Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Leuchter

Das Haus in Nazaret

(Das Haus in Nazaret – Auszüge aus dem Kapitel „Jesus in Nazaret“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Er beschreibt seine Beobachtungen in den Jahren 1884-89.)

Still ist der Gang Gottes durch die Geschichte, wenn er die größten Dinge einleitet, um eine alte, verlorene Welt aus den Angeln zu heben. Nicht über Rom und Athen führen seine Wege. Die Stille einer Familie in Haran, die schweigenden Berge Gottes in der Wüste Sinai, das kleine Betlehem, das verachtete Nazaret, das sind seine Stationen. Jesus wächst in Nazaret, dem kleinen Landstädtchen in Verborgenheit und Stille heran. Währenddessen tosen draußen die Stürme politischer Aufregung über das neue Römerjoch in leidenschaftlichen Parteikämpfen durch das Land.

Mit Recht sind jene wundersüchtigen Erzählungen aus der Kindheit Jesu verworfen worden, welche uns mehr sagen wollen als Lukas in seiner vielsagenden Kürze. Sie sind lediglich Gebilde einer irregeleiteten Phantasie. Wenn wir es aber für unser Recht und unsere Pflicht erachten, das Leben unseres Herrn nach allen Seiten zu erforschen, so dürfen wir wohl auch versuchen, uns ein Bild von dem Leben zu machen, welches Jesus in Nazaret geführt haben mag. Wir wagen uns dabei nicht auf den trügerischen Boden der Phantasie hinaus, sondern stehen auf dem historischen Boden seiner Heimat, deren Sitten heute noch fast ebenso sind wie in Jesu Tagen. …

Freundlich und lieblich ist Nazaret gelegen, an eine sanft ansteigende Berghöhe angelehnt. Mit seinen weißen Häusern schimmert es freundlich hinaus in das lang hingestreckte südliche Tal. Umgeben ist es von oliven- und feigenbewachsenen Höhen und Weinbergen. Das heranwachsende Jesuskind sah täglich eine Schar bedeutsamer Berge und Orte, lauter Zeugen längst vergangener Geschichte. Im Osten der majestätische Tabor, einer der schönsten Berge des Landes, im Südosten die fast düsteren Berge Gilboa, wo König Saul einst fiel in der Schlacht gegen die Philister. Drunten die große Ebene mit Afek, Sunem und Jesreel, in Duft gehüllt, und im Westen der Karmel. Die beiden letzteren erinnern an den Propheten Elija, den der Herr später so gern erwähnte.

In diesem Städtchen hat Jesus seine Jugend und die ersten Mannesjahre zugebracht. Sein nächster Kreis war die eigene Familie, das Haus in Nazaret. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr hatte Jesus noch beide Eltern. Es scheint aber, dass Josef bald darauf gestorben ist. Er wird wenigstens nie wieder erwähnt.

Jesus, als der älteste Sohn, wurde damit nach damaliger und heutiger orientalischer Sitte Haupt und Ernährer der Familie. … Es war noch nicht die Zeit, von der er damals sagte: „des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“ Damals hatte er ein Haus in Nazaret und hatte dafür zu sorgen. … Wie mag es aber darin ausgesehen haben?

Das Haus in Nazaret war jedenfalls wohl ein Häuschen, wie es Landleute und Handwerker im Heiligen Lande auch heute noch bewohnen, ein einziger Raum, welcher nicht in verschiedene Zimmer abgeteilt war. …

Das Licht, welches man des Abends anzündete, wenn die Familie beisammen war, leuchtete daher, wenn man es nicht gerade unter einen Scheffel setzte, „allen, die im Hause waren“ … . In einem solchen Haus sieht man heute gewöhnlich entweder einen ca. 1 Meter hohen primitiven Leuchter oder einen in einiger Höhe aus der Mauer hervorragenden Stein. Darauf wird die irdene Ampel mit Olivenöl gestellt und verbreitet ihr mattes Licht über den ganzen dunklen Raum.

Viele Möbel waren in Jesu Wohnung ebenso wenig zu finden wie bei den heutigen Landsleuten. Wer einen Groschen verloren hatte, brauchte keine Schränke und Kommoden, Tische und Stühle wegzurücken. Er brauchte nur den Fußboden, welcher aus der bloßen Erde bestand oder mit Steinplatten belegt war, aufzukehren, um ihn wiederzufinden. Allerdings musste er zu diesem Zweck, da an solchen Häusern damals wie heute die Fenster fehlten, am hellichten Tage die Ampel anzünden.

Im Sommer und überhaupt bei schöner Witterung hielt sich die Familie am liebsten im Freien auf. Auf dem Dach, im Hof, oder draußen unter den Feigen- und Olivenbäumen. Den Boden im Haus bedeckten einige Matten und einfache Teppiche. Auf ihnen mochten noch einige Polsterkissen liegen, welche als Sofa dienten. Bettstellen waren nicht vorhanden. Des Abends legte sich jeder in seine über die Matte gelegte Decke und bedeckte sich nötigenfalls noch mit dem Mantel.

Frühmorgens vor Sonnenaufgang stand Maria auf und mahlte Weizen, um Brot zu backen. Denn dies musste in alter wie in neuer Zeit täglich frisch sein. Später, als Jesu Schwestern heranwuchsen, mögen sie dieses Geschäft auf der Handmühle besorgt haben. Dieses tut man am liebsten zu zweien. Und Jesus spielt darauf an, wenn er sagt: „Zwei werden mahlen auf einer Mühle, eine wird angenommen, und die andere wird verlassen werden.“

Nazaret besitzt eine einzige bedeutende Quelle, welche außerhalb im Osten der Stadt entspringt. Heute ist dieselbe den ganzen Tag von wasserholenden und waschenden Frauen umlagert. Namentlich am Morgen und Abend sieht man sie scharenweise zum Brunnen kommen. Ihre großen schwarzen Tonkrüge tragen sie sicher auf dem Kopf, ohne dieselben mit der Hand zu stützen. Hier halten sie gerne längere Rast, hier besprechen sie die Neuigkeiten des Tages. Hierher kam auch Jesu Mutter oder eine seiner Schwestern täglich, um Wasser zu holen. Und wie sich auch heute noch eine Schar von Kindern um den Brunnen tummelt, so mag auch Maria manchmal das Jesuskind an der Hand hierhergeführt haben, während sie den schweren Tonkrug auf dem Kopf wiegte. …

Die Schwestern werden sich nach orientalischer Sitte schon in ganz jugendlichem Alter verheiratet haben. So mag man mehrmals in der Familie Jesu Hochzeit gefeiert haben. Er selbst, als Haupt der Familie, nahm an der Hochzeit ohne Zweifel teil. Die Vorliebe, mit welcher er gerade die Hochzeit zum Sinnbild himmlischer Dinge gemacht hat, zeigt uns, welch herzlichen Anteil er an der allgemeinen Freude nahm, wie gut ihm die ungetrübte Wonne, welche bei einer orientalischen Hochzeit alle zu beherrschen pflegt, gefallen haben muss. Darum vergleicht er später seinen Ruf zum Himmelreich so gerne mit dem Ruf zu den Freuden der Hochzeitsfeier. …

Prophetische Symbolsprache

Prophetische Symbolsprache taucht in der Bibel überall auf, wo von Realitäten aus der unsichtbaren Welt gesprochen wird. Denn diese übersteigen den Horizont menschlichen Verstehens und menschlicher Vorstellungskraft.

Man sieht es an der Lehre von Jesus selbst. Er hat – wie z. B in der Bergpredigt (Mt 5-7 / Lk 6) – ganz klar und verständlich gelehrt, wo es um menschliche Verhaltensweisen geht. Aber in seiner Lehre über das Reich Gottes spricht er ein ganzes Kapitel lang (Mt 13 / Mk 4 / Lk 8) nur in Vergleichen und Beispielen. „Gleichnisse“ hat man das traditionell genannt.

Ich nenne es auch prophetische Symbolsprache. Jesus hat als Prophet über Realitäten gesprochen, die den Menschen nur mit Vergleichen oder Beispielen aus der menschlichen Erfahrungswelt annähernd verständlich gemacht werden können. Da sind ein Sämann, ein Weizenfeld mit Unkraut, ein Senfkorn, ein Sauerteig, ein Schatz, eine Perle und ein Fischernetz. Und selbst diese Vergleiche sind manchen noch unverständlich geblieben.

Auch in den Schriften der Gesandten von Jesus taucht diese prophetische Symbolsprache auf. Ein Beispiel dafür ist die geistliche Waffenrüstung, die Paulus in Eph 6 beschreibt. Der Gürtel um die Hüfte, an dem die Waffen hängen, ist die Wahrheit. Der schützende Brustpanzer steht für die Gerechtigkeit. Die Schuhe, die man an den Füßen haben sollte, bedeuten die Bereitschaft zur Weitergabe der Botschaft. Der Glaube ist ein Schild, die Rettung ein Helm und das Wort Gottes ein Schwert.

Ein konkretes Bild kann offensichtlich besser zum Ausdruck bringen, was gemeint ist, als eine theoretische bzw. theologische Abhandlung. Vor allem auch für einfache Menschen, die Gott ja besonders am Herzen liegen.

Das Bild vom Schwert für das Wort Gottes verwendet dann auch der Autor des Hebräerbriefs – Kap. 4,12: „Lebendig ist ja das Wort Gottes, wirksam, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, durchdringend bis zur Zerteilung von Seele und Geist, von Gelenken und Markknochen, und ein Beurteiler von Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“

Bei Paulus im Epheserbrief ist das Wort Gottes als Waffe zu verstehen, wie etwa bei Jesus, der mit dem Wort Gottes den Satan abgewiesen hat (Mt 4 / Lk 4). Im Hebräerbrief erscheint es eher wie das Instrument eines Schlachters oder gar Operateurs. Dabei spielt die Schärfe sicherlich in beiden Bildern die gleiche Rolle.

Und das Bild mit dem Schwert erscheint dann auch an einer eigenartigen Stelle in der Offenbarung. Gleich am Anfang in Kap. 1,12-16 hat Johannes die einleitende Vision von Jesus:

„Und als ich mich umgewandt hatte, sah ich sieben goldene Leuchter und in der Mitte der Leuchter einen wie ein Menschensohn, mit einem langen Gewand bekleidet und an der Brust mit einem goldenen Gürtel umgürtet. Sein Kopf und die Haare waren weiß leuchtend, wie weiße Wolle, wie Schnee, seine Augen wie feurige Glut, seine Füße wie glühendes Metall, wie im Ofen glühend, und seine Stimme wie das Rauschen vieler Wasser. In seiner rechten Hand hatte er sieben Sterne. Aus seinem Mund kam ein scharfes zweischneidiges Schwert. Und sein Gesicht war wie die Sonne, wenn sie leuchtet mit ihrer Kraft.“

Man könnte hier denken, dass Johannes Jesus sieht, wie er in seiner Herrlichkeit wirklich ist. Die Herrlichkeit in Form von „weiß“, „feurig“, „glühend“ und „leuchtend“ ist ja nicht zu übersehen. Und doch erscheinen symbolhafte Elemente, die so bei Jesus in seiner Herrlichleit real nicht vorstellbar sind. Die Leuchter um ihn herum und die sieben Sterne in seiner Hand sind ja real weder Sterne noch Leuchter, sondern sieben Gemeinden.

Und dann ist da auch das scharfe zweischneidige Schwert, das aus seinem Mund kommt. Das mag man sich bildlich und praktisch eigentlich gar nicht vorstellen. Aber von der Symbolik her ist es klar: Aus seinem Mund ergeht das Wort Gottes. So stellt sich Jesus vor: Was er jetzt an Johannes zu offenbaren hat, ist das Wort Gottes, das wirkt wie ein scharfes zweischneidiges Schwert.

Und wenn schon das Anfangskapitel der Offenbarung voller prophetischer Symbole steckt, werden wir uns nicht wundern, wenn sie uns dann durch das ganze Buch hindurch auf Schritt und Tritt begegnen. Und wir haben auch schon gesehen, dass es in den anderen Schriften der Bibel Parallelen dazu gibt. Auch diese werden uns beim Einordnen und Verstehen der Symbole hilfreich sein.

Prophetische Unschärfe

Prophetische Unschärfe nenne ich das Phänomen, dass zwei Propheten dieselbe göttliche Realität schauen, sie aber in Einzelheiten unterschiedlich beschreiben. Dabei liegt das Problem sicherlich nicht in der göttlichen Realität selbst, hier herrschen immer Eindeutigkeit und Wahrheit. Es kann nur an der Schnittstelle liegen, wo die göttliche Realität eintaucht in die irdische Dimension, um für Menschen sichtbar zu werden.

Hier begegnet die Vollkommenheit der Unvollkommenheit, hier muss Göttliches in menschliche Vorstellungskraft und menschliche Sprache übersetzt werden. Ich denke, dass uns hierbei auch die Erklärung von Paulus hilft, dass wir aus Bruchstücken erkennen und aus Bruchstücken prophetisch sprechen. Ich nenne zwei Beispiele:

Da sind zum einen die Cherubim, Als Thronengel Gottes werden sie an mehreren Stellen in der Bibel genannt. Die Frage, warum der Schöpfer des Universums sie überhaupt braucht, bleibt – wie vieles in der göttlichen Dimension – unbeantwortet. Näher beschrieben werden sie nur an zwei Stellen. Zum einen hat Hesekiel sie gesehen, zum anderen Johannes.

Hesekiel hat sie beschrieben (Hes 2,4-12) als Gestalten mit vier Gesichtern und vier Flügeln. Die vier Gesichter an ihren Köpfen sind vorne das Gesicht eines Menschen, rechts das eines Löwen, links das eines Stieres und hinten das eines Adlers.

Johannes hat sie beschrieben (Offb 4,6-8) als Wesen mit je einem Gesicht, sechs Flügeln und außen und innen voller Augen. Und die vier Gesichter der vier Wesen waren jeweils das eines Löwen, eines Stiers, eines Menschen und eines Adlers.

Gemeinsam sind aber die vier Parallelen zur geschaffenen Welt: Mensch, Löwe, Stier und Adler. Dass hier der Mensch als Beherrscher der Schöpfung, der Adler als Herrscher im Luftraum, der Löwe als König der wilden Tiere und der Stier als das mächtigste der Nutztiere eine Fülle von Kraft und Herrschaft symbolisieren, dürfte deutlich sein.

Aber wie gesagt, wir sehen hier eine Realität in zwei Versionen, eine prophetische Unschärfe. Und wir müssen das so stehen lassen und uns anbetend auf die dahinter verborgene Realität Gottes einlassen.

Etwas Ähnliches finden wir zum anderen bei den Ölbäumen und Leuchtern, die vor Gott stehen. Sacharia sieht sie in einer Vision (Sach 4,1-5) und bekommt eine Antwort zu ihrer Bedeutung (Sach 4,11-14). Sacharia sieht einen goldenen Leuchter und links und rechts davon zwei Olivenbäume (Ölbäume). Und als Antwort zu deren Bedeutung erfährt er, dass das die zwei Gesalbten sind, die vor dem Herrscher aller Lande stehen.

Johannes erhält in seiner Offenbarung über die zwei Zeugen (Offb 11,1-13) in Vers 4 die Erklärung: „Das sind die zwei Olivenbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen.“ Bei Sacharia ist es ein Leuchter, bei Johannes sind es zwei. Aber es ist dieselbe Realität, es gibt in der Bibel keine andere Parallelstelle dazu.

Diese Realität vor Gott bestand offensichtlich schon zu Sacharias Zeiten und wird bei Johannes wieder als gegenwärtig beschrieben. Das bestärkt natürlich die Auffassung, dass es sich dabei nicht um menschliche Individuen handelt, auch wenn in Sach 4 der Statthalter und Davidsnachkomme Serubbabel eine große Zusage von Gott bekommt.

Das verbindende Thema zwischen den zwei Stellen in Sachaja und der Offenbarung ist – leider oft etwas unbeachtet – der Tempel Gottes. In Sach 4 geht es um den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem nach der babylonischen Gefangenschaft. Er soll durch das Wirken des Heiligen Geistes gelingen, und Serubbabel soll die Fertigstellung des Tempels durchführen und auch noch erleben.

In Offb 11 geht es nach Vers 1 um den Tempel Gottes in neutestamentlicher Zeit und die wahren Anbeter darin. Der Tempel Gottes, der jetzt gebaut wird, ist die Gemeinde.

Das Gemeinsame am Tempel zu Sacharias Zeiten und am Tempel zu Johannes‘ Zeiten ist, dass der Tempel der Wohnplatz Gottes auf Erden ist. Hier besteht die Verbindung zu Gottes Thron. Wer hier auf der Erde vor Gott steht, steht auch im Himmel vor Gott. Insofern stehen die zwei Gesalbten – die zwei Olivenbäume und die zwei Leuchter – gleichzeitig vor Gottes Thron und auf der Erde. Und wir kommen der Antwort näher auf die Frage, wer damit gemeint ist.

Die zwei genannten Beispiele machen deutlich, welche Art von Unstimmigkeiten ich als prophetische Unschärfe bezeichne. Wir sollten daraus lernen, dass wir nicht alle Einzelheiten aus prophetischen Bildern oder Botschaften bis ins Letzte ausdeuten sollten. Zum einen ist es erst einmal wichtig, die zentrale Aussage des Bildes oder der Botschaft wahrzunehmen. Zum anderen helfen dann Parallelstellen und der inhaltliche Zusammenhang in der Bibel, um die Prophetie einzuordnen und möglichst vieles richtig zu verstehen.

Die zwei Zeugen

Die zwei Zeugen Gottes treten auf in Offb 11 unter den Ereignissen, die auf das Signal des sechsten Signalhorns folgen. Vielfach wurde gerätselt, wer diese zwei Zeugen wohl seien. Angefangen von alttestamentlichen Gestalten wie Mose und Elija ging es über neutestamentliche wie Petrus und Paulus bis dahin, dass etliche fromme Brüder sich auch schon selbst für einen dieser zwei Zeugen gehalten haben.

Auf die richtige Spur kommen wir aber, wenn wir wieder auf den Zusammenhang achten. Da ist zum einen der Zeitraum. Wenn das siebte Hornsignal das Zeichen des Endes ist, dürfen wir annehmen, dass auch die sieben Hornsignale – wie zuvor die Öffnung der sieben Siegel – den Zeitraum der Endzeit umfassen, von den ersten Christen bis zur Wiederkunft des Herrn.

Und dann ist da auch noch die Zeitangabe. In der Offenbarung taucht sie öfters auf, als dreieinhalb Jahre, 42 Monate oder 1260 Tage – immer der gleiche Zeitraum. Im Propheten Daniel stehen die dreieinhalb Jahre schon für die antichristliche Zeit, und so umfassen sie auch in der Offenbarung die letzte Zeit, die schon in der ersten Christengeneration begonnen hat. Wir sollten also versuchen, die zwei Zeugen als etwas zu verstehen, das diesen Zeitraum umfasst.

Wenn wir zunächst einmal die Angabe „zwei“ weglassen, dann sehen wir unter dem Stichwort „Zeugen“ eine wohlbekannte neutestamentliche Erscheinung. Das sind die Jünger des Herrn, die beauftragt sind, seine Zeugen zu sein bis ans Ende der Erde. Wir haben dann auch hier wieder ein Bild der Gemeinde vor uns.

Mit folgenden Zügen werden sie charakterisiert: Sie sind Zeugen Gottes. Niemand kann ihnen schaden. Sie sprechen prophetisch. Sie haben Kraft und Vollmacht. Andererseits sind sie das Ziel der antichristlichen Macht, die sie bekriegt, verfolgt und tötet. Die Menschen sind froh, ihre Botschaft nicht mehr hören zu müssen. Am Ende werden sie durch den Geist Gottes auferweckt und entrückt in den Himmel. Wenn das nicht die neutestamentlichen Aussagen über die Gemeinde sind?

Nun kommt noch die Frage, warum es „zwei“ Zeugen sind. Natürlich schwingt hier die biblische Bestimmung mit, dass jede Zeugenaussage von mindestens zwei Zeugen bestätigt sein muss. Aber die zwei Zeugen haben wir ja im Neuen Testament. Die Gemeinde besteht aus zwei Teilen, den Gläubigen aus den Juden und den Gläubigen aus den Nichtjuden. Diese zwei bezeugen der Welt die Botschaft von Jesus dem Messias.

Am Anfang von Offb 8 erschien am Beginn der Hornsignale die Gemeinde schon einmal, und zwar in Gestalt ihrer Gebete, die mit den Weihrauchopfern vom goldenen Altar vor dem Thron Gottes aufsteigen. Und am Ende der Hornsignale wird sie mit dem Bild der zwei Zeugen beschrieben.

Da ist wieder die doppelte Existenz der Christen: Im Gebet vor Gott und als Zeugen in der Welt. So werden die Gemeinden ja schon am Anfang der Offenbarung dargestellt, in den Bildern der Leuchter und der Sterne. – Und als Leuchter werden ja auch die zwei Zeugen hier in Kap. 11,4 wieder beschrieben. – Und wir bemerken, dass sich mit dieser Sichtweise innerhalb der Offenbarung und im ganzen Neuen Testament alles wunderbar zusammenfügt zu der einen klaren und verständlichen Botschaft.

Die Engel der Gemeinden

Die Engel der Gemeinden, diese Bezeichnung, die in den ersten Kapiteln der Offenbarung in der Lutherübersetzung auftaucht, müssen wir ergründen. In der einleitenden Vision der Offenbarung sieht Johannes Jesus in überwältigender Macht und Herrlichkeit. Er ist umringt von sieben Leuchtern und hat sieben Sterne in seiner rechten Hand.

Jesus selbst gibt die Erklärung dazu – Offb 1,20 (Lutherübersetzung): „Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter ist dies: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.“

Nun könnte man spekulieren, dass in der unsichtbaren Welt für jede Gemeinde irgendwie ein Engel zuständig sei, obwohl ansonsten nirgends im Neuen Testament auch nur die Spur einer solchen Vorstellung vorkommt. Im Gegenteil, Herr der Gemeinde ist Jesus selbst, und er leitet sie durch den Heiligen Geist, der der Gemeinde gegeben ist. Auch der Gedanke, dass Jesus einem irdischen Menschen einen Brief diktieren muss, um mit einem Wesen in der unsichtbaren Welt zu kommunizieren, ist doch recht eigenartig.

Ein guter Teil dieses Problems lässt sich lösen, wenn man sich erinnert, dass das griechische Wort „ángelos“ – von dem das deutsche „Engel“ abgeleitet ist – in seiner eigentlichen Bedeutung „Bote“ heißt. Der Bote ist der Überbringer einer Botschaft. Erst damit, dass auch „Boten“ Gottes so bezeichnet wurden, ist daraus der Begriff „Engel“ entstanden. Nun haben wir also keine Engel der Gemeinden mehr, sondern Boten der Gemeinden. Aber was sind das nun für Boten?

Manche Ausleger haben mit dieser Bedeutung des Wortes an Leiter der Gemeinden gedacht. Jemand muss ja den Brief in Empfang nehmen und sich um die Umsetzung der Botschaft kümmern. Doch auch diese Sichtweise krankt daran, dass wir im Neuen Testament keine solchen alleinigen Gemeindeleiter finden. Wir finden immer nur mehrere Ältere bzw. Verantwortliche, die auch nicht alleine, sondern in Einmütigkeit mit der ganzen Gemeinde die Verantwortung tragen.

Aber auch diese Schwierigkeit lässt sich lösen, wenn man entdeckt, dass grammatikalisch der Genitiv auch erklärende Bedeutung haben kann. Der nachfolgende Genitiv erklärt das Wort davor. Der Genitiv „der Gemeinden“ erklärt dann die „Boten“. Und dann heißt „Boten der Gemeinden“, dass die Boten die Gemeinden sind. Und damit kommt man zurecht. Die Boten Gottes in der Welt sind die Gemeinden. Der Bote Gottes in Ephesus ist die Gemeinde in Ephesus. Dazu passt auch, dass die Briefe inhaltlich immer die ganze Gemeinde ansprechen. Z. B.: „Du hast den Namen, dass du lebst, und du bist tot.“

Die Adressaten, die Jesus Johannes angibt, bestätigen, dass die Gemeinden gemeint sind – Kap. 1,11: „Schreibe, was du siehst, in eine Schriftrolle und schick sie den sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!“ Wie auch die anderen Schriften im Neuen Testament, soll die ganze Gemeinde sie lesen, geistlich verarbeiten und umsetzen..

Im Bild sind nun also nicht nur die sieben Leuchter sieben Gemeinden. Auch die sieben Sterne sind sieben Gemeinden – in ihrer Funktion als Boten. Das drückt die zwei Seiten der christlichen Existenz aus: Der Leuchter steht im Heiligtum vor Gott. Das ist die Gott zugewandte anbetende Seite. Der Stern ist ein Licht in der Nacht. Das ist die der Welt zugewandte Seite, das Licht, das in der Finsternis leuchtet. Wir haben hier wieder Beispiele für prophetische Symbolsprache.

Die sieben angeschrieben Gemeinden liegen im damaligen wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des römischen Reichs. Sie stehen natürlich stellvertretend für alle Gemeinden bzw. die ganze Gemeinde. Und jede Gemeinde bzw. jeder Christ sollte schauen, wo er sich darin wiederfindet, und entsprechende Konsequenzen ziehen: „Wer ein Ohr hat, soll hören, was der Geist den Gemeinden sagt!“ (Auch hier wieder: „den Gemeinden“.)