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Kategorie: Zitate (Seite 2 von 6)

Jesus als Wanderer

(Jesus als Wanderer – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller.)

Es gehört zu den größten Reizen des Reisens in Palästina, dass es uns auf so manchem steilen Felsenpfad, den wir etwa in heißer Mittagsglut übersteigen, oft plötzlich einfällt: Hier ist einst auch Jesus gewandert mit seinen zwölf Jüngern.

Jesus war ein rüstiger Wanderer. Das ganze Land auf und ab hat er durchzogen. Bald finden wir ihn in Nazaret, bald an den Ufern des Jordans, bald in der Königsstadt Jerusalem, bald an den Gestaden des Sees Genezaret, bald in Samarien, bald jenseits des Jordans, bald am blauen Mittelländischen Meer bei Tyrus und Sidon, bald an den steilen Abhängen des felsigen, schneebedeckten Hermon bei Cäsarea Philippi. Die Evangelisten haben über die Reisen des Herrn kein Tagebuch geführt, in welchem jede Reise sorgfältig einregistriert wäre. Es kam ihnen nur darauf an, uns zu berichten, was während dieser Reisen geschehen ist. Forscht man aber den Spuren in den Evangelien nach, so scheint der Herr, abgesehen von zahlreichen kleineren Ausflügen und Märschen in der Umgebung des Sees Genezaret, während seiner öffentlichen Wirksamkeit fünf bis sechs größere Reisen durchs Land unternommen zu haben.

In den Zwischenzeiten, namentlich in den Monaten der Regenzeit, hielt er sich in Kafarnaum auf. Wahrscheinlich wohnte er im Haus des Petrus und Andreas. Während dieser Zeit mögen die Jünger mit ihrer Hände Arbeit ihr Brot für sich und ihre Familie verdient haben. Und wie Sankt Paulus in weit höherem Maß noch als andere Rabbiner es für eine Ehre hielt, sich neben seinem großen Apostelamt durch seiner Hände Arbeit zu ernähren, so hat es auch Jesus zweifellos nicht für eine Entwürdigung seines Berufs gehalten, sich bei solchen Gelegenheiten an der Arbeit zu beteiligen. Ein Segel aufzusetzen, ein Steuer zu führen, ein Schiff im Sturm zu lenken hat er sicher ebenso gut verstanden wie seine Jünger. Dass er sich bei den zahlreichen Fahrten mit seinen Jüngern stets vornehm zurückgezogen habe, ohne mitanzufassen, sieht dem nicht gleich, der an jenem letzten Abend die Jünger bei Tisch bediente und ihnen die Füße wusch.

Am Sonnabend ging Jesus, wo immer er war, auf der Reise oder in Kafarnaum, in die Synagoge, um das Volk zu lehren. Zuweilen scheint Jesus während seines Wanderlebens auch auf den Straßen gelehrt zu haben. (Lk 13,26). Auf Straßen und Märkten wird ja im Orient vieles vorgenommen, was im Abendland nur im Haus geschieht. Jedenfalls aber tat der Herr dies nur während der ersten Zeit seiner Tätigkeit. Damals folgten ihm ja oft Tausende nach. Der Zudrang war so ungeheuer, dass er sich in Kafarnaum nicht mehr öffentlich in der Stadt sehen lassen konnte. (Mk 1,45.) Daher verlegte er sein Lehren und Predigen hinaus aufs freie Feld und in verlassene „Wüsten„. Aus allen benachbarten Landschaften bis auf drei oder vier Tagereisen versammelten sich die Leute um den rasch berühmt gewordenen Lehrer. Sie kamen aus Jerusalem, aus Idumäa, von jenseits des Jodans, von Tyrus und Sidon usw. (Mk 3,8).

Nach und nach wurde es aber einsamer um Jesus. Der Zuzug der Fremden wurde seltener, der Hass seiner Feinde gefährlicher. Seine Reisen dienten oft mehr seiner persönlichen Sicherheit, als der Predigt des Evangeliums vor dem Volk. Aber in jener ersten Blütezeit, die sich wie ein erquickender Morgentau über Galiläa legte, geschahen die Reisen Jesu in aller Öffentlichkeit. Den Reiseplan machte er freilich stets allein, und oft kannten die Jünger das Ziel der Reise nicht. Dadurch wurde ein unnützes Zusammenströmen von Negierigen vermieden, welche nur interessante und wunderbare Dinge sehen wollten. Um Aufsehen war es ja dem Herrn nicht zu tun, sondern um die stille Aussaat in die Herzen.

Zuweilen sandte er seine Jünger auch ohne seine Begleitung aus. Währenddessen reiste Jesus als Wanderer ganz allein durchs Land (Mt 10). Was auf diesen einsamen Wanderungen in Städten, Dörfern oder Zelten geschehen und gesprochen worden ist, davon ist leider keine Kunde auf uns gekommen.

Aber meistens reiste er mit seinen Jüngern zusammen, auch begleitet von einer größeren Zahl wohlhabender Frauen. Diese hatten ihm viel zu danken und wollten überall sein Lehren und Predigen mitanhören (Lk 8,1f.). Sie sorgten auch für den Unterhalt der Gesellschaft, „sie taten ihm Handreichung von ihrer Habe.“ Selbst konnte ja Jesus als Wanderer jetzt nichts mehr verdienen. Sein früheres Vermögen hatte er wohl seiner Mutter überlassen. Er führte ein Wanderleben und hatte dabei nicht einmal mehr so viel, wie die Füchse und die Vögel unter dem Himmel, die er auf seinen Wanderungen oft sah, ein eigenes Plätzchen, wo er des Nachts sein müdes Haupt hinlegen konnte. Jene Frauen und andere dankbare Leute gaben daher Geldbeträge, welche Jesus auch annahm. Er bestellte in Judas Ischariot einen Kassenverwalter. „Der hatte den Beutel und trug, was gegeben ward.“ (Jo 12,6). So zog er „von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.“ (Lk 8,1).

Und wie Judas die Geldangelegenheiten zu besorgen hatte, so haben wohl andere je nach Anlage und Geschick andere Zweige des gemeinschaftlichen Haushalts übernommen. So mag einer von den Zwölfen auf den Reisen besonders für den Proviant gesorgt haben, vielleicht Philippus (Jo 6,5). Wenn z. B. die Reise von Jericho nach Jerusalem führte, wo man vor Betanien auf keine Ortschaft traf, musste irgendwo in der Wüste, sei es unter einem schattigen Felsvorsprung, sei es bei lagernden Beduinen, zu gemeinsamer Mahlzeit Rast gemacht werden. Auf anderen Reisen, deren Wege von Zeit zu Zeit Dörfer und Ortschaften berührten, wurde das Nötige unterwegs gekauft.

Auch heute noch ist dies nicht anders, da man von Wirtshäusern in den Dörfern nichts weiß. Am heißen Mittag pflegen wir auf Reisen nicht in Häusern einzukehren, deren dumpfe Luft oft wenig erquickend sein würde. Wir lagern uns vielmehr zur Mahlzeit am liebsten außerhalb der Ortschaften unter schattigen Bäumen. Natürlich muss sich in der Nähe des Lagerplatzes eine Quelle oder eine Zisterne befinden. Sonst fehlt dem durstigen Wanderer das erquickende Labsal, frisches Wasser.

Einer von uns geht etwa noch hinein ins Dorf, um einen für das Essen notwendigen Einkauf zu besorgen. Die Zurückbleibenden schöpfen zunächst das nötige Wasser. Bei einer sprudelnden Quelle ist dies sehr einfach. Aus einer Zisterne dagegen kann man das Wasser nur mit einem (gewöhnlich ledernen) Schöpfeimer heraufholen, welcher an einem Strick hinuntergelassen wird. Haben die Reisenden einen solchen nicht unter ihrem Gerät, so müssen sie warten, bis ihnen jemand aus dem nahen Dorf eine solchen zur Benutzung überlässt. Sind nachher alle beisammen, so beginnt die einfache Mahlzeit unter freiem Himmel im Schatten der Bäume.

Wüste

(Wüste – eine Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller)

Die Wüste findet bei den Reisen von Jesus häufig Erwähnung. Um hierüber Klarheit zu haben, muss man festhalten, dass unter diesem Wort in der Bibel dreierlei zu verstehen ist:

1) Die eigentliche große Wüste, durch welche einst die Kinder Israel mit Mose zogen.

2) Die Wüste Juda, jenes merkwürdige Berg- und Hügelland, welches sich zwischen dem Toten Meer und dem kultivierten Palästina von Norden nach Süden erstreckt. Diese Wüste bebaut man zwar nirgends. Aber trotz aller öden Wildnis haben ihre Höhen und Schluchten dennoch einen genügenden Reichtum an würzigen Kräutern für die Herden der dort hausenden Ta’ámre-Beduinen. Dorthin flüchtete David vor Saul. Dort predigte anfangs Johannes der Täufer. Dort ward Christus versucht vierzig Tage lang.

3) Sehr oft, und namentlich in der Geschichte Jesu, wird aber das Wort in einem anderen Sinn gebraucht. Dieser ist von unseren gewohnten Begriffen sehr verschieden. Wenn wir z. B. lesen, dass sich Jesus nach der erschütternden Nachricht von der Hinrichtung des Täufers in die Einsamkeit einer Wüste zurückzog, so haben wir hier, wie bei allen galiläischen „Wüsten“, nur an einsame Gegenden zu denken, welche von den menschlichen Wohnungen der Städte und Dörfer abgelegen waren, ob sie nun zur Weide oder teilweise auch zum Ackerbau dienten.

Solche Gegenden heißen heute noch im Volksmund Wüste (barr oder barrje) im Gegensatz zu der engeren Markung der Ortschaften. Und es gab deren in der Umgebung des Sees Genezaret mehrere. Auch die Bergpredigt hat Jesus wohl in einer solchen Gegend unweit Kafarnaum gehalten. Daher rieten auch die Jünger dem Herrn, bevor er die 5000 speiste: „Es ist ein wüster Ort und die Stunde spät. Entlasse sie, damit sie in die Örter und Dörfer im Umkreis gehen und sich kaufen, was sie essen sollen“.

Vögel

(Vögel – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Reisen“ im Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er hat seine Beobachtungen in der Jahren 1884 bis 89 gemacht.)

Das Reisen zu Pferd oder auch auf einem munteren Esel hat viel Poesie. Die ganze Natur dehnt sich aus vor dem Auge, ihre fortwährende Nähe macht sie zu einer gesprächigen Gefährtin. Dem Wandersmann kommen allerlei Gedanken, welche ihn an die ewige Kraft und Gottheit dessen erinnern, der sie geschaffen hat.

Da sieht man die Vögel unter dem Himmel hochüber fliegen, jeder ein Bild schrankenloser Freiheit und sorgloser Lebensfreude. Sie sind ein fröhliches, sangreiches Geschlecht. Zumal die Sperlinge scheinen ein mächtiges Volk zu sein, zahlreich wie der Sand am Meer. Wenn ein Mensch dafür zu sorgen hätte, dass diese durch ihren notorischen Appetit berühmte Gesellschaft jahraus jahrein anständig gekleidet und selbst im dürren heißen Sommer, wenn alle Halme verbrannt, alle Bäche versiegt sind, gespeist und getränkt werde, der würde bald in schwere Sorgen geraten und die Bevölkerungszahl dieser leichtsinnigen Freiherrn des Himmels würde bedenklich zurückgehen.

Der Herr Jesus mag sie auf seinen Reisen von Kind auf beobachtet haben. Bewundernd erkannte er die weise Hand des himmlischen Vaters, welcher keinen von ihnen vergisst, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dach fällt. Oft mag er seine Zuhörer auf diesen einfachen und doch so einleuchtenden Beweis einer speziellen göttlichen Fürsorge aufmerksam gemacht haben. “ Seht die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen. Und euer himmlischer Vater nährt sie doch! Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie “ (Mt 6,26).

Aber auch die großen mächtigen Adler oder besser Geier, die man auf Reisen so oft sieht, wie sie mit weitausgespannten Flügeln dahinsegeln oder mit gewaltigem Flügelschlag die Lüfte teilen, kennen keine Sorgen. Wie Helden laufen sie ihren Weg, so dass David singt: „Saul und Jonatan, leichter denn die Adler, und stärker denn die Löwen!“ (2 Sam 1,23), obschon auch sie nichts zu ihrer Ernährung tun können und auf Gott warten müssen, dass er ihnen ihre Speise gebe zu ihrer Zeit, so gut wie der Hirsch, „der nach Wasser schreit“ (Ps 42,2) und die „jungen Raben, die zu Gott rufen“ (Hiob 38,41), welche nicht säen und die Gott doch nährt (Lk 12,24).

Wohl möglich, dass während der Bergpredigt gerade eine Schar dieser Vögel über den Hügel hinwegflog, auf dem der Herr saß. Da deutete Jesus mit der Hand hinauf und sprach: „Seht die Vögel unter dem Himmel“ usw. Und die ganze Menge sah hinauf und fühlte unmittelbar die Wahrheit der Worte des Herrn.

Auch das Treiben der Geier kann man besonders auf Reisen häufig beobachten. Fällt einmal ein Tier unterwegs, ein Pferd, ein Esel oder Kamel, so lässt man dasselbe einfach auf der Straße liegen. Zum großen Ärger aller Reisenden, welche oft wegen des unerträglichen Geruchs einen großen Umweg machen müssen. Da ist es denn ein Glück, dass so viele Geier in der Luft fliegen. Aus großer Entfernung wittern sie die erwünschte Speise. Von allen Seite strömen sie alsdann zusammen, kreisen erst lange über den betreffenden Stellen, so dass man sieht, wie sie sich sammeln, dann schießen sie herunter und verzehren das Aas. Da treffen sie denn oft schon zahlreiche wohlbekannte Gesellschaft, die mit ihnen tafelt: Hyänen, Füchse und allerlei Vierfüßler. Die Folge ihrer vereinten Bemühungen ist, dass binnen kürzester Frist nur noch kahle Knochen zerstreut herumliegen. Dann ist die Passage für die Reisenden wieder frei.

Wie in den Städten die zahllosen Heere von Fliegen und Mücken, die uns so lästig werden wollen, unseres Herrgotts kleine Sanitätspolzei bilden, indem sie eine Menge schädlicher, verwesender Stoffe vertilgen, und uns dadurch nicht geringe Dienste leisten, so draußen auf Bergen und Landstraßen die Aasgeier.

Auch Jesus hat sie auf seinen Wanderungen oft beobachtet. Als er in den letzten Tagen seines Lebens auf jener Höhe stand und das prophetenmörderische Jerusalem anschaute und seinen Jüngern dessen kommendes Geschick verkündigte, sagte er zu ihnen: „Wo ein Aas ist (wie Jerusalem, wo alles faul geworden ist), da sammeln sich die Geier.“ (Mt 24,28; Lk 17,37). Die römischen Adler fungierten damals als Gottes Sanitätspolizei, um das verfaulende Volk zu vernichten. Die kamen über das heilige Land geflogen mit Macht, und seither liegen nur noch bleiche Totengebeine des ehemals so blühenden Volkes Israel auf den Feldern der Erde – bis der Geist des Herrn drein fährt und es wieder rauscht auf dem Totenfeld.

Hochzeitsmahl

(Hochzeitsmahl – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Hochzeiten“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Seine Beobachtungen hat er im damaligen Palästina zwischen 1884 und 89 gemacht.)

Zweimal führt uns das Neue Testament zu einem Hochzeitsmahl. Das ist bei der Hochzeit in Kana und in dem Gleichnis von der königlichen Hochzeit.

Auf den Bildern, welche die Hochzeit in Kana (Jo 2,1) darstellen, finden wir gewöhnlich eine große Tischgesellschaft. Am hellen Tag sitzt sie um eine weißgedeckte Tafel mit Tellern, Messern und Gabeln herum. Braut und Bräutigam sitzen nebeneinander, während der Herr etwa den Ehrenplatz neben der Braut einnimmt. Das mag für eine abendländische Hochzeit eine ganz hübsche Anordnung sein, für das Morgenland aber passt sie nicht. Vor allem fand das Hochzeitsmahl, ein „Abendmahl“; nicht bei Tag, sondern am Abend statt. Ferner nahm die Braut an der Mahlzeit der Männer überhaupt nicht teil. Sie hielt sich abgesondert bei den Frauen, mit welchen sie auch aß. Dass der Bräutigam seine Braut während der eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten noch gar nicht zu sehen bekam, da sie stets verschleiert ging, haben wir ja schon oben gesehen.

Das Hochzeitsmahl fand wie gewöhnlich im Haus des Mannes, nicht im Brauthaus, statt. Daher macht nachher der „Speisemeister“ dem Bräutigam Vorwürfe über die unrichtige Besorgung des Weins. Auch Maria mit ihrem Sohn, dem bisherigen Baumeister und nunmehrigen Lehrer samt seinen Jüngern war geladen. Wahrscheinlich war sie, die im Unterschied zu Josef aus Nazaret stammte, mit den Hochzeitleuten verwandt oder doch sehr nahe befreundet. Sonst hätte man sie nicht mehrere Stunden weit zur Hochzeit eingeladen.

Die Tür des Hauses war während der Hochzeitsfeier offen, das ganze Dorf konnte teilnehmen, jedermann war willkommen. Selbst der ärmste Bettler und Fremdling wird auch heute noch bei solcher Gelegenheit nie zurückgewiesen. Er darf freundlicher Aufnahme und Bewirtung sicher sein. So ist es denn eine bewegte Gesellschaft, welche wir auf der Hochzeit zu Kana treffen. Es ist nicht daran zu denken, dass sie, an orientalische Sitte gewöhnt, sich der festen und steifen Ordnung einer Tafelgesellschaft bequemte. Eine Tafel war überhaupt nicht im Haus. Dagegen waren Teppiche auf dem Boden ausgebreitet und Kissen darauf gelegt, so dass sich jedermann bequem niederlassen konnte.

Es ist überhaupt unwahrscheinlich, dass der größere Teil der Gesellschaft inwendig im Haus war. Denn die Häuser sind bei Hochzeitsfeiern gewöhnlich zu klein, um die Gäste zu fassen. Daher sitzen oder stehen die meisten im Hof oder auf einem nahen freien Platz umher. Ungezwungen gehen sie bald dahin, bald dorthin, um sich mit anderen zu unterhalten. Währenddessen tragen die bedienenden Anverwandten („die Diener“ Jo 2) allerlei Speisen und Getränke umher und bieten sie mit höflichen Gebärden an.

An einem besonderen Ort des Hofs standen wohl die Weiber, und die Jungfrauen mit den Ölfackeln stimmten frohe Hochzeitslieder an und tanzten den Reigen. Unter die Jubelrufe der Frauen, welche durch die Nacht schallten, mischten sich die Hochzeits- und Kriegslieder der Jünglinge und Männer, welche an der anderen Seite des Hofs für sich den Hochzeitsreigen aufführten. Hauptsächlich ältere Leute, welche sich die Äußerungen der Freude gerne in behaglicher Ruhe anhörten, saßen drin im Haus bei Lampenlicht auf den Teppichen.

In irgend einer Ecke standen dort große Tonkrüge. Auch heute noch wird in solchen der Wein aufbewahrt, oben mit einer kleinen Schicht Olivenöl luftdicht bedeckt. In Bechern wurde derselbe herumgereicht. Maria, welche als Nahestehende oder Verwandte sich mit um die Aufwartung kümmerte, bemerkte, dass dem Hochzeitsmahl der Wein ausging. Wie gewöhnlich, wenn sie Rats bedurfte, wandte sie sich an ihren Sohn, ihren bisherigen Ernährer und Versorger: „Sie haben nicht Wein!“ Jesus antwortete ihr: “ Weib! Was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht hier.“ (Joh 2,4).

Man hat manchmal diese Antwort außerordentlich ernst, fast streng aufgefasst. Aber die Redensart „Was habe ich mit dir zu schaffen?“ oder wörtlich: „Was ist mir und dir?“ ist auch heute noch gebräuchlich, und auch heute kann nur die Betonung über den Sinn entscheiden. Auf Deutsch heißt dieselbe soviel als: „Was geht’s mich an!“ Dies kann ebenso in ernstem und mürrischen, wie in scherzhaftem Ton gesagt werden. Mir ist es nicht zweifelhaft, dass dies Wort damals im Mund des Herrn einen freundlichen humoristischen Klang hatte. Denn dass Jesus im Kreis der Fröhlichen, deren Freude er liebenswürdig teilte, ja durch ein so namhaftes Geschenk (500 Liter) wesentlich erhöhte, bei einem so unschuldigen Anlass gerade seine Mutter mit einem feierlichen, fast rauen Ernst abgewiesen hätte, ist nicht denkbar.

Vollends die Anrede „Weib!“ hat für orientalische Ohren gar nichts Unfreundliches oder Abweisendes. So reden heute noch bei den Fellachen die Männer ihre Mütter und Frauen in freundlichstem Ton an („já mára!“), und auch am Kreuz richtete der Herr dieselbe Anrede als letztes Wort der Liebe an seine Mutter: „Weib, siehe das ist dein Sohn!“ Wollen wir diese Anrede auf gut Deutsch ausdrücken, so werden wir statt „Weib!“ am richtigsten „Liebe Mutter!“ sagen. „Liebe Mutter! Was gehen mich deine Sorgen der Aufwartung und Bewirtung an!“ so etwa sagte freundlich lächelnd der Herr zu seiner Mutter. Und ernster werdend, fügte er hinzu: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, ein Wort, welches Maria wahrscheinlich zunächst nicht verstand.

Sie war jedenfalls durch die Antwort von Jesus gänzlich befriedigt. Aus dem Ton derselben hatte sie entnommen, dass er ihr helfen wolle. Darum sagt sie sofort zuversichtlich zu den Aufwärtern: „Was er euch sagt, das tut!“ An ein Wunder hat sie dabei natürlich nicht gedacht, denn sie hatte noch nie ein Wunder von ihm gesehen. Sie war über dasselbe ebenso erstaunt wie die übrigen Hochzeitsgäste, welche nachher noch lange die Weinkrüge umstanden haben mögen, welche auf so seltsame Weise gefüllt worden waren.

Im Gleichnis von der königlichen Hochzeit führt uns der Herr jeweils zu einem Hochzeitsmahl in großem Stil. (Mt 22,2-14). Es ist heute noch allgemeine Sitte, dass nicht die Eltern der Braut noch der Bräutigam die Hochzeit besorgen, sondern der Vater des Bräutigams oder dessen Stellvertreter. Darum beginnt der Herr: „Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte.“ Je höher der Rang des Hochzeitgebers ist, desto mehr entspricht es seiner Würde, recht viele Gäste einzuladen. Ist nun schon bei Privatleuten das Fest ein möglichst offenes, woran fast jeder teilnehmen kann, wieviel mehr ist dies der Fall, wenn einmal ein König seinem Sohn Hochzeit macht!

Natürlich hält es jedermann für eine Ehre und Freude, eingeladen zu sein. Und niemand wird sich’s zweimal sagen lassen, zu kommen. Man lässt alles stehen und liegen, Familie, Äcker, Vieh, Hantierung und kommt zur Hochzeit. An Zeitverlust denkt der Orientale nicht, kennt er doch kaum den Begriff der kostbaren Zeit. Wer darauf angewiesen ist, sein täglich Brot im Schweiß seines Angesichts zu verdienen, der geht umso lieber, denn hier hat er ja die ganze Zeit zu essen und zu trinken umsonst.

Jener König im Gleichnis hat alles zum Festmahl gerüstet. Die Ochsen für das Festmahl sind geschlachtet, das Haus geräumig gemacht, die Höfe geschmückt. In großen Kesseln im Hof brodeln und kochen die Schlachttiere und harren der Gäste. Die Knechte gehen, wie es auch die heutige Sitte noch erfordert, die Gäste zu rufen. Aber wer sollte es denken? Sie wollen nicht. Das ist für einen Orientalen geradezu undenkbar. Auch der König kann es noch nicht glauben, es muss ein Missverständnis sein. Er sendet nochmals hin, aber sie wollen wieder nicht. Sie hören die Einladung an, als ging es nicht zur Hochzeit am Königshof, sondern zum Frondienst. Eine schwerere Beleidigung konnten sie nach morgenländischer Auffassung dem freigebigen Hochzeitgeber nicht antun. Aber um ihrer Grobheit noch die Krone aufzusetzen, greifen sie einige der Diener, welche doch nur die freundliche Einladung überbringen wollten, verhöhnen sie oder schlagen sie tot.

Durch dies Gleichnis zeigt der Herr, dass er ein königliches Reich habe, in dessen Festsall zur höchsten Freude eingeladen wird. Zugleich zeigt er aber auch, dass, so unbegreiflich und fast undenkbar es sein mag, die ehrende und gütige Einladung aufs schändlichste und empörendste zurückgewiesen wird. Drastischer und einleuchtender konnte der Herr seinen morgenländischen Zuhörern die Feindschaft der Juden gegenüber der göttlichen Freundlichkeit gar nicht zeichnen. Ich hatte das Glück vielen zugedacht, sagt der Herr zu seinen Knechten, aber sie waren’s nicht wert.

Darum schickt er sie nun auf die Straße, zum Hochzeitsmahl einzuladen, wen sie finden. Und sie brachten alles herein, Böse und Gute, und die Tische wurden alle voll. In dem geräumigen Saal des Königsschlosses war eine große Zahl der im Orient üblichen Tische aufgestellt. Um sie lagerten die Gäste auf Teppichen und Polstern, von welchen sie sich beim Eintritt des Königs zur Begrüßung erhoben. Selbstverständlich erwartet man von einem jeden Gast, zumal bei einer königlichen Hochzeit, dass er in einem anständigen, reinen Anzug komme.

Nur kommen die Männer nicht in schwarz, welches man im Abendland wunderlicherweise für die geeignete Farbe hält, um festliche Freude auszudrücken. Vielmehr kommen sie in den farbenreichen, faltigen, oft feingestickten und seidenen Trachten, welche uns im Orient überall so geschmackvoll entgegentreten. So mag denn auch jene im Königssaal versammelte Gesellschaft einen überaus malerischen Anblick gegeben haben.

Viele Reisende und Ausleger erzählen zu diesem Gleichnis, dass im Morgenland die Sitte herrsche, dass der Gastgeber jedem Gast ein Feierkleid schenkt. Und man hat daraus die biblische Anwendung gezogen, dass auch im Reich Christi das Kleid der Gerechtigkeit umsonst geschenkt wird. Nur schade, dass im Morgenland selbst von dieser für die Gäste so angenehmen Sitte nichts bekannt ist. Einen solchen Luxus könnte sich ja kein Mensch leisten. Erst recht jener König nicht, welcher unvermutet alles Volk hereinbringen ließ, das auf den Landstraßen aufzutreiben war.

Auch wäre es dann ganz unverständlich, wie der König, als er hereinkam, die Gäste zu besehen, einen finden konnte, der kein hochzeitliches Kleid anhatte. Im Gegenteil betont dieses Gleichnis, dass jeder Eingeladene natürlicherweise verpflichtet ist, zum Hochzeitsmahl in entsprechender festlicher Kleidung zu erscheinen. Wer das nicht will oder kann, soll wegbleiben, um nicht den Hausherrn und die Festgesellschaft durch seinen ungebührlichen Anzug zu beleidigen.

Man hat eingewendet, dass durch die Bestreitung jenes angeblichen Gebrauchs „die eigentliche Spitze“ des Gleichnisses verloren gehe. Aber in diesem Fall würde der Herr in jenem Gleichnis uns zwar vieles mitteilen, nur nicht „die eigentliche Spitze“ desselben. Er würde sie ja ganz mit Stillschweigen übergehen. … Die Spitze des Gleichnisses besteht vielmehr darin, dass der Herr jedem die Verpflichtung zum Bewusstsein bringen wollte, in einem hochzeitlichen Kleid zu erscheinen.

Die Frage, woher sich jener Mann dasselbe hätte verschaffen sollen, wird hier gar nicht berührt. das steht auf anderen Blättern des Evangeliums geschrieben. Wie so oft geht auch hier die Sache über das Gleichnis hinaus. Denn allerdings wird denen, welche ernstlich darum bitten, das Feierkleid für die himmlische Hochzeit durch freie göttliche Gnade geschenkt.

Die Freuden der Hochzeit hat der Herr überhaupt mit sichtlicher Vorliebe zum Gleichnis himmlischer Dinge gemacht. Wenn jemand zum Hochzeitsmahl geladen ist und bis tief in die Nacht ausbleibt, so müssen seine Knechte warten, bis er zurückkommt. So sollen auch wir „gleich sein den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wenn er aufbrechen wird von der Hochzeit, auf dass, wenn er kommt und anklopfe, sie ihm bald auftun. Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet.“

Ja, sein ganzes Verhältnis zu der zu erlösenden Menschheit, den Grund seiner Menschwerdung und seines bittersten Leidens, hat er in die holde Poesie und Innigkeit des fröhlichsten, seligsten, irdischen Verhältnisses gekleidet, das der bräutlichen Liebe. In welche Tiefen seines Herzens lässt es uns daher ahnend hineinblicken, wenn er sagt: „Darum ist das Himmelreich gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte!“ Menschen sind seine gefangene Braut, die er mit mächtiger, kein Hemmnis achtender Liebe aus dumpfem Kerker erlöst und heimführt ins lichte Vaterhaus, wo die „Hochzeit des Lammes“ bereitet ist. Von diesem Hochzeitsmahl ist die Rede, wenn es in Offb 19,7, vgl. 9, heißt „Selig sind, die zu dem Abendmahl des Lammes berufen sind“

Hochzeit

(Hochzeit – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Hochzeiten“ in dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er hat seine Beobachtungen in den Jahren 1884 bis 89 gemacht.)

Zunächst wird die Braut in das Dorf ihres Bräutigams abgeholt. Oft ist sie kaum acht oder neun Jahre alt. Das kleine Ding sitzt dann droben auf einem hohem Kamel oder einem Maultier. Sie trägt einen gezückten Krummsäbel aufrecht in der Hand, den sie kaum tragen kann, weil er so lang ist wie das ganze kleine Bräutchen. Von ihr selbst sieht man dabei gar nichts, denn sie ist von oben bis unten in Tücher und Schleier eingehüllt, so dass man nur ein Häufchen Glück oder Unglück unter den Tüchern auf dem mächtigen Sattel droben sitzen sieht.

Um das Reittier herum aber tanzt, springt, singt und lärmt eine frohe Menschenmenge. Sie heben eine Art rhythmisches Geschrei an, denn Gesang kann man den Höllenlärm nicht nennen. Greise, Männer, Frauen, Kinder jubeln und springen um sie her. Der Vorsänger, welcher zugleich Festredner bei der ganzen Hochzeit ist, ruft einige rhythmische Worte, worauf das ganze Volk mit Händeklatschen und anmutigen Pantomimen seine Antwort ebenso kurz zurückruft. Wendet sich der vorausgehende Festordner, der zugleich als Tanzmeister fungiert, um und wirft seinen Säbel auf die Erde, so macht der ganze Zug Halt. Niemand darf den Säbel überschreiten, sondern singend tanzen die Männer, während das Volk ihrem Zuruf ebenso antwortet.

Jedes dieser Augenblickskinder, vom bejahrten Greis bis zu den kleinen Kindern, welche kaum mittrippeln können, ist bei solcher Gelegenheit so ganz der Lust und Freude hingegeben, und ein so kindliches Vergnügen, das von keiner Wolke am Himmel weiß, strahlt aus ihren Gesichtern, dass man in solchen Augenblicken kaum denken kann, dass man ein über die Maßen unterdrücktes und geknechtetes Volk vor sich hat.

Der erwähnte Festordner und Vorsänger ist jedesmal der beste Freund und Kamerad des Bräutigams. Wie der Taufpate, so heißt auch er „sch’bín“, wodurch sein besonders enges Verhältnis zu Bräutigam augedrückt werden soll. Er ordnet das ganze Fest an, leitet alle Zeremonien und setzt seinen ganzen Stolz darein, seinem Freund ein möglichst schönes, herrliches Fest zu bereiten. Niemand scheint an dem Glück der Brautleute so innigen Anteil zu nehmen, wie er. Und wenn er seinen Freund bei den Hochzeitsgesängen fröhlich mitjubeln hört, so strahlt sein Gesicht vor Vergnügen. Er freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Ist aber einmal die Braut dem Bräutigam zugeführt, so tritt auch er, der bisher die hervorragendste Rolle beim Fest gespielt hat, naturgemäß in den Hintergrund und entfernt sich mit den übrigen Verwandten und Festgästen.

Mit diesem Festordner verglich sich Johannes der Täufer, als einmal seine Jünger ihm klagten, dass sich das Volk mehr und mehr von ihm ab- und Jesus zuwende. Da antwortete er: Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutugams aber steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Jo 3,29-30.)

Bevor aber der Bräutigam die Braut erhält, muss er auch den Verwandten der Braut seine Geschenke geben. Das ist eine alte Sitte, welche wir schon von der Geschichte des Elieser her kennen. Oft wird vorher noch stundenlang in der widerwärtigsten Weise gehandelt, damit man möglichst viel Geld von dem Bräutigam herausschlägt, bis endlich dem Bräutigam die Braut zugeführt wird und die eigentliche Hochzeit beginnt.

Schon bei diesem Zug hat die Braut ihren vollen Brautschmuck an. Für diesen hat der Bräutigam zu sorgen. Und es ist ein Hauptgegenstand der Verhandlungen vor der Hochzeit, wie viel der Bräutigam der Braut an Schmuck liefern muss. Dieser Schmuck hat abgesehen von Fingerringen und Spangen meist einen sehr handgreiflichen Geldwert. Besteht er doch zum größten Teil aus Gold- oder Silbermünzen, welche sämtlich durchlöchert (aber trotzdem gangbar) an einem starken Bindfaden perlenschnurartig aneinander gereiht sind. Die meisten dieser Münzen werden an die eigentümliche, feste Mütze angeheftet, so dass sie Stirn und Gesicht wie ein Kranz umrahmen. Ein weißes, oft wunderfein gesticktes Tuch wallt über Mütze und Goldschmuck malerisch herab. Andere dieser Münzen dienen als Halskette, die bis an die Brust herabreicht, während die Arme mit schweren Spangen geschmückt sind.

Dieser Schmuck ist der größte Schatz der jungen Frau. So schwer er auch auf dem Haupt lastet, nie wird ihn die Frau ohne große Not aus der Hand geben. Selbst bei Nacht während des Schlafs, selbst während der Krankheit legt sie die drückende Last nicht ab. Nur bei Tag, so namentlich während des Trauertanzes bei Sterbefällen, legt sie denselben an einem sicheren Ort nieder. Daher klagt Jeremia mit einem so zutreffenden Vergleich (2,32). „Vergisst doch eine Jungfrau ihres Schmucks nicht, noch eine Braut ihres Schleiers. Aber mein Volk vergisst meiner ewiglich!“

Die eigentliche Hochzeitsfestlichkeit beginnt erst nach Sonnenuntergang, welchem in Palästina die Nacht rasch zu folgen pflegt. Da wird die Frau eingeholt mit lautem Jubelruf und Lichterglanz, welcher die Häuser in der dunklen Nacht seltsam beleuchtet. Glückwunschrufe tönen durch die Nacht. Verwandte und befreundete Frauen führen die Braut in ihr neues Heim, wo alsdann der Bräutigam erwartet wird. Von seinen Freunden und Verwandten umringt, erscheint derselbe endlich. Die Weiber eilen ihm mit Fackeln und Windlichtern und frohen Zurufen entgegen und bringen ihn zu seiner Braut. Kann man sich über den Geldpunkt nicht einigen, dauert es auch heute noch oft bis Mitternacht, ehe dieser Augenblick eintritt.

Diesen Moment hat der Herr im Auge, wenn er uns von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen erzählt. Er macht diese zu einem Gleichnis der Menschenkinder, welche allezeit wachen und auf den himmlischen Bräutigam warten sollen, die Lampen mit Öl gefüllt, damit sie nicht einst zu spät kommen und ausgeschlossen werden. (Mt 25,1.)

Ich habe diese Darstellung, welche mir von anderen Gegenden des Landes mitgeteilt wurde, zuerst gegeben, weil sie am meisten dem Gleichnis des Herrn entspricht. In Betlehem und dessen Umgegend findet sich diese Sitte nicht. Hier kommt am Abend, wenn die Sonne untergegangen und die Nacht hereingebrochen ist, eine Schar von Jungfrauen (nie verheiratete Frauen), sie tragen hohe Leuchter und fackeln in den Händen. es sind dies lange Stangen, um deren oberes Ende große, ganz mit Olivenöl gesättigte Lappen gewickelt sind. Diese brennenden Fackeln tragen sie in feierlichem Festzug bis zum Hochzeitshaus, wo sie mit den Fackeln allerlei Tänze und Reigen aufführen, bis dieselben erlöschen.

Dort dauert dann die Freude mit ihren Äußerungen eine Woche hindurch und lange in die Nacht hinein fort. Auch Simson hatte sieben Tage lang Hochzeit (Richt 14,12). Das ist in dieser Zeit ein Jubeln und Schallen durch die sternklaren Nächte! Oft können wir’s sehen und hören, wenn etwa in unserer Nachbarschaft einmal Hochzeit gefeiert wird. Fackelschein erhellt den Hof und die benachbarten Häuser. Pauken und Flöten erklingen über die Dächer und durch die Straßen der Stadt. Bald ziehen sie durch die Gassen, und in der Ferne verhallt nach und nach ihr Jauchzen. Bald ertönen ihre frohen Weisen in unmittelbarer Nähe aus dem Haus oder Hof der Hochzeit.

So sehr ist eine Hochzeit für den Orientalen der Inbegriff aller Freude, dass man dieselbe kurz „die Freude“ nennt. Die Hochzeitslieder sind dann „die Stimmen der Freude“. „Wie können die Hochzeitsleute Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist!“ fragt der Herr (Mt 9,15). Zur Zeit der Blüte Jerusalems hallte und schallte dieser frohe Reigen wohl jede Nacht durch die Straßen und über die Dächer Jerusalems hin. „Die Stimme der Freude“ nahm kein Ende bei dem glücklichen Volk, Paukenschall, Harfenton und jauchzender Hochzeitsreigen.

Wie traurig musste es daher den Propheten vorkommen, als es nach der Wegführung der Juden nach Babel so totenstill in Jerusalems Gassen wurde. „Die Freude der Pauke feiert“, so klagen sie. „Das Jauchzen der Fröhlichen ist aus, und die Freude der Harfen hat ein Ende. Der Herr hat von den Städten Judas und auf den Gassen Jerusalems weggenommen das Geschrei der Freude und Wonne und die Stimme des Bräutigams und der Braut!“ (Jes 24,8, Jer 7,34).

Verlobung

(Verlobung – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Hochzeiten“ im Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Beschrieben werden Zustände, wie sie in der Zeit von 1884 bis 1889 noch gewesen sind.)

Schon bei der Verlobung feiert man gewöhnlich ein Fest, und zwar ist bei den Christen eine kirchliche Feier damit verbunden. Neulich habe ich in Beit-Djála drei Paare verlobt. Fast das ganze Dorf war zugegen. Da das Haus natürlich zu klein war, alle Gäste zu fassen, stiegen wir auf die Dächer. Auf denen kann man bequem von einem Haus zum anderen hinübersteigen. Dort droben entfaltete sich eine kindliche Fröhlichkeit, sie „sangen und spielten vor dem Herrn“.

Die jungen Männer stellten sich in zwei Chören einander gegenüber und sangen Kriegs- und Hochzeitslieder, in welchen immer ein Chor dem anderen refrainartig antwortete. Der Gesang wurde taktmäßig mit Händeausbreiten, Klatschen, Niederbeugen auf die Erde und allerlei Pantomimen und Mienenspiel begleitet, welche den Inhalt des Gesangs nachdrücklicher hervorheben sollten. Die Frauen stimmten dazwischen hinein ihre Weisen an; eine Vorsängerin sang selbstersonnene Augenblicksgedichte, worauf der übrige Chorus antwortete. Die zwischenhinein von den Frauen angestimmten Triller (sagharít) hatten Ähnlichkeit mit dem Krähen eines Hahns.

Nachher hörte man eine Andacht über das Wort aus Hosea: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit! usw.“ Jeder Bräutigam gab mir dann einen in ein seidenes Kopftuch eingewickelten Taler. Das Tuch musste ich der Sitte gemäß während des Gebets zusammengefaltet in der Hand halten. Dann gab ich es dem Vater der Braut mit den Worten: „N. N., ich übergebe dir diesen Mandil (Kopftuch) mit seinem Inhalt zum Zeichen, dass deine Tochter N. N. von nun an mit N. N. verlobt ist.“

Nach der Verlobung darf der Bräutigam seine Braut offiziell nicht mehr sehen bis zur Hochzeitsnacht. Auch bei der obigen Verlobung wurde keine der drei Bräute mehr sichtbar. Freilich so hinterlistig sind die Väter nicht mehr wie einst Laban, welcher – mit Benutzung dieser alten Sitte – dem Jakob die Lea anstatt der Rahel gab. Das würde sich auch niemand mehr gefallen lassen. Tritt in dieser Zeit der Bräutigam in das Haus ein, wo seine Braut sich befindet, muss diese sich sofort entfernen. Oder sie muss sich wenigstens mit einem dichten Schleier verhüllen, welcher ihre Züge ganz unkenntlich macht. Von Rebekka heißt es, dass sie, sobald sie ihren Bräutigam Isaak kommen sah, ihren Mantel nahm und sich verhüllte, als sie hörte, dass der Nahende ihr Herr sei. (1 Mo 24,65.)

Allerdings steht die Braut bei ihrer Verlobung meistens in einem Alter, in welchem sie überhaupt bei der ganzen Verheiratung kaum etwas anderes näher berührt, als die Neuheit der Sache und die Aussicht auf schöne Kleider und Schmuckgegenstände. Ja, sie werden oft gar verlobt, ehe sie noch sprechen und gehen können.

Heirat

(Heirat – ein Teil des Kapitels „Hochzeiten“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Von 1884 bis 89 hat er seine Beobachtungen im damaligen Palästina gemacht.)

Die Hochzeit ist ein Fest ausgelassener Freude für alt und jung. Da bei den Muhammedanern die Vielweiberei herrscht, feiert ein Mann oft drei-, vier- oder fünfmal Hochzeit in seinem Leben. Indes haben die gewöhnlichen Leute selten mehr als eine oder zwei Frauen. Denn sie haben nicht die Mittel, mehrere zu ernähren. Die Berichte über die großen Harems passen nur auf eingeschränkte Kreise, denn es kommt selten vor, dass jemand mehr als vier Frauen hat. Man muss aber nicht denken, dass durch die Vielweiberei die Vermehrung des Volkes eine größere sei als bei den Christen. Im Gegenteil ist gerade die muhammedanische Bevölkerung in langsamer, aber stetiger Abnahme begriffen. Auch ist die Vielweiberei häufig die Ursache für die Verarmung eines Mannes. Anstatt eine erworbene Summe anzulegen, verwendet er sie meist zur Anschaffung einer neuen Frau, wodurch sowohl Hauswirtschaft als auch Hausfriede zu Grunde gehen.

Bei der Heirat fragt man bei den Muhammedanern das Mädchen niemals, ob sie N. N. als ihren Ehegemahl aus Gottes Hand hinnehmen wolle usw. Man verkauft sie eben an den, der am meisten Geld gibt. Nur mit der oben erwähnten Einschränkung, dass derjenige den Vorzug erhält, welcher aus der eigenen Sippe als Brautwerber auftritt. Aber auch der junge Mann hat meistens wenig zu sagen, wenn es sich um die Wahl seiner Braut handelt. Das besorgen lieber die Eltern oder deren Stellvertreter, ältere Brüder oder Onkel. Diese trauen sich in diesem Stück ein objektiveres und sichereres Urteil zu, als der heißspornige Jüngling oder Knabe, der doch nur nach Gesichtspunkten wählen würde, welche in ihren Augen höchst unwesentlich sind.

Zugleich wollen dieselben, weil sie die Heirat zustande bringen, auch ein Stück Geld bei der Partie verdienen. Auch Isaak dufte ja seine Braut nicht selbst wählen. Abraham legte dieses Geschäft vielmehr mit ruhige Gottvertrauen in die Hände seines treuen Knechtes Elieser. Die Braut hat noch viel weniger zu sagen. Das arme Mädchen muss sich eben kaufen und gewöhnlich noch einen höchst widerlichen Schacher mit sich treiben lassen.

Freilich scheint man im hohen Altertum noch edlere Sitten und Auffassungen gehabt zu haben. Rebekka z. B. wurde gefragt, ob sie mitziehen wolle, als Elieser seinen Auftrag dargetan hatte. (1 Mo 24,58.) Auch zahlte er keinen Preis für sie. Denn die herrlichen Geschenke, die er mitbrachte, gab er nicht ihren Eltern, sondern ihr selbst. Und sie, freudig gestimmt durch die großen und reichen Geschenke des freundlichen fremden Greises, noch mehr ermutigt und bewegt durch die Erzählung der wunderbaren Führung Gottes, die sie am Brunnen mit Elieser zusammengeführt hatte, antwortete mit einem fröhlichen Ja. Und so zog sie in die Ferne zu dem Mann ihrer Bestimmung.

Aber so lieblich und fein in den Wegen Gottes ging man schon damals nicht mehr. Schon Rahel und Lea beklagten sich über ihren Vater: „Sind wir nicht wie Fremde (Sklaven) geachtet worden: denn er hat uns verkauft.“ (1 Mo 31,15.) Die ganze Art, wie sich Jakob seine Frauen erwirbt, ist übrigens echt orientalisch. Sie entspricht durchaus auch den heute noch unter den Fellachen geltenden Sitten, obschon inzwischen 3000 bis 4000 Jahre verstrichen sind. Dass Jakob die Tochter seines Onkels etwa umsonst bekommen sollte, dieser abenteuerliche Gedanke ist ihm sicher ebensowenig gekommen, wie irgend einem Palästinenser unserer Tage. Bezahlen muss man eine zu verheiratende Tochter, wenn nicht in Geld, so doch durch andere Leistungen. Vielfach auch durch ein anderes Mädchen, etwa eine Schwester des Bräutigams, welche dann einem Bruder der Braut zur Frau gegeben wird.

Diesen uralten Sitten begegnen wir nicht nur bei dem Stamm der Hebräer, sondern auch bei den früheren Bewohnern des Landes, den Kanaanitern (1 Mo 34,12). Ja selbst das hebräische Wort, welches schon im grauen Altertum diesen Kaufpreis oder die Morgengabe bezeichnete, mohar (1 Mo 34,12; 2 Mo 22,16; 1 Sam 18,25), hat sich bis zum heutigen Tag in derselben Bedeutung im Mund der Bevölkerung des Landes erhalten (mahhr). Diese Sitten scheinen sich in Israel niemals geändert zu haben. Jedenfalls aber dürfen wir annehmen, dass, je besser der sittliche Zustand des Volkes Israel in den verschiedenen Perioden war, die idealen Gesichtspunkte trotz Beibehaltung der alten, selbstverständlichen Formen die materiellen durchaus überwogen.

Heute freilich kommen in Palästina bei den Muhammedanern, auch bei den meisten Christen der alten Kirchen, bezüglich der Heirat lediglich materielle Rücksichten in Betracht. Die Zuneigung und Liebe der Braut darf kein Wörtlein mitsprechen, wenn die materiellen Anerbietungen nicht genehm sind. Man mag das Mädchen wohl auch fagen: Willst du mit diesem Manne ziehen? Aber sie dürfte sich nicht unterstehen, Nein zu sagen, wenn die Eltern die Heirat wünschen. Oder es würde ihr wenigstens nichts helfen.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Der Mensch soll nach orientalischen Begriffen das Verhältnis zu seinem Weib als ein gegebenes betrachten, nicht als ein gewähltes. Man sich ja auch seinen Vater und seine Mutter, Geschwister und Kinder nicht auswählen, sondern muss sie eben nehmen, wie man sie bekommt und an ihnen viel Freude und viel Herzeleid erleben kann. Die Eltern und Vormünder wählen nach ihrer bewährten Erfahrung, und probatum est*, die Ehen sind meist „glücklich“. Schon vom achten bis zehnten Jahr an lernen sich so manchmal die Kinder als Mann und Frau ansehen und behandeln. Und sie müssen daran ebenso gut lernen, wie Geschwister lernen müssen, sich miteinander zu vertragen und einander lieb zu haben.

Die Sage erzählt, dass auch Maria, die Mutter von Jesus, bei ihrer Verlobung erst fünfzehn Jahre alt gewesen ist. Und gewiss ist dies nicht unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich haben wir uns dieselbe noch als eine ganz jugendliche Gestalt zu denken.

*es ist bewährt

Kurz und spitz

Kurz und spitz – ein Artikel von Sören Kierkegaard in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 23. August 1855.)

I

Das Christentum lässt sich vervollkommnen; es geht voran; und nun, nun hat man die Vollkommenheit erreicht. Was als Ideal erstrebt, was aber selbst in der ersten Zeit nur annähernd erreicht wurde: dass die Christen ein Volk von Priestern seien, – das ist nun vollkommen erreicht, besonders im Protestantismus, besonders in Dänemark. Wenn nämlich ein Priester das ist, was „wir“ darunter verstehen – ja, dann sind wir alle „Priester“!

II

Die Kanzel der prachtvollen Domkirche besteigt der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime General-Ober-Hof-Prädikant, der auserwählte Liebling der vornehmen Welt. Er tritt auf die Kanzel vor einem auserwählten Kreis auserwähler Personen und predigt gerührt über den von ihm selbst ausgewählten Text: „Das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt“ – und da ist niemand, der lacht.

III

Wenn ein Mann Zahnweh hat, sagt die Welt: „armer Mann“. Wenn einem Mann seine Frau untreu wird, sagt die Welt: „armer Mann“. Und wenn ein Mann in Geldverlegenheit ist, sagt die Welt: „armer Mann“. – Wenn es Gott gefällt, in geringer Knechtsgestalt in dieser Welt zu leiden, so sagt die Welt „armer Mensch“. Wenn ein Apostel bei seinem göttlichen Auftrag die Ehre hat, für die Wahrheit zu leiden, sagt die Welt: „armer Mensch“. Arme Welt!

IV

„Hatte der Apostel Paulus ein Amt?“ Nein, Paulus hatte kein Amt. „Verdiente er dann auf andere Weise viel Geld?“ Nein, er verdiente auf keine Weise Geld. „So war er doch wenigstens verheiratet?“ Nein, er war nicht verheiratet. „Dann ist ja Paulus gar kein ernsthafter Mann!“ Nein, Paulus ist kein ernsthafter Mann.

V

Als ein schwedischer Pfarrer sah, wie seine Zuhörer über seiner Rede in Tränen zerflossen, soll er ihnen folgende beruhigenden Worte zugerufen haben: „Weinet nicht, Kinder, das könnte alles miteinander gelogen sein!“

Warum sagt das der Pfarrer jetzt nicht mehr? Es ist nicht mehr nötig; wir wissen es alle schon – wir sind ja alle Priester. Aber deshalb können wir ja wohl weinen, und es müssen weder seine noch unsere Tränen deshalb gerade heuchlerisch sein. Nein, so wohlgemeint und wahr – wie im Theater.

VI

Als sich das Heidentum zersetzte, gab es auch Geistliche, Auguren genannt. Von diesen wird erzählt, dass der eine Augur den anderen nicht ansehen konnte, ohne zu lachen. In der Christenheit kann bald niemand mehr einen Geistlichen sehen und bald überhaupt kein Mensch mehr den anderen ansehen, ohne zu lachen – aber wir sind ja auch alle Priester.

VII

Ist es ein und dieselbe Lehre, wenn Christus zu dem reichen Jüngling sagt: „Verkaufe alles, was du hast – und gib’s den Armen!“ – und wenn der Pfarrer sagt: „Verkaufe alles, was du hast und – gib es mir!“

VIII

Das Genie ist wie das Donnerwetter: es geht gegen den Wind, schreckt die Menschen, reinigt die Luft. – Das Bestehende hat verschiedene Blitzableiter erfunden. Und es gelingt ihm. Ja, gewiss gelingt es ihm; es gelingt ihm, das nächste Donnerwetter desto ernstlicher zu machen.

IX

Man kann nicht von Nichts leben. das hört man so oft, besonders von Pfarrern. Und gerade die Pfarrer bringen das Kunststück fertig: das Christentum ist gar nicht da, – und doch leben sie davon.

Lieder

(Lieder – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Musik“ des Buchs von Ludwig Schneller „Kennst du das Land?„. Mit „heute noch“ beschreibt er die Zeit von 1884 bis 1889.)

Wenn zuweilen behauptet worden ist, dass weltliche Lieder in Israel nicht aufkommen konnten, sondern die Harfe Israels fast nur religiöse Gegenstände gekannt habe, so ist dies gewiss irrig. Man darf ja nur das Alte Testament aufschlagen, um das Gegenteil zu sehen. Wie unzählige Male ist hier von Jauchzen und Singen und Reigentanz die Rede! Bei jedem Volksfest, bei jeder Hochzeit, bei jedem Todesfall, in jedem Weinberg zur Zeit der Weinlese wurden Lieder angestimmt und der Reigentanz aufgeführt.

Und man wusste den Gesang wohl zu schätzen. „Wie ein Rubin in feinem Gold leuchtet,“ sagt Sirach, „also ziert ein Gesang das Mahl! Wie ein Smaragd in schönem Gold steht, also zieren die Lieder bei gutem Wein!“ (Sir 32,7-9.) Und Jesaja klagt von dem verödeten Land: „Die Freude der Pauken feiert, das Jauchzen der Fröhlichen ist aus!“ (Jes 24,8.) Und auch an Babels Wassern noch, nachdem die frohen Klänge in den heimatlichen Bergen verhallt waren, konnten Israels Gefangene nicht von ihren Harfen lassen, den Gespielen froher Tage. Sie hingen sie an die Weiden und weinten. (Ps 137,2).

Aber aufbewahrt ist uns von den weltlichen Volksliedern fast nichts. Kurze Freuden- und Schmerzenslaute waren es, die unmittelbar aus vollem Herzen hervorströmten. Sie waren vielfach Kinder des Augenblicks, wie die beiden aufgeführten Lieder der Mirjam und der Weiber Israels. Man achtete sie nicht für Wert, sie gleich den heiligen Psalmen aufzubewahren. So ist es geschehen, dass uns von einem Volk, dessen lebendiger Herzschlag Gesang und Poesie war, dessen bilderreiche Sprache selbst schon Poesie ist, in dessen heiligen Schriften hundert Aufforderungen stehen, zu singen, zu jauchzen, zu preisen, so wenige Volkslieder übriggeblieben sind. Man konnte sogar auf die Meinung kommen, es wäre gesangsarm gewesen.

In Palästinas Bergen sind sie verklungen, alle jenen fröhlichen Lieder, die Jubellaute der Hochzeit, „die Stimme des Bräutigams und der Braut“ (Jer 7,34; 16,9; Offb 18,23), die jauchzenden Klänge der Erntezeit, die frohen Lieder, welche nachts durch die Weinberge ertönten. Die güldene Quelle ist verlaufen und „entschlafen alle Töchter des Gesangs.“ (Pred 12,4.)

Aber die Perlen jener Dichtung, die Psalmen, tönen fort durch die Jahrhunderte. Und die Nachkommen jenes Volksgesangs hört man heute noch auf den Bergen. Freilich so kunstvoll wie unsere heutigen Lieder waren jene Gesänge nicht. Aber wer lebendigen Sinn hat für edle heilige Einfalt, der muss an jenen köstlichen Psalmen mehr Geschmack finden, als an den Wettgesängen der Hellenen mit ihrem wundervollen Ebenmaß und Wohllaut. „Die Musik eines griechischen Virtuosen“, sagt der Wandsbecker Bote, „der in den griechischen Spielen mehr als einmal den Preis erhalten hatte, verhält sich zu den Psalmen Davids ungefähr wie ein Solo eines leichtfüßigen Gecken, der aber ein großer Tänzer ist, zu dem Tanz des Mannes Gottes vor der Bundeslade her.“

Und es soll niemand denken, dass diese einfachen rhythmischen Gesänge, welche eben nur die allernotwendigsten Bewegungen einer Melodie haben, nicht fähig wären, Schmerz oder Freude in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr ist dieses gemeinsame pathetische Singen oder Sprechen (bei welchem natürlich alle dieselbe Höhe des Tones einhalten) in aller seiner Einfachheit ein getreuer Spiegel der Empfindungen der Sänger. Bei frohen Liedern, Sieges-, Hochzeits-, Festgesängen, erhebt sich die Stimme naturgemäß bei der ersten Zeile in raschem Rhythmus. In der zweiten Zeile senkt sie sich etwas in melodischem Tonfall.

Ganz anders sind die Klagelieder. Sie haben oft etwas ungemein Rührendes und Ergreifendes. Wer sie einmal gehört hat, wird sie nicht wieder vergessen. Auch hier ist alles Gefühl, alles Natur, alles unmittelbarer Erguss des Herzens. Wie bei den Weinenden beginnt die Zeile in einer gewissen Tonhöhe. Aber ihre Schmerzenslaute senken sich rasch in traurigem Tonfall, als sollte alle Freude und Hoffnung dahinsterben, alles Licht des Lebens für immer verlöschen.

Die Hauptdichter waren augenblickliche Freude und augenblicklicher Schmerz. Und wer wollte leugnen, dass gerade in den Augenblicksgedichten wirklich ein Stück lebendigster, unmittelbarster Poesie der Volksseele liegt? Dass da etwas zum Ausdruck kommt, was bei uns verloren geht, die wir nur auswendig gelernte oder abgelesene Lieder singen? So war dennn Israel ein sangesfrohes, liederreiches Volk, wie irgend ein anderes. Sie hatten keine schönen Melodien, sie suchten keine künstlichen Silbenmaße. Sie antworteten und jauchzten einander zu, sie tanzten einander entgegen. Und sie weinten und klagten „gegen einander“, so dass eine Klage und eine Träne gewissermaßen die andere weckte und hervorlockte.

Ihre verlorenen Volkslieder waren voll dramatischen Lebens, gleich den noch vorhandenen Psalmen, und viele derselben ebenso rasch vergehend, wie entstehend. Anspruchslose Blumen auf Feld und Heide waren sie, voll Leben und Poesie. Mit dem Volk blühten und verwelkten sie. Der Wind wehte drüber und verstürmte Israel – und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Sie sind verhallt und verklungen in den Lüften. Aber des Herrn Wort, welches durch Psalter und Harfe Israels rauschte, ist geblieben und bleibt in Ewigkeit.

… Speziell über die Musik lassen uns die Propheten und die Offenbarung Johannis nicht im Zweifel, dass sie in der verklärten Welt eine hervorragende Rolle spielen wird. … Mit Palmen in den Händen gleich den Festbesuchern Israels (Offb 7), mit weißen Kleidern und Harfen in den Händen, gleich den levitischen Sängern des Tempels (Offb 7 und 19), so stehen sie in Gottes neuer Welt und singen, wie einst im Jehovatempel, ihre Gesänge in wechselnden Chören. (Offb 4,8-11; 5,9-14; 7,9-12; 19,1-7).

Und wie einst in Israels Tempel, so schallt auch dort noch das große Wort des Fest-Hallel (Ps 113-118; 135 und 136), angestimmt von großen Scharen aus allen Völkern und Zungen, von himmlischen und irdischen Geschöpfen und aller Kreatur (Offb 5,9f.), mit einer alle irdischen alten und neuen Instrumente übertönenden und überstrahlenden Musik, „wie eine Stimme großer Wasser, und wie eine Stimme starker Donner“ jubelnd durch die Himmel und die Länder der verklärten Erde: „Hallelujah!“

Musikinstrumente

(Musikinstrumente – ein Teil des Kapitels „Musik“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Es beschreibt die Zeit zwischen 1884 bis 89 im damaligen Palästina.)

Das Bedürfnis einer Begleitung des Gesangs regte sich des Takts wegen schon früh. Die einfachste und ursprünglichste und heute noch gebräuchliche Begleitung war Händeklatschen. Und dieses ließ sich leicht in ein tönendes Aneinanderschlagen klingender Metalle (wie Pauke, Zimbel, Triangel) verwandeln. Später kamen auch andere Musikinstrumente hinzu, welche die Hirten zu allen Zeiten auf einsamer Weidetrift zu spielen liebten. Die entwickelte Davidische Psalmenmusik kannte zahlreiche Instrumente. Aber auch hier werden wir nicht an kunstgerechte Harmonien denken dürfen. Diese liegen einmal nicht in der Natur des Orientalen. Ein mächtiges Tönen in helleren oder dumpferen Klängen dient ihm als geeigneter Ausdruck seiner Freude wie seines Schmerzes. Die Begleitung durch Musikinstrumente spielte übrigens stets eine mehr untergeordnete Rolle, der Gesang blieb stets die Hauptsache. …

Erst neulich hörte ich gelegentlich einer Hochzeit einen Volkssänger (Scha’ir) seine Lieder vortragen. Kriegs-, Hochzeits-, Liebeslieder sang er mit bewundernswerter Ausdauer stundenlang bis tief in die Nacht hinein, während die Hochzeitsgesellschaft andächtig lauschte. Nur wurde zuweilen ein froher Reigentanz eingeschoben. Wie sang aber der Sänger? Er hatte eine Geige oder eine Art Violoncello in der Hand. (Andere haben auch eine Harfe oder die aus Schilfrohr oder Pelikans- oder Geiersknochen gefertigte Flöte oder Hirtenpfeife …) Aber niemals diente ihm sein Instrument zu gleichzeitiger Begleitung seines Gesangs. Sobald er indessen eine Pause machte, fiel er unverzüglich mit der Geige ein, welcher er allerlei dem Impuls des Augenblicks entsprechende Töne entlockte. … Doch schienen diese zum Charakter des ganzen Gesangs gut zu passen, nicht selten einem Jauchzen oder Weinen gleich, welches noch keine deutlichen Worte finden kann.

Wahrscheinlich bewegte sich die Instrumentalmusik der Israeliten in ähnlichen Formen. Dieselbe war dort eine stehende Begleitung des Psalmengesangs. Aber ihr Spiel war stets nur Vor-, Nach- und Zwischenspiel. Ein Orientale, der mit europäischem Gesang noch nicht vertraut ist, würde auch heute nicht begreifen, wozu man diesen Chorgesang durch gleichzeitien Schall von Instrumenten stört und unverständlich macht.

Freilich, das laute rhythmische Singen der Psalmen unter freiem Himmel in den Vorhöfen des Tempels, welches man, wie einige Male erwähnt, sogar weit auf den umliegenden Bergen Jerusalems hörte (z. B. Neh 12,43), hätte sich durch den Klang von Zithern und Harfen wohl wenig beeinträchtigen lassen. Denn der sanfte Saitenklang wäre in diesem Gesang, bei welchem namentlich in der ersten Zeit, aber auch noch nach der babylonischen Gefangenschaft durchaus nicht immer nur die Leviten, sondern oft auch das ganze anwesende Volk tätig war (1 Chron 17,36; Esra 3,10-11; Neh 12,43), ganz und gar verhallt. Und auch aus diesem Grund schon kann an eine Begleitung in unserem Sinne nicht gedacht werden. Die Saitenspiele bildeten vielmehr die Ouvertüre und das Finale. Und auch in den Pausen ließen sie ihre lieblichen Stimmen erschallen, zur Andacht auffordernd.

An ein harmonisches Zusammentönen verschiedenartiger Musikinstrumente, wie in unserem Orchester, ist auch nicht zu denken. Denn dazu wäre die Kenntnis der Noten unentbehrlich gewesen. Die Psalmenüberschriften zeigen uns vielmehr, dass man zu einem Psalm stets nur ein Instrument gespielt hat. Meistens wendete man ein „Saitenspiel“ an. Das war die Zither, das Lieblingsinstrument Davids (1 Sam 16,16.23) oder die mit mehr oder weniger zahlreichen Saiten bezogene Harfe. Nur einmal (Psalm 5,2) wird ein Flötenspiel zur Psalmenbegleitung vorgeschrieben.

War somit eine Mehrstimmigkeit verschiedener Instrumente ebenso wenig bekannt wie mehrstimmiger Gesang, so wurde es doch als ein besonderes Lob wohlgelungener Musik angesehen, wenn eine möglichst reine Gleichstimmigkeit erzielt wurde. Daher lesen wir 2 Chr 5,12f., dass die Leviten unter Asaf, Heman und Jedutun „sangen mit Zimbeln, Harfen und Zithern. Bei ihnen waren 120 Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete. Und sie sangen, als hörte man eine Stimme, zu loben und zu danken dem Herrn.“

Ist nun unsere Vermutung richtig, dass die Instrumentalmusik nur dann ertönte, wenn der Gesang schwieg, so wird uns das in den Psalmen so häufig gebrauchte Wort „Sela“ um so leichter verständlich werden. Dieser seit alter Zeit verschieden aufgefasste Ausdruck wird heute als Zeichen entweder für „Pause“ oder für „Zwischenspiel“ angesehen. Sachlich ist nach der obigen Ausführung beides richtig. Denn danach bedeutet eben jede Pause zugleich ein Zwischenspiel, sobald Instrumente zur Begleitung des Gesangs da sind. Alle Psalmen, in denen Sela vorkommt, sind durch ihre Überschrift ausdrücklich für den öffentlichen Tempelgottesdient bestimmt. Und so ist auch zweifellos, dass dieselben mit Instrumentalmusik begleitet wurden.

Die einzigen Musikinstrumente, welche den Gesang gleichzeitig begleiteten, besonders wenn derselbe mit Reigentanz verbunden war, sind die taktangebenden wie Pauke, Zimbel, Triangel, Schellen. Wir lesen 1 Chr 16,19, dass die drei Musikdirektoren des Tempels, Asaf, Heman und Jedutun, die Pauken in der Hand hatten, um Takt und Tempo damit zu beherrschen. So scheint es auch nach Ps 81,3, dass man zuerst den Gesang mit Begleitung der Pauken anstimmte. Dann erst erschollen die sanften Töne lieblicher Zithern und Harfen“, wobei wohl auch die lärmenden Taktinstrumente verstummten.

Nach 1 Chr 15 bestand das Tempelorchester aus acht Harfen höherer Stimmung und sechs um eine Oktave niedrigeren Zithern. Zu Jesu Zeiten wurde die Musik im herodianischen Tempel von zwei Harfenisten, neun Zitherspielern und einem Dirigenten mit der Zimbel ausgeführt. Wenn nun der Gesang an einer mit Sela bezeichneten Stelle ankam, an welcher demnach der Dichter eine Pause für das Saitenspiel vorschrieb, so gab wahrscheinlich der Dirigent, welcher auch sonst nach Gutdünken Pausen eintreten lassen konnte, ein besonderes Zeichen mit seinen metallenen Pauken, worauf die Sänger inne hielten. So wurde Sängern und Zuhörern Zeit gegeben, sich beim Klang der Saitenspiele dem zuletzt ausgesprochenen Gedanken hinzugeben und denselben auf sich wirken zu lassen. Fassen wir Sela so auf, so finden wir uns wiederum im Einklang mit orientalischen Gebräuchen, wie sie sich, ob auch nur in kümmerlichen Überresten, bis heute in Palästina erhalten haben.

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