anerkannt hättest, was er ist. Das ist Ernst und Christentum.

Etwas anderes ist natürlich das Bestialische, das den Predigern kein Gräuel ist. Da gibt man dem Wahrheitszeugen mitsamt seinem Leiden einen guten Tag. Und doch, nein, das Bestialische ist das noch nicht. Nein, man sagt: „Dieses Herrlichen wollen wir nie vergessen. Sieh, darum wollen wir den 17. Dezember, seinen Todestag, als seinen Gedächtnistag feiern. Wir wollen uns einen rechten Eindruck von seinem Leben bewahren. Und zugleich wollen wir unserem Leben doch ‚einige Ähnlichkeit‘ mit dem seinen, dem wir ’nachstreben‘, verleihen. Und deshalb haben wir den heiligen Brauch, dass an diesem Tag jedes Haus einen gebratenen Fisch verspeist. Wohlgemerkt (das ist die Pointe!): einen auf dem Rost gebratenen Fisch verspeist. Und den delikatesten muss der Pfarrer haben.“

Das heißt: Den Gottesdienst, der im Leiden, ja im Sterben für die Wahrheit bestand, verwandelt man in den Gottesdienst, zu essen und zu trinken. In den Gottesdienst, dass der Pfarrer das beste Stück bekommt. Und so bekommt man das wahre (offizielle) Christentum. In diesem trägt der Prediger, wie in seiner Weise der gebratene Fisch, so auch auf seine besondere Weise (z. B. durch eine reizende Rede) zur festlichen Erhöhung des Tages bei. Und er sichert sich dadurch ein mit den Jahren wachsendes Einkommen, macht vielleicht Karriere usw. …

Das ist nur ein Beispiel. Aber ich räume ein, dass keines der abgeleiteten Vorbilder jeden unbedingt verpflichtet. Und es verpflichtet dann freilich auch nicht zu dem Bestialischen. Aber wenn die abgeleiteten Vorbilder nicht unbedingt verpflichten und auch nicht unbedingt jeden verpflichten, so verpflichtet dagegen „das Vorbild“, Jesus Christus. Er verpflichtet unbedingt und unbedingt jeden. Lebt also mit dir in deiner Zeit keiner, der für die Wahrheit zu leiden hat; fällt also diese Christenpflicht für dich weg, dich durch seine Anerkennung dem Leiden auszusetzen: so musst du dir doch „das Vorbild“ so vergegenwärtigen, dass du in ähnlicher Weise zu leiden bekommst wie einst durch die Anerkennung des lebendig Gegenwärtigen. Alles nachträgliche Staatmachen mit ihm, alles Prunken mit Denkmalen auf seinem Grab usw. usw. usw. ist nach Christi Urteil Heuchelei und dieselbe Blutschuld wie die seiner Mörder.

Das ist die christliche Forderung. Die mildeste, mildeste Form derselben ist doch wohl … die einfache Anerkennung, dass dies die Forderung ist. Und dass du dann hinfliehst zur Gnade. Dass aber einer die Forderung nicht nur nicht einlösen, sondern sogar verschwiegen haben will – und dafür zum Grabdenkmal spendieren will, wofür ihn der Pfarrer dann aus gutem Grund einen ernsten Christen nennt: dem wollte unser Herr Jesus Christus gewiss am allermeisten vorbeugen.

Die Meineidigen

(Die Meineidigen – Auszüge aus dem Artikel „Was der ‚Pfarrer‘ für die Gesellschaft in Wahrheit zu bedeuten hat“. Von Sören Kierkegaard. Erschienen in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ am 30. August 1855.)

Ein Statistiker, der sich in die Sache eingearbeitet hat, müsste aus der Bevölkerungszahl einer großen Stadt die entsprechende Zahl der öffentlichen Dirnen, die sie verbraucht, erschließen können. Ein Statistiker, der sich in die Sache eingearbeitet hat, müsste aus der Größe einer Armee die zu guter Verpflegung nötige Anzahl von Ärzten angeben können. Und so müsste ein Statistiker, der sich damit befasste, aus der Bevölkerungsziffer eines Landes auch berechnen können, wie viele von Meineidigen (Geistlichen) erforderlich sind, damit dieses Land unter dem Schein des Christentums gegen das Christentum vollkommen sichergestellt wäre oder unter dem Schein des Christentums gänzlich ungestört heidnisch leben könnte, ganz ruhig und raffiniert, da dies eben Christentum sei. …

Und nun beginnt die Komödie. Für soundso viele Einwohner bedarf es, sagt der Statistiker, soundso viele Meineidige. Diese werden engagiert. Dass ihre Lehre und ihr Wandel kein neutestamentliches Christentum sind, sehen sie wohl selbst. „Aber“, sagen sie, „es ist unser Lebensunterhalt. Darum gilt es, die Ohren steif zu halten und uns nicht beikommen zu lassen.“

Das wären die Meineidigen. Die Gesellschaft hat vielleicht eine Ahnung davon, dass es mit den Eid auf das Neue Testament nicht richtig bestellt ist. „Doch für uns“, denkt die Gesellschaft, „gilt es natürlich, die Ohren steif zu halten und zu tun, als wäre alles in seiner Ordnung. Wir sind nur Laien, wir können uns mit der Religion nicht so befassen. Wir sind aber ganz ruhig im Vertrauen auf den Pfarrer, der ja eidlich auf das Neue Testament verpflichtet ist.“

Nun ist die Komödie fertig. Alles lauter Christen und alles christlich, auch die Geistlichen – und alles das gerade Gegenteil des neutestamentlichen Christentums. Es ist nur so gut wie unmöglich, den schlau verschlungenen Knoten anzufassen und hinter dieses Blendwerk zu kommen. Wie sollte einem ein Zweifel daran kommen, ob das Christentum überhaupt da sei? Dieser Gedanke ist ja ebenso unmöglich wie der Einfall, der Pfarrer sei ein Geschäftsmann. Er ist ja doch eidlich gebunden, dieser Welt zu entsagen. Also läuft das Gewerbe, das Geschäft unter der Firma „Weltentsagung“. … Wie sollte da einem einfallen – was wohl auch niemandem eingefallen ist, was auch niemand, hätte ich es nicht gesagt, gewusst hätte, dass ich unter dem „Meineidigen“ den „Pfarrer“ meine, den „Pfarrer“, der ja just Wahrheitszeuge ist.

Das bedeutet der „Pfarrer“ für die Gesellschaft. Von Generation zu Generation verbraucht sie die „notwendige“ Anzahl Meineidiger, damit sie unter dem Namen des Christentums gegen das Christentum vollkommen gesichert ist und ganz ungestört heidnisch leben kann. Und das ganz ruhig und raffiniert, da dies ja eben Christentum ist. …

Von Morgen bis Abend stellen diese Tausende oder Millionen der Gesellschaft die Lebensanschauung dar, die dem Christentum so direkt entgegengesetzt ist wie der Tod dem Leben. Das kann man noch nicht niederträchtig nennen, es ist einfach menschlich. Nun aber kommt das Niederträchtige. Tausend auf das Neue Testament vereidigte Männer sind nämlich darunter, die selber gleich der ganzen übrigen Gesellschaft die Lebensanschauung vertreten, die dem Christentum direkt entgegengesetzt ist. Zugleich garantieren sie aber der Gesellschaft, das sei Christentum. Nunmehr ist die Gesellschaft eine Niederträchtigkeit. …

Ich hatte einmal mit den verstorbenen Bischof Mynster folgendes Gespräch. Ich sagte zu ihm: „Die Geistlichen könnten ihr Predigen fast ebensogut bleiben lassen. All ihr Predigen habe gar keine Wirkung. Die Gemeinde denke ja in aller Stille bei sich: Ja, dafür sind sie bezahlt.“ Die ziemlich verwunderliche Antwort des Bischofs Mynster lautete: „Es ist etwas dran.“ Diese Antwort hatte ich eigentlich nicht erwartet. Denn wir waren zwar unter uns, allein in dieser Sache pflegte Bischof Mynster sonst die Vorsicht selbst zu sein. Ich für meine Person habe mich in diesen Dingen seither nur insoweit verändert, als es mir sehr deutlich geworden ist, dass der Geistliche doch in einem Sinne eine ungeheure Wirkung hat. Dass nämlich durch sein Dasein die ganze Gesellschaft, christlich verstanden, zu einer Gemeinheit wird.

Menschenfischerei

(Menschenfischerei – eine Satire von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 30. August 1855)

Es sind Christi eigene Worte: „Folget mir nach, so will ich euch zu Menschenfischern machen.“ Mt 4,19.

So gingen die Apostel hin.

„Doch was sollte es mit den paar Menschen wohl werden, die zudem Christi Wort dahin verstanden, dass sie geopfert werden sollten, damit Menschen gewonnen würden? Es ist leicht zu sehen: Wäre es dabei geblieben, so wäre bei der Sache nichts herausgekommen. Das war zwar Gottes Gedanke, vielleicht ein schöner Gedanke. Aber – ja, so viel muss doch jeder praktische Mann zugestehen – Gott ist nicht praktisch. Oder lässt sich etwas Verkehrteres denken als diese Art Fischerei, wobei das Fischen bedeutet, ein Opfer zu werden, so dass hier also nicht der Fischer die Fische verspeist, sondern die Fische den Fischer? Und das soll fischen heißen? Das erinnert ja an Hamlets wahnwitzige Bemerkung über Polonius, er sei beim Gastmahl, allein nicht um zu speisen, sondern um verspeist zu werden?“

Da nahm sich der Mensch der Sache Gottes an:

„Menschenfischerei! Was Christus darunter verstand, ist etwas ganz anderes, als was diese guten Apostel, allem Sprachgebrauch und aller Sprachanlogie zuwider, vollbrachten. Denn in keiner Sprache heißt das ‚fischen‘. Was er meinte und bezweckte, ist einfach die Eröffnung einer neuen Erwerbsquelle: der Menschenfischerei. D. h. dass man das Christentum so verkündige, dass es wirklich etwas zu fischen gibt.“

Nun pass auf, nun sollst du sehen, dass etwas daraus wird!

Ja, meiner Treu, es wurde etwas daraus: „die bestehende Christenheit“ mit Millionen, Millionen, Millionen von Christen.

Das Kunststück war ganz einfach. So, wie sich eine Kompanie bildet, die in Heringsfischeri spekuliert, eine andere, die in Kabeljau- oder Walfischfang usw. spekuliert: so betrieb die Menschenfischerei nun auch eine Aktiengesellschaft, die so und so viele Dividenden garantierte.

Und was kam dabei heraus? O, wenn du es nicht schon getan hast, so bewundere doch bei diesem Anlass, was Menschen können! Der Erfolg war derart, dass eine ungeheure Menge Heringe, ich wollte sagen, Christen, gewonnen wurde und die Kompanie sich somit natürlich brilliant stellte. Ja, es zeigte sich, dass die bestsituierte Heringskompanie sich nicht entfernt so herrlich rentierte wie die Menschenfischerei. Und noch eins, ein Profit weiter, oder doch eine pikante Würze als Zugabe: dass sich nämlich keine Heringskompanie auf ein Schriftwort berufen darf, wenn sie die Schiffe zum Fang aussendet.

Die Menschenfischerei ist aber ein gottseliges Unternehmen. Die Herren Interessenten in der Kompanie dürfen sich darauf berufen, dass sie das Wort der Schrift für sich haben. Denn Christus sagt ja selbst. „Ich will euch zu Menschenfischern machen.“ Getrost gehen sie dem Gericht entgegen: „Wir haben dein Wort befolgt, wir haben Menschen gefischt.“

Frei von Sünde

Frei von Sünde – das ist der von Gott gewollte, geplante und vorbereitete Normalzustand des Christen im Neuen Testament. Den grundlegenden Überblick dazu habe ich im Beitrag „Reinigung von der Sünde“ zu geben versucht. Zur Untermauerung jener Aussagen stelle ich hier in chronologischer Reihenfolge dazu aus dem Neuen Testament die diesbezüglichen Stellen zusammen. Frei von Sünde – das ist wirklich so gemeint:

„Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ (Mt 5,48)

„Versündige dich nicht mehr!“ (Joh 5,14)

„Geh, und von jetzt an versündige dich nicht mehr!“ (Joh 8,11)

„Amen, Amen, ich sage euch: Jeder, der die Sünde ausübt, ist ein Sklave der Sünde. Der Sklave bleibt aber nicht bis in Ewigkeit im Haus, der Sohn bleibt bis in Ewigkeit. Wenn euch also der Sohn frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.“ (Jo 8,34-36)

„Werdet wieder recht nüchtern und versündigt euch nicht!“ (1 Kor 15,34)

„Die, die sich versündigt haben, musst du vor allen überführen, damit auch die übrigen Furcht haben!“ (1 Tim 5,20)

„Ich habe es euch vorausgesagt und sage es voraus – als der ich zum zweiten Mal anwesend war und jetzt (wieder) abwesend bin – denen, die sich bisher versündigt haben, und allen Übrigen: Wenn ich wiederkomme, werde ich euch nicht verschonen.“ (2 Kor 13,2)

„Seine Liebe zu uns beweist Gott aber dadurch, dass der Messias für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Röm 5,8)

„Was sollen wir dazu sagen? Sollen wir in der Sünde bleiben, damit die Gnade zunimmt? Das kann nicht sein! Wenn wir für die Sünde gestorben sind, wie (können) wir noch in ihr leben?“ (Röm 6,1-2)

„Das wissen wir, dass unser alter Mensch mit hingerichtet wurde am Kreuz, damit der Mensch der Sünde abgeschafft wird, sodass wir nicht mehr der Sünde als Sklaven dienen. Wer gestorben ist, ist nämlich freigesprochen von der Sünde.“ (Röm 6,6-7)

„So auch ihr: Haltet euch dafür, dass ihr einerseits für die Sünde tot seid und andererseits für Gott lebt im Messias Jesus. Die Sünde darf also nicht regieren in eurem sterblichen Leib, dass ihr seinen Trieben gehorcht! Stellt auch nicht der Sünde eure Glieder zur Verfügung als Werkzeuge der Ungerechtigkeit! Stellt euch vielmehr Gott zur Verfügung als Lebendiggewordene aus den Toten, und (stellt) eure Glieder Gott (zur Verfügung) als Werkzeuge der Gerechtigkeit! Keine Sünde kann mehr über euch herrschen. Ihr seid ja nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ (Röm 6,11-14)

„Was ist also? Wollen wir uns versündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade? Das kann nicht sein! Wisst ihr nicht, dass ihr die Sklaven dessen seid, dem ihr gehorcht? (Je nachdem,) wem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam bereitstellt, seid ihr entweder (Sklaven) der Sünde zum Tod oder (Sklaven) des Gehorsams zur Gerechtigkeit. Gott sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde gewesen seid und von Herzen dem Inhalt der Lehre gehorcht habt, an die ihr übergeben wurdet. Frei gemacht von der Sünde, seid ihr Sklaven für die Gerechtigkeit geworden.“ (Röm 6,15-18)

„Jetzt aber, nachdem ihr von der Sünde frei geworden und Sklaven Gottes geworden seid, habt ihr eure Frucht in der Heiligung, und das Ende ist ewiges Leben.“ (Röm 6,22)

„Als wir (noch) in der menschlichen Natur steckten, wirkten sich doch die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz (festgehalten werden), in unseren Gliedern aus, um Frucht zu bringen für den Tod. Jetzt sind wir aber zunichtegemacht – weg vom Gesetz: dem gestorben, worin wir festgehalten waren, so dass wir in einer neuen Art des Geistes als Sklaven dienen und nicht in der alten Art des Buchstabens.“ (Röm 7,5-6)

„Das Gesetz des Geistes des Lebens im Messias Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Röm 8,2)

„Er selbst trug unsere Sünden mit seinem Leib an das Holz hinauf, damit wir, den Sünden abgestorben, für die Gerechtigkeit leben sollen.“ (1 Petr 2,24)

„Meine Kinderchen, das schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt.“ (1 Joh 2,1)

„Jeder, der in ihm bleibt, versündigt sich nicht. Jeder, der sich versündigt, hat ihn nicht gesehen und kennt ihn nicht.“ (1 Joh 3,6)

„Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ (1 Joh 3,9)

„Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, sich nicht versündigt, sondern (Jesus), der aus Gott geboren wurde, bewahrt ihn, und der Böse fasst ihn nicht an.“ (1 Joh 5,18)

„Deshalb, weil wir eine solche Wolke von Zeugen haben, die uns umgibt, wollen wir nun jegliche Last ablegen, gerade auch die festsitzende Sünde, und mit Ausdauer laufen im vor uns liegenden Kampf.“ (Hebr 12,1)

Indifferentismus

(Indifferentismus = Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Dingen)

(Aus dem Artikel „Wie weit wir abgekommen sind! und damit nochmals: Von der eigentlichen Schwierigkeit, womit ich zu kämpfen habe“ von Sören Kierkegaard. Erschienen in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ am 23. August 1855.)

Das Irreleitende ist, dass man den Christennamen trägt und dennoch nicht darauf aufmerksam ist, was Indifferentismus eigentlich ist oder worin gerade die gräulichste Art von Indifferentismus besteht.

Unter Indifferentismus denkt man sich eigentlich nur, dass einer gar keine Religion habe. Allein darin, mit entschiedener, bestimmter Entschlossenheit gar keine Religion zu haben, liegt bereits Leidenschaftlichkeit. Und diese Art von Indifferentismus ist nicht die gefährlichste: sie findet sich daher auch seltener.

Nein, die gefährlichste Art von Indifferentismus und die ganz allgemeine ist die, dass man eine bestimmte Religion hat. Aber diese ist zu reinem Geschwätz ausgewaschen und verpfuscht, so dass man diese Religion ohne alle Leidenschaftlichkeit haben kann. Das ist die allergefährlichste Art Indifferentismus. Denn just mit diesem Jux von Religion wähnt man sich gegen den Vorwurf, man habe gar keine Religion, in jeder Hinsicht sichergestellt.

Die Leidenschaft, die Leidenschaftlichkeit gehört wesentlich zu jeder Religion. Jede Religion hat daher, besonders in Zeiten mit vorherrschender Verständigkeit, nur sehr wenige wahre Anhänger. Dagegen sind es stets Tausende, die so ein wenig aus der Religion entnehmen, es verwässern und verpfuschen und sodann ohne alle Leidenschaft (d. h. irreligiös, d. h. indifferent) – ihre Religion haben. Das heißt: durch diese Sorte Religion sind sie, obwohl vollkommen indifferent, gegen den Vorwurf gesichert, sie hätten keine Religion.

Das ist die Schwierigkeit, mit der ich zu kämpfen habe. Sie gleicht der Schwierigkeit, ein aufgelaufenes Schiff wieder loszubringen, wenn der Grund ringsum so lockerer Boden ist, dass jeder eingetriebene Pfahl haltlos nachgibt.

Was ich vor mir habe, ist Indifferentismus, Indifferentismus der heillosesten und gefährlichsten Art. Es ist eine Gesellschaft, von der der Apostel sagen würde: „Das Christen! Die Christen! Die haben ja überhaupt keine Religion! Ja, sie sind nicht einmal in der Verfassung, Religion haben zu können!“. Eine Gesellschaft, von der Sokrates sagen würde: „Sie sind gar keine Menschen. Sie sind vielmehr entmenscht zum Publikum, oder entmenscht, weil sie nur noch Publikum sind!“

Allesamt sind sie Publikum. Ob eine Meinung an und für sich wahr ist, diese echte menschliche Frage beschäftigt niemand. Wie viele diese Meinung teilen, das ist’s, was sie beschäftigt. Aha! Die Zahl entscheidet nämlich, ob eine Meinung sinnliche Macht hat. Und dies beschäftigt sie wiederum durch die Bank. Die einzelnen im Volk – die gibt es gar nicht mehr; denn jeder einzelne ist Publikum.

So wird es zuletzt eine Art Wollust, ähnlich der Wollust, die einst die Zuschauer bei Tiergefechten gehabt haben müssen, eine Art Wollust, als Publikum diesem Kampf beizuwohnen: Dass ein einzelner Mensch, der nur Geistesmacht hat und um keinen Preis andere Macht haben möchte, den Kampf für die Religion der Aufopferung auf sich nimmt gegen diese Riesenmacht von 1000 Geschäftspfarrern, die sich für Geist bedanken, dagegen der Regierung für Besoldung, Titel und Ritterkreuz, und die der Gemeinde für – das Opfer von Herzen dankbar sind.

Und weil der Zustand im Ganzen dieser ist, der tiefste Indifferentismus, wird es dem einzelnen, der sich ein klein wenig darüber erhebt, nur allzu leicht gemacht, sich selbst wichtig zu werden, als hätte er Ernst, wäre er Charakter usw.:

Da ist ein junger Mensch; die allgemeine Lauheit und Gleichgültigkeit entrüstet ihn. Begeistert, wie er ist, will er seine Begeisterung auch ausdrücken: er wagt – sich anonym zu äußern. Wohlmeinend, wie er gewiss ist und worüber man sich ja nur freuen kann, übersieht er vielleicht doch, das das, was er tut, noch nicht viel heißen will. Und er lässt sich dadurch, dass es im Vergleich mit dem Gewöhnlichen doch wie etwas ist, vielleicht betören.

Oder da ist ein Bürgersmann. Er ist ein ernster Mann, empört über die Lauheit und Gleichgültigkeit, wie so viele sie zeigen, die von Religion am liebsten gar nichts hören. Er dagegen liest, schafft sich sofort an, was herauskommt, redet davon, eifert – daheim in seiner Stube. Und es entgeht ihm vielleicht, dass solcher Ernst, christlich genommen, doch eigentlich nicht Ernst ist. Dass er das nur ist im Vergleich mit einem Ernst, an dem sich der, der vorwärts kommen will, überhaupt nie messen sollte. Denn vorwärts kommt nur, wer sich mit dem vergleicht, der ihm voraus ist.

„Ja, wenn du, o Gott, nicht die Allmacht wärst, die allmächtig zwingen kann! Und wenn du nicht die Liebe wärst, die unwiderstehlich rühren kann! … Aber deine Liebe treibt mich. Der Gedanke, dass man dich lieben darf, begeistert mich dazu, dass ich froh und dankbar das Los annehme, ein Opfer zu sein – von einem Geschlecht geopfert zu werden …“

Staat – Christentum

(„Staat – Christentum“ – ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 27. Juni 1885)

Der Staat steht in einem direkten Verhältnis zur Zahl, zum Numerischen. Wenn darum ein Staat im Niedergang begriffen ist, so kann endlich die Zahl seiner Bürger so klein werden, dass dieser Staat aufgehört hat. Und dann kann man diesen Begriff nicht mehr anwenden.

Das Christentum verhält sich anders zur Zahl. Ein einziger wahrer Christ genügt, damit man in Wahrheit sagen kann, das Christentum sei da. Ja, das Christentum steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Zahl. Wenn alle Christen geworden sind, kann man den Begriff nicht mehr anwenden. Denn der Begriff „Christ“ ist ein polemischer Begriff. Christ kann man nur im Gegensatz zu anderen sein, oder gegensätzlicher Weise. So ist es im Neuen Testament.

Diese Eigentümlichkeit des Christentums entspricht genau dem, dass Gott geliebt sein will. Gott setzt nämlich die Liebe zu ihm, um sie zu potenzieren, dem Widerspruch aus. Und so bekommt der Christ, welcher Gott liebt, im gegensätzlichen Verhältnis zu anderen Menschen durch deren Hass und Verfolgung zu leiden. Sobald man den Gegensatz gegen andere wegnimmt, verliert die Existenz des Christen ihren Sinn. So ist es aber in der „Christenheit“ geschehen, die das Christentum dadurch hinterlistig abgeschafft hat, dass „wir alle“ Christen sind.

Also, der Begriff „Christ“ steht in einem umgekehrten, der Staat in einem geraden Verhältnis zur Zahl. Und dennoch hat man Christentum und Staat ineinander aufgehen lassen … zum Besten des Geschwätzes und der Geistlichkeit. Denn Christentum und Staat zu verschmelzen, hat ebensoviel Sinn, als von einer Elle Butter zu reden. Oder es hat womöglich noch weniger Sinn, da Butter und Elle doch nur nichts miteinander zu tun haben, Staat und Christentum sich aber umgekehrt zueinander verhalten, voneinander divergieren.

Doch in der „Christenheit“ wird das nur schwer verstanden. Denn in der „Christenheit“ hat man – das ist dort ganz in Ordnung – keine Ahnung davon, was Christentum ist. In ihr kann man am allerwenigsten auf den Gedanken kommen oder sich von dem Gedanken überzeugen lassen, dass das Christentum durch seine Ausbreitungabgeschafft worden ist, durch diese Millionen von Namenschristen, deren Zahl wohl nur verdecken soll, dass es einen Christen, also Christentum, gar nicht gibt. Denn wie man durch langes Gerede bekanntlich eine Sache zerreden kann, so hat das Menschengeschlecht, der einzelne in ihm, sich das Christentum zerreden, vom Leib schwatzen lassen – durch den Lärm des Namenschristentums, des christlichen Staates, einer christlichen Welt. Und Gott soll durch alle diese Millionen wohl so wirr im Kopf werden, dass er den Schwindel nicht entdeckt, dass er nicht sieht, dass nicht ein einziger Christ da ist.

Wenn wir wirklich Christen sind

Wenn „wir“ wirklich Christen sind; wenn die „Christenheit“, eine „christliche Welt“, christlich in Ordnung ist: so ist eo ipso* das Neue Testament nicht mehr der Wegweiser für den Christen und kann es nicht mehr sein.

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ vom 4. Juni 1855.)

Unter den gegebenen Voraussetzungen ist das Neue Testament nicht der Wegweiser für den Christen und kann es nicht sein. Denn der Weg ist ja verändert, ein ganz anderer als im Neuen Testament.

Das Neue Testament als Wegweiser für den Christen wird daher unter jenen Voraussetzungen ein historisches Kuriosum. So wie etwa ein altes Reisehandbuch für ein Land, worin sich seither alles gänzlich verändert hat. Ein solches Handbuch hat nicht mehr den Ernst, dass es den Reisenden wirklich führen könnte. Es hat höchstens noch als Unterhaltungslektüre einen Wert. Wo man jetzt mit der Eisenbahn bequem dahinsaust, da ist nach dem Handbuch „die fürchterliche Wolfsschlucht, in der man 70 000 Faden in die Tiefe stürzen kann“. Wo man in einem behaglichen Kaffeehaus sitzt und seine Zigarre raucht, da hat nach dem Handbuch „eine Räuberbande ihren Schlupfwinkel, welche die Reisenden überfällt und misshandelt“. „Hier ist das“, steht im Handbuch – d. h. hier war das. Denn nun ist da keine Wolfsschlucht, sondern eine Eisenbahn, keine Räuberbande, sondern ein behagliches Kaffeehaus. Und nun ist’s recht ergötzlich, sich auszudenken, wie’s da vorzeiten aussah.

Sind wir denn wirklich Christen, ist die „Christenheit“, eine „christliche Welt“, christlich in Ordnung: so möchte ich womöglich so laut, dass man es bis in den Himmel hören könnte, ausrufen: „Du Unendlicher, du hast dich doch sonst auch als Liebe erwiesen! Das war doch wahrlich lieblos von dir, dass du uns nicht zu wissen tatest, das Neue Testament sei nicht mehr der Wegweiser, sei nicht mehr das Handbuch für Christen. Nun hat sich ja alles ins Gegenteil verwandelt, und wir sind dennoch wahrhaftige Christen! Wie grausam ist es da von dir, die Schwachen immer noch damit zu ängstigen, dass du noch nicht ein Wort zurückgenommen oder geändert hast!“

Doch das kann ich nicht annehmen, dass Gott so sein könnte. Deshalb werde ich zu einer anderen Erklärung genötigt, die mir sowieso viel näher liegt. All das mit der „Christenheit und einer „christlichen Welt“ ist ein menschlicher Gaunerstreich. Das Neue Testament hingegen ist, ganz wie es ist, das Handbuch für Christen. Und denen wird es in dieser Welt beständig so ergehen, wie man im Neuen Testament liest. Und sie werden sich dadurch nicht beirren lassen, dass es Gaunerchristen in dieser Welt, der Welt der Gaunerstreiche, anders ergeht.

*eo ipso – wie es sich von selbst versteht, eben dadurch

Sind „wir“ wirklich Christen …

Sind „wir“ wirklich Christen, was ist dann Gott?

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“. Erschienen am 4. Juni 1855)

Die Sache verhält sich doch so: dass unser Begriff eines „Christen“ eine Einbildung ist, dass diese ganze Maschinerie mit einer Staatskirche und 1000 geistlich-weltlichen Kanzleiräten eine ungeheure Augenverblendung ist, die uns in der Ewigkeit nicht das Mindeste helfen wird, die sich im Gegenteil in eine Anklage gegen uns verkehren wird … Und wenn sich die Sache so verhält, dann wollen wir in diesem Fall doch um der Ewigkeit willen diese Maschinerie je eher, je lieber loswerden … –

Wenn sich die Sache aber nicht so verhält. Wenn der „Christ“ wirklich das ist, was „wir“ unter einem solchen verstehen: Was ist dann Gott im Himmel?

Er ist das lächerlichste Wesen, das je gelebt hat. Sein Wort ist das lächerlichste Buch, das je ans Licht gekommen ist. Himmel und Erde in Bewegung zu setzen (wie er ja in seinem Wort tut), mit der Hölle, mit ewiger Strafe zu drohen – um das zu bekommen, was „wir“ unter einem „Christen“ verstehen. (Und wir sind ja „wahre Christen“!) Nein, etwas so Lächerliches ist noch nie dagewesen!

Denke dir, es trete ein Mann mit scharfgeladener Pistole auf jemanden zu und sagte zu ihm: „Ich schieße dich nieder“. Oder stelle dir seine Drohung noch schecklicher vor, denke dir, er sage: „Ich bemächtige mich deiner Person und martere dich auf die grausamste Weise zu Tode, wenn du nicht (Nun merke wohl, was da kommt:) – wenn du nicht dein Leben hier auf Erden so profitabel und genussreich anlegst, als es dir möglich ist!“. So ist das doch wohl äußerst lächerlich. Denn um das zu bewirken, braucht man wirklich nicht mit einer scharfgeladenen Pistole oder der qualvollsten Todesart zu drohen. Denn vielleicht wären sogar weder die scharfgeladene Pistole noch die qualvollste Todesart imstande, das überhaupt zu verhindern.

Und so auch hier. Durch die Schrecken einer ewigen Strafe (fürchterliche Drohung!) und durch die Verheißung einer ewigen Seligkeit bewirken zu wollen – ja, das bewirken zu wollen, was „wir“ sind! (Denn der Christ ist ja das, was „wir“ unter ihm verstehen!) Also das bewirken zu wollen, was „wir“ sind: dass wir das Leben wählen, nach dem es uns am meisten gelüstet! (Denn dass wir das Zuchthaus meiden, gebietet ja die einfache Klugheit!)

Die schrecklichste Art von Gotteslästerung ist die, welche die „Christenheit“ verschuldet. Dass sie den Gott des Geistes in ein lächerliches Geschwätz verwandelt. Und die geistloseste Art von Gottesverehrung – geistloser als alles, was je das Heidentum aufbrachte, geistloser als die Verehrung eines Steins, eines Ochsen, eines Insekts, geistloser als alles, was überhaupt an Geistlosigkeit möglich ist – ist dies: als Gott einen Faselhans anzubeten.“

Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament

(Eine Schwierigkeit an dem Neuen Testament – ein Artikel von Sören Kierkegaard. Aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855)

In dem Neuen Testament sind alle Verhältnisse, alle Proportionen im Großen angelegt.

Das Wahre ist ideal dargestellt; andererseits gehen auch die Irrtümer, die Ausschreitungen ins Große: es wird vor Heuchelei gewarnt, vor allerlei Irrlehre, vor Werkheiligkeit usw. usw.

Aber seltsam genug, das Neue Testament nimmt absolut keine Rücksicht auf das, was in dieser Welt leider nur in allzu großer Masse vorhanden ist, auf das, was den Inhalt dieser Welt bildet: auf die Salbaderei, die Jämmerlichkeit, die Mittelmäßigkeit, das Geschwätz und Gewäsch, das Christentumsspiel, die allgemeine Phrasenhaftigkeit usw.

Hieraus entsteht nun die Schwierigkeit, dass man mit Hilfe des Neuen Testaments fast unmöglich das wirkliche Leben anfassen kann, die wirkliche Welt, in der wir leben, in der auf einen qualifizierten Heuchler immer 100.000 Schwätzer kommen, auf einen qualifizierten Ketzer immer 100.000 Silbenstecher.

Das Neue Testament scheint hohe Vorstellungen davon zu hegen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Auf der einen Seite hält es das Ideal vor. Und wenn es die Verkehrtheit schildert, so sieht man wieder, dass es von der menschlichen Existenz eine hohe Vorstellung hat. Aber das Geschwätz, die Kleinlichkeit, die Mittelmäßigkeit erhalten nie ihren Treff.

Dessen hat sich die Faselei seit undenklicher Zeit bedient, um sich als die wahre christliche Rechtgläubigkeit festzusetzen – und das gab diese unübersehbaren Bataillone von Christen. Diese, wenn auch nicht durch Geist, so doch durch die Zahl mächtige Rechtgläubigkeit macht es sich zunutze, dass man sie in Wahrheit – und damit hat sie wirklich Recht – nicht der Heuchelei, der Irrlehre usw. beschuldigen kann. Denn weil man dies nicht kann, ergo ist sie die wahre christliche Rechtgläubigkeit.

Das macht sich auch ganz gut. Überall nämlich hat das Höchste und das Niedrigste eine gewisse flüchtige Ähnlichkeit miteinander. Dieses ist wie jenes nicht das, was dem Höchsten etwas nahe steht. Oder beide sind nicht das, was zwischen dem Hohen und dem Niederen vermittelt. So hat es eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, über und unter aller Kritik zu sein. Dies gilt nicht von der Rechtgläubigkeit jener Massen und der Geistlichen, die von jenen in Masse leben. Sie ähnelt dem wahren Evangelium insofern, als sie unleugbar nicht Irrlehre, Ketzerei ist.

Übrigens gleicht sie dem wahren Christentum noch weniger als irgendwelche Ketzerei und Irrlehre. Die Sache verhält sich so: So hoch das wahre Christentum über aller Ketzerei, allen Irrtümern und Verirrungen steht, so tief liegt das Geschwätz unter den Ketzereien, Irrtümern und Verirrungen. Aber, wie gesagt, die Schwierigkeit an dem Neuen Testament ist diese: dass es, für das Ideal gegen Geister kämpfend, nie speziell dieses ungeheure Korpus aufs Korn nimmt, das in der „Christenheit“ beständig die wahre christliche Rechtgläubigkeit repräsentiert, deren christlicher Ernst darin seinen Ausdruck findet, dass „Wahrheitszeugen“ – welch satirischer Selbstwiderspruch! – in dieser Welt Karriere und Glück machen, indem sie sonntags schildern, wie die Wahrheit in dieser Welt leiden muss.

Darauf muss man wohl achten. Und wenn man darauf achtet, so wird man sehen, dass das Neue Testament doch Recht hat, dass doch alles so kommt, wie das Neue Testament es vorausgesagt hat. Mitten in diesen ungeheuren Völkern von „Christen“, in diesem Gewimmel von „Christen“ leben hie und da einige Einzelne, ein Einzelner. Für ihn ist der Weg schmal – vgl. das Neue Testament. Er wird von allen gehasst – vgl. das Neue Testament. Ihn totzuschlagen gilt für einen Dienst gegen Gott – vgl. das Neue Testament. Es ist doch ein kurioses Buch, dieses neue Testament; es bekommt doch Recht. Denn dieser Einzelne, diese Einzelnen – ja die waren die Christen.

Lobrede auf das Menschengeschlecht

Lobrede auf das Menschengeschlecht

oder

Beweis, dass das Neue Testament nicht mehr Wahrheit sei

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 4. Juni 1855.)

Im Neuen Testament stellt der Heiland der Welt, unser Herr Jesus Christus, die Sache so dar. „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenig ist derer, die ihn finden.“

… nun aber sind, um bloß bei Dänemark zu bleiben, wir alle Christen. Der Weg ist so breit als überhaupt möglich, am allerbreitesten in Dänemark, da es der Weg ist, auf dem wir alle gehen. Dabei ist er in jeder Beziehung bequem und die Pforte so weit als nur möglich. (Weiter kann doch eine Pforte nicht sein, als dass alle en masse durch sie gehen können.) –

Ergo ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Ehre sei dem Menschengeschlecht! Du, o Heiland der Welt, du hast doch eine zu geringe Vorstellung von dem Menschengeschlecht gehabt. Denn du hast die Erhabenheit nicht vorausgesehen, die es in seiner Perfekibilität durch stetig fortgesetztes Streben erreichen kann!

In dem Grade ist also das Neue Testament nicht mehr Wahrheit. Der Weg ist so breit als möglich, die Pforte so weit als möglich, und wir alle sind Christen. Ja ich wage noch einen Schritt weiterzugehen – denn die Sache begeistert mich. Es handelt sich ja um eine Lobrede auf das Menschengeschlecht. Ich wage zu behaupten, dass die Juden unter uns im Durchschnitt bis zu einem gewissen Grad Christen sind. Christen so gut wie wir anderen alle. In dem Grad sind wir alle Christen, in dem Grad ist das Neue Testament nicht mehr Wahrheit.

Wir wollen der Verherrlichung des Menschengeschlechts gewiss nicht mit Aufstellung unwahrer Behauptungen dienen. Wir müssen aber doch darüber wachen, dass uns nichts, nichts entgeht, das seine Erhabenheit beweist oder andeutet. Ich wage daher noch einen Schritt weiterzugehen. Da mir aber die nötigen Kenntnisse fehlen, um in der Sache eine bestimmte Meinung zu haben, so wage ich bloß eine Vermutung auszusprechen. Das Endurteil überlasse ich den Sachverständigen, den Leuten vom Fach:

Zeigen sich nicht auch bei den Haustieren, wenigstens bei den edleren, bei Pferden, Hunden, Kühen, Zeichen des Christentums? Das ist gar nicht unwahrscheinlich. Man bedenke nur, was das heißen will, in einem christlichen Staat zu leben, in einem christlichen Volk, wo alles christlich ist und alle Christen sind, wo man immer und überall nichts anderes sieht als Christen und Christentum, Wahrheit und Wahrheitszeugen? Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dies auf die edleren Haustiere einen Einfluss ausübt, und dass die steigende Veredelung (was nach Meinung der Zoologen und der Pfarrer stets das Wichtigste ist) sich auf die Nachkommenschaft vererbt.

Jakobs List ist ja bekannt. Um gesprenkelte Lämmer zu bekommen, legte er gesprenkelte Stäbe in die Wasserrinne, so dass die Mutterschafe nichts als Gesprenkeltes sahen und darauf gesprenkelte Lämmer zur Welt brachten. Es ist gar nicht unwahrscheinlich – doch will ich, da ich nicht Fachmann bin, darüber keine bestimmte Meinung haben und würde die Entscheidung am liebsten einem aus Theologen und Zoologen zusammengesetzten Komitee überlassen – es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass die Haustiere in der „Christenheit“ schließlich eine christliche Nachkommenschaft zur Welt bringen. Mir schwindelt fast bei diesem Gedanken. Dann aber wird – zur Ehre des Menschengeschlechts – das Neue Testament nach dem größtmöglichen Maßstab nicht mehr Wahrheit sein.

Du, o Heiland der Welt, als du bekümmert fragtest: „Wann ich wiederkomme, werde ich dann wohl auch Glauben finden auf Erden“? – und als du dein Haupt im Tode neigtest, da dachtest du wohl kaum daran, dass deine Erwartungen in einem solchen Grade übertroffen werden sollten; dass das Menschengeschlecht auf eine so schöne und rührende Weise das Neue Testament zur Unwahrheit machen und fast deine Bedeutung in Frage stellen würde. Denn sollten so rare Wesen wirklich eines Erlösers bedürfen oder je eines solchen bedurft haben?

« Ältere Beiträge