Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Pharisäer

Ehelosigkeit

Ehelosigkeit ist eine leider wenig beachtete Empfehlung des Neuen Testaments. Dabei ist natürlich nicht der Verzicht auf eine formelle Heirat gemeint, sondern der Verzicht auf jegliche sexuelle Beziehung überhaupt. Das schönere und positive Wort dafür wäre „Keuschheit“. Aber dieses Wort ist aus dem modernen Sprachgebrauch wegen des Desinteresses an der Sache völlig verschwunden. Dieses Schicksal teilt es mit seinem Gegenbegriff, der „Unzucht„. Natürlich schließt der Verzicht auf die Ehe auch den Verzicht auf eigene Kinder mit ein.

Vom Alten Testament her war ein Interesse an der Ehelosigkeit nicht zu erwarten. Das irdische Volk Israel war von seinem Ursprung her auf Abstammung und Fortpflanzung angelegt. Das ging bis hin zur Schwagerehe, in der ein Mann für seinen kinderlos verstorbenen Bruder mit dessen Frau noch einen Nachkommen erzeugen sollte. Auch die Pharisäer zur Zeit von Jesus waren auf Ehe und Nachkommenschaft fixiert, wie auch ihre geistigen Nachkommen, die orthodoxen Juden, bis heute.

Anders dagegen die Richtung der Essener, die damals schon den Gedanken entwickelt hatten, dass zu einer ganzen Hingabe an Gott die Ehelosigkeit am besten sei. Sie hatten deshalb neben Verheirateten auch viele Ehelose in ihrer Gemeinschaft. Im Lukasevangelium begegnen uns die drei ledigen Geschwister Lazarus, Marta und Maria, die in Betanien zusammen wohnten. Ihre Lebensform ist in damaliger Zeit eigentlich nur denkbar, wenn sie Mitglieder oder zumindest Sympathisanten der Essener waren.

Auch bei Jesus selbst wird zu wenig beachtet, dass in seinem ganz an den Vater und die Menschen hingegebenen Leben eine Ehefrau keinen Platz hatte. (Die ihm von der Welt angedichteten Verhältnisse wie z. B. mit Maria Magdalena sind natürlich Unsinn.) Aber er hat es nicht nur vorgelebt, er hat auch davon gesprochen.

Seine Jünger kamen einmal im Gespräch über die Schwierigkeiten der Ehe zu dem Schluss: „Wenn die Sache des Ehemannes mit der Ehefrau so steht, ist es nicht gut zu heiraten.“ Und da stimmte ihnen Jesus zu und erklärte ihnen: „Nicht alle erfassen diese Sache, sondern nur die, denen es gegeben ist. Es gibt ja Eunuchen, die aus dem Mutterleib so geboren werden. Es gibt auch Eunuchen, die von den Menschen dazu gemacht werden. Und es gibt Eunuchen, die sich wegen des Königreichs der Himmel selbst dazu machen. Wer das erfassen kann, soll es erfassen!“ (Mt 19,10-12).

Ein Eunuch ist im engeren Sinne ein durch Kastration zeugungs- und damit eheunfähig gemachter Mann. Ím weiteren Sinne galt es damals offensichtlich auch für einen, der von Geburt an eine entsprechende Unfähigkeit hatte. Jesus erweiterte dieses Spektrum noch auf die, welche für sich selbst „wegen des Königreichs der Himmel“ auf sexuelle Beziehungen ganz verzichten. Und er geht davon aus, dass es solche Leute tatsächlich gibt. Es ist also keine Theorie, es ist Praxis. Natürlich hatte er damals das Beispiel der Essener vor Augen. Aber eine gewisse Empfehlung an seine Jünger darf man sicherlich heraushören.

Eine deutlichere Sprache in dieser Richtung sprechen die mehrmals vorkommenden Stellen, an denen Jesus davon spricht, dass das Reich Gottes die natürliche Familie außer Kraft setzt. Man soll ihn mehr lieben als Vater und Mutter. Man kann Vater, Mutter, Frau und Kinder verlassen, um ihm zu folgen. Einem potentiellen Nachfolger verweigert er die Erlaubnis, die Beerdigung von dessen verstorbenem Vater auszuführen. Der Bruch mit der leiblichen Familie beinhaltet natürlich auch den Bruch mit der Ehe.

Diese Prioritätensetzung bestätigt Paulus in seinen Ausführungen zu Ehe und Ehelosigkeit in 1 Kor 7. Zunächst weist er eine generelle Ablehnung der Ehe zurück. „Was das betrifft, was ihr geschrieben habt: ‚Es ist gut für einen Mann, keine Frau zu berühren!‘ (Dazu sage ich:) Wegen der Unzucht soll aber jeder seine Frau haben und genauso jede den eigenen Mann.“ (Verse 1-2). Aber die Empfehlung zur Ehelosigkeit spricht der ehelose Gesandte des Herrn dann deutlich aus. Betrachten wir die Stellen dazu in der Zusammenstellung:

„(Wenn ihr mich fragt, dann) will ich, dass alle Menschen (unverheiratet) sind wie auch ich; aber jeder hat eine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.“ (Vers 7)

„Ich sage den Unverheirateten und den Witwen: Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich. Wenn sie aber nicht verzichten können, sollen sie heiraten. Es ist doch besser, verheiratet zu sein, als sich (vor Verlangen) zu verzehren.“ (Verse 8-9)

„Was die Jungfrauen betrifft, habe ich keine Anordnung des Herrn. Eine Meinung gebe ich aber als jemand, der beim Herrn das Erbarmen gefunden hat, gläubig zu sein: Ich glaube, dass Folgendes gut ist wegen der gegenwärtigen Not, dass es also gut ist für einen Menschen: Bist du an eine Frau gebunden, suche keine Loslösung, bist du von einer Frau gelöst, suche keine Frau!“ (Verse 25-27)

„Der Unverheiratete sorgt für die Dinge des Herrn, wie er dem Herrn gefällt. Der geheiratet hat, sorgt aber für die Dinge der Welt, wie er der Frau gefällt, und er ist zerteilt. Sowohl die unverheiratete Frau als auch die Jungfrau sorgt für die Dinge des Herrn, dass sie heilig ist, mit dem Leib und mit dem Geist. Die geheiratet hat, sorgt aber für die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefällt. Das sage ich, weil es gut für euch selbst ist, und nicht, um euch eine Schlinge überzuwerfen. Aber es soll angesehen sein, dem Herrn auch ungehindert zur Verfügung zu stehen!“ (Verse 32-35)

„Wenn aber jemand glaubt, er würde seine Jungfrau beschämen, wenn sie eine alte Jungfer würde, und es müsse so sein, dann soll er tun, was er will, er versündigt sich nicht, er soll sie heiraten lassen. Wer in seinem Herzen aber fest steht, keine Notwendigkeit sieht, Freiheit über seinen Willen hat und so in seinem Herzen beschlossen hat, seine Jungfrau zu bewahren, der tut gut daran. Deshalb macht es der, der seine Jungfrau heiraten lässt, gut, und der, der sie nicht heiraten lässt, macht es besser.“ (Verse 36-37)

„Eine Frau ist auf so lange Zeit gebunden, wie ihr Mann lebt. Wenn der Mann entschläft, ist sie frei, sich heiraten zu lassen, von wem sie will, nur im Herrn. Glücklicher ist sie meiner Meinung nach aber, wenn sie so bleibt. Und ich meine, dass auch ich Geist Gottes habe.“ (Verse 38-39)

Auch bei der Anerkennung der „wirklichen Witwen“ im ersten Timotheusbrief klingt diese Sichtweise durch: „Zu ‚Witwen‘ darfst du (nur) die bestimmen, die wirkliche Witwen sind. … Die wirkliche Witwe, die niemanden mehr hat, hat ihre Hoffnung auf Gott gesetzt und bleibt beim Bitten und Beten Tag und Nacht.“ (1 Tim 6,1.3). Diese Bestimmung zeigt auch, dass die ehelose Lebensart zumindest bei diesen „wirklichen Witwen“ auf einer Entscheidung beruhte, die in der Gemeinde bekannt und anerkannt war. Sie sollte wohlüberlegt sein, man durfte sich dazu nicht leichtfertig verpflichten.

Offensichtlich hatte man damit auch schon entsprechende Erfahrungen gemacht. „Jüngere Witwen musst du aber zurückweisen! Denn wenn sie – entgegen dem Messias – üppig leben wollen, dann wollen sie (wieder) heiraten und haben das Urteil, dass sie mit der anfänglichen Treue gebrochen haben. Zugleich lernen sie auch, unnütz in den Häusern umherzugehen, und nicht nur unnütz, sondern auch schwatzhaft und neugierig, und zu reden, was sich nicht gebührt. Ich will also, dass jüngere (Witwen wieder) heiraten, Kinder haben, ein Haus führen, dem Gegner keinen Anlass zur Verleumdung geben. Schon haben sich ja einige abgewandt hinter dem Satan her.“ (1 Tim 6,11-15). Es geht also nicht darum, dass die Ehelosigkeit einen eigenen Wert an sich hätte, es geht vielmehr um den geistlichen Lebensstil, den sie ermöglicht.

Die christliche Lebensweise, die wir heutzutage im Allgemeinen kennen, beinhaltet die Wertschätzung von Ehe und Familie. Die Ehelosigkeit ist als Ausnahmefall institutionalisiert im katholischen Mönchs- und Nonnenwesen. Im evangelischen Bereich gibt es traditionell die Diakonissenhäuser und in moderneren Zeiten die Einrichtung von Kommunitäten, in denen die ehelose Lebensform ihren Platz hat. Beiden Bereichen ist gemeinsam, dass die Ehelosigkeit als Ausnahme und Sonderform angesehen wird. Der allgemeinen christlichen Gemeinde, die im Alltag lebt, ist sie entnommen. Die Gemeinde bleibt weiterhin im Denkmuster von Ehe und Familie als Normalfall. Und es gibt ja auch die Geschwister, denen es ein Anliegen ist, die noch vorhandenen Unverheirateten miteinander zu verkuppeln.

Wer also meint, die Ehelosen hätten es aber doch irgendwie schwerer als die Verheirateten, sollte nochmal über die Stellungnahme von Paulus nachdenken. 1 Kor 7,28: „Aber auch wenn du heiraten willst, versündigst du dich nicht. Und wenn die Jungfrau sich verheiratet hat, hat sie sich nicht versündigt. Solche werden jedoch Schwierigkeiten mit der menschlichen Natur haben, ich aber möchte euch (davon) verschonen.“ Und so manche ehrlichen Verheirateten würden Paulus da aus Erfahrung wohl auch noch Recht geben …

Die ganze Hingabe in der Nachfolge, die auf Ehe und Familie verzichtet, ist in der neutestamentlichen Gemeinde eine Realität. Die Ehelosigkeit gehört vor Ort in die Gemeinde als gleichwertige und anerkannte Lebensform neben der Ehe. In der Zeit der frühen Christen waren im römischen Reich mehrere Christenverfolgungen zu bestehen. Und in den Berichten über die Märtyrer tauchen immer wieder sogenannte „heilige Jungfrauen“ auf, die willig für Jesus in den Tod gingen. Die Sache war also damals noch eine Realität.

Die Endzeit, in der die Gemeinde steht, hat auch ihre Rückwirkungen auf die Sicht von Ehe und Familie. „Das sage ich, Geschwister: Die Zeit ist begrenzt. Im Weiteren sollen auch alle, die Frauen haben, wie solche sein, die keine haben.“ (1 Kor 7,29). Mit dieser Relativierung ist auch die romantische Vorstellung erledigt, die Ehe sei dazu da, einander glücklich zu machen. Das Glück des Christen kommt von Gott und nicht vom Ehepartner. Nebenbei bemerkt, kann der Verzicht auf solch weltliche Vorstellungen eine große Entlastung für die Ehe bedeuten. Und die zerstörerische Vergötterung des Ehepartners und/oder der Kinder ist damit ausgeschlossen.

Ehelosigkeit ist nach Jesus auch die Lebensform der Zukunft, ein Hinweis auf die Existenzweise in der neuen Welt Gottes. Mt 29,30 / Mk 12,25 / Lk 20,35-36: „Die aber, die für wert gehalten werden, zu jener Welt zu kommen und zur Auferstehung von den Toten, die heiraten nicht und sind nicht verheiratet, wenn sie von den Toten auferstehen. Sie können ja auch nicht mehr sterben, sondern sie sind Engeln in den Himmeln gleich und sind Söhne und Töchter Gottes, weil sie Söhne und Töchter der Auferstehung sind.“

Paulus

Paulus ist im Neuen Testament der Mensch, über den wir am meisten erfahren. Sein Name wird in drei Versionen berichtet:

Sein hebräischer Name ist „Scha’úl“, das heißt „Erbetener“. Dieser Name war bekannt als der Name des ersten Königs in Israel. Und so hat ihn auch Jesus angesprochen auf dem Weg nach Damaskus: „Saul! Saul! Warum verfolgst du mich?“ Natürlich hat Jesus „Scha’úl“ gesagt.

Die Namensform „Saul“ kommt daher, dass man auf Griechisch kein „Sch“ sprechen und schreiben konnte. Dafür verwendete man ein „S“. Um den Namen beim Sprechen oder Schreiben zu verwenden, brauchte ein Grieche dann auch noch eine deklinierbare Endung dazu. Und so machte er „Saulos“ daraus. Über das Lateinische ist das dann als „Saulus“ zu uns gekommen.

Dass der Mann durch seine Bekehrung von einem „Saulus“ zu einem „Paulus“ geworden sei, ist eine fromme Legende. Lukas hat in seinem Bericht den Namenswechsel mit „Saulus, der auch Paulus heißt“ (Apg 13,9) erst auf der ersten Missionsreise in Paphos auf Zypern vollzogen. Also muss es für die zwei Namen eine andere Erklärung geben:

Paulus war nicht nur ethnischer Jude, sondern auch römischer Staatsbürger. Und als solcher trug er neben dem jüdischen auch einen römischen, also lateinischen Namen. Der Name „Paulus“ bedeutet „Kleiner“. Sicherlich hatte er ältere Geschwister, und so war er der „Kleine“ in der Familie. Römer waren manchmal wenig phantasievoll in ihrer Namensgebung.

Wenn man das weiß, dann versteht man auch, warum man in den Anfängen der Apostelgeschichte im jüdischen Umfeld seinen jüdischen Namen „Saulus“ verwendete. Auf seiner Mission in die nichtjüdische Welt spielte dann aber sein römischer Name „Paulus“ die wichtige Rolle.

Die Apostelgeschichte erzählt seine Geschichte ab der Steinigung von Stefanus (Apg 7,57-8,1a). Paulus hatte hier als junger Mann die Aufgabe übernommen, die Obergewänder derer zu bewachen, die diese ausgezogen hatten, um Bewegungsfreiheit beim Steinewerfen zu haben.

Informationen über sein Leben davor entnehmen wir den autobiografischen Angaben, die er in Briefen, Gesprächen und Reden selbst gemacht hat. Ich stelle sie hier zusammen:

„Hebräisch sprechen sie? Ich auch. Israeliten sind sie? Ich auch. Nachkommen Abrahams sind sie? Ich auch.“ (2 Kor 11,22)

„Ich bin doch auch ein Israelit, von den Nachkommen Abrahams, vom Stamm Benjamin.“ (Röm 11,1)

„Beschneidung am achten Tag, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräisch-Sprechender von Hebräisch-Sprechenden, hinsichtlich des Gesetzes ein Pharisäer, hinsichtlich des Eifers ein Verfolger der Gemeinde, hinsichtlich der Gerechtigkeit im Gesetz tadellos gewesen.“ (Phil 3,5-6)

„Ich bin ein jüdischer Mann aus Tarsos in Kilikien, Bürger einer nicht unbekannten Stadt.” (Apg 21,39)

„Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsos in Kilikien, aufgezogen (hier) in dieser Stadt (Jerusalem). Zu den Füßen Gamaliels bin ich geschult in der Genauigkeit des Gesetzes der Vorfahren.“ (Apg 22,3)

„Während sie ihn mit den Riemen nach vorne streckten, sagte Paulus aber zu dem Offizier, der dastand: ‚Ist es euch erlaubt, einen römischen Bürger ohne Gerichtsurteil auszupeitschen?‘ Als der Offizier das hörte, ging er zum General und berichtete: ‚Was willst du tun? Dieser Mann ist Römer!‘ Der General kam zu ihm und sagte: ‚Sag mir: Bist du Römer?‘ Er sagte: ‚Ja!‘ Der General antwortete: ‚Ich habe dieses Bürgerrecht um eine große Summe erworben.‘ Paulus sagte: ‚Ich bin ein gebürtiger (Römer).’” (Apg 22,25-27)

„Mein Lebenslauf von Jugend an war ja von Anfang an unter meinem Volk, und alle Juden in Jerusalem wissen es. Sie kennen mich schon von vorher – wenn sie es bezeugen wollen – dass ich von Anfang an nach der genauesten Richtung unserer Gottesverehrung gelebt habe, als Pharisäer.“ (Apg 26,4-5)

Alles Weitere steht dann in der Apostelgeschichte, deren Hauptperson er ist (außer Jesus natürlich). Lukas hat vieles mit ihm zusammen erlebt und darüber berichtet. Nur das Ende von Paulus kommt dort nicht mehr vor, weil Lukas seinen Bericht noch zu dessen Lebzeiten abgeschlossen hat.

Von Tertullian wissen wir aber, dass Paulus in der Christenverfolgung unter Nero in Rom getötet wurde. Weil er römischer Bürger war, durfte man ihn nicht qualvoll töten, wie z. B. Petrus am Kreuz. Die für römische Bürger vorgesehene Todesstrafe war (relativ kurz und schmerzlos) das Enthaupten.

Von Lukas erfahren wir in der Apostelgeschichte nichts darüber, dass Paulus auch Briefe geschrieben hat. Offenbar war das für Lukas in seiner Zeit so selbstverständlich, dass man es nicht extra erwähnen musste. Aber natürlich hat Paulus während seiner Reisen als Gesandter von Jesus je nach Bedarf und Anlass seine Briefe geschrieben, zuletzt in Cäsarea die Gefangenschaftsbriefe.

Das Gesetz im Neuen Testament

Das Gesetz im Neuen Testament – wird es noch erfüllt oder wurde es gar abgeschafft? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht so einfach. Eine diffizile Fragestellung erfordert eine differenzierte Antwort. Gemeint ist natürlich das Gesetz Moses, das Gesetz, das Gott am Berg Sinai durch Mose gegeben hat. Insofern ist es keine menschliche, sondern eine göttliche Größe. Und entsprechend ernsthaft muss man damit umgehen.

Unbrauchbar ist das Gesetz auf jeden Fall in dem Sinne, dass man sich mit dem Einhalten des Gesetzes irgendwie vor Gott Anerkennung oder Verdienste erarbeiten könnte. In diesem Sinne war es nie gemeint, kann also auch nicht „abgeschafft“ worden sein. Vor Gott kann keiner irgendetwas vorweisen oder auf etwas pochen. Das Einhalten des Gesetzes wäre das Normale, das Übertreten des Gesetzes ist Sünde. Und eingehalten hat es keiner – bis Jesus.

Das war ja der Vorwurf von Jesus an die vermeintlich „gesetzestreuen“ Pharisäer, dass sie in Wahrheit das Gesetz gar nicht einhalten, sondern nur so tun, als ob – Mk 7,8: „Ihr verlasst das Gebot Gottes und haltet die Tradition der Menschen.“ (Die „Bibeltreuen“ mögen es ja auch heute noch nicht, wenn man ihnen nachweist, dass sie nicht bibeltreu sind.) Nach Jesus bleibt das Gesetz im Neuen Testament in voller Geltung, ja, es kommt erst zur vollen Geltung.

Als der Verdacht aufkam, er würde mit seiner Lehre selbst das Gesetz auflösen, sagte er – Mt 5,17: „Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen! Ich bin nicht gekommen, um es aufzulösen, sondern um es zu erfüllen.“ Wie erfüllt Jesus also das Gesetz?

Zum ersten war er sicherlich derjenige, der erstmals in seinem ganzes Leben das Gesetz eingehalten hat – er war ohne Sünde.

Zum zweiten war er das sündlose Opferlamm, das ein für allemal als Opfer für die Sünden dargebracht wurde. Damit war der ganze kultische Teil des Gesetzes mit all den Regelungen betreffend heiliges Zelt, Tempel, Priester, Altar, Opfer etc. komplett erledigt – weil erfüllt. Diese Erfüllung durch Jesus, den neuen ewigen Obersten Priester, der sich selbst zum Opfer gebracht hat, ist im Hebräerbrief eindrücklich geschildert.

Zum dritten erfüllt Jesus das Gesetz im Neuen Testament mit der Gabe des heiligen Geistes an alle seine Jünger. Durch den Geist wird die Liebe Gottes ausgegossen in ihre Herzen, und die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes. Das Gesetz wird in ihre Herzen geschrieben, und sie erfüllen es gerne. Denn den Willen Gottes zu tun, ist ihr oberstes Ziel.

Nun müssen wir noch beachten, dass zwischen den Geboten des Alten Testaments und ihrer Erfüllung im Neuen Testament auch ein qualitativer Unterschied besteht. Paulus nennt die alten Vorschriften an einer Stelle mit diesem Bild – Kol 2,17: „Diese Dinge sind ein Schatten dessen, was kommen sollte“. Das Neue, das mit Jesus kam, hatte also seine „Schatten“ vorausgeworfen. Aber nun sind wir ins helle Licht getreten, und da sieht manches anders aus. Das Gesetz im Neuen Testament steht jetzt unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung. Ich möchte es an drei Beispielen deutlich machen:

Der Zehnte:

Im Alten Testament war geboten, von allen Einkünften den zehnten Teil an Gott abzugeben zur Versorgung der Priesterschaft und des Heiligtums. Im Neuen Testament gehört das ganze Leben Gott, also auch der ganze Besitz. Wir können aber von etwas, das zu 100% Gott gehört, nicht noch 10% an ihn abgeben. Wir sind von Besitzern zu Verwaltern geworden und gehen unter der Leitung des Heiligen Geistes verantwortungvoll in Freiheit mit Gottes Besitz um, wozu natürlich auch das Geben gehört.

Die Reinheit:

Im Gesetz Moses gibt es viele Bestimmungen, die die Berührung mit Unreinheit von außen her vermeiden sollen. Z. B. durfte man bestimmte Tiere nicht essen oder nichts Totes berühren. Und wenn man es tat oder tun musste, folgten aufwendige Rituale, um wieder rein zu werden. Bei den Jüngern von Jesus dagegen wird durch sein vergossenes Blut und durch die Kraft des Heiligen Geistes das Innere des Menschen, sein Herz, gereinigt. Nun hat die Sünde dort keinen Platz mehr. Diese Reinheit im Inneren kann von außen her nicht mehr verunreinigt werden. Paulus sagt – Tit 1,15: „Für die Reinen ist alles rein.“ Die Speisegebote und Reinigungsrituale sind überflüssig geworden.

Der Ruhetag:

Seit Gott nach den sechs Tagen der Schöpfung am siebten Tag geruht hat, gibt es den Ruhetag am siebten Tag der Woche. Der ist so auch im Gesetz Moses verbindlich vorgeschrieben. Dieser Tag, der auf hebräisch „schabbát“ heißt, ist über das Griechische als „Sabbat“ zu uns gekommen. Das ist der Wochentag, der Gott gehört. Sein Kennzeichen ist „Ruhe“, weshalb ich ihn auf Deutsch mit „Ruhetag“ übersetze. Nun hat aber mit Jesus eine neue Zeit begonnen. In ihr gehört nun der ganze Mensch Gott, also auch seine ganze Zeit. Alle sieben Tage der Woche sind Gottes Tage.

Die Kunst des Glaubens besteht nun darin, die ganze Zeit in der Ruhe Gottes zu leben. Ein großes Geschenk! Unter der Leitung des heiligen Geistes herrscht nun im Frieden Gottes die volle Freiheit über die ganze Zeit. Natürlich darf man den siebten Tag auch noch als Ruhetag einhalten, wenn man will, es wird einem sicherlich guttun. Paulus beschreibt es so – Röm 14,5: „Der eine beurteilt einen Tag höher als einen (anderen) Tag, der andere beurteilt jeden Tag (gleich). Jeder soll im eigenen Verständnis ganz überzeugt sein.“ Der biblische Ruhetag, wenn man ihn einhalten will, liegt auf dem Samstag. Der „christliche“ Sonntag ist kein Ersatz für den Sabbat, sondern eine unverbindliche kirchliche Sitte, die über das pseudochristliche Abendland zu einem weltlichen Gesetz geworden ist..

Der Zehnte von Küchenkräutern?

Zur Zeit von Jesus hatten die Pharisäer ihr System der Ablieferung des zehnten Teils aller ihrer Einnahmen weit entwickelt. Es war so verfeinert, dass sie sogar von selbst geernteten oder eingekauften Küchenkräutern penibel genau den zehnten Teil abgaben. Diese Praxis spricht Jesus zweimal in Stellungnahmen gegen die Pharisäer an. Ich zitiere die Stellen zunächst nach der Elberfelder Bibel:

Mt 23,23: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Anis und den Kümmel und habt die wichtigsten Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen.“

Lk 11,42: „Aber wehe euch Pharisäern! Denn ihr verzehntet die Minze und die Raute und alles Kraut und übergeht das Gericht und die Liebe Gottes; diese Dinge hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen.“

Was mir an diesen Stellen schon immer eigenartig erschien, ist, dass Jesus hier zwar das Einhalten der wichtigen Dinge des Gesetzes verlangt, aber daneben auch weiterhin das Verzehnten der Küchenkräuter. Zumal diese Stellen dann gerne von Auslegern herangezogen werden als Beleg dafür, dass angeblich auch von der neutestamentlichen Gemeinde das Abgeben des zehnten Teils der Einkünfte verlangt wird, was sonst nirgends im Neuen Testament belegt ist.

Aber manchmal hilft dann der nochmalige Blick ins Lexikon. Ich benutze das Griechischlexikon von Hermann Menge, dem Bibelübersetzer. Da entdeckte ich zuerst eine alternative Bedeutung (von „pareínai“) für den Umgang mit den Kräutern an der Stelle bei Lukas. Die heißt jetzt so:

„Aber wehe euch Pharisäern: Ihr gebt den zehnten Teil von der Pfefferminze, der Raute und jeglichen Küchenkräutern und umgeht das Recht und die Liebe Gottes. Diese müsstet ihr aber ausüben – und (dürftet) euch nicht bei jenen aufhalten!“

Sich nicht bei solchen Kleinigkeiten aufhalten, das klingt doch schon viel besser. Davon ermutigt, schaute ich auch nochmal nach für die Matthäus-Stelle „jene nicht lassen“. Das griechische Wort („aphiénai“) heißt wirklich „lassen“, mit verschiedenen Bedeutungen. Wie erstaunt war ich aber, dass es nicht nur so etwas heißt wie „loslassen“, „erlassen“ oder „zurücklassen“. Es kann auch „zulassen“ heißen im Sinne von „erlauben, gestatten“. Mit dieser Bedeutung wendet sich die Aussage von Jesus ins genaue Gegenteil:

„Wehe euch, Theologen und Pharisäer, ihr Heuchler: Ihr gebt den zehnten Teil von der Pfefferminze, vom Dill und vom Kümmel und habt die gewichtigeren Dinge des Gesetzes verlassen: das Recht und das Mitgefühl und den Glauben! Diese müsste man aber ausüben – und jene (dürfte man) nicht zulassen!“

Nun heißt es nicht nur, man müsste sich an die wichtigen Dinge des Gesetzes halten. Es heißt auch, man dürfte Lehren über solche Kleinigkeiten – wie den Zehnten von Küchenkräutern – nicht einmal zulassen.

Beide Möglichkeiten sind von den Wortbedeutungen her legitime Übersetzungen. Der Übersetzer muss in einem solchen Fall vom Zusammenhang her die am ehesten richtige Übersetzung wählen. Das war in diesem Fall nun aber nicht mehr schwer. Sich auf gesetzliche Art bei Kleinigkeiten aufhalten, das ist pharisäischer Geist. Beständig und wahrhaftig in den wesentlichen Dingen leben, das ist der Geist von Jesus.

Was macht Menschen unrein?

Was macht Menschen unrein? Auf diese Frage gibt es im Neuen Testament eine eindeutige Antwort, und zwar von Jesus persönlich. In der Auseinandersetzung mit den Pharisäern um das Essen von Speisen mit unreinen Händen hat Jesus den folgenden Grundsatz aufgestellt. Mk 7,15: „Es gibt nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingeht, das ihn unrein machen kann. Das, was aus dem Menschen herauskommt, ist vielmehr das, was den Menschen unrein macht.“

Auf Nachfrage der Jünger hat er es dann ausführlicher erklärt. Mk 7,18-23: „Versteht ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht unrein machen kann, denn es geht nicht ins Herz, sondern in den Bauch und geht hinaus ins Klo, und so werden alle Speisen gereinigt.“ Er sagte: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlechten Gedanken: Hurereien, Diebstähle, Morde, Ehebrüche, Habgierigkeiten, Bosheiten, Hinterlist, Hemmungslosigkeit, böser Blick, Lästerung, Einbildung, Unvernunft. Dieses Böse kommt alles von innen heraus und macht den Menschen unrein.“

Was macht Menschen unrein? Die Unreinheit steckt im Herzen des Menschen. Und sie äußert sich damit, dass der Mensch sündigen Impulsen folgt, die aus seinem eigenen Herzen kommen. Was macht Menschen unrein? Die Unreinheit betrifft ganz direkt das Herz des Menschen. Und auf die Frage nach der Reinigung des Herzens hatten und haben die Pharisäer keine Antwort. (Auch nicht die „christlichen“ Pharisäer …) Hier hilft nur der neue Weg mit der Kraft des von Jesus vergossenen Blutes und der Kraft des Heiligen Geistes.

Bevor wir also über mögliche Sünde sprechen, die durch Dinge von außen kommt, stelle klar, dass die Wurzeln der Sünde in dir ausgerottet sind. Oder wie Johannes es ausdrückt – 1 Joh 3,9: Jeder, der aus Gott geboren ist, vollbringt keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt. Er kann sich nicht versündigen, weil er aus Gott geboren ist.“

Für von außen kommende Dinge gibt es im Neuen Testament dann erstaunlicherweise Bereiche, in denen es verschiedene Meinungen und Erkenntnisstände geben darf. So beim Essen von Fleisch, das womöglich heidnischen Göttern geweiht sein könnte, beim Einhalten oder Nichteinhalten von Feiertagen und beim Befolgen von Speisegeboten. Dazu hat Paulus zwei Prinzipien aufgestellt:

Zum einen: „Für die Reinen ist alles rein.“ (Tit 1,15) und „Alles von Gott Erschaffene ist gut. Nichts ist verwerflich, was mit Dank angenommen werden kann.“ (1 Tim 4,4)

Zum anderen: „Es ist zwar alles rein, aber schlimm für den Menschen, der etwas isst, obwohl es ihm ein Anstoß ist. (Da) ist es gut, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken und nichts, woran dein Bruder oder deine Schwester sich stößt. Du, den Glauben, den du (diesbezüglich) hast, habe ihn für dich selbst vor Gott! Glücklich ist der, der sich nicht selbst verurteilt in dem, was er für gut erklärt. Wer Zweifel hat, wenn er isst, ist aber verurteilt, weil es nicht aus Glauben kommt. Alles, was nicht aus Glauben kommt, ist Sünde.“ (Röm 14,20-23)

Wir dürfen also alles, was aus der Welt im Sinne von Gottes Schöpfung kommt, mit Dank annehmen, gebrauchen und genießen. Andererseits ist es klar, dass wir uns in keiner Weise an der Sünde der Menschen in der Welt beteiligen. Und in der Abgrenzung dieser beiden Dinge haben wir deshalb in Verantwortung vor Gott tatsächlich einen Freiraum für eigene Erkenntnis. Dabei muss auch Freiraum zum Wachsen in der Erkenntnis bleiben. Phil 3,5: „Und wenn ihr in etwas anders denkt, wird Gott euch auch das enthüllen.“

In solchen Bereichen sollte unter Christen daher liebevolle Toleranz und gegenseitige Rücksichtnahme geübt werden. Und es gibt schon gar keinen Grund, mit solchen Themen unter Christen oder gar in der Welt zu „missionieren“ …