Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Fels

Auf der Baustelle

(Auf der Baustelle – Teil 2 des Kapitels „Der Baumeister“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller)

Gewiss wird es den freundlichen Leser interessieren, sich einmal einen orientalischen Bauplatz anzusehen. Ich lade ihn ein, einen solchen mit mir zu betreten:

Der Grund ist gelegt, und zwar so tief, dass er auf dem Felsen steht. Die Mauern haben sich schon zu beträchtlicher Höhe erhoben. Mehrere Meister stehen mit Hammer und Kelle hoch oben auf den Mauern. Sie messen Quadern ab und fügen sie mit Mörtel und Zwischensteinchen lotrecht ein. Neben ihnen stehen die Handlanger, welche Mörtel auf Brettchen bereit halten. Schief gelegte, starke Bretter führen vom Erdboden bis hinauf. Auf diesem schwankenden Boden gehen langsamen Schrittes die Lastträger, welche die Bausteine in die Höhe schaffen.

Dort in einer Grube wird Kalk abgelöscht. Daneben wird der Mörtel vermischt und verarbeitet. Zehn bis fünfzehn Arbeiter bewegen sich hurtig auf der Baustelle und tragen Steine, Mörtel, Wasser herzu. Derweil ertönt aus einer Ecke der gleichmäßige Takt hämmernder Steinmetzen.

Seinen Höhepunkt erreicht dies bunte Treiben, wenn die fertiggestellten Mauern mit dem Gewölbe gekrönt werden sollen. Alle Nachbarn und Freunde des Bauherrn kommen herzu und arbeiten mit den bezahlten Arbeitern. Das ist dann ein emsiges, fröhliches Schaffen auf der Baustelle. Der allgemeine Eifer steckt Alt und Jung an. Hier steht der geachtete Dorthäuptling neben dem geringsten Tagelöhner. Dort schaufelt ein Mädchen mit sichtlicher Anstrengung am Mörtel herum, dort schleppt ein Greis Wasser zum Ablöschen des Kalks herbei. Selbst kleine Kinder trippeln, mit einem Mörtelbrett in der Hand, halb so groß wie sie selbst, oder mit einem nach ihren Begriffen ungeheuer großen Wölbstein mit possierlichem Eifer auf der Baustelle herum, – alles, um nachher an dem üblichen Festmahl teilzuhaben, welches der Bauherr den Arbeitern zum Schluss zu geben pflegt.

Unter allgemeinem rhythmischem Gesang kurzer Liedstrophen oder charakteristischer im Takt gerufener Worte wie heejalíssa heejalíssa, welche in unermüdlicher Wiederholung von 50 bis 100 Kehlen angestimmt werden, schreitet die Arbeit erstaunlich rasch vorwärts. Kurze Augenblicksgedichte wiederholt der Chor nach dem Vorgang eines Vorsängers ungezählte Male. Sie handeln mit besonderer Vorliebe von den Herrlichkeiten des zu erwartenden Festschmauses, eine zarte Andeutung für den mitarbeitenden Bauherrn.

In langer Kette stehen sie da, von dem Ort an, wo die Wölbsteine liegen, bis hinauf zu dem alles dirigierenden Baumeister. Mit starkem Schwung wirft einer dem anderen die Wölbsteine zu. Auf diese Weise wandern sie von ihrem Lagerort von Hand zu Hand rasch hinauf bis zu dem hohen Gewölbe.

Der Baumeister dort droben scheint bei dieser letzten Arbeit seine Kräfte verzehnfacht zu haben. Es ist wahrhaft erstaunlich, wie rasch ihm die Arbeit von der Hand geht. Mit fliegender Eile nimmt er den dastehenden Trägern abwechslnd Mörtel und Wölbsteine ab und wirft sie mit sicherem Wurf an ihren Platz. Denn niemand soll ihm nachsagen können, dass er mit der, ob auch noch so sehr angewachsenen Zahl der Arbeiter nicht fertig geworden sei.

Eine freudige Stimmung beherrscht die ganze Arbeiterschar. Und allgemeiner Jubel bricht aus, und schallt, vermischt mit den eigentümlich trillernden Jubelrufen der Frauen fröhlich über das ganze Dorf und die benachbarten Hügel hin, wenn endlich der Schlussstein oben ins Gewölbe eingesetzt ist, und das Haus, mit grünem Zweig gekrönt, seine längst gebauten Kameraden in Stadt und Dorf begrüßt.

Alle, welche mitgearbeitet, versammeln sich alsdann zu einem frohen Festmahl. Der Bauherr veranstaltet es in seinem Haus oder auf der Baustelle, indem er ein oder mehrere Schafe oder Böcklein schlachtet und zum besten gibt.

Drunten ruht nun der Eckstein an seinem tiefen Ort und trägt die wuchtige Last. Und über ihm wächst der ganze Bau wohlgefügt empor zu seiner höchsten Höhe, wo die lustigen Wimpel wehen.

So baut der einstige irdische Baumeister seine Gemeinde, seine himmlische Kathedrale, hinein in die vergängliche Welt. Sie hat einen weisen Baumeister: er selbst ist der Baumeister. Auf den Felsen ist sie gegründet: er selbst ist der Fels. Sie ruht auf einem auserwählten köstlichen Eckstein, der allem die Richtung gibt: er selbst ist der Eckstein, „auf welchem der ganze Bau in einander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn“. Darum „auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Haus auf den erwählten köstlichen Eckstein in Zion“.

Denn auch dort, wenn der strahlende Bau vollendet ist bis zu seiner Krönung in Herrlichkeit, wird der Bauherr hervortreten in Majestät und reicher Freigebigkeit und ein Festmahl geben für alle, welche sich auch mit in die Kette gestellt und im Blick auf den alles dirigierenden Baumeister auf der Höhe mitgeholfen haben, sich und andere als Steine einfügend in den lebendigen Bau. Und es wird keiner vergessen sein, der auch mit seiner geringen Kraft gerne und freiwillig mitgeholfen hat. „Sie werden kommen von Morgen und Abend, die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes!“ (Lk 13,29).

Der Baumeister

(Der Baumeister – Teil 1 des Kapitels „Der Baumeister“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„)

Auf unseren Bildern, welche Jesus während seines Aufenthalts in Nazaret darstellen, sehen wir ihn gewöhnlich mit Hobel und Säge bewaffnet an der Hobelbank stehen. Meist noch als Kind, um Josef zu helfen, während Maria irgendwo im Hintergrund der Tischlerwerkstatt zu sehen ist. Wir haben aber schon oben ausgeführt, dass „Tektoon“, d. h. einer, welcher Häuser baut, in Palästina, wo auf dem Gebirge alle Häuser aus Stein erbaut werden, nur einen Baumeister bedeuten kann. Sämtliche Gleichnisse des Herrn, welche auf Bauten Bezug nehmen, reden von Steinbauten.

Noch heutzutage wollen die Betlehemer Baumeister die Geheimnisse ihrer Kunst nur auf ihre eigenen Söhne vererben. Und so hat auch Josef den jungen Jesus in seine Kunst eingeführt. Er hat ihm die beste Art Steine zu fügen, Gewölbe zu runden usw. gezeigt. Als Josef dann starb, führte Jesus das Handwerk selbständig fort. Jene Stelle, aus welcher man folgern muss, dass Josef schon seit längerer Zeit gestorben war, zeigt uns Jesus als selbständigen Meister. Denn er wird dort (Mk 6,3) nicht etwa der Sohn des Baumeisters, sondern „der Baumeister, Marias Sohn“ genannt.

Freilich wird Jesus wohl nicht ausschließlich mit der Bauarbeit beschäftigt gewesen sein. Teils weil dieser Beruf nur für einen Teil des Jahres Beschäftigung und Verdienst bietet, teils aus Neigung geben sich z. B. in Betlehem fast alle Baumeister, mehr oder weniger, auch mit Landbau ab. Die Gleichnisse von Jesus deuten darauf hin, dass dies auch bei ihm der Fall war. Denn jedermann nimmt seine Vergleiche aus solchen Gebieten, in denen er heimisch ist. Wir finden aber in den Gleichnissen des Herrn auf nichts so viel Bezug genommen, wie auf Landbau und Bauarbeit. Betreffs des Landbaus, welcher naturgemäß die meisten Gleichnisse darbot, bedarf es keiner besonderen Beispiele. Aber auch auf den Häuserbau spielt der Herr besonders gerne an. Ansonsten zieht er außer dem Fischergewerbe seiner Jünger gar kein Handwerk, jedenfalls nicht die Zimmermannskunst, zu seinen Gleichnissen heran.

Gleich am Anfang seiner Tätigkeit, nachdem er kaum Hammer und Kelle niedergelegt hat und zum ersten Mal in seinem neuen göttlichen Beruf vor dem herrlichen Tempel in Jerusalem steht, spricht er (Jo 2,19): „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten!“. Jesus hat dabei natürlich nicht mit dem Finger auf seinen Leib gedeutet, wie manche es erklären wollen. Sonst hätte ihn jedermann verstehen müssen. Es war vielmehr ein Rätselwort, wie es der Herr manchesmal gesprochen hat. Auch wenn niemand in seiner Umgebung den wahren Sinn verstand. Selbst seine Gleichnisse, z. B. von viererlei Ackerfeld, blieben oft zunächst ganz unverstanden, solange er keine Erklärung hinzufügte. Die Leute nun, welche wussten, dass der, welcher jenes Wort vor dem Tempel stehend sprach, ein Baumeister war – und dazu gehörten vor allem seine Jünger -, konnten den Sinn nicht erfassen.

Jesus aber wollte durch solche Worte das Nachdenken anregen. Solche Rätselworte waren wie Saatkörner, welche erst einige Zeit in der Tiefe der Seele ruhen mussten, bis sie aufgehen konnten. Ihre scheinbare Unverständlichkeit machte sie nur um so behaltbarer. Denkende Leute kamen allmählich auf den Gedanken, dass der Herr in einem weit tieferen Sinn, als bisher, ein Baumeister sein könnte. Die Mehrzahl der Gedankenlosen dagegen bezog das Wort einfach auf sein bisheriges Handwerk und machte ihn lächerlich. „Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“

Der Zweck des Herrn, das Nachdenken zu wecken, wurde auch trefflich erreicht. So großes Aufsehen machte jenes Wort, dass man es ihm selbst im Todesgericht noch vorwarf. Und auch später noch bei der Steinigung des Stefanus wurde es als Verbrechen vorgebracht. Aber erst nach der Auferstehung, so bemerkt Johannes, ging den Jüngern ein Licht darüber auf, was der Herr vor einigen Jahren mit dem seltsamen Wort gemeint hatte. …

Wie oft hören wir auch sonst aus den Gleichnissen des Herrn den früheren Baumeister reden. Für sein eigenes Schicksal, die Verwerfung vonseiten Israels, nimmt er ein Gleichnis vom Bauplatz. Es wurde, so sagt er ungefähr, ein Bau aufgeführt. Die Bauleute stehen auf dem Bauplatz zusammen und besehen die Bausteine. Einen Stein werfen sie als ganz untauglich weg. Aber gerade dieser Stein wurde zur großen Verwunderung aller zum Eckstein des Hauses. Der Bauherr hatte es so bestimmt. (Mt 21,42; Mk 12,10).

Oder Lk 14,28 sehen wir den Baumeister, der vor Ausführung eines Baues seinen Kostenüberschlag macht: Wer wollte einen Turm bauen und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten! Aber hat er erst den Grund gelegt, was bei den Bauten in Palästina oft besonders kostspielig ist, und kann es nachher doch nicht ausführen, so wird er von jedermann ausgelacht.

Gerade die Grundlegung beim Bau führt der Herr öfters an. Bekanntlich muss der Grund eines Hauses in Palästina auf dem Fels liegen, wenn man auch noch so tief graben muss. Diesem Grundsatz gemäß, den jeder Baumeister befolgen muss, will Jesus, wie früher bei seinen Bauten, seine Gemeinde auf den Felsen bauen. Und so stark und fest soll der Bau gegründet und gefügt sein, dass selbst die Pforten der Hölle ihn nicht überwältigen sollen. Ja den ganzen Ernst, die Summa der Bergpredigt, fasst der Herr am Schluss derselben in ein vom Bauplatz genommenes Gleichnis. „Darum wer diese meine Rede hört und tut sie, den vergleiche ich mit einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute. Wer sie aber hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf den Sand baute.“ (Mt 6,24-26). …

Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, wie sehr auch später noch die Regeln der Baukunst in den Gedanken des Herrn lagen. Und sie bestätigen uns, dass nicht Tischlerei oder Zimmerei, sondern Häuserbau der Beruf des Herrn vor seinem Amtsantritt war.