Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

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Heirat

(Heirat – ein Teil des Kapitels „Hochzeiten“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Von 1884 bis 89 hat er seine Beobachtungen im damaligen Palästina gemacht.)

Die Hochzeit ist ein Fest ausgelassener Freude für alt und jung. Da bei den Muhammedanern die Vielweiberei herrscht, feiert ein Mann oft drei-, vier- oder fünfmal Hochzeit in seinem Leben. Indes haben die gewöhnlichen Leute selten mehr als eine oder zwei Frauen. Denn sie haben nicht die Mittel, mehrere zu ernähren. Die Berichte über die großen Harems passen nur auf eingeschränkte Kreise, denn es kommt selten vor, dass jemand mehr als vier Frauen hat. Man muss aber nicht denken, dass durch die Vielweiberei die Vermehrung des Volkes eine größere sei als bei den Christen. Im Gegenteil ist gerade die muhammedanische Bevölkerung in langsamer, aber stetiger Abnahme begriffen. Auch ist die Vielweiberei häufig die Ursache für die Verarmung eines Mannes. Anstatt eine erworbene Summe anzulegen, verwendet er sie meist zur Anschaffung einer neuen Frau, wodurch sowohl Hauswirtschaft als auch Hausfriede zu Grunde gehen.

Bei der Heirat fragt man bei den Muhammedanern das Mädchen niemals, ob sie N. N. als ihren Ehegemahl aus Gottes Hand hinnehmen wolle usw. Man verkauft sie eben an den, der am meisten Geld gibt. Nur mit der oben erwähnten Einschränkung, dass derjenige den Vorzug erhält, welcher aus der eigenen Sippe als Brautwerber auftritt. Aber auch der junge Mann hat meistens wenig zu sagen, wenn es sich um die Wahl seiner Braut handelt. Das besorgen lieber die Eltern oder deren Stellvertreter, ältere Brüder oder Onkel. Diese trauen sich in diesem Stück ein objektiveres und sichereres Urteil zu, als der heißspornige Jüngling oder Knabe, der doch nur nach Gesichtspunkten wählen würde, welche in ihren Augen höchst unwesentlich sind.

Zugleich wollen dieselben, weil sie die Heirat zustande bringen, auch ein Stück Geld bei der Partie verdienen. Auch Isaak dufte ja seine Braut nicht selbst wählen. Abraham legte dieses Geschäft vielmehr mit ruhige Gottvertrauen in die Hände seines treuen Knechtes Elieser. Die Braut hat noch viel weniger zu sagen. Das arme Mädchen muss sich eben kaufen und gewöhnlich noch einen höchst widerlichen Schacher mit sich treiben lassen.

Freilich scheint man im hohen Altertum noch edlere Sitten und Auffassungen gehabt zu haben. Rebekka z. B. wurde gefragt, ob sie mitziehen wolle, als Elieser seinen Auftrag dargetan hatte. (1 Mo 24,58.) Auch zahlte er keinen Preis für sie. Denn die herrlichen Geschenke, die er mitbrachte, gab er nicht ihren Eltern, sondern ihr selbst. Und sie, freudig gestimmt durch die großen und reichen Geschenke des freundlichen fremden Greises, noch mehr ermutigt und bewegt durch die Erzählung der wunderbaren Führung Gottes, die sie am Brunnen mit Elieser zusammengeführt hatte, antwortete mit einem fröhlichen Ja. Und so zog sie in die Ferne zu dem Mann ihrer Bestimmung.

Aber so lieblich und fein in den Wegen Gottes ging man schon damals nicht mehr. Schon Rahel und Lea beklagten sich über ihren Vater: „Sind wir nicht wie Fremde (Sklaven) geachtet worden: denn er hat uns verkauft.“ (1 Mo 31,15.) Die ganze Art, wie sich Jakob seine Frauen erwirbt, ist übrigens echt orientalisch. Sie entspricht durchaus auch den heute noch unter den Fellachen geltenden Sitten, obschon inzwischen 3000 bis 4000 Jahre verstrichen sind. Dass Jakob die Tochter seines Onkels etwa umsonst bekommen sollte, dieser abenteuerliche Gedanke ist ihm sicher ebensowenig gekommen, wie irgend einem Palästinenser unserer Tage. Bezahlen muss man eine zu verheiratende Tochter, wenn nicht in Geld, so doch durch andere Leistungen. Vielfach auch durch ein anderes Mädchen, etwa eine Schwester des Bräutigams, welche dann einem Bruder der Braut zur Frau gegeben wird.

Diesen uralten Sitten begegnen wir nicht nur bei dem Stamm der Hebräer, sondern auch bei den früheren Bewohnern des Landes, den Kanaanitern (1 Mo 34,12). Ja selbst das hebräische Wort, welches schon im grauen Altertum diesen Kaufpreis oder die Morgengabe bezeichnete, mohar (1 Mo 34,12; 2 Mo 22,16; 1 Sam 18,25), hat sich bis zum heutigen Tag in derselben Bedeutung im Mund der Bevölkerung des Landes erhalten (mahhr). Diese Sitten scheinen sich in Israel niemals geändert zu haben. Jedenfalls aber dürfen wir annehmen, dass, je besser der sittliche Zustand des Volkes Israel in den verschiedenen Perioden war, die idealen Gesichtspunkte trotz Beibehaltung der alten, selbstverständlichen Formen die materiellen durchaus überwogen.

Heute freilich kommen in Palästina bei den Muhammedanern, auch bei den meisten Christen der alten Kirchen, bezüglich der Heirat lediglich materielle Rücksichten in Betracht. Die Zuneigung und Liebe der Braut darf kein Wörtlein mitsprechen, wenn die materiellen Anerbietungen nicht genehm sind. Man mag das Mädchen wohl auch fagen: Willst du mit diesem Manne ziehen? Aber sie dürfte sich nicht unterstehen, Nein zu sagen, wenn die Eltern die Heirat wünschen. Oder es würde ihr wenigstens nichts helfen.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Der Mensch soll nach orientalischen Begriffen das Verhältnis zu seinem Weib als ein gegebenes betrachten, nicht als ein gewähltes. Man sich ja auch seinen Vater und seine Mutter, Geschwister und Kinder nicht auswählen, sondern muss sie eben nehmen, wie man sie bekommt und an ihnen viel Freude und viel Herzeleid erleben kann. Die Eltern und Vormünder wählen nach ihrer bewährten Erfahrung, und probatum est*, die Ehen sind meist „glücklich“. Schon vom achten bis zehnten Jahr an lernen sich so manchmal die Kinder als Mann und Frau ansehen und behandeln. Und sie müssen daran ebenso gut lernen, wie Geschwister lernen müssen, sich miteinander zu vertragen und einander lieb zu haben.

Die Sage erzählt, dass auch Maria, die Mutter von Jesus, bei ihrer Verlobung erst fünfzehn Jahre alt gewesen ist. Und gewiss ist dies nicht unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich haben wir uns dieselbe noch als eine ganz jugendliche Gestalt zu denken.

*es ist bewährt

Das Haus in Nazaret

(Das Haus in Nazaret – Auszüge aus dem Kapitel „Jesus in Nazaret“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er beschreibt seine Beobachtungen in den Jahren 1884-89.)

Still ist der Gang Gottes durch die Geschichte, wenn er die größten Dinge einleitet, um eine alte, verlorene Welt aus den Angeln zu heben. Nicht über Rom und Athen führen seine Wege. Die Stille einer Familie in Haran, die schweigenden Berge Gottes in der Wüste Sinai, das kleine Betlehem, das verachtete Nazaret, das sind seine Stationen. Jesus wächst in Nazaret, dem kleinen Landstädtchen in Verborgenheit und Stille heran. Währenddessen tosen draußen die Stürme politischer Aufregung über das neue Römerjoch in leidenschaftlichen Parteikämpfen durch das Land.

Mit Recht sind jene wundersüchtigen Erzählungen aus der Kindheit Jesu verworfen worden, welche uns mehr sagen wollen als Lukas in seiner vielsagenden Kürze. Sie sind lediglich Gebilde einer irregeleiteten Phantasie. Wenn wir es aber für unser Recht und unsere Pflicht erachten, das Leben unseres Herrn nach allen Seiten zu erforschen, so dürfen wir wohl auch versuchen, uns ein Bild von dem Leben zu machen, welches Jesus in Nazaret geführt haben mag. Wir wagen uns dabei nicht auf den trügerischen Boden der Phantasie hinaus, sondern stehen auf dem historischen Boden seiner Heimat, deren Sitten heute noch fast ebenso sind wie in Jesu Tagen. …

Freundlich und lieblich ist Nazaret gelegen, an eine sanft ansteigende Berghöhe angelehnt. Mit seinen weißen Häusern schimmert es freundlich hinaus in das lang hingestreckte südliche Tal. Umgeben ist es von oliven- und feigenbewachsenen Höhen und Weinbergen. Das heranwachsende Jesuskind sah täglich eine Schar bedeutsamer Berge und Orte, lauter Zeugen längst vergangener Geschichte. Im Osten der majestätische Tabor, einer der schönsten Berge des Landes, im Südosten die fast düsteren Berge Gilboa, wo König Saul einst fiel in der Schlacht gegen die Philister. Drunten die große Ebene mit Afek, Sunem und Jesreel, in Duft gehüllt, und im Westen der Karmel. Die beiden letzteren erinnern an den Propheten Elija, den der Herr später so gern erwähnte.

In diesem Städtchen hat Jesus seine Jugend und die ersten Mannesjahre zugebracht. Sein nächster Kreis war die eigene Familie, das Haus in Nazaret. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr hatte Jesus noch beide Eltern. Es scheint aber, dass Josef bald darauf gestorben ist. Er wird wenigstens nie wieder erwähnt.

Jesus, als der älteste Sohn, wurde damit nach damaliger und heutiger orientalischer Sitte Haupt und Ernährer der Familie. … Es war noch nicht die Zeit, von der er damals sagte: „des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“ Damals hatte er ein Haus in Nazaret und hatte dafür zu sorgen. … Wie mag es aber darin ausgesehen haben?

Das Haus in Nazaret war jedenfalls wohl ein Häuschen, wie es Landleute und Handwerker im Heiligen Lande auch heute noch bewohnen, ein einziger Raum, welcher nicht in verschiedene Zimmer abgeteilt war. …

Das Licht, welches man des Abends anzündete, wenn die Familie beisammen war, leuchtete daher, wenn man es nicht gerade unter einen Scheffel setzte, „allen, die im Hause waren“ … . In einem solchen Haus sieht man heute gewöhnlich entweder einen ca. 1 Meter hohen primitiven Leuchter oder einen in einiger Höhe aus der Mauer hervorragenden Stein. Darauf wird die irdene Ampel mit Olivenöl gestellt und verbreitet ihr mattes Licht über den ganzen dunklen Raum.

Viele Möbel waren in Jesu Wohnung ebenso wenig zu finden wie bei den heutigen Landsleuten. Wer einen Groschen verloren hatte, brauchte keine Schränke und Kommoden, Tische und Stühle wegzurücken. Er brauchte nur den Fußboden, welcher aus der bloßen Erde bestand oder mit Steinplatten belegt war, aufzukehren, um ihn wiederzufinden. Allerdings musste er zu diesem Zweck, da an solchen Häusern damals wie heute die Fenster fehlten, am hellichten Tage die Ampel anzünden.

Im Sommer und überhaupt bei schöner Witterung hielt sich die Familie am liebsten im Freien auf. Auf dem Dach, im Hof, oder draußen unter den Feigen- und Olivenbäumen. Den Boden im Haus bedeckten einige Matten und einfache Teppiche. Auf ihnen mochten noch einige Polsterkissen liegen, welche als Sofa dienten. Bettstellen waren nicht vorhanden. Des Abends legte sich jeder in seine über die Matte gelegte Decke und bedeckte sich nötigenfalls noch mit dem Mantel.

Frühmorgens vor Sonnenaufgang stand Maria auf und mahlte Weizen, um Brot zu backen. Denn dies musste in alter wie in neuer Zeit täglich frisch sein. Später, als Jesu Schwestern heranwuchsen, mögen sie dieses Geschäft auf der Handmühle besorgt haben. Dieses tut man am liebsten zu zweien. Und Jesus spielt darauf an, wenn er sagt: „Zwei werden mahlen auf einer Mühle, eine wird angenommen, und die andere wird verlassen werden.“

Nazaret besitzt eine einzige bedeutende Quelle, welche außerhalb im Osten der Stadt entspringt. Heute ist dieselbe den ganzen Tag von wasserholenden und waschenden Frauen umlagert. Namentlich am Morgen und Abend sieht man sie scharenweise zum Brunnen kommen. Ihre großen schwarzen Tonkrüge tragen sie sicher auf dem Kopf, ohne dieselben mit der Hand zu stützen. Hier halten sie gerne längere Rast, hier besprechen sie die Neuigkeiten des Tages. Hierher kam auch Jesu Mutter oder eine seiner Schwestern täglich, um Wasser zu holen. Und wie sich auch heute noch eine Schar von Kindern um den Brunnen tummelt, so mag auch Maria manchmal das Jesuskind an der Hand hierhergeführt haben, während sie den schweren Tonkrug auf dem Kopf wiegte. …

Die Schwestern werden sich nach orientalischer Sitte schon in ganz jugendlichem Alter verheiratet haben. So mag man mehrmals in der Familie Jesu Hochzeit gefeiert haben. Er selbst, als Haupt der Familie, nahm an der Hochzeit ohne Zweifel teil. Die Vorliebe, mit welcher er gerade die Hochzeit zum Sinnbild himmlischer Dinge gemacht hat, zeigt uns, welch herzlichen Anteil er an der allgemeinen Freude nahm, wie gut ihm die ungetrübte Wonne, welche bei einer orientalischen Hochzeit alle zu beherrschen pflegt, gefallen haben muss. Darum vergleicht er später seinen Ruf zum Himmelreich so gerne mit dem Ruf zu den Freuden der Hochzeitsfeier. …

Die Herbergssuche

(Die Herbergssuche – ein Auszug aus dem Kapitel „Niederlassung in Betlehem“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller.)

Von der freien olivenbewachsenen Höhe zwischen Jerusalem und Betlehem erblickten Josef und Maria Betlehem zuerst. Auch der Maria war das Städtchen wohl nicht unbekannt. Vor kurzem erst hatte sie auf diesem Gebirge ihre Freundin Elisabeth besucht.

Eine volkstümliche Auffassung nimmt an, dass bei der „Herbergssuche“ des jungen Paares alle Herbergen Betlehems von Wandersleuten angefüllt waren, welche wegen der Schatzung nach Betlehem gereist waren. Wir teilen diese Auffassung nicht. Vermutlich waren für die Schatzung von Seiten der Regierung nicht nur wenige Tage, sondern eine längere Frist angesetzt, innerhalb welcher sich jeder in seiner Stadt zu melden hatte. Und selbst wenn dies ein so allgemeines Zusammenströmen nicht verhindert hätte, wie man es oft in Weihnachtsbeschreibungen dargestellt findet, so sind aus dem kleinen Betlehem gewiss nicht allzu viele Personen über Land gewesen, welche der Einschreibung halber heimkehren mussten. Und diejenigen, welche aus diesem Grunde eintrafen, nahmen selbstverständlich nicht in einem Gasthaus, sondern bei Verwandten oder Bekannten Quartier.

Ziehen wir nun ein mit dem wandernden Paar zu den Toren Betlehems! Sie durchschritten das Tor und betraten die Straßen des kleinen Städtchens oder Dorfes. Dieses war wegen der kaiserlichen Schatzung in keinerlei Aufregung. Jedermann ging dort auf Straße, Markt oder Feld seiner Arbeit nach, je nachdem es die Jahreszeit gerade mit sich brachte. Manchen Bekannten mag Josef auf der Straße mit frohem Ruf begrüßt haben, während er sein Quartier aufsuchte. Wo wollte er den wohnen?

Die christliche Sage gibt uns auf diese Frage mit der Herbergssuche eine ziemlich klare Antwort. Nur schade, dass dieselbe das Licht einer näheren Untersuchung nicht erträgt. Die landläufige Ansicht, dass Josef und Maria in dem mit Reisenden überfüllten Betlehem gewissermaßen zu spät kamen, alle Plätze in der öffentlichen Herberge schon besetzt fanden und auf ihrer „Herbergssuche“ daher genötigt waren, in einem zu der Karawanserei gehörigen Stalle ihre Zuflucht zu nehmen, wo dann gleich in der ersten Nacht das Jesuskind geboren wurde, ist gewiss unrichtig.

Zunächst ist es selbstverständlich, dass Maria, welche ihrer Entbindung entgegensah, nicht so leichtsinnig war, unmittelbar vor derselben die Reise von Nazaret nach Betlehem zu machen. Dass Josef der Schatzung wegen abreisen musste, war demselben nach unserer Annahme schon seit einiger Zeit bekannt. Er konnte sich also für die Reise eine passende Zeit auswählen. Wäre aber die Aufforderung zur Reise wirklich so plötzlich und kurz vor der Entbindung an ihn gekommen, so hätte er natürlich die Maria in Nazaret zurückgelassen. Die notwendige Reise nach Betlehem hätte er dann rasch allein ausführen müssen.

Die Geschichte im Evangelium von Lukas lässt uns einen Spielraum von etwa einem halben Jahr vor der Geburt Jesu frei, innerhalb dessen die Reise nach Betlehem geschehen konnte. Mindestens aber müssen Josef und Maria aus den angedeuteten Gründen mehrere Wochen vor der Geburt eingetroffen sein. Gerade auch, wenn nach der gewöhnlichen Annahme Josef keine Verwandten oder Bekannten in Betlehem gehabt hätte.

Dieser Auffassung kommt der Ausdruck im Evangelium Lukas klar entgegen. „Während ihres Dortseins“, so heißt es dort, „kam die Zeit, dass sie gebären sollte“. (Luk. 2,6.) Es ist somit klar, dass Josef und Maria nicht nur für einige wenige Tage in Betlehem bleiben wollten. (Denn auch bei Lukas finden wir sie 40 Tage nach der Geburt noch dort.) Und so ist auch die Ansicht hinfällig, dass sie zuerst versucht haben, in der öffentlichen Herberge, der Karawanserei, ein Unterkommen zu finden. Denn ein Gasthaus, in welchem man wie im Abendland auf längere Zeit für sein gutes Geld Wohnung, Speise und Trank haben kann, kennt der von europäischem Wesen unberührte Ort nicht.

Die Karawansereien oder Chans sind meist großgewölbte Räume, welche besonders an belebten Handelsstraßen in Städten oder in einsamen Gegenden stehen. Dort können Durchreisende wohl für 1 oder 2 Nächte Unterkunft finden, auch einige Erfrischungen erhalten. Aber für einen längeren Aufenthalt werden diese Chans nicht benützt, sind auch nicht darauf eingerichtet. Anstatt in kalten Nächten unter freiem Himmel zu kampieren, ist der Durchreisende froh, sich über Nacht in dem Gewölbe des Chans mit seinen Tieren auf den Erdboden legen zu können, um am nächsten Morgen in aller Frühe weiterzuziehen.

Aber die Landeskinder ziehen es vor, wenn möglich, Privatgastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Jesus hat dies späterhin selbst in Samaria getan. Und bei der mit Recht weltberühmten orientalischen Gastfreundlichkeit war und ist es nicht schwer, in Betlehem ein Unterkommen zu finden. Selbst wenn Josef keine Verwandten daselbst gehabt hätte, so hätte er ohne Schwierigkeit in irgendeinem Hause Aufnahme gefunden. Man hat daher den armen Betlehemiten jener Tage bitteres Unrecht getan, wenn man so oft bei Gelegenheit der Weihnachtsgeschichte mit der Herbergssuche allerlei wenig schmeichelhafte Bemerkungen über ihre Ungastlichkeit fallen ließ.

Ist es aber richtig, dass Josef in Betlehem zu Hause war, so ist es selbstverständlich, dass er bei Verwandten einkehrte. Dieser Auffassung widerspricht der Urtext in keiner Weise. Denn von einer öffentlichen Herberge steht dort nicht eine Silbe. Das Wort „Katalyma“, welches Luther mit Herberge übersetzt hat, gebraucht Lukas noch einmal (Luk. 22,11), und zwar zur Bezeichnung des Saales, in welchem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl hielt. Zur Bezeichnung einer öffentlichen Herberge im Gleichnis vom barmherzigen Samariter verwendet er dagegen ein ganz anderes unzweideutiges Wort (Pandocheion). Jenes Wort (Katalyma / Unterkunft) bedeutet aber einfach das Haus, in welchem man einkehrt oder absteigt.

Josefs Heimat

(Josefs Heimat – ein Kapitel in Auszügen aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?“

An den Pforten des Neuen Testaments begrüßen uns die vertrauten Gestalten des Josef und der Maria. Bald finden wir die heilige Familie zu Nazaret in Galiläa, bald auf der Reise nach Judäa, bald in Betlehem. Jene ersten lieblichen Geschichten aus der Kindheit Jesu bilden das zarte sanfte Präludium zu dem großen Minnegesang der ewigen Liebe, welcher durch die Hallen des Neuen Testaments tönt. …

Den ungestörten Genuss dieser lieblichen Erzählungen haben sich manche durch die Verschiedenheit der Berichte des Matthäus und des Lukas verkümmern lassen. Lukas berichtet uns, dass Josef und Maria, veranlasst durch eine allgemeine „Schatzung“ des römischen Kaisers, von Nazaret nach Betlehem gereist seien, und dass während des dortigen Aufenthalts Jesus geboren wurde (Lk 2). Matthäus dagegen berichtet von dieser Reise nichts, sondern führt uns sofort auf den Schauplatz seiner Geschichte nach Betlehem (Mt 2). Überhaupt geht aus Matthäus hervor, dass Betlehem nicht nur zur Zeit der Geburt Christi, sondern überhaupt Josefs Heimat war. …

Manche Ausleger haben geglaubt, daraus folgern zu müssen, dass diese widersprechenden Berichte sich nicht in Einklang bringen lassen. Ein genügender Grund scheint uns hierfür aber nicht vorzuliegen. … Es ist für diesen Zweck nicht unwichtig, einen Blick auf den Lebensberuf des Josef zu werfen.

Derselbe war nach dem Ausdruck der Schrift ein „Tekton“. Dieser Ausdruck ist mit manchem Wort verwandt, welches dem freundlichen Leser wohlbekannt ist, z. B. Architekt, Architektonik, und bedeutet einen, welcher Häuser baut. Im Abendland, wo bei gewöhnlichen Bauten die Zimmermannsarbeit die Hauptsache war, übersetzte man das Wort selbstverständlich mit Luther durch „Zimmermann“. Im gelobten Land baut man aber alle Häuser vom Grunde in der Erde bis hinauf aufs Dach aus Steinen. Und so muss dieses Wort hier durch „Baumeister“ oder „Maurermeister“ übersetzt werden. …

Dieser Bau- oder Maurermeister Josef war nach Matthäus in Betlehem zu Hause. Auch nach Lukas stammt die Familie aus Betlehem. Und erst später war er durch besondere Umstände veranlasst, nach Nazaret überzusiedeln. Bei Lukas aber finden wir den Josef schon vor der Geburt von Jesus in Nazaret. Sind diese beiden Berichte unvereinbar? Jedenfalls nicht, wenn wir annehmen, dass sich Josef seines Handwerks wegen vorübergehend in Nazaret aufhielt und vor der Geburt Jesu wieder nach Betlehem zurückreiste.

Und hier ist der Punkt, an welchem die heutigen Zustände Betlehems vielleicht einiges Licht auf jene Geschichten zu werfen vermögen. Es ist nämlich merkwürdig, dass die Baumeister Betlehems, wenn sie nicht zu Hause genügende Arbeit finden, bis zum heutigen Tage ähnliche Geschäftsreisen unternehmen. Gewisse Berufsarten sind in Palästina vorzugsweise an besondere Orte gebunden. So finden wir die Töpfer-, Glas- und Schlauchwerkstätten hauptsächlich in Hebron, die Perlmutterarbeiter nur in Betlehem. Die Baumeister, Maurer und Steinhauer finden wir hauptsächlich in Betlehem und seinen beiden zugehörigen Dörfern Beit Djála und Beit Sachur.

Fast bei allen ordentlichen Bauten in Jerusalem arbeiten die Betlehemer Steinmetzen und Maurermeister. Und sie haben an Geschicklichkeit nicht ihresgleichen im Lande. Daher sind sie auch allerorten gesucht. Baut man in Hebron, so werden sie geholt. Wird im fernen Kerak in Moab, fünf Tagereisen von hier entfernt, jenseits des Toten Meeres, ein besserer Bau aufgeführt, finden wir dort wieder Betlehemer Steinhauer und Maurer. Baut man in Salt, dem alten Ramot Gilead, so begegnen wir wiederum unseren bekannten Meistern aus Betlehem. Auch nach Galiläa und gerade nach Nazaret ziehen dieselben nicht selten und finden dort lohnende und oft lange dauernde Arbeit. …

Wenn man nun bedenkt, wie sehr sich die Dinge im Morgenlande seit Jahrtausenden ähnlich geblieben sind, so ist es kaum sehr gewagt, anzunehmen, dass Josef, ein Betlehemer Baumeister, in Nazaret für längere Zeit Arbeit gefunden hatte. Ob er nur ein halbes Jahr dort war, oder ob er, als Junggeselle weniger gebunden, länger dort verweilte, lässt sich nicht mehr entscheiden. Jedenfalls lernte er während seines dortigen Aufenthalts Maria kennen und lieben und vermählte sich mit ihr.

Als Morgenländer und Betlehemit hatte er die Absicht, mit seiner jungen Frau nach Betlehem zurückzukehren, sobald seine Arbeit in Nazaret beendet war. Das ist nach hiesigen Begriffen selbstverständlich. Jetzt zog es ihn nicht mehr in die Ferne, sondern nach Hause, an den eigenen Herd. Dort in Josefs Heimat, im Kreise der Verwandtschaften, wollte er sich mit seiner Frau dauernd niederlassen. In dem nahen, nur zwei Stunden entfernten, an prächtigen Gebäuden reichen Jerusalem konnte er von Betlehem aus ebenso leicht Arbeit finden, wie die heutigen Baumeister Betlehems.

Erst später, ganz gegen sein Erwarten, wurde er durch die Feindseligkeit des Herodes und seines Sohnes Archelaos genötigt, Betlehem aufzugeben. Was lag ihm da näher, als nach Nazaret zu ziehen? Dort war die Heimat seiner Frau, dort hatte er sie kennen gelernt, dort hatte er schon früher lohnende Arbeit gefunden. Nachmals fanden die Evangelisten diese so natürlich durch die Zeitumstände veranlasste Verlegung des Wohnortes nach Nazaret ebenso bedeutsam und an gewisse Aussprüche der Propheten anklingend, wie die durch die Schatzung veranlasste Rückkehr nach Betlehem, infolge deren Jesus nicht in Nazaret, sondern in der alten Stadt Davids geboren wurde.

Maria

Maria war die junge Frau, die Gott in Israel auswählte zu der einzigartigen Aufgabe, die irdische Mutter seines Sohnes Jesus zu sein. Sie war in Nazaret aufgewachsen und gehörte zu der dort ansässigen Gruppe von Nazoräern. Ihr Vater war Eli, der Sohn von Mattat. „Nazoräer“ war die Bezeichnung für die leiblichen Nachkommen des Königs David. Von denen gab es damals – ca. 1000 Jahre nach David – eine ganze Menge. Die Nazoräer wussten, dass nach Gottes Zusage an David aus ihren Reihen der „Sohn Davids“, der Messias, kommen würde, und waren in entsprechender Erwartung.

Maria war verlobt mit Josef, der von Beruf Maurer war und aus Betlehem kam. Auch Josef war ein Nazoräer, von denen es in Betlehem, der „Stadt Davids“, ebenfalls eine Gruppe gab. Vermutlich war er als lediger junger Handwerker auf Arbeit im Land unterwegs und kam so nach Nazaret. Und da ist ihm eine hübsche junge stammverwandte Nazoräerin besonders aufgefallen.

Als Josef und Maria verlobt waren, galten sie – wie damals üblich – schon als Mann und Frau. Aber bis zur Hochzeit wurde die Ehe – ebenfalls wie üblich – sexuell nicht vollzogen. Das blieb der Hochzeitsnacht vorbehalten – nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam. Und so war es natürlich erklärungsbedürftig, als die Jungfrau Maria plötzlich schwanger war.

Josef erklärte sich die Sache natürlich zuerst auf die menschliche Weise. Aber ein Engel gab ihm im Traum die göttliche Erklärung, dass dieses Kind etwas Heiliges ist, das von Gott kommt. Und so respektierte er die Heiligkeit dieses Geschehens und nahm Maria zu sich, was Heirat bedeutet. Er war aber nicht ehelich mit ihr zusammen, bis das Kind geboren war. Maria blieb also Jungfrau bis zur Geburt von Jesus.

Danach haben die beiden offensichtlich eine normale Ehe geführt. Denn in Nazaret kannte man vier Brüder von Jesus: Jakobus, Josef, Simon und Judas. Und auch von Schwestern ist die Rede, ohne Zahlenangabe, also mindestens zwei. In dieser Familie ist Jesus aufgewachsen als ältester Sohn und ältester Bruder. Da zu der Zeit, als die Kinder erwachsen waren, der Vater Josef nicht mehr erwähnt wird, muss man annehmen, dass er inzwischen verstorben war.

Josef war ein Handwerker, der auf den Bau von Häusern spezialisiert war. Und da man damals die Häuser nicht aus Holz, sondern aus Stein baute, ist es richtig, als seinen Beruf nicht Zimmermann, sondern Maurer anzugeben. Natürlich haben seine Söhne dieses Handwerk von ihm erlernt und in seinem Betrieb gearbeitet. Man darf sicher annehmen, dass er in Nazaret auch seiner eigenen Familie ein Haus gebaut hatte.

Maria als Mutter müssen wir uns als tüchtige und fleißige Hausfrau und Versorgerin der Familie vorstellen. Und jede Familie betrieb damals auch ein gewisses Maß an landwirtschaftlicher Selbstversorgung. Es ist unter diesen Gesichtspunkten direkt auffallend, wie häufig Jesus in seiner Lehre Vergleiche und Beispiele sowohl aus der Landwirtschaft als auch vom Bau benutzt hat.

Als der Vater Josef verstarb, nahm nach der Tradition der älteste Sohn den Platz des Familienoberhauptes ein. Maria war nun Witwe und Jesus Chef der Familie und des dazugehörigen Bauunternehmens. Deshalb ging die Familie auch noch mit, als Jesus von Nazaret im Bergland nach Kafarnaum an den See Genezaret zog.

Doch Jesus entwickelte dann die Idee, in Kafarnaum alles stehen und liegen zu lassen, um mit seinen Jüngern – die ihm offensichtlich wichtiger waren – auf Reisen zu gehen. Und da setzte in der Familie etwas aus, als ihr Oberhaupt Jesus sie so zurückließ. Sie beobachteten die Sache eine Weile und beschlossen dann, etwas zu unternehmen. Sie „zogen los, um ihn zu ergreifen, denn sie sagten: ‚Er ist völlig daneben!'“ (Mk 3,21). Dieser Versuch, noch einmal mit ihm zu reden, ging gründlich schief. Sie drangen nicht einmal zu ihm vor. Jesus ließ sie vor allen Leuten abblitzen und behauptete, seine Jünger seien jetzt seine Mutter und seine Geschwister (Mk 3,31-35). Damit war vorläufig der Bruch komplett.

In der Zeit, als Jesus großen Zulauf hatte und bei vielen Leuten Begeisterung auslöste, ereignete sich einmal etwas Denkwürdiges: „… da erhob eine Frau aus der Menge ihre Stimme: ‚Glücklich ist der Mutterleib, der dich trug, und die Brust, an der du gestillt wurdest!‘ Er aber sagte: ‚Nein! Vielmehr sind die glücklich, die das Wort Gottes hören und einhalten.’“ (Lk 11,27-28). Jesus selbst hat den ersten Ansatz einer aufkommenden Verehrung seiner Mutter sofort im Keim erstickt.

Natürlich wusste Maria, was um die Geburt von Jesus herum alles geschehen und gesagt worden war. Aber höchstwahrscheinlich hatte auch sie sich den Messias zunächst noch anders vorgestellt. In der Nähe von Jesus tauchte sie jedenfalls nicht mehr auf, z. B. unter den Jüngerinnen, die Lukas mit Namen erwähnt. Erst an dem Pessachfest, an dem Jesus hingerichtet wurde, stand sie mit den anderen in der Nähe des Kreuzes. Vermutlich war sie als fromme Jüdin wie jedes Jahr zu Pessach nach Jerusalem gekommen. Und hier bekam sie die turbulenten Ereignisse um ihren ältesten Sohn direkt mit.

Joh 19,25-27: „Beim Kreuz von Jesus standen seine Mutter, die Schwester seiner Mutter, Maria, die (Frau) von Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, sagte er dann der Mutter: ‚Frau, das ist dein Sohn!‘ Danach sagte er dem Jünger: ‚Das ist deine Mutter!‘ Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.“

Hier erfahren wir, dass Maria auch eine Schwester hatte. Aus den verschiedenen Aufzählungen der Frauen, die beim Kreuz waren, sein Begräbnis beobachteten und seine Auferstehung bezeugten, kann eigentlich nur Salome ihre Schwester sein. Denn die anderen erwähnten Frauen hießen ebenfalls Maria, und zwei Schwestern hätte man ja nicht denselben Namen gegeben.

Wenn Salome die Schwester von Maria war, dann waren ihre Söhne Jakobus und Johannes sogar Cousins von Jesus. Und dann liegt es auch etwas näher, dass Jesus am Kreuz Johannes mit der Fürsorge für seine Mutter betraute. Die Verborgenheit dieser verwandtschaftlichen Beziehungen zeigt aber auch, dass Jesus seine Lehre, dass menschliche Verwandtschaft im Reich Gottes keinerlei Bedeutung hat, selbst praktizierte.

Nach der Himmelfahrt von Jesus waren aber alle wieder da. „Diese alle hielten sich einmütig ans Gebet, mit den Frauen und Maria, der Mutter von Jesus, und seinen Geschwistern.“ (Apg 1,14). Sicherlich spielte dabei auch eine Rolle, dass – wie Paulus berichtet – Jesus als Auferstandener seinem Bruder Jakobus erschienen war. Nun gehörte auch seine Familie zur Gemeinde.

Danach hören wir im Neuen Testament nichts mehr über Maria. Sie war eine einfache Gläubige in der Gemeinde wie alle anderen auch. Natürlich konnte sie noch alles bezeugen, was sich um Jesus auch schon vor seiner Geburt und danach ereignet hatte. Auch Lukas hat sie in ihren späteren Jahren für seinen Bericht über Jesus noch interviewt.

Dass sie irgendwann verstarb und begraben wurde, wird mit der Tradition über das „Begräbnis Mariens“ in der orthodoxen Kirche zuverlässig überliefert. Es ist also nichts mit einer leiblichen Himmelfahrt, die ihr in der römischen Tradition angedichtet wurde. Aber sicherlich ist sie im geistlichen Sinne nicht gestorben. Sie ist heimgegangen zu ihrem Herrn, der auf Erden einmal ihr Sohn gewesen war.

Jakobus

Jakobus ist der Name von drei wichtigen Persönlichkeiten im Neuen Testament. Hebräisch heißt der Name Ja’akóv. Die Griechischsprechenden haben dann mit einer griechischen Endung „Jákobos“ daraus gemacht, die Lateiner „Jakobus“ und die Deutschen „Jakob“.

Den ersten Jakobus treffen wir bei den Fischern am See Genezaret. Er war der Sohn von Zebedäus und der Bruder von Johannes. Auf den Ruf von Jesus hin ließ er alles stehen und liegen und folgte ihm als Jünger nach. Jesus berief ihn dann in den Kreis seiner „Zwölf“ Gesandten. Er gehörte auch zum ganz engen Jüngerkreis und war dabei, wenn Jesus manchmal nur drei seiner Jünger zu etwas mitnahm. Von den zwölf Gesandten war er derjenige, der mit seinem Sendungsauftrag nie über Jerusalem hinauskam, denn im Jahr 42 ließ ihn der damalige König Agrippa umbringen.

Der zweite Jakobus begegnet uns ebenfalls unter den zwölf Jüngern. Er heißt „Jakobus, der Sohn von Alfäus“. Wir erfahren im Neuen Testament nichts weiter über ihn persönlich, außer dass er bei den „Zwölf“ natürlich immer mit gemeint ist. Er soll nach alter Tradition sein Missionsgebiet auf der iberischen Halbinsel gefunden haben. Noch heute pilgern Leute auf den verschiedenen „Jakobswegen“ zu seinem angeblichen Grab in Santiago de Compostela. (Statt einfach Jesus nachzufolgen …)

Der dritte Jakobus ist der leibliche Bruder bzw. Halbbruder von Jesus. Er wird erstmals genannt, als sich die Leute von Nazaret über die Botschaft von Jesus in ihrem Versammlungshaus wunderten. „Ist das nicht der Maurer, der Sohn von Josef dem Maurer? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus, Josef, Simon und Judas? Seine Schwestern, sind sie nicht alle hier bei uns?“ Da hier der Vater Josef nicht genannt wird, muss er damals bereits verstorben gewesen sein.

Josef und Maria hatten also nach Jesus, ihrem Ältesten, noch mindestens sechs weitere Kinder, vier Söhne und mindestens zwei Töchter. Übrigens waren Josef und Jesus keine Zimmerleute, wie eine bekannte Tradition behauptet. Sie waren Leute, die Häuser bauten, aber damals baute man nicht mit Holz, sondern mit Stein. Der Gedanke liegt sicherlich nahe, dass alle Söhne das Handwerk des Vaters lernten, also auch Jakobus.

Als Jesus seinen öffentlichen Dienst angetreten hatte, fand er bei seinen Angehörigen dafür kein Verständnis. Markus hat es uns deutlich überliefert. Mk 3,20-21: „Er ging in ein Haus, und wieder kam die Menschenmenge zusammen, so dass sie nicht einmal Brot essen konnten. Seine Angehörigen hörten es und zogen los, um ihn zu ergreifen, denn sie sagten: ‚Er ist völlig daneben!'“ Wir müssen natürlich annehmen, dass Jakobus als verbliebener ältester Sohn an dieser Aktion führend beteiligt war.

Die Antwort von Jesus war deutlich. Mk 3,31-35: „Als seine Mutter und seine Geschwister dann kamen, standen sie draußen und schickten zu ihm, um ihn zu rufen. Eine Menge saß um ihn herum und man sagte ihm: ‚Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern sind da draußen, sie suchen dich.‘ Er antwortete ihnen: ‚Wer sind meine Mutter und meine Geschwister?‘ Und er schaute umher über die, die rings um ihn saßen, und sagte: ‚Seht, meine Mutter und meine Geschwister! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.’“

Auch Johannes berichtet über die Ablehnung von Seiten seiner Angehörigen. Joh 7,2-5: „Das Fest der Juden, das Laubhüttenfest, war aber nahe. Seine Geschwister sagten nun zu ihm: ‚Geh weg von hier und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger (dort) deine Taten sehen, die du tust! Niemand tut doch etwas im Verborgenen, wenn er in der Öffentlichkeit sein will! Wenn du diese Dinge tust, mach dich der Welt sichtbar!‘ Seine Geschwister glaubten nämlich auch nicht an ihn.“

Ansonsten hört man nichts mehr von ihnen, solange Jesus unterwegs war. Erst als Jesus am Kreuz hing, war zumindest seine Mutter Maria wieder da.

Doch als Jesus auferstanden war, geschah etwas, das uns wiederum nur Paulus berichtet. In 1 Kor 15 zählt er in einer authentischen Überlieferung verschiedene Erscheinungen des auferstandenen Jesus auf, darunter die Folgende. V. 7: „Danach ist er Jakobus erschienen.“ Hier kann nur sein leiblicher Bruder Jakobus gemeint sein, denn den Zwölf hatte er sich ja zuvor schon gezeigt.

Jesus hatte also als Auferstandener eine besondere Begegnung mit seinem bis dahin vermutlich noch ungläubigen Bruder Jakobus. Das liegt dann auf der Linie wie später die Begegnung mit dem noch ungläubigen Paulus. Für Jakobus war das jedenfalls lebensverändernd, sogar für die ganze Familie. Denn am Anfang der Apostelgeschichte heißt es dann über die in Jerusalem mit den Jüngern Versammelten (1,14): „Diese alle hielten sich einmütig ans Gebet, mit den Frauen und Maria, der Mutter von Jesus, und seinen Geschwistern.“

Von da an waren sie Teil der Jerusalemer Urgemeinde. Jakobus wurde mit der Zeit sogar einer der führenden Männer dort. Im Galaterbrief (1,9) schreibt Paulus viele Jahre später, dass Jakobus, Kefas (Petrus) und Johannes als die „Pfeiler“ der Gemeinde in Jerusalem angesehen wurden.

Nachdem unter dem König Agrippa Jakobus, der Sohn von Zebedäus, ermordet worden war, verließ auch Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis vorübergehend die Stadt. Auch die anderen der Zwölf werden – außer Johannes – im Folgenden nicht mehr erwähnt. Offensichtlich waren sie in ihrer Mission unterwegs.

In dieser Zeit, vermutlich in den Jahren 47 oder 48, sah Jakobus dann wohl die Verantwortung, an die sich immer weiter ausdehnende Gesamtgemeinde einen Brief zu schrieben. Diese war den Inhalten des Briefs nach damals noch stark judenchristlich geprägt. Die spätere Auseinandersetzung um die Beschneidung der Nichtjuden spielte noch keine Rolle. Der Jakobusbrief ist damit der früheste von allen neutestamentlichen Briefen.

Die Frau und der Drache

Die Frau und der Drache sind die Hauptfiguren der großen Vision in Kapitel 12 der Offenbarung. Zuvor war die Eigenart der Endzeit schon jeweils beim Öffnen der sieben Siegel und dann beim Ertönen der sieben Hornsignale überblicksartig dargestellt worden.

Nun enthüllen sich ab Kapitel 12 zuvor schon erwähnte Details in großer Ausführlichkeit, und das dämonische Gegenprogramm gegen Gottes Werk wird deutlich sichtbar: Der Satan als Anti-Gott, das Tier aus dem Meer als Anti-Messias bzw. Antichrist, der falsche Prophet als Anti-Geist und die Hure als Anti-Braut bzw. Anti-Gemeinde.

Hintergrund für die große Vision „die Frau und der Drache“ am Himmel könnten Sternbilder sein, die Werner Papke identifiziert und in seinem Buch „Das Zeichen des Messias“ dargestellt hat. Die Frau und der Drache sind, wenn man sie kennt, auch heute noch dort zu sehen. Besonders die Schlangenform des Drachen ist gut zu erkennen.

Aber nun hat Johannes dort keine stehenden Bilder gesehen, sondern dramatische Ereignisse. Die Frau ist am Gebären, mit Wehen geplagt. Mit der Frage, wer sie ist, werden wir uns nachher noch befassen. Von den anderen Figuren können wir eindeutig sagen, wer sie sind:

Der Sohn, der Männliche, den sie gebiert, soll alle Völker hüten mit einem eisernen Stab. Der eiserne Stab kommt aus Psalm 2 und kennzeichnet ihn als den Messias. Er wird nach seiner Geburt fast vom Drachen aufgefressen, wird dann aber entrückt zu Gott und seinem Thron.

Hier haben wir eine sehr kurze Fassung des Lebens von Jesus. Nach seiner Geburt wurde er erwachsen und präsentierte dem Volk Israel als von Gott mit Heiligem Geist gesalbter Messias das Reich Gottes. Während dieser Zeit wurden laufend Pläne gegen ihn geschmiedet, um ihn umzubringen. Und als er dann am Kreuz hing, meinte der Teufel vielleicht, das Ziel seiner Vernichtung („Auffressen“) erreicht zu haben. Aber mit der Auferstehung, der Himmelfahrt („entrückt zu Gott“) und der Einsetzung zur Rechten Gottes wurde ihm ein gewaltiger Strich durch die Rechnung gemacht.

Auch der Drache ist eindeutig, in Vers 9 auch als Schlange, Teufel und Satan bezeichnet. Und seine königlichen Stirnbänder zeigen seine Intention. Manche haben schon einmal gehört, der Satan habe bei seinem Fall ein Drittel der Engel mit in den Abfall gezogen. Diese Interpretation basiert auf der Aussage hier in Vers 4, dass er mit seinem Schwanz ein Drittel der Sterne vom Himmel gefegt und auf die Erde geworfen hat.

Als er nach seinem Hinauswurf aus dem Himmel dann die Frau verfolgen will und merkt, dass sie seinem Zugriff entzogen ist, wendet er sich gegen ihre „weiteren Nachkommen“. Das sind die, „die Gottes Gebote halten und das Zeugnis von Jesus haben“. Auch diese Personengruppe ist eindeutig. Es sind die Nachfolger von Jesus, es ist die Gemeinde. Durch ihre pure Existenz zieht sie sich den Hass des wütenden Satans zu.

Nun kommen wir zurück zu der Frage: Wer ist die Frau? Aus der katholischen Tradition kennen wohl manche die Sichtweise, es sei Maria, die hier mit den zwölf Sternen auf ihrem Haupt als „Himmelskönigin“ dargestellt sei. Aber die „Himmelskönigin“ ist eine aus dem Alten Testament wohlbekannte heidnische Gottheit. Und es gibt noch ein anderes Argument gegen diese Sichtweise:

Die Frau hat hier nicht nur den einen Sohn geboren, es gibt danach auch die „weiteren Nachkommen“ von ihr. Und die Christen als Nachkommen Marias zu bezeichnen, wäre zu den neutestamentlichen Zeiten ja keinem eingefallen. Eher darf man daran denken, dass sie dort als die legitimen Nachkommen Abrahams gesehen werden.

Und Abraham ist der Stammvater Israels. Und wenn wir uns daran erinnern, dass das Volk Israel im Alten Testament auch im Bild der Ehefrau Gottes dargestellt wird, nähern wir uns dem richtigen Verständnis. Der Messias entstammt dem alttestamentlichen gläubigen Teil Israels, der treu auf das Kommen des Messias wartete.

Dieses Israel hat es bis zum Beginn der neutestamentlichen Geschichte tatsächlich gegeben. Es begegnet uns in Gestalten wie Zacharias und Elisabet, Maria und Josef, den Hirten auf dem Feld, dem Propheten Simeon, der Prophetin Hanna und Johannes dem Täufer. Aus diesem Israel ist unter Wehen der Messias geboren.

Und dieses Israel war dann auch nicht mehr da, als der Teufel aus dem Himmel geworfen war. Der Platz in der Wüste, an dem es nicht mehr für ihn erreichbar ist, liegt sicherlich jenseits dieser Welt, wo Gott diesen verstorbenen Heiligen einen Platz bereitet hat. Und ihre „weiteren Nachkommen“, die kennen wir ja …

Gerettet durch Kindergebären?

Auf den Gedanken, eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments zu machen, bin ich ursprünglich gekommen, weil ich mit den bestehenden Übersetzungen im Vergleich zum griechischen Urtext nicht zufrieden war. So auch in 1 Tim 2,8-15, einem Abschnitt, der das beispielhaft zeigt. Im schlimsten Fall sagt er, Frauen würden gerettet durch Kindergebären.

Man lese ihn einmal in einer üblichen Bibel durch, egal ob Luther, Elberfelder oder Neue-Welt-Übersetzung, er bleibt überall teilweise rätselhaft. Er wird dort zwar wörtlich übersetzt, aber ohne alternative Wortbedeutungen zu berücksichtigen, die im Zusammenhang der neutestamentlichen Botschaft wichtig wären.

Wichtiger Grundsatz: Die Schrift legt die Schrift aus. Die entscheidende Hilfe, den Text besser zu verstehen, war mir das Buch von Thomas Schirrmacher: „Paulus im Kampf gegen den Schleier“. Ich zitiere im Folgenden meine eigene Übersetzung und erläutere anschließend ein paar Punkte dazu:

8 „Ich will nun, dass die Männer beten an jedem Ort

und Hände erheben ohne Zorn und Zweifel,

9 dass genauso auch Frauen (beten) in ordentlicher Haltung,

dass sie sich mit Achtung und klarem Denken schmücken,

nicht mit künstlerischen Frisuren, Gold, Perlen oder kostbarer Kleidung,

10 sondern durch gute Taten –

wie es sich für Frauen gehört, die versprochen haben Gott zu ehren.

11 Eine Frau soll in Zufriedenheit lernen mit aller Unterordnung.

12 Einer Frau erlaube ich nicht zu lehren, wenn sie sich über jemanden stellt,

sie soll sich vielmehr zufrieden sein.

13 Adam wurde nämlich als Erster geformt, danach Eva.

14 Und Adam wurde nicht getäuscht,

die Frau ließ sich aber etwas vortäuschen und geriet in Übertretung.

15 Gerettet soll sie werden durch die Geburt eines Kindes (des Retters) –

wenn sie im Glauben bleibt, in der Liebe und in der Heiligung

mit klarem Denken.“

Und hier meine „Abweichungen“ gegenüber anderen Übersetzungen:

1) In Vers 9 fehlt im Griechischen in der ersten Zeile ein Zeitwort (Verbum), so dass sich das „genauso“ und die „ordentliche Haltung“ auf etwas in Vers 8 beziehen müssen, und da bleibt nur das „beten“. Paulus sagt also: Ich will, dass die Männer beten und dass genauso auch Frauen beten. Und wenn die Männer hörbar beten, dann natürlich auch die Frauen. In der nächsten Zeile geht er von der Aussage über das Beten dann weiter zu Detailaussagen über die genannte „ordentliche Haltung“ der Frauen.

2) Dass nach dem Willen des Paulus Frauen, die beten, nicht gleichzeitig „still“ sein können, dürfte einleuchten. Die „Stille“, in der Frauen in Vers 11 und 12 sein sollen, wird verständlich, wenn man sie mit einer anderen Bedeutung des Wortes als „innere Stille“, nämlich als „Zufriedenheit“ versteht und übersetzt.

3) In Vers 12 kann man einen guten Teil der „Mann-Frau-Problematik“ entschärfen, wenn man das griechische Wort „anér“ nicht mit „Mann“ übersetzt, wie es üblicherweise geschieht, sondern mit einer anderen Bedeutung des Wortes als „jemand“, was genausogut möglich ist. (Siehe dazu „Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch Deutsch“ von Hermann Menge.)

4) Dazu erhebt sich in Vers 12 die Frage, ob Paulus hier zwei Verbote oder nur ein Verbot ausspricht. Entweder soll sie a) nicht lehren und b) sich nicht über jemanden stellen, oder sie soll (als ein Gebot) sich nicht über jemanden stellen und so auch noch lehren. Da lehrende Frauen im Neuen Testament anderweitig vorkommen, kann hier nur die zweite Möglichkeit gemeint sein: sich nicht über andere zu stellen und so auch zu lehren. Und so verlangt Paulus hier von den Frauen etwas, das allgemein für alle gilt: sich nicht über Geschwister zu erheben.

5) Vermutlich hat Paulus hier eine gewisse Art frommer Frauen im Blick, die in einer speziellen Gefahr stehen. Nachdem sie durch Jesus aus ihrer sklavenartigen Stellung in der Antike befreit sind zur Gleichwertigkeit der Söhne und Töchter Gottes, fallen sie sozusagen auf der anderen Seite vom Pferd, bilden sich etwas ein und überheben sich.

Diese Art der Überheblichkeit könnte auch mit der religiösen Richtung der sogenannten „Gnosis“, d.h. „Erkenntnis“ zusammenhängen, in der es wichtig war, wie z.B. auch im Hinduismus oder in der Anthroposophie, dass der Mensch seine eigene „Göttlichkeit“ „erkennt“. Für „göttliche“ Frauen, die aus dieser Richtung kamen, war dann wohl auch Sexualität etwas „Schmutziges“ und Kindergebären etwas „Grässliches“.

Gerettet durch Kindergebären, das ist neutestamentlich gesehen natürlich Unsinn. Paulus schreibt hier wörtlich, dass sie durch die „Geburt eines Kindes“ gerettet werden. Und da kann ja nur eine gemeint sein, die von Jesus, dem Retter. Also durch so etwas „Grässliches“ ist die Rettung gekommen, darunter müssen sich auch diese frommen Frauen beugen. Die nächste Zeile sagt dann auch, wodurch sie wirklich gerettet werden: durch das Bleiben im Glauben, in der Liebe und in der Heiligung mit klarem Denken.

Nebenbei bemerkt, bekräftigt dieser Text hier auch die Realität der natürlichen Geburt von Jesus und widerlegt die in katholischen Kreisen weit verbreitete Legende, Jesus sei durch einen übernatürlichen Vorgang aus Marias Bauch gekommen und sie sei in Ewigkeit Jungfrau geblieben.

Bei genauem Hinsehen sehen wir in diesem Abschnitt also wieder ganz „normale“ neutestamentliche Themen. Beten, Zufriedenheit, Ordentlichkeit, gute Taten, sich nicht überheben, sich nicht verführen lassen, Glaube, Liebe, Heiligung und klares Denken. In einer spezifischen Situation betreffen sie gewisse Frauen in der Gemeinde, die eigens damit angesprochen werden.

Und so ist dieser Abschnitt aus seiner Seltsamkeit befreit. Er passt in den neutestamentlichen Zusammenhang und ist in diesem Sinne nun auch richtig übersetzt.

Wann ist Jesus geboren?

Zur Frage „Wann ist Jesus geboren?“ wollen wir zunächst einen Blick auf ein paar Fakten zum Thema „Weihnachten“ werfen. Das fällt einem ja als erstes dazu ein. Das Wort „Weihnachten“ ist kein biblischer Begriff. Es kommt aus dem heidnisch-germanischen Vorfeld, in dem man die „geweihten Nächte“ feierte. Wenn mit der Wintersonnwende der Abwärtstrend der Sonne am Himmel und das Kürzerwerden der Tage gestoppt waren, war es natürlich ein Grund zum Feiern, dass sich der Trend jetzt umkehrte und die Tage ganz langsam wieder länger wurden.

Von diesem Ursprung her ist Weihnachten also nicht direkt ein heidnisches Fest, sondern ein Jahreszeitenfest. Dass es in Zeiten ohne elektrischen Strom ein Grund zum Feiern war und man es in der dunkelsten Zeit des Winters natürlich mit Feuer und Lichtern gefeiert hat, ist einleuchtend. Alle antiken Völker haben, soweit man weiß, die Wintersonnwende auf die eine oder andere Art gefeiert. Die ursprüngliche „Weihnachtsbotschaft“ heißt also: Wir haben den Wendepunkt überschritten, die Sonne steigt wieder höher, die Tage werden wieder länger und heller!

Dass Jesus nicht an Weihnachten geboren ist, ist den geschichtlich Gebildeten schon lange bekannt. Dass es irgendwann im Sommer gewesen sein muss, verraten uns die Hirten auf dem Feld bei Betlehem. Wann Hirten bei Betlehem auf dem Feld draußen waren, ist nämlich eine Frage der Jahreszeit. In Israel ist im Sommer Dürrezeit und im Winter Regenzeit. Die Zeit zum Säen ist im Herbst vor Beginn der Regenzeit. Dann kommt der „Frühregen“ und lässt das Getreide auf dem Feld keimen und wachsen. Im Frühjahr kommt dann der „Spätregen“, der das Getreide vollends ausreifen lässt bis zur Ernte im April/Mai.

Die Hirten sind mit ihren Herden während der Regenzeit im Winterhalbjahr draußen in der Steppe. Dort wächst dann genug Futter, und sie halten sich mit ihren Schafen wohlweislich von den Getreidefeldern fern. Nach dem Beginn der Dürrezeit, wenn die Steppe abgeweidet ist, kommen sie dann in das landwirtschaftlich genutzte Land. Hier dürfen die Tiere die abgeernteten Felder vollends kahlfressen und auch gleich düngen. Um Betlehem herum hat man viel Getreide angebaut. Das kann man schon im Buch Rut nachlesen. Und so kann die Zeit, in der dort Hirten mit ihren Herden auf dem Feld waren, nur im Sommer gewesen sein.

Jesus ist also irgendwann im Sommer geboren, aber wann genau? Lange dachte ich, man könne das eben mehr wissen. Aber dann stieß ich in dem Buch von Bargil Pixner „Wege des Messias und Stätten der Urkirche“ auf die Information, dass es tatsächlich einen von den Anfängen her überlieferten Termin für die Geburt des Messias gibt, nämlich den 15. August.

Für die Qualität dieses Termins spricht die Tatsache, dass er auch dann erhalten blieb, als die römische Kirche (Papst) aus kirchenpolitischen Gründen die Feier der Geburt des Herrn auf die römische Sonnwendfeier am 25. Dezember verlegte. Man wollte so den Anhängern des Sonnenkultes eine „christliche“ Alternative bieten. Offensichtlich war der Termin 15. August aber so fest verankert, dass man ihn nicht einfach abschaffen konnte. Man musste ihn also irgendwie umdeuten. Und so feiert man jetzt am 15. August nicht mehr, dass Maria da ihren Sohn Jesus geboren hat, sondern ihre angebliche „Himmelfahrt“ – ebenfalls eine Erfindung des römischen Stuhls.

(Das Schicksal einer Umdeutung hat übrigens auch den 6. Januar getroffen: Am Dreikönigstag bzw. Erscheinungsfest wurde ursprünglich der an diesem Tag geschehenen Taufe von Jesus im Jordan gedacht.)

Dass unsere Zeitrechnung nach „Christi Geburt“ nicht stimmt, ist den Informierten ebenfalls bekannt. Nur in welchem Jahr er wirklich geboren ist, ist umstritten. Im Jahr 28, als er mit seinem Werk anfing, war er nach Lukas 3,23 „etwa dreißig Jahre alt“. Das ist alles, was wir im Neuen Testament dazu erfahren. Jedenfalls hat zur Zeit seiner Geburt der König Herodes noch gelebt, der, wie man in allen Zeittabellen nachlesen kann, im Jahr 4 vor Christus starb. Dieses scheinbar sichere Datum wurde anhand einer Mondfinsternis festgelegt. Denn eine solche fand, wie Josephus berichtet, in dem Jahr statt, in dem Herodes starb.

Nun hat Werner Papke mit seinen astronomischen Kenntnissen in dem Buch „Das Zeichen des Messias“ recht einleuchtend Folgendes dargelegt: Die Mondfinsternis im Jahr 4 vor Chr. war nur eine Teilfinsternis. Im Jahr 2 v. Chr. gab es in Israel aber eine totale Mondfinsternis. Daher eignet sich dieses Jahr viel besser als Todesjahr des Herodes und passt auch insgesamt besser in die biblische Geschichte.

(Man hat hier auch ein Lehrbeispiel dafür, wie in der „Wissenschaft“ eine einmal aufgestellte falsche Hypothese fraglos immer wieder weitergegeben und abgedruckt wird, es steht ja in der Zeittafel …)

Der passendste Zeitpunkt für die Geburt von Jesus ist demnach der 15. August im Jahr 2 v. Chr.. Also war er im Jahr 28 tatsächlich „etwa dreißig Jahre“ alt. Bei seiner Taufe im Jordan am 6. Januar 28 war er dann 29 Jahre und knapp 5 Monate alt.

Jesus von Nazaret

In neueren Bibelübersetzungen wird Jesus gerne als „Jesus von Nazaret“ bezeichnet. Dass Jesus trotz seiner Geburt in Betlehem in Nazaret in Galiläa aufgewachsen ist, ist aus dem Neuen Testament bekannt. Hinter der Bezeichnung „von Nazaret“ stecken im griechischen Text aber zwei unterschiedliche Wörter. Das sind Jesus der „Nazarener“ und Jesus der „Nazoräer“, die auch eine unterschiedliche Bedeutung haben:

Der Begriff „Nazoräer“ leitet sich von dem hebräischen Wort „Nezer“ ab. Dieses bedeutet bei Pflanzen „Trieb, Spross“ und kommt in Jes 11,1 als Ankündigung des Messias vor: Der untaugliche Stamm des israelitischen Königshauses wird abgehauen. Aber aus dem Baumstumpf soll ein neuer „Trieb“ hervorkommen, der neue, endgültige König, der Messias. In Israel gab es die Menschen, die sich bewusst waren, von König David abzustammen. Sie warteten darauf, dass aus ihren Reihen der Messias kommen sollte. Nach diesem „Nezer“ aus Jesaja trugen sie die Bezeichnung „Nazoräer“. Vermutlich kommt von daher auch der Name des Ortes „Nazaret“, in dem eine Gruppe von ihnen wohnte. An den Stellen, an denen Jesus „Nazoräer“ genannt wird, wird damit also seine Abstammung von König David bezeichnet. Da wo er „Nazarener“ heißt, bezeichnet das seine Herkunft aus Nazaret, dem Ort der Nazoräer.

Josef als offizieller Vater und Maria als leibliche Mutter von Jesus waren beide Nazoräer, also Nachkommen von David, wie auch die beiden unterschiedlichen Stammbäume von Jesus bei Matthäus und Lukas bezeugen. Josef muss einer der Nazoräer aus Betlehem, der „Stadt Davids“ gewesen sein, weil er sich bei der großen Eintragung zu Ehren des Kaisers Augustus dort registrieren lassen musste. Als lediger Maurer war er im Land herumgekommen und hatte seine Maria wohl „auf Arbeit“ in Nazaret gefunden, wo ebenfalls eine Gruppe von Nazoräern wohnte.

Es ist bemerkenswert, dass Jesus nie seine Geburt aus Betlehem ins Feld geführt hat. Seine Gegner wollten ja aufgrund seiner Herkunft aus Nazaret in Galiläa beweisen, das er nicht der Messias sei. Der musste ja nach Micha 5,1 aus Betlehem kommen. Jesus suchte aber Glauben. Und es war klar, dass der auch nicht kommen würde, wenn er eine Geburtsurkunde aus Betlehem vorlegen würde. Er hatte eine andere Linie:

Mt 11, 4-6: „Geht und sagt Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder und Gelähmte gehen, Aussätzige werden gereinigt und Gehörlose hören, Tote stehen auf und Armen wird gute Botschaft gebracht. Und glücklich ist, wer keinen Anstoß an mir nimmt.“

Und Joh 8,37-38: „Wenn ich die Werke meines Vaters nicht tue, dürft ihr mir nicht glauben. Wenn ich sie aber tue – wenn ihr auch mir nicht glaubt -: dann glaubt den Werken, damit ihr wisst und erkennt, dass der Vater in mir ist und ich im Vater!“

Jesus sagte die Worte Gottes und tat die Werke Gottes. So etwas wie sich rechtfertigen, sich ausweisen, werben oder überreden war ihm fremd. Wer ihm glaubt, empfängt seine Gaben. Wer nicht glaubt, bekommt auch kein Zeichen aus dem Himmel.

Vielleicht könnten wir für das, was wir „Evangelisation“ nennen, noch einiges davon lernen …

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