(Indifferentismus = Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Dingen)
(Aus dem Artikel „Wie weit wir abgekommen sind! und damit nochmals: Von der eigentlichen Schwierigkeit, womit ich zu kämpfen habe“ von Sören Kierkegaard. Erschienen in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ am 23. August 1855.)
Das Irreleitende ist, dass man den Christennamen trägt und dennoch nicht darauf aufmerksam ist, was Indifferentismus eigentlich ist oder worin gerade die gräulichste Art von Indifferentismus besteht.
Unter Indifferentismus denkt man sich eigentlich nur, dass einer gar keine Religion habe. Allein darin, mit entschiedener, bestimmter Entschlossenheit gar keine Religion zu haben, liegt bereits Leidenschaftlichkeit. Und diese Art von Indifferentismus ist nicht die gefährlichste: sie findet sich daher auch seltener.
Nein, die gefährlichste Art von Indifferentismus und die ganz allgemeine ist die, dass man eine bestimmte Religion hat. Diese ist aber zu reinem Geschwätz ausgewaschen und verpfuscht, so dass man diese Religion ohne alle Leidenschaftlichkeit haben kann. Das ist die allergefährlichste Art Indifferentismus. Denn just mit diesem Jux von Religion wähnt man sich gegen den Vorwurf, man habe gar keine Religion, in jeder Hinsicht sichergestellt.
Die Leidenschaft, die Leidenschaftlichkeit gehört wesentlich zu jeder Religion. Jede Religion hat daher, besonders in Zeiten mit vorherrschender Verständigkeit, nur sehr wenig wahre Anhänger. Dagegen sind es stets Tausende, die so ein wenig aus der Religion entnehmen, es verwässern und verpfuschen und sodann ohne alle Leidenschaft (d. h. irreligiös, d. h. indifferent) – ihre Religion haben. Das heißt: durch diese Sorte Religion sind sie, obwohl vollkommen indifferent, gegen den Vorwurf gesichert, sie hätten keine Religion.
Das ist die Schwierigkeit, mit der ich zu kämpfen habe. Sie gleicht der Schwierigkeit, ein aufgelaufenes Schiff wieder loszubringen, wenn der Grund ringsum so lockerer Boden ist, dass jeder eingetriebene Pfahl haltlos nachgibt.
Was ich vor mir habe, ist Indifferentismus, Indifferentismus der heillosesten und gefährlichsten Art. Es ist eine Gesellschaft, von der der Apostel sagen würde: „Das Christen! Die Christen! Die haben ja überhaupt keine Religion! Ja, sie sind nicht einmal in der Verfassung, Religion haben zu können!“. Eine Gesellschaft, von der Sokrates sagen würde: „Sie sind gar keine Menschen. Sie sind vielmehr entmenscht zum Publikum, oder entmenscht, weil sie nur noch Publikum sind!“
Allesamt sind sie Publikum. Ob eine Meinung an und für sich wahr ist, diese echte menschliche Frage beschäftigt niemand. Wie viele diese Meinung teilen, das ist’s, was sie beschäftigt. Aha! Die Zahl nämlich entscheidet, ob eine Meinung sinnliche Macht hat. Und dies beschäftigt sie wiederum durch die Bank. Die einzelnen im Volk – die gibt es gar nicht mehr; denn jeder einzelne ist Publikum.
So wird es zuletzt eine Art Wollust, ähnlich der Wollust, die einst die Zuschauer bei Tiergefechten gehabt haben müssen, eine Art Wollust, als Publikum diesem Kampf beizuwohnen: Dass ein einzelner Mensch, der nur Geistesmacht hat und um keinen Preis andere Macht haben möchte, den Kampf für die Religion der Aufopferung auf sich nimmt gegen diese Riesenmacht von 1000 Geschäftspfarrern, die sich für Geist bedanken, dagegen der Regierung für Besoldung, Titel und Ritterkreuz, und die der Gemeinde für – das Opfer von Herzen dankbar sind.
Und weil der Zustand im Ganzen dieser ist, der tiefste Indifferentismus, so wird es dem einzelnen, der sich ein klein wenig darüber erhebt, nur allzu leicht gemacht, sich selbst wichtig zu werden, als hätte er Ernst, wäre er Charakter usw.:
Da ist ein junger Mensch; die allgemeine Lauheit und Gleichgültigkeit entrüstet ihn. Begeistert, wie er ist, will er seine Begeisterung auch ausdrücken: er wagt – sich anonym zu äußern. Wohlmeinend, wie er gewiss ist und worüber man sich ja nur freuen kann, übersieht er vielleicht doch, das das, was er tut, noch nicht viel heißen will. Und er lässt sich dadurch, dass es im Vergleich mit dem Gewöhnlichen doch wie etwas ist, vielleicht betören.
Oder da ist ein Bürgersmann. Er ist ein ernster Mann, empört über die Lauheit und Gleichgültigkeit, wie so viele sie zeigen, die von Religion am liebsten gar nichts hören. Er dagegen liest, schafft sich sofort an, was herauskommt, redet davon, eifert – daheim in seiner Stube. Und es entgeht ihm vielleicht, dass solcher Ernst, christlich genommen, doch eigentlich nicht Ernst ist. Dass er das nur ist im Vergleich mit einem Ernst, an dem sich der, der vorwärts kommen will, überhaupt nie messen sollte. Denn vorwärts kommt nur, wer sich mit dem vergleicht, der ihm voraus ist.
„Ja, wenn du, o Gott, nicht die Allmacht wärest, die allmächtig zwingen kann! Und wenn du nicht die Liebe wärest, die unwiderstehlich rühren kann! … Aber deine Liebe treibt mich. Der Gedanke, dass man dich lieben darf, begeistert mich dazu, dass ich froh und dankbar das Los annehme, ein Opfer zu sein – von einem Geschlecht geopfert zu werden …“