Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Heuchelei

Der Dichter

Warum liebt der „Mensch“ vor allem „den Dichter“? Und warum ist, geistlich betrachtet, gerade „der Dichter“ der Allergefährlichste?

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe Nummer 7 vom 30. August 1855.)

Antwort: Eben darum ist der Dichter, geistlich betrachtet, der Allergefährlichste, weil der Mensch vor allem den Dichter liebt.

Und der Mensch liebt den Dichter vor allem darum, weil er ihm der Allergefährlichste ist. Denn das gehört ja oft mit zu einer Krankheit, dass der Kranke just das am heftigsten begehrt, am meisten liebt, was ihm am schädlichsten ist. Geistlich betrachtet ist aber der Mensch in seinem natürlichen Zustand krank. Er ist in einem Irrtum, einer Selbsttäuschung befangen, will daher am allerliebsten betrogen werden, um nicht nur im Irrtum zu verbleiben, sondern sich in der Selbsttäuschung auch recht wohl fühlen zu dürfen. Und gerade der Dichter ist ein Betrüger, der ihm diesen Dienst leistet. Darum wird er vom Menschen vor allen geliebt.

Der Dichter wendet sich nur an die Einbildungskraft. Er stellt das Gute, das Schöne, das Edle, das Wahre, das Erhabene, das Uneigennützige, das Hochherzige usw. stimmungsvoll dar im Abstand der Einbildung von der Wirklichkeit. Und wie reizend ist doch in diesem Abstand das Schöne, das Edle, das Uneigennützige, das Hochherzige usw.! Würde es mir dagegen so nahe gerückt, dass es mich gleichsam zu seiner Verwirklichung zwingen wollte, weil es mir nicht durch einen Dichter dargestellt, sondern durch einen Charakter vorgehalten würde, einen Wahrheitszeugen, der es selbst verwirklichte: entsetzlich! Das wäre ja nicht zum Aushalten!

Es gibt in jedem Geschlecht nur sehr wenige, die so verhärtet und verderbt sind, dass sie das Gute, Edle usw. rein weg haben wollen. Es gibt aber auch in jedem Geschlecht nur sehr wenige von dem Ernst und der Redlichkeit, dass sie in Wahrheit das Gute, Edle usw. zur Wirklichkeit machen wollen.

„Der Mensch“ wünscht das Gute nicht so weit weg wie jene ersten wenigen. Er wünscht es aber auch nicht so nahe heran wie jene letzten wenigen.

Hier findet der „Dichter“ seine Stelle, das geliebte Schoßkind des Menschenherzens. Das ist er, was Wunder auch! Denn dieses Menschenherz hat unter anderen Eigenschaften eine, die es selbst mit sich bringt, dass sie freilich seltener genannt wird. Das ist die feine Heuchelei. Und das kann eben der Dichter, er kann mit den Menschen heucheln.

Was zum schrecklichsten Leiden wird, wenn es in die Wirklichkeit eingeführt wird, das weiß der Dichter behende in den feinsten Genuss zu verwandeln. Wirkliche Weltentsagung ist kein Spaß. Dagegen ist es ein feiner, feiner Genuss, bei gesichertem Besitz in dieser Welt in einer „stillen Stunde“ mit dem Dichter in der Weltentsagung zu schwärmen.

… und durch diese Art Gottesdienst sind wir so weit gekommen, dass wir alle Christen sind. Das heißt: das Ganze mit der Christenheit, den christlichen Staaten und Ländern, einer christlichen Welt, einer Staatskirche, Volkskirche usw. hat von der Wirklichkeit den Abstand der Einbildungskraft. Es ist eine Einbildung. Und, christlich betrachtet, ist es eine so verderbliche Einbildung, dass hier das Wort zutrifft: „Einbildung ist schlimmer als Pestilenz“.

Das Christentum ist Weltentsagung. Das doziert der Professor. Und dann macht er dieses Dozieren zu seiner Karriere, ohne jemals zu gestehen, dass das doch eigentlich nicht Christentum ist. Wenn das Christentum ist, wo bleibt die Weltentsagung? Nein, das ist nicht Christentum, sondern ein Dichterverhältnis zum Christentum. Der Pfarrer predigt, er „zeugt“ (ja, ich danke!), dass das Christentum Entsagung ist. Und dann macht er dieses Predigen zu seinem Erwerbszweig, zu seiner Karriere. Er gesteht nicht einmal selbst zu, dass das doch eigentlich nicht Christentum ist. Wo bleibt dann aber die Entsagung? Ist das nicht wieder ein rein dichterisches Verhältnis zum Christentum?

Der Dichter aber heuchelt mit dem Menschen. Und der Pfarrer ist, wie wir nun sahen, Dichter: so wird also der offizielle Gottesdienst zur Heuchelei. Und für dieses hohe Gut scheut der Staat natürlich keine Kosten.

Die mildeste Form nun, der Heuchelei zu entgehen, wäre, dass „der Pfarrer“ das Geständnis machte, dies sei doch eigentlich nicht Christentum – ansonsten haben wir die Heuchelei.

Und darum ist es nicht ganz richtig, was die Überschrift sagt, dass, geistlich betrachtet, der Dichter der Allergefährlichste sei. Der Dichter will ja nur Dichter sein. Weit gefährlicher ist es, dass ein bloßer Dichter als „Pfarrer“ sich das Ansehen gibt, als wäre er etwas weit Ernsteres und Wahreres als ein Dichter, während er doch nur ein Dichter ist. Das ist Heuchelei in zweiter Potenz.

Darum bedufte es eines Polizeitalents, um hinter diese ganze Mummerei zu kommen. Und das Mittel war, dass einer das Kind beim Namen nannte und von sich selbst bekannte, er sei nur ein Dichter.

Eine Vereidigung

Eine Vereidigung oder Das Offizielle – das Persönliche

(Ein Artikel von Sören Kierkegaard aus seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe Nr. 5 vom 27. Juli 1855)

Ich will eine kleine, psychologisch interessante Anekdote aus der Verbrecherwelt erzählen.

Es handelte sich um eine Sache, wo man sich, wie man sagt, „freischwören“ konnte. D. h., man konnte sich für diese Zeit befreien, indem man sich durch einen Meineid für die Ewigkeit band. Der Betreffende war eine der Obrigkeit hinlänglich bekannte, öfters bestrafe Person. Die Obrigkeit konnte eine Vereidigung nicht verhindern, war aber moralisch vollkommen davon überzeigt, das ein Meineid geschworen werden würde. Und so schwor der Betreffende.

Nach der Vereidigung besuchte ihn der Kanzleirat im Arrest, fing ein Gespräch mit ihm an und sagte dann zu ihm: „Kannst du mir wirklich die Hand darauf geben, dass du die Wahrheit geschworen hast“? „Nein,“ antwortete er, „nein, Herr Kanzleirat, das kann ich nicht.“

Hier siehst du den Unterschied zwischen dem Offiziellen und dem Persönlichen. Für einen qualifizierten Verbrecher ist es etwas Offizielles, sich frei zu schwören. Deshalb bedenkt er sich keinen Augenblick, es zu tun. Er hegt auch nicht den geringsten Zweifel, dass sich das verantworten lasse. Durch eine langjährige Praxis mit der Sache vertraut, versteht er, dass man so etwas rein offiziell, unpersönlich abmacht. So besteht die Kunst für ihn bloß darin, einer Sache die Wendung zu geben, dass er sich freischwören kann. Die Ablegung des Eides bedeutet für ihn nicht mehr als zu einem, der niest, Prosit zu sagen oder auf einen Brief Wohlgeboren zu schreiben.

Vergebens sucht der Eid und die Feierlichkeit bei der Vereidigung Eindruck auf ihn zu machen, ihn als Person zu treffen. Er kommt sich bei dem – Geschäft selbst als offizielle Persönlichkeit vor und ist offiziell gegen jeden Eindruck gewappnet, den man, wie er zum voraus weiß, bei ihm hervorrufen will. Und so legt er den Eid ab. Das Ganze geschieht, wie er die Sache versteht, ex officio*.

Aber persönlich, nein, persönlich kann er sich nicht entschließen, eine Unwahrheit feierlich zu bekräftigen. „Kannst du mir die Hand darauf geben?“ „Nein, Herr Kanzleirat, das kann ich nicht.“

Gehe ich nun zu einer ganz anderen Welt über, so wird mir gewiss jeder, der mit den Verhältnissen auch nur ein wenig vertraut ist, sofort zugeben, dass man einen Geistlichen im Privatgespräch (besonders wenn man ihn persönlich zu berühren versteht) leicht dazu bringen kann, dass er sich zu anderen als den von ihm offiziell vorgetragenen Überzeugungen bekennt oder doch sich persönlich zweifelnd über das äußert, was er ex officio* „mit voller Überzeigung“ vorträgt. Und doch ist ja der Pfarrer eidlich verpflichtet. Er hat einen Eid abgelegt, der garantieren soll, dass es seine Überzeigung sei, was er vorträgt!

Ach ja, aber die eidliche Verpflichtung gehört in der Pfarrerswelt nun einmal zu dem Offiziellen – und dieses Offizielle muss einmal sein, damit man ein Amt bekommt. Man legt seinen Eid offiziell ab und trägt offiziell vor, worauf man eidlich verpflichtet ist. „Aber sage mir aufrichtig, lieber Pastor P., willst du mir deine Hand darauf geben, dass es deine Überzeugung ist? Willst du mir das bei dem Gedächtnis deiner seligen Frau bekräftigen? Es liegt mir um meiner selbst willen, um meine Zweifel womöglich los zu werden, so sehr viel daran, deine wahre Meinung zu erfahren!“ „Nein, lieber Freund, das kann ich nicht. Das darfst du nicht von mir verlangen.“

Eine Vereidiguing, die sollte doch unbedingt dafür garantieren, dass die Sache persönlich ist! Aber der Eid – der Eid, die Bedingung der Anstellung usw; führe uns nicht in Versuchung o Gott! – der Eid ist vielleicht offiziell abgelegt. „Ist das aber wirklich deine Überzeugung, was du lehrst? Ich beschwöre dich bei dem Gedächtnis deiner verstorbenen Frau, dass du mir, um mir zu helfen, deine aufrichtige Meinung sagst!“ „Nein, mein Freund, nein, das kann ich nicht!“

*von Amts wegen, amtlich, kraft Amtes

Der Abfall vom Christentum

Ein Aufruhr im Trotz – ein Aufruhr in Heuchelei oder der Abfall vom Christentum. (Ein Artikel von Sören Kierkegaard.)

Dass der Mensch ein trotziges Geschöpf ist, weiß man wohl. Dass er aber ein äußerst kluges Geschöpf ist – sobald es Fleisch und Blut und irdisches Wohlsein gilt – darauf ist man nicht immer aufmerksam. Trotzdem ist es so. Und damit ist ja ganz wohl verträglich, dass man ganz richtig auch genug über die menschliche Dummheit klagt.

Behagt also dem Menschen etwas nicht, so sieht er zuerst klüglich nach, ob die Macht, die es ihm gebietet, nicht zu gewaltig ist, als dass er ihr Trotz bieten, ihr seine Macht entgegen stellen könnte. Ist sie nicht zu übermächtig, so empört er sich mit Trotz.

Ist aber die Macht, die ihm etwas Missfälliges gebietet, so übermächtig, dass ein Aufruhr im Trotz völlig aussichtslos ist – so greift er zur Heuchelei.

Dies gilt auch vom Christentum. Dass der Abfall vom Christentum längst eingetreten ist, das hat man nicht bemerkt. Denn der Abfall, der Aufruhr, geschah in und durch Heuchelei. Eben die Christenheit ist der Abfall vom Christentum.

Im Neuen Testament ist nach Christi eigener Lehre das Dasein des Christen, bloß menschlich geredet, eitel Qual. Eine Qual, gegen die alle anderen menschlichen Leiden fast nur Kinderspiel sind. Christus redet ganz offen davon, dass seine Jünger das Fleisch kreuzigen, sich selbst hassen, für die Lehre leiden müssen, dass sie weinen und heulen werden, während die Welt sich freut. Er stellt dem Jünger die Leiden in Aussicht, die das Herz am tiefsten verwunden: dass er Vater und Mutter, Weib und Kind hassen müsse, dass er ein Wurm sein werde und kein Mensch. So beschreibt die Schrift ja das Vorbild, und ein Christ sein heißt dem Vorbild gleichen. Daher auch diese unablässigen Ermahnungen, dass man sich nicht ärgern solle – daran nämlich, dass die allerhöchste, die göttliche Rettung und Hilfe für den Menschen ein solches Schrecknis sein solle.

Diese Bewandtnis hat es mit dem Christsein. Sieh, das ist nichts für uns Menschen. Von derlei Dingen möchten wir am liebsten dispensiert sein. Ja, wenn irgend welche menschliche Macht auf solches verfallen wäre, so hätten sich die Menschen sofort im Trotz gegen dieselbe empört.

Aber zum Unglück ist Gott eine Macht, gegen die man sich nicht im Trotz empören kann.

Da griff „der Mensch“ zur Heuchelei. Es gab nicht einmal Mut und Redlichkeit und Wahrhaftigkeit genug, um geradeheraus zu Gott zu sagen: „Darauf kann ich mich nicht einlassen“. Man griff zur Heuchelei und glaubte, dadurch vollkommen sichergestellt zu sein.

Man griff zur Heuchelei; man verfälschte den Begriff des Christen. Ein Christ zu sein, sagte man, ist eitel Glück und Seligkeit. „Was wäre ich, ach, was wäre ich, wenn ich kein Christ wäre! Welch unschätzbares Glück, ein Christ zu sein! Ja, ein Christ zu sein, das gibt dem Leben erst die rechte Bedeutung. Das gibt der Freude Geschmack und Linderung für das Leiden.“

Auf diese Weise wurden wir alle Christen. Und nun ging die Sache flott: die Künstler, die man hierfür besoldete, troffen von gesalbten Worten und hochtrabenden Redensarten, sandten verzückte Blicke zum Himmel und ließen die Tränen in Strömen fließen. Sie konnten Gott gar nicht überschwänglich genug für das große Glück danken, dass wir alle Christen sind usf.. Und das Geheimnis ist: Wir haben den Begriff des Christen verfälscht und hoffen nun, durch spitzbübische, heuchlerische Schmeichelei, durch süßlichen, ewig wiederholten Dank dafür – dass wir das Gegenteil von dem sind, was er unter einem Christen versteht, dadurch hoffen wir, ihm eine wächserne Nase zu drehen, wie wir dadurch auch uns selbst betrügen. Durch den inbrünstigen Dank dafür, dass wir Christen sind, hoffen wir dem zu entgehen, dass wir es werden sollen.

Sieh, darum ist die Kirche der zweideutigste Ort, den es gibt. Es sind ja gewiss andere Orte, die man gewöhnlich so nennt. Aber diese sind eigentlich nicht zweideutig, da sie ganz eindeutig sind, was sie sind. Und die eigentliche Zweideutigkeit wird eben dadurch aufgehoben, dass sie so genannt werden. Eine Kirche dagegen, ja sie ist ein zweideutiger Ort. Die vom Staat geschützten Kirchen in der „Christenheit“ sind das zweideutigste, das je existiert hat.

Denn Gott für Narren zu haben, ist nicht zweideutig. Zweideutig ist es dagegen, das für einen Gottesdienst auszugeben. Das Christentum abschaffen zu wollen, ist nicht zweideutig. Zweideutig ist es aber, die Abschaffung Ausbreitung zu heißen. Geld zum Kampf gegen das Christentum zu geben, ist nicht zweideutig. Zweideutig aber ist es, dafür Geld zu nehmen, dass man dem Christentum entgegenarbeitet – unter dem Vorgeben, dafür zu wirken.