Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Heirat

Hochzeit

(Hochzeit – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Hochzeiten“ in dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er hat seine Beobachtungen in den Jahren 1884 bis 89 gemacht.)

Zunächst wird die Braut in das Dorf ihres Bräutigams abgeholt. Oft ist sie kaum acht oder neun Jahre alt. Das kleine Ding sitzt dann droben auf einem hohem Kamel oder einem Maultier. Sie trägt einen gezückten Krummsäbel aufrecht in der Hand, den sie kaum tragen kann, weil er so lang ist wie das ganze kleine Bräutchen. Von ihr selbst sieht man dabei gar nichts, denn sie ist von oben bis unten in Tücher und Schleier eingehüllt, so dass man nur ein Häufchen Glück oder Unglück unter den Tüchern auf dem mächtigen Sattel droben sitzen sieht.

Um das Reittier herum aber tanzt, springt, singt und lärmt eine frohe Menschenmenge. Sie heben eine Art rhythmisches Geschrei an, denn Gesang kann man den Höllenlärm nicht nennen. Greise, Männer, Frauen, Kinder jubeln und springen um sie her. Der Vorsänger, welcher zugleich Festredner bei der ganzen Hochzeit ist, ruft einige rhythmische Worte, worauf das ganze Volk mit Händeklatschen und anmutigen Pantomimen seine Antwort ebenso kurz zurückruft. Wendet sich der vorausgehende Festordner, der zugleich als Tanzmeister fungiert, um und wirft seinen Säbel auf die Erde, so macht der ganze Zug Halt. Niemand darf den Säbel überschreiten, sondern singend tanzen die Männer, während das Volk ihrem Zuruf ebenso antwortet.

Jedes dieser Augenblickskinder, vom bejahrten Greis bis zu den kleinen Kindern, welche kaum mittrippeln können, ist bei solcher Gelegenheit so ganz der Lust und Freude hingegeben, und ein so kindliches Vergnügen, das von keiner Wolke am Himmel weiß, strahlt aus ihren Gesichtern, dass man in solchen Augenblicken kaum denken kann, dass man ein über die Maßen unterdrücktes und geknechtetes Volk vor sich hat.

Der erwähnte Festordner und Vorsänger ist jedesmal der beste Freund und Kamerad des Bräutigams. Wie der Taufpate, so heißt auch er „sch’bín“, wodurch sein besonders enges Verhältnis zu Bräutigam augedrückt werden soll. Er ordnet das ganze Fest an, leitet alle Zeremonien und setzt seinen ganzen Stolz darein, seinem Freund ein möglichst schönes, herrliches Fest zu bereiten. Niemand scheint an dem Glück der Brautleute so innigen Anteil zu nehmen, wie er. Und wenn er seinen Freund bei den Hochzeitsgesängen fröhlich mitjubeln hört, so strahlt sein Gesicht vor Vergnügen. Er freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Ist aber einmal die Braut dem Bräutigam zugeführt, so tritt auch er, der bisher die hervorragendste Rolle beim Fest gespielt hat, naturgemäß in den Hintergrund und entfernt sich mit den übrigen Verwandten und Festgästen.

Mit diesem Festordner verglich sich Johannes der Täufer, als einmal seine Jünger ihm klagten, dass sich das Volk mehr und mehr von ihm ab- und Jesus zuwende. Da antwortete er: Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutugams aber steht und hört ihm zu und freut sich hoch über des Bräutigams Stimme. Diese meine Freude ist nun erfüllt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Jo 3,29-30.)

Bevor aber der Bräutigam die Braut erhält, muss er auch den Verwandten der Braut seine Geschenke geben. Das ist eine alte Sitte, welche wir schon von der Geschichte des Elieser her kennen. Oft wird vorher noch stundenlang in der widerwärtigsten Weise gehandelt, damit man möglichst viel Geld von dem Bräutigam herausschlägt, bis endlich dem Bräutigam die Braut zugeführt wird und die eigentliche Hochzeit beginnt.

Schon bei diesem Zug hat die Braut ihren vollen Brautschmuck an. Für diesen hat der Bräutigam zu sorgen. Und es ist ein Hauptgegenstand der Verhandlungen vor der Hochzeit, wie viel der Bräutigam der Braut an Schmuck liefern muss. Dieser Schmuck hat abgesehen von Fingerringen und Spangen meist einen sehr handgreiflichen Geldwert. Besteht er doch zum größten Teil aus Gold- oder Silbermünzen, welche sämtlich durchlöchert (aber trotzdem gangbar) an einem starken Bindfaden perlenschnurartig aneinander gereiht sind. Die meisten dieser Münzen werden an die eigentümliche, feste Mütze angeheftet, so dass sie Stirn und Gesicht wie ein Kranz umrahmen. Ein weißes, oft wunderfein gesticktes Tuch wallt über Mütze und Goldschmuck malerisch herab. Andere dieser Münzen dienen als Halskette, die bis an die Brust herabreicht, während die Arme mit schweren Spangen geschmückt sind.

Dieser Schmuck ist der größte Schatz der jungen Frau. So schwer er auch auf dem Haupt lastet, nie wird ihn die Frau ohne große Not aus der Hand geben. Selbst bei Nacht während des Schlafs, selbst während der Krankheit legt sie die drückende Last nicht ab. Nur bei Tag, so namentlich während des Trauertanzes bei Sterbefällen, legt sie denselben an einem sicheren Ort nieder. Daher klagt Jeremia mit einem so zutreffenden Vergleich (2,32). „Vergisst doch eine Jungfrau ihres Schmucks nicht, noch eine Braut ihres Schleiers. Aber mein Volk vergisst meiner ewiglich!“

Die eigentliche Hochzeitsfestlichkeit beginnt erst nach Sonnenuntergang, welchem in Palästina die Nacht rasch zu folgen pflegt. Da wird die Frau eingeholt mit lautem Jubelruf und Lichterglanz, welcher die Häuser in der dunklen Nacht seltsam beleuchtet. Glückwunschrufe tönen durch die Nacht. Verwandte und befreundete Frauen führen die Braut in ihr neues Heim, wo alsdann der Bräutigam erwartet wird. Von seinen Freunden und Verwandten umringt, erscheint derselbe endlich. Die Weiber eilen ihm mit Fackeln und Windlichtern und frohen Zurufen entgegen und bringen ihn zu seiner Braut. Kann man sich über den Geldpunkt nicht einigen, dauert es auch heute noch oft bis Mitternacht, ehe dieser Augenblick eintritt.

Diesen Moment hat der Herr im Auge, wenn er uns von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen erzählt. Er macht diese zu einem Gleichnis der Menschenkinder, welche allezeit wachen und auf den himmlischen Bräutigam warten sollen, die Lampen mit Öl gefüllt, damit sie nicht einst zu spät kommen und ausgeschlossen werden. (Mt 25,1.)

Ich habe diese Darstellung, welche mir von anderen Gegenden des Landes mitgeteilt wurde, zuerst gegeben, weil sie am meisten dem Gleichnis des Herrn entspricht. In Betlehem und dessen Umgegend findet sich diese Sitte nicht. Hier kommt am Abend, wenn die Sonne untergegangen und die Nacht hereingebrochen ist, eine Schar von Jungfrauen (nie verheiratete Frauen), sie tragen hohe Leuchter und fackeln in den Händen. es sind dies lange Stangen, um deren oberes Ende große, ganz mit Olivenöl gesättigte Lappen gewickelt sind. Diese brennenden Fackeln tragen sie in feierlichem Festzug bis zum Hochzeitshaus, wo sie mit den Fackeln allerlei Tänze und Reigen aufführen, bis dieselben erlöschen.

Dort dauert dann die Freude mit ihren Äußerungen eine Woche hindurch und lange in die Nacht hinein fort. Auch Simson hatte sieben Tage lang Hochzeit (Richt 14,12). Das ist in dieser Zeit ein Jubeln und Schallen durch die sternklaren Nächte! Oft können wir’s sehen und hören, wenn etwa in unserer Nachbarschaft einmal Hochzeit gefeiert wird. Fackelschein erhellt den Hof und die benachbarten Häuser. Pauken und Flöten erklingen über die Dächer und durch die Straßen der Stadt. Bald ziehen sie durch die Gassen, und in der Ferne verhallt nach und nach ihr Jauchzen. Bald ertönen ihre frohen Weisen in unmittelbarer Nähe aus dem Haus oder Hof der Hochzeit.

So sehr ist eine Hochzeit für den Orientalen der Inbegriff aller Freude, dass man dieselbe kurz „die Freude“ nennt. Die Hochzeitslieder sind dann „die Stimmen der Freude“. „Wie können die Hochzeitsleute Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist!“ fragt der Herr (Mt 9,15). Zur Zeit der Blüte Jerusalems hallte und schallte dieser frohe Reigen wohl jede Nacht durch die Straßen und über die Dächer Jerusalems hin. „Die Stimme der Freude“ nahm kein Ende bei dem glücklichen Volk, Paukenschall, Harfenton und jauchzender Hochzeitsreigen.

Wie traurig musste es daher den Propheten vorkommen, als es nach der Wegführung der Juden nach Babel so totenstill in Jerusalems Gassen wurde. „Die Freude der Pauke feiert“, so klagen sie. „Das Jauchzen der Fröhlichen ist aus, und die Freude der Harfen hat ein Ende. Der Herr hat von den Städten Judas und auf den Gassen Jerusalems weggenommen das Geschrei der Freude und Wonne und die Stimme des Bräutigams und der Braut!“ (Jes 24,8, Jer 7,34).

Verlobung

(Verlobung – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Hochzeiten“ im Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Beschrieben werden Zustände, wie sie in der Zeit von 1884 bis 1889 noch gewesen sind.)

Schon bei der Verlobung feiert man gewöhnlich ein Fest, und zwar ist bei den Christen eine kirchliche Feier damit verbunden. Neulich habe ich in Beit-Djála drei Paare verlobt. Fast das ganze Dorf war zugegen. Da das Haus natürlich zu klein war, alle Gäste zu fassen, stiegen wir auf die Dächer. Auf denen kann man bequem von einem Haus zum anderen hinübersteigen. Dort droben entfaltete sich eine kindliche Fröhlichkeit, sie „sangen und spielten vor dem Herrn“.

Die jungen Männer stellten sich in zwei Chören einander gegenüber und sangen Kriegs- und Hochzeitslieder, in welchen immer ein Chor dem anderen refrainartig antwortete. Der Gesang wurde taktmäßig mit Händeausbreiten, Klatschen, Niederbeugen auf die Erde und allerlei Pantomimen und Mienenspiel begleitet, welche den Inhalt des Gesangs nachdrücklicher hervorheben sollten. Die Frauen stimmten dazwischen hinein ihre Weisen an; eine Vorsängerin sang selbstersonnene Augenblicksgedichte, worauf der übrige Chorus antwortete. Die zwischenhinein von den Frauen angestimmten Triller (sagharít) hatten Ähnlichkeit mit dem Krähen eines Hahns.

Nachher hörte man eine Andacht über das Wort aus Hosea: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit! usw.“ Jeder Bräutigam gab mir dann einen in ein seidenes Kopftuch eingewickelten Taler. Das Tuch musste ich der Sitte gemäß während des Gebets zusammengefaltet in der Hand halten. Dann gab ich es dem Vater der Braut mit den Worten: „N. N., ich übergebe dir diesen Mandil (Kopftuch) mit seinem Inhalt zum Zeichen, dass deine Tochter N. N. von nun an mit N. N. verlobt ist.“

Nach der Verlobung darf der Bräutigam seine Braut offiziell nicht mehr sehen bis zur Hochzeitsnacht. Auch bei der obigen Verlobung wurde keine der drei Bräute mehr sichtbar. Freilich so hinterlistig sind die Väter nicht mehr wie einst Laban, welcher – mit Benutzung dieser alten Sitte – dem Jakob die Lea anstatt der Rahel gab. Das würde sich auch niemand mehr gefallen lassen. Tritt in dieser Zeit der Bräutigam in das Haus ein, wo seine Braut sich befindet, muss diese sich sofort entfernen. Oder sie muss sich wenigstens mit einem dichten Schleier verhüllen, welcher ihre Züge ganz unkenntlich macht. Von Rebekka heißt es, dass sie, sobald sie ihren Bräutigam Isaak kommen sah, ihren Mantel nahm und sich verhüllte, als sie hörte, dass der Nahende ihr Herr sei. (1 Mo 24,65.)

Allerdings steht die Braut bei ihrer Verlobung meistens in einem Alter, in welchem sie überhaupt bei der ganzen Verheiratung kaum etwas anderes näher berührt, als die Neuheit der Sache und die Aussicht auf schöne Kleider und Schmuckgegenstände. Ja, sie werden oft gar verlobt, ehe sie noch sprechen und gehen können.

Heirat

(Heirat – ein Teil des Kapitels „Hochzeiten“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Von 1884 bis 89 hat er seine Beobachtungen im damaligen Palästina gemacht.)

Die Hochzeit ist ein Fest ausgelassener Freude für alt und jung. Da bei den Muhammedanern die Vielweiberei herrscht, feiert ein Mann oft drei-, vier- oder fünfmal Hochzeit in seinem Leben. Indes haben die gewöhnlichen Leute selten mehr als eine oder zwei Frauen. Denn sie haben nicht die Mittel, mehrere zu ernähren. Die Berichte über die großen Harems passen nur auf eingeschränkte Kreise, denn es kommt selten vor, dass jemand mehr als vier Frauen hat. Man muss aber nicht denken, dass durch die Vielweiberei die Vermehrung des Volkes eine größere sei als bei den Christen. Im Gegenteil ist gerade die muhammedanische Bevölkerung in langsamer, aber stetiger Abnahme begriffen. Auch ist die Vielweiberei häufig die Ursache für die Verarmung eines Mannes. Anstatt eine erworbene Summe anzulegen, verwendet er sie meist zur Anschaffung einer neuen Frau, wodurch sowohl Hauswirtschaft als auch Hausfriede zu Grunde gehen.

Bei der Heirat fragt man bei den Muhammedanern das Mädchen niemals, ob sie N. N. als ihren Ehegemahl aus Gottes Hand hinnehmen wolle usw. Man verkauft sie eben an den, der am meisten Geld gibt. Nur mit der oben erwähnten Einschränkung, dass derjenige den Vorzug erhält, welcher aus der eigenen Sippe als Brautwerber auftritt. Aber auch der junge Mann hat meistens wenig zu sagen, wenn es sich um die Wahl seiner Braut handelt. Das besorgen lieber die Eltern oder deren Stellvertreter, ältere Brüder oder Onkel. Diese trauen sich in diesem Stück ein objektiveres und sichereres Urteil zu, als der heißspornige Jüngling oder Knabe, der doch nur nach Gesichtspunkten wählen würde, welche in ihren Augen höchst unwesentlich sind.

Zugleich wollen dieselben, weil sie die Heirat zustande bringen, auch ein Stück Geld bei der Partie verdienen. Auch Isaak dufte ja seine Braut nicht selbst wählen. Abraham legte dieses Geschäft vielmehr mit ruhige Gottvertrauen in die Hände seines treuen Knechtes Elieser. Die Braut hat noch viel weniger zu sagen. Das arme Mädchen muss sich eben kaufen und gewöhnlich noch einen höchst widerlichen Schacher mit sich treiben lassen.

Freilich scheint man im hohen Altertum noch edlere Sitten und Auffassungen gehabt zu haben. Rebekka z. B. wurde gefragt, ob sie mitziehen wolle, als Elieser seinen Auftrag dargetan hatte. (1 Mo 24,58.) Auch zahlte er keinen Preis für sie. Denn die herrlichen Geschenke, die er mitbrachte, gab er nicht ihren Eltern, sondern ihr selbst. Und sie, freudig gestimmt durch die großen und reichen Geschenke des freundlichen fremden Greises, noch mehr ermutigt und bewegt durch die Erzählung der wunderbaren Führung Gottes, die sie am Brunnen mit Elieser zusammengeführt hatte, antwortete mit einem fröhlichen Ja. Und so zog sie in die Ferne zu dem Mann ihrer Bestimmung.

Aber so lieblich und fein in den Wegen Gottes ging man schon damals nicht mehr. Schon Rahel und Lea beklagten sich über ihren Vater: „Sind wir nicht wie Fremde (Sklaven) geachtet worden: denn er hat uns verkauft.“ (1 Mo 31,15.) Die ganze Art, wie sich Jakob seine Frauen erwirbt, ist übrigens echt orientalisch. Sie entspricht durchaus auch den heute noch unter den Fellachen geltenden Sitten, obschon inzwischen 3000 bis 4000 Jahre verstrichen sind. Dass Jakob die Tochter seines Onkels etwa umsonst bekommen sollte, dieser abenteuerliche Gedanke ist ihm sicher ebensowenig gekommen, wie irgend einem Palästinenser unserer Tage. Bezahlen muss man eine zu verheiratende Tochter, wenn nicht in Geld, so doch durch andere Leistungen. Vielfach auch durch ein anderes Mädchen, etwa eine Schwester des Bräutigams, welche dann einem Bruder der Braut zur Frau gegeben wird.

Diesen uralten Sitten begegnen wir nicht nur bei dem Stamm der Hebräer, sondern auch bei den früheren Bewohnern des Landes, den Kanaanitern (1 Mo 34,12). Ja selbst das hebräische Wort, welches schon im grauen Altertum diesen Kaufpreis oder die Morgengabe bezeichnete, mohar (1 Mo 34,12; 2 Mo 22,16; 1 Sam 18,25), hat sich bis zum heutigen Tag in derselben Bedeutung im Mund der Bevölkerung des Landes erhalten (mahhr). Diese Sitten scheinen sich in Israel niemals geändert zu haben. Jedenfalls aber dürfen wir annehmen, dass, je besser der sittliche Zustand des Volkes Israel in den verschiedenen Perioden war, die idealen Gesichtspunkte trotz Beibehaltung der alten, selbstverständlichen Formen die materiellen durchaus überwogen.

Heute freilich kommen in Palästina bei den Muhammedanern, auch bei den meisten Christen der alten Kirchen, bezüglich der Heirat lediglich materielle Rücksichten in Betracht. Die Zuneigung und Liebe der Braut darf kein Wörtlein mitsprechen, wenn die materiellen Anerbietungen nicht genehm sind. Man mag das Mädchen wohl auch fagen: Willst du mit diesem Manne ziehen? Aber sie dürfte sich nicht unterstehen, Nein zu sagen, wenn die Eltern die Heirat wünschen. Oder es würde ihr wenigstens nichts helfen.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Der Mensch soll nach orientalischen Begriffen das Verhältnis zu seinem Weib als ein gegebenes betrachten, nicht als ein gewähltes. Man sich ja auch seinen Vater und seine Mutter, Geschwister und Kinder nicht auswählen, sondern muss sie eben nehmen, wie man sie bekommt und an ihnen viel Freude und viel Herzeleid erleben kann. Die Eltern und Vormünder wählen nach ihrer bewährten Erfahrung, und probatum est*, die Ehen sind meist „glücklich“. Schon vom achten bis zehnten Jahr an lernen sich so manchmal die Kinder als Mann und Frau ansehen und behandeln. Und sie müssen daran ebenso gut lernen, wie Geschwister lernen müssen, sich miteinander zu vertragen und einander lieb zu haben.

Die Sage erzählt, dass auch Maria, die Mutter von Jesus, bei ihrer Verlobung erst fünfzehn Jahre alt gewesen ist. Und gewiss ist dies nicht unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich haben wir uns dieselbe noch als eine ganz jugendliche Gestalt zu denken.

*es ist bewährt