Ein Bibelübersetzer entdeckt ...

Schlagwort: Pfarrer (Seite 2 von 2)

Wahre Christen – viele Christen

(„Wahre Christen – viele Christen“ – eine Analyse von Sören Kierkegaard. Erschienen in seiner Zeitschrift „Der Augenblick“ am 7. Juli 1855.)

Das Interesse und der Wille des Christentums ist: dass es wahre Christen gebe.

Der Egoismus der Geistlichkeit erheischt, sowohl um des Geldes als um der Macht willen, dass es viele Christen gebe.

„Und das ist sehr leicht zu machen, wie im Handumdrehen. Wir halten uns an die Kinder. Wir geben jedem Kind ein paar Tropfen Wasser auf den Kopf, und damit ist es ein Christ. Wenn ein paar ihre Wassertropfen nicht richtig bekommen haben, so macht das auch nichts. Sie sollen sich nur einbilden, dass man mit ihnen alles der Ordnung gemäß vorgenommen hat. Und dass sie damit Christen seien. So haben wir in ganz kurzer Zeit mehr Christen als Heringe in der Fangzeit, Millionen von Christen. Und so sind wir (auch mit Hilfe des Geldes) die größte Macht, welche die Welt je gesehen hat. Das mit der Ewigkeit ist und bleibt doch die sinnreichste Erfindung. Vorausgesetzt, dass die Idee in die rechten, praktischen Hände kommt. Denn der unpraktische Erfinder des Christentums war mit seiner Auffassung derselben ganz auf dem Holzweg.“

Nein, da wollen wir uns doch lieber noch an jene gegenüber diesen Manipulationen engelreinen Geschäfte halten, die der Staat trotzdem mit Zuchthaus bestraft. Da wollen wir uns lieber noch durch Fälschung von Zolletiketten und Nachahmung berühmter Fabriketiketten ein Vermögen erwerben. Denn diese christliche Falschmünzerei ist zu grauenhaft.

Wodurch gewinnt man denn hier Macht und irdisches Gut? Gewinnt man sie nicht dadurch, dass man den Stempel einer Sache nachahmt, die durch Leiden bis zur letzten Stunde, durch Leiden bis zu Gottverlassenheit bedingt wurde? Dass man den Stempel einer Sache nachahmt, die ein Gekreuzigter dem redlichen Willen, ihm nachzufolgen, anvertraute? Muss man dabei nicht jedes Gefühls dafür bar sein, dass es Liebe war, die litt? Liebe, die sterbend ihre Sache der Redlichkeit der Menschen anvertraute? Muss nicht jede Regung des Gewissens erstickt worden sein, dass man auf diese Weise Millionen von Menschen um das Höchste und Heiligste betrügt, indem man ihnen einbildet, dass sie Christen seien?

Im allgemeinen wird ein Verbrechen den Polizeiagenten um so mehr entflammen, ihm um so größeren Eifer geben, je größer, je verworfener es ist, je mehr Personen an ihm beteiligt sind. Aber das hat doch seine Grenze. Wird diese überschritten, so kann es ihm wohl passieren, dass er, wie vom Schwindel ergriffen, nach etwas greifen muss, um sich dran zu halten. Dass er sich wegschleichen möchte, um, was ihm sonst nie passiert, in Tränen Linderung zu suchen.

Also, es gab Millionen von Christen, christliche Staaten, Reiche, Lande, eine christliche Welt. Das ist aber nur die eine Seite der christlichen Kriminalsache. Wir kommen nun noch zu der Raffinesse, mit der man die Sache ausführt. Sie ist einzig in ihrer Art und ganz ohne Analogie. Wer sich nämlich durch Nachahmung von Zollstempeln und Fabrikmarken bereichert, verlangt doch nicht, dass man ihn als wahren Freund des Zollwesens oder der geschädigten Fabriken ehrt und achtet. Das bleibt den christlichen Falschmünzern vorbehalten.

Jenen egoistischen Eifer, auf eine dem Christentum durchaus zuwiderlaufende Weise möglichst viele Christen zu schaffen, schminkte man auf zum wahren christlichen Eifer für die Ausbreitung der Lehre. Als diente man auf diese Weise wirklich dem Christentum und nicht vielmehr durch einen Verrat am Christentum sich selbst. Diesen egoistischen Eifer stempelte man also fälschlich zum christlichen Eifer. Diese Falschmünzer wollten für die wahren Freunde des Christentums angesehen werden. Und jene unglücklichen Millionen, die man um ihr Geld prellte und zu Mitteln äußerlicher Macht missbrauchte, während man sie zum Ersatz um das Ewige prellte und mit einem Galimathias bepackt laufen ließ: jene unglücklichen Millionen verehrten und vergötterten die christlichen Falschmünzer als die wahren Diener des Christentums.

Es gibt Kinder- und Bubenstreiche, für die man einfach „eins hinter die Ohren“ gibt. Und es wäre erklärte Narrheit, wenn der Vater oder der Lehrer solche Streiche mit lebenslänglichem Zuchthaus abgestraft wissen wollte. Es wäre aber auch erklärte Narrheit, wenn man Verbrechen, die der Staat vernünftigerweise mit lebenslänglichem Zuchthaus abstraft, mit einem „hinter die Ohren“ abmachen wollte. Wovon man aber heute in diesen christlichen Staaten und Landen trotz all der für die Wahrheit zeugenden Pfarrer nichts zu hören bekommt, ist dies: Dass es auch noch Verbrechen gibt, welche man wiederum – nur aus einem anderen Grunde als bei den Streichen eines Kindes – bloß in richtiger Narrheit mit Zuchthaus auf Lebenszeit bestrafen könnte, weil die Strafe in keinem Verhältnis zum Verbrechen stünde.

Je länger ich lebe, desto deutlicher wird es mir, dass man die eigentlichen Verbrechen in dieser Welt nicht straft. Kinderstreiche straft man. Aber das sind doch nicht eigentlich Verbrechen. Der Staat straft Verbrechen. Aber die eigentlichen Verbrechen, gegen welche man auch die vom Staat bestraften Verbrechen kaum mehr Verbrechen nennen kann, die bestraft niemand – in der Zeit.

Sören Kierkegaard (1813 – 1855)

Sören Kierkegaard war ein Mann, der mit einer Klarheit wie kein anderer die Verkehrtheit des kirchlichen Systems aufdeckte. Er war Däne, und so sollte sein Name auch dänisch ausgesprochen werden: Kjérkegoor mit offenem „o“. Hoher Intellekt verband sich bei ihm mit großer Liebe zur Wahrheit. Er studierte Theologie und Philosophie, nahm aber aus Scheu vor der Bindung kein akademisches oder kirchliches Amt an. Und so betätigte er sich als freier Schriftsteller, was in der damaligen Zeit aber finanziell noch nichts einbrachte. In seiner Heimatstadt Kopenhagen lebte er davon, dass er das von seinem Vater ererbte Vermögen allmählich aufzehrte. Zuerst setzte er sich mit philosophischen Fragen seiner Zeit auseinander; dann begann er, auch christliche Themen zu bearbeiten.

Sören Kierkegaard schrieb über den Menschen als existenzielles Wesen. Dessen Aufgabe ist es, sich über seine Existenz vor sich selbst und vor Gott bewusst zu werden. Von daher wurde er später als „Begründer der Existenzphilosophie“ bezeichnet. Aus seiner existenziellen Sicht des Menschen entwickelte er auch eine existenzielle Sicht des persönlichen Glaubens. Und so begann er, auch christliche Schriften herauszugeben. Sie sollten zu tieferem Nachdenken führen, was wahres Christentum und wahrer Glaube sei. Und es ging ihm nicht nur ums Nachdenken, sondern um klare Entscheidung. „Entweder – Oder“ war ein ganz fundamentaler Grundsatz bei ihm. Man verspottete ihn sogar auf der Straße damit: „Seht, da kommt der ‚Entweder-Oder‘!“

Als Kind seiner Zeit war er auch Kind der damaligen lutherischen Staatskirche in Dänemark gewesen. Nachdem er seine gesellschaftliche und kirchliche Umgebung endlich durchschaut hatte, kam er zu dem Schluss: Aus Sicht des Neuen Testaments ist das Christentum gar nicht da. Die vorhandene Christenheit ist ein ungeheurer Betrug. Und seine Aufgabe ist die eines Kriminalisten, der diesen Betrug aufzudecken hat. Mit vollem Einsatz führte er seinen massiven Angriff auf die Kirche aus. Er brachte dazu auf eigene Kosten eine Zeitschrift heraus, der er den Namen „Der Augenblick“ gab. In seinen Augen war von Gott her „der Augenblick“ gekommen, den Betrug aufzudecken.

Es folgen hier ein paar Zitate aus dem „Augenblick“, der mir in der deutschen Übersetzung von Christoph Schrempf aus dem Jahr 1909 vorliegt. Sprachlich habe ich sie zum besseren Verständnis an einigen Stellen leicht modernisiert:

„Ich, der ‚Entweder-Oder‘, kann keinem mit einem ‚Sowohl – Als auch‘ dienen. Ich bin im Besitz eines Buchs, das freilich hierzulande so gut wie unbekannt ist, dessen Titel ich daher genau anführen will: ‚Das Neue Testament unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi‘. Wiewohl ich ein ganz freies Verhältnis zu diesem Buch habe und z. B. durch keinen Eid darauf verpflichtet bin (wie die Pfarrer), so übt es doch eine große Macht über mich aus und flößt mir einen unbeschreiblichen Abscheu vor der Halbheit ein, vor jedem „Sowohl – Als auch“.

„Wahrer Gottesdienst besteht ganz einfach darin, dass man Gottes Willen tut. Allein, diese Art Gottesdienst war noch nie nach dem Sinn der Menschen. Was vielmehr den Menschen zu allen Zeiten beschäftigt, ist dies: Sich einen Gottesdienst zurechtzumachen, der darin besteht, dass der Mensch tut, was er will, aber so, dass er dabei Gottes Namen im Munde führt, Gott anruft. Damit glaubt sich der Mensch dann vor der Anklage auf Gottlosigkeit geschützt. – Aber genau dieses Bestreben ist, ach, gerade die qualifizierte Gottlosigkeit.“

„Was ich hier bespreche, ist: 1. eine christliche Kriminalsache, 2. ein bloßes Christentum-Spielen, 3. ein Versuch, Gott für Narren zu halten. Jede Stunde, in der dieser Zustand besteht, wird das Verbrechen fortgesetzt. Jeden Sonntag, an dem auf diese Weise Gottesdienst gehalten wird, wird Christentum gespielt und Gott für Narren gehalten. Jeder, der teilnimmt, nimmt daran teil, Christentum zu spielen und Gott für Narren zu halten. Und er ist in die christliche Kriminalsache verwickelt.“

„Man kann nicht von nichts leben. Das hört man so oft, besonders von Pfarrern. Und gerade die Pfarrer bringen das Kunststück fertig: Das Christentum ist gar nicht da – und doch leben sie davon.“

„Der Unterschied zwischen Theater und Kirche ist wesentlich der, dass sich das Theater ehrlich und redlich für das ausgibt, was es ist. Die Kirche dagegen ist ein Theater, das, unredlich, auf alle Weise zu verdecken sucht, was es eigentlich ist.“

„Glaube mir, oder sieh nur einen Augenblick unbefangen ins Neue Testament, so wirst du sehen: Das Christentum ist nicht in die Welt hereingekommen, um dem Geistlichen ein blühendes und angenehmes Geschäft zu sichern und dich in deinem natürlichen Zustand zu beruhigen. Sondern es ist unter Verzicht auf alles in die Welt hereingekommen, um dich durch die Schrecknisse der Ewigkeit aus deiner natürlichen Ruhe herauszureißen.“

Nachdem Sören Kierkegaard so viele Hefte seiner Zeitschrift herausgegeben und verbreitet hatte, dass aus seiner Sicht alles gesagt war, war er gesundheitlich, kräftemäßig und finanziell am Ende. Und Gott, für dessen Ehre er gestritten hatte, holte ihn im Alter von 42 Jahren heim.

Um das Maß voll zu machen, ließ es sich der damalige Kopenhagener Bischof Martensen nicht nehmen, ihn offiziell kirchlich zu beerdigen. Dagegen gab es allerdings auf dem Friedhof am Grab doch offenen Protest von einigen aufrichtigen Männern.

Ich denke, man kann von Sören Kierkegaard und seiner Einschätzung der damaligen lutherischen Kirche auch noch sehr viel auf kirchliche Strukturen der heutigen Zeit übertragen. Sein Maßstab ist auch der unsere, das Neue Testament. Von hier aus muss alles betrachtet, hinterfragt und beurteilt werden. Und von hier aus sieht’s düster aus mit der „Christenheit“.

(Dieser Beitrag über Kierkegaard ist neben anderen historischen Rückblicken in meinem Buch „Die Gemeinde des Messias“ enthalten.)

Kurt Marti

Kurt Marti hat dieses Gedicht geschrieben:

Hochzeit

Die Glocken dröhnen ihren vollsten Ton

und Fotografen stehen knipsend krumm.

Es braust der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn.

Ein Pfarrer kommt. Mit ihm das Christentum.

Im Dome knien die Damen schulternackt,

noch im Gebet kokett und fotogen,

indes die Herren, konjunkturbefrackt,

diskret nach ihren Armbanduhren sehn.

Sanft wie im Kino surrt die Liturgie

zum Fest von Kapital und Eleganz.

Nur einer flüstert leise: Blasphemie!

Der Herr. Allein, ihn überhört man ganz.

Quellenangabe:

Das Gedicht ist zitiert aus dem Heft von Rudolf Bohren:

„Unsere Kasualpraxis – eine missionarische Gelegenheit?“

Kirche

Das Wort, das in katholischen Bibelübersetzungen an einigen Stellen als „Kirche“, in anderen Bibeln meist als „Gemeinde“ auftaucht, heißt auf Griechisch „ekklesía“. Als „ecclesia“ ist es ins Lateinische gekommen, als Fachausdruck dann auch ins Deutsche.

Ekklesía“ ist im Griechischen eigentlich kein religiöser Begriff, sondern gehört in den politischen Raum. Er bezeichnet die „Volksversammlung“ in der griechischen Stadt-Demokratie, die Versammlung der freien und stimmberechtigten Bürger eines Stadt-Staates (nach damaligen Verständnis ohne Frauen und Sklaven). In diesem säkularen Sinn kommt das Wort auch im Neuen Testament in Apg 19 dreimal vor: „ … die Volksversammlung war völlig durcheinander gekommen, … wird es in der gesetzmäßigen Volksversammlung aufgeklärt werden, … als er dies gesagt hatte, entließ er die Volksversammlung.“

Der Hintergrundbegriff des Alten Testamentes ist das Hebräische „qahál“, das ebenfalls für die Volksversammlung – in diesem Fall Israels – steht.

Die Bezeichnung ist im Neuen Testament bewusst gewählt, um zu zeigen, dass hier ein neues Volk Gottes aus freien, gleichberechtigten und mündigen Bürgern entsteht. Das Wesen dieser neuen Volksversammlung hat nichts gemein mit allem, was wir uns üblicherweise unter dem Namen „Kirche“ vorstellen. Nichts mit Großorganisation, Pfarrer, Kirchengebäude oder „Gottesdienst„.

Bei meiner Übersetzung habe ich mich nach einigem Überlegen dazu entschieden, für „ekklesía“ ebenfalls den geläufigen Begriff „Gemeinde“ zu verwenden. Eine Alternative wäre „Gemeinschaft“ gewesen. Aber dafür gibt es im Griechischen auch ein eigenes Wort (koinonía), und in christlichen Kreisen hat auch „Gemeinschaft“ schon wieder einen kirchlichen Klang.

Für die Übersetzung „Gemeinde“ spricht, dass der Begriff im Deutschen auch in der säkularen Sprache geläufig ist. Abgesehen vom kommunalen Verständnis bezeichnet er hier die Gesamtheit oder Versammlung einer bestimmten Anhängerschaft oder Gruppierung (z. B. eine Fan-Gemeinde, eine Trauergemeinde, die türkische Gemeinde etc.). Damit kommt man dem Verständnis der „christlichen Gemeinde“ am ehesten nahe.

Eine Schwierigkeit besteht aber darin, dass man sich in christlichen Kreisen unter „Gemeinde“ leider auch wieder etwas anderes vorstellt. Etwas, das wiederum stark in Richtung „Kirche“ geht. Der „Pastor“ hält in der „Gemeinde“ einen „Gottesdienst“. Nicht umsonst spricht man da von der Frei-„Kirche“. Und wenn sich eine Freikirche einfach „Ekklesia“ nennt oder „Gemeinde für Urchristentum“, ist damit natürlich nichts gewonnen. Man hat dann nur wieder neue Plaketten im konfessionellen Etikettenschwindel erfunden.

Vom Neuen Testament her müsste man radikal umdenken, aber das eingespielte System will bzw. kann dann doch niemand ändern.

Hilfreich ist es, anhand einer Konkordanz oder eines Suchprogramms im Neuen Testament die Stellen zu erforschen, wo von der Gemeinde die Rede ist. Man wird dort die Dinge nicht finden, die einem sofort einfallen, wenn man an Kirche oder Gemeinde denkt. Es gibt keine Pfarrer oder Pastoren. Es gibt keine Kirchengebäude oder Gemeindezentren. Und es gibt keine Gottesdienste im Sinne von rituell ablaufenden und gesteuerten Veranstaltungen. Die neutestamentliche Gemeinde ist wesensmäßig völlig anders. Sie ist von Glaube, Gemeinschaft und Gleichwertigkeit bestimmt. Sie wird nicht von Menschen geleitet, sondern vom Heiligen Geist.

Die „Kirche“, wie wir sie kennen, ist allerdings auch dem Neuen Testament nicht unbekannt. In der Offenbarung wird sie prophetisch im Bild der Hure Babylon dargestellt.

Die ausführliche Darlegung der neutestamentlichen Sicht auf „Kirche“ und „Gemeinde“ habe ich in meinem Buch „Die Gemeinde des Messias“ veröffentlicht.

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