Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Theater

Kurz und spitz

Kurz und spitz – satirische Bemerkungen von Sören Kierkegaard in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“, Ausgabe vom 23. August 1855.)

I

Das Christentum lässt sich vervollkommnen; es geht voran; und nun, nun hat man die Vollkommenheit erreicht. Was als Ideal erstrebt, was aber selbst in der ersten Zeit nur annähernd erreicht wurde: dass die Christen ein Volk von Priestern seien, – das ist nun vollkommen erreicht, besonders im Protestantismus, besonders in Dänemark. Wenn nämlich ein Priester das ist, was „wir“ darunter verstehen – ja, dann sind wir alle „Priester“!

II

Die Kanzel der prachtvollen Domkirche besteigt der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime General-Ober-Hof-Prädikant, der auserwählte Liebling der vornehmen Welt. Er tritt auf die Kanzel vor einem auserwählten Kreis auserwähler Personen und predigt gerührt über den von ihm selbst ausgewählten Text: „Das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt“ – und da ist niemand, der lacht.

III

Wenn ein Mann Zahnweh hat, sagt die Welt: „armer Mann“. Wenn einem Mann seine Frau untreu wird, sagt die Welt: „armer Mann“. Und wenn ein Mann in Geldverlegenheit ist, sagt die Welt: „armer Mann“. – Wenn es Gott gefällt, in geringer Knechtsgestalt in dieser Welt zu leiden, so sagt die Welt „armer Mensch“. Wenn ein Apostel bei seinem göttlichen Auftrag die Ehre hat, für die Wahrheit zu leiden, sagt die Welt: „armer Mensch“. Arme Welt!

IV

„Hatte der Apostel Paulus ein Amt?“ Nein, Paulus hatte kein Amt. „Verdiente er dann auf andere Weise viel Geld?“ Nein, er verdiente auf keine Weise Geld. „So war er doch wenigstens verheiratet?“ Nein, er war nicht verheiratet. „Dann ist ja Paulus gar kein ernsthafter Mann!“ Nein, Paulus ist kein ernsthafter Mann.

V

Als ein schwedischer Pfarrer sah, wie seine Zuhörer über seiner Rede in Tränen zerflossen, soll er ihnen folgende beruhigenden Worte zugerufen haben: „Weinet nicht, Kinder, das könnte alles miteinander gelogen sein!“

Warum sagt das der Pfarrer jetzt nicht mehr? Es ist nicht mehr nötig; wir wissen es alle schon – wir sind ja alle Priester. Aber deshalb können wir ja wohl weinen, und es müssen weder seine noch unsere Tränen deshalb gerade heuchlerisch sein. Nein, so wohlgemeint und wahr – wie im Theater.

VI

Als sich das Heidentum zersetzte, gab es auch Geistliche, Auguren genannt. Von diesen wird erzählt, dass der eine Augur den anderen nicht ansehen konnte, ohne zu lachen. In der Christenheit kann bald niemand mehr einen Geistlichen sehen und bald überhaupt kein Mensch mehr den anderen ansehen, ohne zu lachen – aber wir sind ja auch alle Priester.

VII

Ist es ein und dieselbe Lehre, wenn Christus zu dem reichen Jüngling sagt: „Verkaufe alles, was du hast – und gib’s den Armen!“ – und wenn der Pfarrer sagt: „Verkaufe alles, was du hast und – gib es mir!“

VIII

Das Genie ist wie das Donnerwetter: es geht gegen den Wind, schreckt die Menschen, reinigt die Luft. – Das Bestehende hat verschiedene Blitzableiter erfunden. Und es gelingt ihm. Ja, gewiss gelingt es ihm; es gelingt ihm, das nächste Donnerwetter desto ernstlicher zu machen.

IX

Man kann nicht von Nichts leben. das hört man so oft, besonders von Pfarrern. Und gerade die Pfarrer bringen das Kunststück fertig: das Christentum ist gar nicht da, – und doch leben sie davon.

Entweder-Oder

(Entweder-Oder: Die Thematik eines Artikels von Sören Kierkekaard aus „Der Augenblick“ vom 24. Mai 1855. Um der Verständlichkeit willen wurde er um einige Nebengedanken gekürzt.)

Zu: „Das soll gesagt werden!“ – oder: Wie wird etwas Entscheidenedes angebracht?

Der Protest, den ich gegen das Bestehende erhoben habe, ist entscheidend. Ich bin nun darauf gefasst, dass auch der wohlwollendste Mensch dies als Vorwurf gegen mich kehrt: „Das ist ja fürchterlich, wie man einen da mir nichts, dir nichts, vor eine Entscheidung stellt.“ Meine Erwiderung ist einfach: „Es kann nicht anders sein.“ …

Doch ich kann mich auch genauer erklären. Dass man einen entscheidenden Gedanken anbringt, was doch die Aufgabe ist, das lässt sich nicht auf dieselbe Weise machen wie alles andere. Und wenn zugleich das Unglück unserer Zeit just dies „bis zu einem gewissen Grade“ ist, wenn sie bis zu einen gewissen Grade auf alles eingeht und eben hierin ihre Krankheit besteht: So muss man vor allem darauf achten, dass sie womöglich nicht auch bis zu einem gewissen Grade auf die Sache eingeht – weil hierdurch alles verloren ist. …

Und glaube mir: Ich kenne den Schaden unserer Zeit nur allzu gut. Dass er in der Charakterlosigkeit besteht, in dem „bis zu einem gewissen Grade“. Wie aber ein „spiegelblanker Schild von geschliffenem Stahl“, so blank, „dass er der Sonne leuchtenden Strahl mit verdoppeltem Glanze zurückwirft“, auch den geringsten Flecken unbedingt fürchtet – denn ist der Flecken noch so gering, so ist der Schild nicht mehr der, welcher er war -: so fürchtet ein entscheidender Gedanke unbedingt jede Berührung mit dem „bis zu einem gewissen Grade“. Das verstehe ich. Sollte ich das nicht verstehen, ich, den selbst die Kinder auf der Straße unter dem Namen kennen: „Entweder-Oder“?

Denn was ist Entweder-Oder? – Lass mich es sagen, der es wohl wissen muss. Entweder-Oder ist das Wort, vor dem die Flügeltüren aufspringen und die Ideale sich zeigen – holdseliger Anblick! Entweder-Oder ist das Zeichen, durch das uns der Zutritt zum Unbedingten wird – Gott sei Lob und Dank! Ja, Entweder-Oder ist der Schlüssel zum Himmel! Und was ist dagegen, was war und ist des Menschen Unglück? Das ist der Satan der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit, das „bis zu einem gewissen Grade“, das, auf das Christentum angewendet, – o verkehrtes Wunder oder wunderbare Verkehrtheit – dieses in ein Geschwätz verwandelt. Nein: entweder – oder! Wie herzlich auch der Schauspieler und die Schauspielerin auf der Bühne sich umarmen und liebkosen, es bleibt doch immer nur ein theatralisches Einverständnis, nur eine Theaterehe. Ganz so ist alles „bis zu einem gewissen Grade“ dem Unbedingten gegenüber nur etwas Theatralisches. …

Dem Gegensatz zum Folgenden zuliebe will ich auch ein Bild aus des Lebens Tand zur Verdeutlichung herbeiziehen. Jeder Offizier aus des Königs persönlicher Umgebung trägt eine Auszeichnung, die ihn kenntlich macht. So waren alle wahren Diener des Christentums durch das Entweder-Oder gekennzeichnet, durch den Ausdruck der Majestät, oder den Ausdruck dafür, dass man vor der göttlichen Majestät steht. Alles, was bloß bis zu einem gewissen Grade ist, hat aber nicht dem Christentum gedient, sondern höchstens sich selbst. Das Christentum kann aber, wenn es redlich sein will, nie eine andere Uniform tragen als die des Königs. Denn für Gottes Diener ist die Uniform nur dies: „Entweder – oder“.

Kurze Bemerkungen

(Kurze Bemerkungen – von Sören Kierkegaard)

I. Die Bibelerklärung der Mittelmäßigkeit

Die Bibelerklärung der Mittelmäßigkeit erklärt und erklärt Christi Worte so lange, bis sie ihr Eigenes, das Geistlose (Triviale) aus ihnen herausbekommt. Und nun, da sie alle Schwierigkeiten entfernt hat, ist sie beruhigt und beruft sich auf Christi Wort!

Es entgeht der Mittelmäßigkeit ganz, dass hierdurch eine neue Schwierigkeit entsteht. Die Schwierigkeit, die wohl zum Lächerlichsten gehört, das sich denken lässt. Dass sich nämlich Gott habe gebären lassen, dass „die Wahrheit“ zur Welt gekommen sei – um triviale Bemerkungen zu machen. Und eine weitere neue Schwierigkeit: wie man es dann erklärt, dass man Christus kreuzigen konnte. Denn in dieser Welt der Trivialität pflegt man triviale Bemerkungen doch nicht mit dem Tode zu bestrafen. So wird also Christi Kreuzigung zugleich unerklärlich und lächerlich. Denn es ist lächerlich, für triviale Bemerkungen gekreuzigt zu werden.

II. Das Theater – die Kirche

Der Unterschied zwischen Theater und Kirche ist wesentlich der, dass das Theater ehrlich und redlich sich für das ausgibt, was es ist. Die Kirche dagegen ist ein Theater, das, unredlich, auf alle Weise zu verbergen sucht, was es eigentlich ist.

Ein Beispiel. Auf dem Theaterzettel ist immer einfach angemerkt: Das Entree wird nicht zurückbezahlt. Ihrer Heiligkeit, der Kirche, wäre es ein entsetzlicher Anstoß, ein schweres Ärgernis, wenn sie eine derartige Bemerkung über der Kirchentüre anschlagen oder der sonntäglichen Predigerliste beifügen sollte. Doch davor verspürt die Kirche kein Entsetzen, dass sie vielleicht noch strenger als das Theater darauf hält, kein Geld zurückzugeben.

Es ist daher ein Glück, dass die Kirche das Theater neben sich hat. Denn das Theater ist ein Schalk, wirklich eine Art Wahrheitszeuge, der das Geheimnis verrät: was nämlich das Theater offen sagt, das tut die Kirche verstohlen.

III. Gott – die Welt

Wenn zwei Menschen Nüsse miteinander verzehrten und der eine nichts als die Schale wollte, der andere nur den Kern, so müsste man von ihnen sagen, sie passen gut zueinander. So passen Gott und die Welt auch wohl zusammen. Was die Welt tadelt, wegwirft, verachtet: die Geopferten, die Kerne, eben darauf setzt Gott einen unendlichen Wert. Und er sammelt es mit größerem Eifer, als ihn je die Welt zeigt, auch wo sie am leidenschaftlichsten liebt.