Die Opferung Isaaks, die in 1 Mo 22 berichtet wird, gehört zu den vielen alttestamentlichen Stellen, auf die das Neue Testament Bezug nimmt. Gut, es war eine Beinahe-Opferung, sie hat am Ende dann doch nicht stattgefunden.

Ich habe den Text aus dem Hebräischen und der griechischen Übersetzung ganz übersetzt und stelle ihn zunächst einmal hierher:

Nach diesen Dingen, da stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sagte zu ihm: „Abraham! Abraham!“ Der antwortete: „Sieh, hier bin ich!“ (Gott) sagte: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, den Isaak, geh ins Amoriterland und bring ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir sagen werde.“

Und Abraham stand früh am Morgen auf, sattelte seinen Esel, nahm zwei seiner Knechte mit sich und Isaak, seinen Sohn. Er spaltete Holz für ein Brandopferfeuer, brach auf und ging zu dem Ort, den Gott ihm gesagt hatte. Am dritten Tag, als Abraham seinen Blick erhob, sah er den Ort von weitem.

Und Abraham sagte seinen Knechten: „Lasst euch hier nieder mit dem Esel. Ich und der Junge wollen weitergehen bis dorthin. Wenn wir angebetet haben, werden wir zu euch zurückkommen.“ Abraham nahm die Holzsscheite für das Brandopfer und lud sie Isaak, seinem Sohn, auf. Er nahm auch das (Gefäß mit dem) Feuer in die Hand und das Messer, und die zwei gingen zusammen.

Und Isaak sprach mit Abraham, seinem Vater, er sagte: „Vater!“ Der sagte: „Was ist, mein Kind?“ Er sagte: „Schau, da ist das Feuer und die Holzsscheite. Wo ist das Lamm für das Brandopfer?“ Abraham sagte: „Gott wird ein Lamm sehen als Brandopfer für ihn, mein Kind.“

Die beiden gingen zusammen, und sie kamen auf den Platz, den Gott ihm gesagt hatte. Abraham baute dort einen Altar und schichtete die Holzscheite auf. Und er fesselte Isaak, seinen Sohn, und legte ihn auf den Altar, oben auf die Holzscheite. Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu töten.

Und der Engel des Herrn rief ihm vom Himmel her zu und sagte: „Abraham! Abraham!“ Der sagte: „Sieh, hier bin ich!“ Und er sagte: „Strecke deine Hand nicht aus gegen den Jungen, tu ihm nichts! Denn jetzt habe ich erkannt, dass du Gott fürchtest und deinen einzigen Sohn nicht geschont hättest wegen mir.“ Abraham erhob seinen Blick und sah: Sieh, ein Schafbock hatte sich mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Schafbock und brachte ihn als Brandopfer dar anstelle seines Sohnes.

Und Abraham nannte den Namen jenes Ortes: „Der Herr hat gesehen“. – Dazu sagt man heute: „Auf dem Berg ließ der Herr sich sehen.“ –

Und der Engel des Herrn rief Abraham ein zweites Mal vom Himmel her zu und sagte: „Bei mir selbst habe ich geschworen, sagt der Herr, weil du diese Sache getan hast und deinen einzigen Sohn nicht geschont hättest wegen mir: Ja, ganz gewiss will ich dich segnen und ganz gewiss will ich deinen Nachkommen vermehren wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Ufer des Meeres. Dein Nachkomme soll das Stadttor seiner Gegner in Besitz nehmen, und mit deinem Nachkommen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden, dafür dass du meiner Stimme gehorcht hast!“

Abraham kehrte zu seinen Knechten zurück, sie brachen auf und gingen zusammen nach Beerscheba. Und Abraham ließ sich in Beerscheba nieder.

Zu diesem Bericht über die Opferung Isaaks habe ich drei Anmerkungen:

1) Es ist sicherlich interessant und lehrreich, einmal im Überblick die Stellen des Neuen Testaments zu lesen, die auf die Opferung Isaaks Bezug nehmen bzw. ihn zitieren: Jak 2,21, Apg 3,25, Hebr 6,13-14 und Hebr 11,17.

2) Es fällt auf, dass dieser Bericht mit keinem Wort die Gefühle erwähnt, die sowohl Abraham als auch Isaak bei dieser Geschichte gehabt haben mögen. Ein reiches Feld für alle spekulativen Ausleger und Prediger! Offensichtlich ist es aber Absicht, dass hier nicht über Gefühle gesprochen wird, sondern Taten und Fakten berichtet werden. Es geht darum, dass Abraham den Herrn fürchtet, ihm glaubt und ihm gehorcht. So wie Jesus gesagt hat: Wer auf meine Worte hört und sie tut … Glaube ohne Gehorsam ist offenbar kein Glaube. Oder anders ausgedrückt: Abrahams Liebstes war nicht sein Sohn, sondern sein Gott.

3) Ich hatte irgendwoher im Kopf, dass die Opferung Isaaks auf dem „Berg Moria“ stattfinden sollte. Und dann war ich doch erstaunt, dass es diesen Berg in den Texten offensichtlich so nicht gibt. Im Hebräischen wird Abraham von Gott ins „Land Moria“ geschickt. Der griechische Übersetzer hat an dieser Stelle mit „Hochland“ übersetzt. Der „Berg Moria“ taucht im hebräischen Text nur in 2 Chr 3,1 auf als Bezeichnung für den Berg bei Jerusalem, auf dem Salomo den Tempel erbauen lässt. Im griechischen Alten Testament steht dort dafür aber „Berg des Amoria“. Und in anderen alten Übersetzungen stehen noch andere Ausdrücke anstelle von „Moria“. Es herrscht hier also eine gewisse Unklarheit.

Eine erhellende Version kommt von einer Anmerkung in der hebräischen Bibel. Sie besagt, dass nach der syrisch/aramäischen Übersetzung Gott Abraham ins Land „des Amoriters“ schickt. Die Amoriter bewohnten vor der Eroberung durch die Israeliten das Hochland, das später den Namen „judäisches Bergland“ oder „Gebirge Juda“ hatte. Damit können wir das Wort „Moria“ als eine Verdrehung aus „Amori“ (hebr. Amoriter) erklären. Zu Zeiten des griechischen Übersetzers gab dort aber längst keine Amoriter mehr. Und er dann mit seiner Übersetzung „Hochland“ die Sache doch recht treffend zum Ausdruck gebracht.