Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Jerusalem

Der Olivenbaum

(Der Olivenbaum – ein Abschnitt des Kapitels „Land und Feld“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller)

Eine große Rolle spielt im Leben der Palästinenser der Olivenbaum. Er liebt die Gesellschaft. Nur selten steht er einzeln auf einsamer Höhe und dient den Wanderern als Richtzeichen. Aber meist hält sich derselbe gleich den Haustieren in der nächsten Nachbarschaft der Menschen. Fast überall, wo man sich einem Dorf naht, sieht man von weitem einen dunklen Kranz von Olivenbäumen um dasselbe stehen. Schon Mose sagt ja zu Israel: „Du wirst Ölbäume haben in allen deinen Grenzen.“ (5 Mo 28,40).

Oft sieht man uralte Exemplare, welche wohl ein Jahrtausend an ihrem Platz treue Wacht gehalten haben mögen. Solch ein alter knorriger Geselle mag das Licht der Welt an einem sonnigen Frühlingstag zu den Zeiten Karls des Großen und Harun al Raschids erblickt haben. Und er sieht in der Tat ehrwürdig und verwittert genug aus. Dass die Stürme der Jahrhunderte nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind, sieht man auf den ersten Blick. Das Mark des Lebens scheinen sie ihm aus dem Leib genagt zu haben. Der ganz ausgehöhlte Stamm sieht nur noch wie dicke ausgebrannte Rinde aus. Aber lass nur den Herbst kommen. Und du wird sehen, dass in der Rinde noch frisches Leben quillt und noch manches Tröpflein köstlichen Olivenöls durch die Adern rinnt.

So nützlich der Olivenbaum ist, so anspruchslos ist er auch. Pflanze ihn mitten unter die starren Felsen, und er wird dich bei einiger Pflege mit reicher Frucht belohnen. Der Grund des Olivenwaldes um Beit-Djala war früher eine große Felsenwildnis, wie alle Nachbarberge. Jetzt fließen mitten aus dem Felsen Jahr für Jahr ganze Ströme von Öl. Daher heißt es auch 5 Mo 32,13: „Er gibt Öl aus den harten Steinen.“

… Wie schön sieht der Olivenbaum aus, wenn nach dem Regen seine Blätter glänzen wie eine silberne Krone, wenn der Frühlingswind seine mit reizenden Blüten bedeckten Zweige leise bewegt. Nimm einen solchen langen, schlanken, blühenden Zweig und biege ihn zum Kranz. Und du wirst dich nicht mehr wundern, warum der olympische Siegerkranz aus einem solchen Zweig bestand, den ein Knabe mit goldenem Messer von dem heiligen Olivenbaum schnitt, und welcher das höchste Ziel des Ehrgeizes für die hellenische Jugend war. Wie tief und vornehm ist seine Farbe. Wie edel geformt und zugleich unverwüstlich sind seine Blätter. Schon in der Geschichte der Taube des Noah wurden sie vor allen anderen Blättern zum Symbol des Friedensgrußes geadelt.

Aber der Olivenbaum ist nicht nur schön. Wegen seines großen Nutzens ist er seit alters auch einer der besten Freunde und Ernährer der Landleute Palästinas. Kanaanitern, Israeliten, Muhammedanern, Kreuzfahrern und Arabern hat er mit gleicher Treue und Freigebigkeit gedient und das Leben angenehm gemacht. Seine ganze Kraft verwendet er darauf, das köstliche Olivenöl der scheinbar dürren Erde zu entlocken. Und auch in seinen eingesalzenen Fruchtbeeren bietet er Arm und Reich eine ebenso schmackhafte wie nahrhafte und gesunde Zukost.

Wie bei jedem ernsten und schönen Werk für das gemeine Beste, geht auch hier die Hauptsache ganz in der Stille und Verborgenheit, in der Tiefe der Erde vor sich. Dort entfaltet der Olivenbaum eine rastlose, weitverzweigte Tätigkeit. Es ist ganz erstaunlich, welche Menge von Wurzeln er aussendet, um wie mit tausen Händen in der Tiefe zu suchen und zu sammeln und das köstliche Mark der Erde durch viele tausend Kanäle durch den mächtigen Wurzelstock, den Stamm und die Zweige hinauf zu dirigieren in die Tausende von Olivenbeeren, welche droben im Sonnenlicht an den Zweigen hängen.

Schau einmal die merkwürdige, ebenso feine wie großartige Maschinerie eines Olivenbaumes an, wenn in einem Tal Palästinas soeben ein starker Winterregen hindurchgestürmt ist und die Erde neben dem Ölbaum vielleicht mannshoch bloß gelegt hat, wie sich die großen Wurzeln strecken nach allen Richtungen, wie ein Gewebe von zahllosen kleinen Saugwurzeln den ganzen Erdboden wie mit einem Netzwerk förmlich durchflochten hat. Dann wirst du dich nicht mehr wundern, warum in der Schrift stets „Weinstock und Feigenbaum“, niemals aber Weinstock und Ölbaum zusammengestellt sind. Denn zwei so fleißige, selbständige und gründliche Arbeiter, wie diese beiden, haben ebenso wenig nebeneinander Platz, wie zwei bedeutende selbständige Charaktere, welche ein und dasselbe Gebiet beherrschen sollen. Aus diesem Grund finden sich in den Weinbergen zwar sehr oft Feigenbäume, niemals aber, wenn man wenigstens nicht Reben und Bäumen die Kraft rauben will, Olivenbäume.

Daher war der Olivenbaum in Israel stets hochgeachtet und ein Sinnbild der angenehmsten Dinge. Seiner fröhlichen Hoffnung gibt der Psalmsänger Ausdruck, wenn er sagt: „Ich aber werde bleiben wie ein grüner Ölbaum im Haus Gottes!“ (Ps 52,10). Auch der Friede häuslichen Glücks erinnert ihn an die Ölzweige, welche sich wie kleine Stämmchen üppig um den großen Wurzelstock des einen Stammes drängen: „Deine Kinder sind wie Ölzweige um deinen Tisch her“ (Ps 128,3).

Aber auch die Palästinenser wissen diesen treuen Baum wohl zu schätzen. Das Öl, welches er ihnen liefert, ist ihr Labsal in guten und bösen Tagen. Dem Gesunden macht es sein täglich Brot schmackhaft, indem er dasselbe, wie einst die Witwe zu Zarpat, in Öl eintaucht. Und in langen Winternächten erhellt es seine dunkle Hütte, wie schon in der Wüste den Israeliten ihre Stiftshütte. (2 Mo 27,20). Dem Kranken aber dient es als Arznei in allerlei Leibesnot. Schon den Gesunden soll es ja die Gesundheit stärken. Manchen begegnet man, die ein fettglänzendes Gesicht haben. Die Araber salben sich auch heute noch gern, wie in biblischer Zeit. Sie reiben sich von Kopf bis Fuß mit Öl ein und behaupten, davon sehr stark und kräftig zu werden. So, sagt der Herr, sollen diejenigen tun, welche fasten, damit sie nicht vor den Leuten scheinen: „Wenn du fastest, so salbe dein Angesicht.“ (Mt 6,17).

Und wie der barmherzige Samariter jenem Unglücklichen zwischen Jerusalem und Jericho seine Wunden mit Öl und Wein linderte, so gebrauchen auch heute noch die Fellachen das Olivenöl fast bei allen inneren und äußeren Krankheiten als Heilmittel. (Lk 10,34). Die Jünger, welche der Herr ausgesandt hatte, Kranke zu heilen, sprachen nicht nur Machtworte. Sie wandten auch die landesübliche Arznei, das Olivenöl, an. (Mk 6,13). Auch Jakobus ermahnt, diese Arznei zu gebrauchen. „Ist jemand krank, der rufe die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie über sich beten und salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“ (Jak 5,15). Das will natürlich nicht sagen, dass man nun etwa auch im fernen Abendland mit Öl kurieren soll. Es will vielmehr so viel sagen, als: Lasst die Ältesten über euch beten, nehmt Arznei, so gut ihr sie haben könnt, und gebraucht sie im Namen des Herrn.

Im Altertum wurde das Olivenöl bei Gastmählern dem Gast aufs Haupt gegossen. Darum sagt der Herr zu seinem Gastgeber Simon: „Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt!“ (Lk 7,46). So sagt auch der Sänger des 23. Psalms dankbar zum Herrn: „Du salbst mein Haupt mit Öl“ (wie man einem besonders lieben und besonders geehrten Gast in zuvorkommender Höflichkeit tut), nachdem du mir „einen Tisch bereitet hast im Angesicht meiner Feinde“, so dass sie, anstatt mich zu verfolgen und zu ängstigen, zusehen müssen, wie ich als dein hochgeehrter Gast an deiner Tafel sitze.

Alle diese Gebräuche gehen auf eine der frühesten Sitten der Morgenländer zurück. Weil sie den Ölbaum so sehr liebten, der ihnen in so mancher Lebenslage Erquickung und Hilfe brachte, glaubten sie diejenigen Dinge, welche sie liebten und verehrten, nicht besser vor allen anderen auszeichnen zu können, als wenn sie dieselben mit dem Öl dieses treuen Freundes begossen und glänzend machten. So sehen wir, dass Jakob in dem glücklichen, ahnungsreichen Gefühl, dass bei dem Stein, auf dem sein Haupt bei jenem seligen Traum in Betel geruht, nichts anderes sei, als Gottes Haus und die Pforte des Himmels, seine Ölflasche hervorzog und den Stein salbte. (1 Mo 28,18). Auch die Stiftshütte samt Bundeslade, Altären und allen köstlichen Geräten wurde in Übereinstimmung mit dieser Volkssitte mit Öl gesalbt, damit sie also „geweiht das Allerheiligste seien.“ (2 Mo 30,25+29).

Ja, auch auf Menschen, welche vor anderen ausgezeichnet werden sollten, übertrug sich dieser Gebrauch. Aaron und seine Söhne, die Priester, wurden mit Öl gesalbt. (2.Mo 30,30). Samuel der Seher hatte bei der ersten Königssalbung sein Ölglas genommen und auf Sauls Haupt ausgegossen. Dann küsste den jungen Fürsten tiegbewegt. Und er sprach: „Siehst du, dass dich der Herr zum Fürsten über sein Erbteil gesalbt hat?“ (1 Sa 10,1). Später wurden nicht mehr blos die Priester und Fürsten gesalbt. Auch der Privatmann salbte nach derselben Sitte den Gast, der er ehren und auszeichnen wollte. Und entsprechend der Bedeutung jener Salbungen im alten Bund wurde schließlich diese Salbung zum sinnbildlichen Ausdruck für die Auszeichnung der Kinder Gottes durch die Gabe des heiligen Geistes. Auch unser Herr selbst hat von dieser Sitte jenen ewig gesegneten Namen erhalten. Täglich nennen wir ihn in unseren Gebeten mit anbetender Ehrfurcht: Christus, der Gesalbte.

Von den Olivenbäumen hat auch der Ölberg seinen Namen erhalten, jedem Christen ein Ort heiliger Erinnerungen. Einst ging David, Christi Vorfahr, weinend den Ölberg hinabging, weil die Seinen ihn verstießen (2 sa 15,30). Und so ritt auch Jesus selbst an einem leuchtenden Frühlingsmorgen weinend den Ölberg herab, weil ihn die Seinen nicht aufnahmen. Und drüben am Ölberg lag Getsemane, die Ölkelter. (Mt 26,36). Als den Herrn alle Getreuen verließen und schliefen, da rauschten, vom blassen Mondlicht der Frühlingsnacht beschienen, vom Nachtwind bewegt, die silbernen Zweige und Kronen der treuen Ölbäume leise über dem einsam ringenden Beter, als ob wenigstens sie mit ihm wachen und beten wollten.

Wasser

(Wasser – ein Kapitel aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Um Irritationen zu vermeiden, sollte man daran denken, dass es sich bei Begriffen wie „heute“ oder „heutzutage“ um die Zeit von 1884 bis 1889 handelt.)

Ein wasserreiches Land ist Palästina heute nicht mehr. Wie einst die Fruchtbarkeit eine Folge menschlichen Fleißes war, so bedurfte auch die Bewässerung des Landes der helfenden menschlichen Hand. Dies muss auch bei jenem Wort 5 Mo 8,7 im Auge behalten werden: „Der Herr dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darinnen Bäche und Brunnen und Seen sind, die an den Bergen und in den Auen fließen.“ Der Salzsee, der Genezaret und Merom, der ewig junge Jordan mit seinen großen Zuflüssen aus dem östlichen Gebirge ist zunächst gemeint.

Für das westliche Gebirge, Palästina im engeren Sinne, waren jedenfalls die künstlichen Anlagen und Zisternen stets die Hauptsache. Aber eben dadurch wurde das Westjordanland im Altertum zu einem wasserreichen Land gemacht. Heute ist das Ostland reicher an Wasser und saftigen Weiden. Aber es ist eine bekannte Tatsache, dass man einst das Westland noch mehr rühmte. Und die zahllosen Felsenzisternen, welche ehemals wie für die Ewigkeit gemeißelt wurden und heute unbenützt und voll Schutt daliegen, zeigen, wie fleißig die einstigen Bewohner in dieser Beziehung gewesen sind.

Die westlichen Zuflüsse des Jordans und des Toten Meeres sind größtenteils Winterbäche, welche nur während des Regens fließen. Wenn der Sommer im Land einzieht, trocknet er die schönsten Bäche im Nu aus. Wo man vor einigen Tagen noch einen mächtigen Bach rauschen hörte, schreitet man nun durch ein trockenes Flussbett. Keine Spur mehr von dem früheren Wasserstrom ist in ihm zu sehen. So bilden z. B. der Kidron und der Kilt im Sommer nur wasserlose Täler, deren weißes Kieselbett, von einer Art von Weiden eingerahmt, weithin sichtbar ist.

An Quellen ist das gebirgige Land nicht so reich, wie man denken sollte. Aber es ist daran auch nicht so arm, wie es oft geschildert wird. Sie sind im ganzen Land hochgeschätzt, ein Sinnbild des strömenden Segens Gottes. Und das ist kein Wunder. Wo immer man an eine Quelle kommen mag, sei es an die salomonischen Teiche, sei es an deren Wasserleitungen oder an irgend eine der sprudelnden Quellen des Landes, überall ist inmitten des im Sommer ausgedorrten Landes grünes, frisches Leben. Selbst wenn der Schirokko ringsum alles verbrannt hat, die Quellorte sind gefeit gegen den heißen Glutodem der Wüste. Welches Labsal sind sie für den Wanderer, der auf staubiger Straße in der Hitze gewandert ist, wenn nun sein Auge mitten in der Dürre fließendes Wasser und grünen Wiesengrund erblickt, und sein Ohr die süße Musik eines murmelnden Bachs vernimmt!

Da können wir es wohl verstehen, warum der Israelit für die größten Erquickungen seiner Seele kein treffenderes Bild finden kann, als lebendiges Wasser. Dies geht aus einer Menge von Gleichnissen in der Bibel hervor. Will der Psalmensänger seine innige Sehnsucht nach Gott ausdrücken, so sagt er: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir!“ (Ps 42,2). Will er sagen, wie teuer und kostbar ihm sein Gott ist, so spricht er: „Du bist die lebendige Quelle.“ (Ps 36,10 vgl. Jer 2,13).

Und wenn der Prophet den Frieden des Gottesfürchtigen schildern will, so spricht er: „O dass du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom!“ (Jes 48,18). Herrlich ist das Wachstum der Bäume an solchen Wasserströmen und Quellen. Mitten in der allgemeinen Dürre sind sie ein Bild frischesten Lebens voll üppiger Kraft. Er ist, „wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.“ (Ps 1,3).

Im Altertum müssen die Quellen zahlreicher und reicher gesprudelt haben als heute. Damals wandte man denselben die größte Sorgfalt zu. Heute rührt kein Mensch Hand und Fuß, um sie zu erhalten und nutzbar zu machen. Auch damals hatten viele Berge, wie z. B. die von Jerusalem. keine Quellen. Man wusste aber diesem Mangel künstlich abzuhelfen, indem das Wasser entfernter, starker Quellen zunächst in mächtige Teiche gesammelt und dann in trefflichen meilenlangen Wasserleitungen unterirdisch bis Jerusalem geführt wurde. Mehrere israelitische Könige, namentlich Hiskija, haben sich in dieser Beziehung sehr verdient gemacht. (2 Kö 20,20; 2 Chr 32,30).

Noch heute bewundern wir die salomonischen Teiche im Westen von Betlehem, welche ihr Wasser nach Jerusalem entsenden. Und auch in und bei Jerusalem und Hebron und an manchen anderen Orten des Landes finden wir die Reihe großartiger Teichanlagen. Auch andere noch nicht wieder entdeckte Wasseranlagen muss Jerusalem gehabt haben. „Ein starker natürlicher Quell, sagt Aristeas, quillt reichlich und fortwährend im Tempel selbst. Bewunderungswürdig, ja unaussprechlich ist die Größe der unterirdischen Behälter, von denen unter dem Tempel in einem Umfang von fünf Stadien alles voll ist. Durch die Mauern und den Fußboden des Tempels laufen eine Menge Röhren und Schächte hinab. Es sind häufig versteckte Öffnungen, welche einzig denen bekannt sind, welche den Opferdienst versehen.“

So wird uns begreiflich, dass Jerusalem mit seinen unterirdischen Wasserkanälen und Teichen nebst seinen zahlreichen Zisternen bei Belagerungen niemals Wassermangel hatte. Während das Heer des Titus froh war, oft nur schlechtes stinkendes Wasser von ferne her zu bekommen, während die vor der Stadt lagernden Kreuzfahrer vor Durst fast verschmachteten, so dass an Menschen und Pferden eine große Menge umkam, fanden die Eroberer stets die Stadt selbst noch reichlich mit Wasser versehen.

Im allgemeinen aber war der Privatmann auf unserem Gebirge seit alter Zeit darauf angewiesen, für sich selbst zu sorgen, indem er sich Zisternen baute oder in den Felsen hauen ließ. Schon die einwandernden Israeliten fanden solche von den Urbewohnern gemeißelte Zisternen im Lande vor. (5 Mo 6,11). In ihnen wurde das Wasser, das im Winter fiel, sorgfältig gesammelt. Die Zisternen sind unterirdische Brunnen, deren Wände und Boden gut verkittet sind, und deren Größe gewöhnlich derjenigen eines Wohnzimmers, oft auch eines großen Saals gleichkommt. In ihnen bleibt das Wasser selbst im heißesten Sommer kühl und frisch. Die Zisternen sind entweder von Natur durch Felsen oder künstlich durch Gewölbe gedeckt und haben eine Öffnung, durch welche man bequem einen Eimer hinunterlassen kann.

Nebst dieser Öffnung befinden sich häufig steinerne Wasserbecken und Tränkrinnen für das Vieh. Während des ganzen langen Sommers, von Ende März bis November, fällt kein Regen. Gegen Ende des Sommers wird das Wasser seltener. Die Quellen versiegen, die Zisternen leeren sich, da und dort wird auch das Wasser schlecht.

Da muss oft der Wanderer fast vor Durst verschmachten. Und er kann froh sein, wenn er nur noch etwas verdorbenes laues Wasser findet, um seinen brennenden Durst zu löschen. Unter solchen Umständen mag man ermessen, wie wohl einem solchen Wanderer ein Trunk kalten Wassers tun mag. Darum sagt auch der Herr: „Wer dieser Geringsten einen nur mit einem Becher kalten Wassers tränkt in eines Jüngers Namen, wahrlich, ich sage euch, es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.“ (Mt 10,42).

Bei dieser Wertschätzung des Wassers können wir es auch verstehen, wie man dazu kam, Wasser als Trankopfer darzubringen. So lesen wir z. B. 1 Sa 7,6: die Kinder Israels „kamen zusammen gen Mizpa (wo heute noch merkwürdiger Weise auf dem Gipfel des Berges eine herrliche Quelle aus dem Felsen strömt) und schöpften Wasser und gossen es aus vor dem Herrn und fasteten denselben Tag und sprachen: ‚Wir haben dem Herrn gesündigt'“. In einem Land, welches Überfluss an Wasser hat oder gar von Überschwemmungen heimgesucht wird, wäre die Entstehung einer solchen Sitte nicht denkbar.

Auffallend könnte es nun freilich erscheinen, dass die Psalmsänger ihre Seelennot so oft mit Wasserfluten und Strömen vergleichen, welche über ihre Seele gehen. Aber die verderbliche Seite des Wassers ist den Palästinensern durchaus nicht unbekannt. Ist auch die Gewalt des Winters nur von kurzer Dauer, so kann er doch auch hier schrecklich werden. Denn kommt einmal ein recht starker Winterregen, dann strömt und strömt es oft Tage und Nächte hindurch, als sollte eine zweite Sintflut das Land unter ihren Wellen begraben. Die sonst so trockenen Täler verwandeln sich plötzlich in reißende Bergströme. Bäume, Steine, Mauern werden zuweilen mit unwiderstehlicher Gewalt fortgetrieben. Kein Wandrer kann mehr die Täler überschreiten. Aus diesem Grunde baut man fast nie eine Stadt oder ein Dorf in die Tiefe eines Tales. Die Häuser wären zur Winterszeit dort zu sehr gefährdet. (Mt 5,14).

Dies kann man fast jedes Jahr in Hebron beobachten, welches sich durch das Tal Askala lange hinzieht. Mit jedem starken Winterregen ist die Stadt dem ganzen Ansturm der Wasser preisgegeben. Als im Dezember 1888 ein mächtiger Winterregen auf das schon zuvor mit tiefen Schneemassen bedeckte Land fiel, da brauste ein gewaltig tosender Wasserstrom mit unwiderstehlicher Macht durch die niedrigen Straßen der Stadt. Das Wasser stieg über Mannshöhe. Es drang in die Haustüren ein und überschwemmte die Erdgeschosse ganz und gar. Was dort zu zerstören war, wurde zerstört. Einem jüdischen Kaufmann wurde sein Kornvorrat im Wert von 1000 Franken fortgeschwemmt. Die Bewohner jener Straßen waren 3 bis 4 Tage lang von jedem Verkehr abgeschnitten. War doch der Strom, der die Stadt durchbrauste, oft höher als die Oberschwellen ihrer Haustüren.

Wer aber genötigt war, in einem niedrigen Haus zu wohnen, der konnte den Notschrei des Psalmisten wohl verstehen lernen. „Gott, hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Seele! Ich bin im tiefen Wasser und die Flut will mich ersäufen!“ (Ps 69,2; 124,4; 144,7).

Wehe aber dem Haus, welches nicht auf einen Felsen gegründet ist, an einem solchen Tag! Ein orkanartiger Wind pflegt den Regen zu begleiten, und es erfüllen sich die Worte der Bergpredigt buchstäblich an einem solchen Haus. Der Platzregen fällt, es kommen die Gewässer und Ströme und wehen die Winde, das Haus bekommt einen großen Riss nach dem anderen, bis es krachend zusammenstürzt, einen großen Fall tut und von den Fluten hinweggeschwemmt wird. (Mt 7,25ff.; Lk 6,48ff.)

Aber wehe auch dem, den solche Wasserströme im Freien überraschen! Da ist oft keine Hilfe und keine Rettung mehr möglich. Manche kennen die Schilderung des Sinaireisenden Holland, welcher bei einem solchen Unfall auf der Sinaihalbinsel nur mit knapper Not sein Leben rettete. Er schildert die Szene als eine entsetzliche. „Ein kochender, brausender Strom füllte das ganze Tal. Er wälzte die größten Felsblöcke wie Kiesel mit sich fort und riss ganze Familien ins Verderben.“ Noch sind die Spuren der Verwüstung deutlich sichtbar. Große Stämme von Palmbäumen liegen mehr als 30 Meilen von ihrem einstigen Standort entfernt im Bett des Wadi.

Ein einziges Gewitter mit starken Regenschauern, das auf den nackten Granit fällt, kann diese furchtbaren Folgen nach sich ziehen. Es kann ein trockenes und ebenes Tal in wenigen Stunden in einen tobenden Strom verwandeln. Und so verwirklicht es das Gemälde, welches David im 18. Psalm entwirft. „Der Herr donnerte im Himmel, der Höchste ließ seinen Donner aus mit Hagel und Blitzen. Da sah man Wassergüsse, und des Erdbodens Grund ward aufgedeckt, Herr, von denem Schelten!“ (Ps 18,14ff.). …

Den Gerechten aber verheißt der Herr seinen Beistand in den Tagen des Wintersturms der Not und der Anfechtung. „So du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen.“ (Jes 43,2; Ps 32,6.) …

Wer ist Rufus?

Wer ist Rufus? Er taucht in der Grußliste des Römerbriefs auf. Der Brief an die Gemeinde in Rom hat unter den Briefen von Paulus die Ausnahmestellung, dass er der einzige ist, den Paulus an eine Gemeinde schreibt, die er nicht persönlich kennt und der er erst einen zukünftigen Besuch ankündigt. In Kapitel 16 lässt er aber an über dreißig Leute Grüße ausrichten, die er alle schon gekannt haben muss. Das heißt, irgendwo auf seinen Reisen und Diensten zwischen Jerusalem und Illyrien sind sie irgendwann einmal mit ihm zusammengewesen.

Das ist ein eindrückliches Beispiel für die damalige Mobilität (zumindest der städtischen Bevölkerung) im römischen Reich. Und es ist auch ein Beispiel für die internationale Zusammensetzung der christlichen Gemeinde aus verschiedenen Volksgruppen.

Das bekannteste Beispiel dafür sind Aquila und Priscilla: Sie waren als Juden aus Rom vertrieben worden, sind mit Paulus in Korinth zusammengekommen, dann mit ihm nach Ephesus gereist und eine Weile dort geblieben und werden nun in Rom wieder von ihm gegrüßt, wohin sie zurückgekehrt sind, womöglich um den Besuch von Paulus dort mit vorzubereiten.

Durch ein altes Buch von Theodor Zahn bin ich noch auf eine Verbindung gestoßen, die mir bis dahin nicht aufgefallen war. In Mk 15,21 lesen wir: „Einen der vorbeiging, Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater von Alexandros und Rufus, zwangen sie, seinen Kreuzesbalken zu tragen.“ Allein Markus hat an dieser Stelle Simons Söhne erwähnt, Alexandros und Rufus. Deren Erwähnung ist aber nur sinnvoll, wenn Leser des Evangeliums mit den Namen der beiden etwas anfangen können.

Wenn man nun bedenkt, dass Markus seinen Bericht über Jesus infolge seiner Tätigkeit als Übersetzer von Petrus in Rom geschrieben hat, dann passt es zusammen mit Rö 16,13: „Grüßt Rufus, den Auserwählten im Herrn, und seine Mutter – und meine!“ Wenn Rufus in Rom war, dann ist es kein Wunder, wenn Markus ihn im Evangelium erwähnt. Dann war er dort bekannt.

Aber Markus kannte ihn schon vorher. Man beachte auch hier die Mobilität: Simon stammte von Kyrene, das liegt in Nordafrika westlich von Ägypten. Zur Zeit von Jesus war er aber mit seiner Familie in Jerusalem ansässig. Hier zwangen ihn die römischen Soldaten bei einem Gang aufs Feld, den Kreuzesbalken von Jesus zu tragen. Wenn Simon und seine Familie damals schon gläubig waren oder es wurden, waren sie in der Jerusalemer Gemeinde. Und zu der gehörte auch Johannes Markus.

Wo und wann Rufus und seine Mutter dann mit Paulus zusammen waren, wissen wir nicht. Aber es muss intensiv gewesen sein, wenn sie auch für Paulus wie eine Mutter war. Dann ist Markus in Rom wieder mit Rufus zusammengekommen, und auch Paulus lässt ihn dort grüßen mit seiner Mutter. Diese war inzwischen wohl verwitwet, da man von ihrem Mann Simon nichts mehr hört.

Soweit die Einblicke in die Geschichte von unserem Bruder Rufus. In der Ewigkeit wird er uns sicherlich mehr darüber erzählen können …

Philippus der Botschafter

Philippus der Botschafter ist einer von zwei Männern mit Namen Philippus im Neuen Testament.

Einer der zwölf Jünger von Jesus hieß Philippus, aber innerhalb des Neuen Testaments hören wir nichts darüber, wie dessen persönlicher Weg und Dienst als Gesandter von Jesus weiterging. Aus späteren Quellen erfahren wir, dass er sein Missionsgebiet in den Regionen um die heutige Halbinsel Krim gehabt haben soll.

In der Apostelgeschichte taucht dann noch ein anderer Philippus auf, den wir hier näher betrachten wollen. Der Name heißt eigentlich „Phílippos“, das ist Griechisch und bedeutet „Pferdefreund“. Die Lateiner haben ihn zum „Philippus“ umbenannt, die Deutschen dann zum „Philipp“. In Apg. 6 erscheint er zum erstenmal in der Jerusalemer Urgemeinde. Er war einer der sieben Männer, die die unparteiische Versorgung der armen Witwen sicherstellen sollten. Das war ein bis zwei Jahre nach der Gründung der Gemeinde dort an Pfingsten im Jahr 30 n. Chr..

Als etwa ein Jahr später nach der Steinigung von Stephanus die erste Verfolgung ausbrach und ein Großteil der Gemeinde über das Land zerstreut wurde, war auch Philippus unterwegs. Jetzt entfaltete sich seine Gabe, die dazu führte, dass man ihn den „Evangelisten“ bzw. „Botschafter“ nannte.

Erst wurde er zum Urheber einer Erweckung unter den Samaritern in Samaria und Umgebung, dann wurde er von Gott auf die einsame Straße nach Süden geschickt, wo er dem Finanzminister von Äthiopien, einem Eunuchen, die Botschaft von Jesus erklärte. Er erklärte sie so, dass der Minister sich auch gleich im Wasser in den Namen Jesus eintauchen lassen wollte.

Die Geschichte endet auf sehr ungewöhnliche Art – Apg 8,39-40: „Als sie aus dem Wasser heraufkamen, holte der Geist des Herrn Philippus weg, und der Eunuch sah ihn nicht mehr. Er fuhr jedoch seinen Weg und freute sich. Philippus fand sich aber in Aschdod. Er ging durch alle Städte und brachte die gute Nachricht, bis er nach Cäsarea kam.“

Dass er nach Cäsarea kam, ist für lange Zeit das letzte, was wir von ihm hören. Erst im Jahr 57, also etwa 25 Jahre später, taucht sein Name wieder auf, als nämlich Paulus mit seinen Begleitern einschließlich Lukas bei der Rückkehr von der dritten Missionreise bei ihm einkehrte – Apg 21,8-9: „Am nächsten Tag gingen wir los und kamen nach Cäsarea. Wir gingen in das Haus von Philippus dem Botschafter, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm. Er hatte vier Töchter, Jungfrauen, die prophetisch sprachen.“

Der ursprünglich reisende Botschafter ist also nach 25 Jahren immer noch in Cäsarea. Was ist da passiert? Philippus ist offenbar in Cäsarea „hängengeblieben“, d. h. er hat eine Frau gefunden und eine Familie gegündet. Wenn er 25 Jahre später 4 Töchter hat, die Jungfrauen sind und prophetisch sprechen, dann sind das keine kleinen Kinder mehr. Sie führen ein sauberes Leben (Jungfrauen), sind mit Heiligem Geist erfüllt und dienen Gott und der Gemeinde mit ihren Gaben. Philippus hat offensichtlich auch als Vater vieles richtig gemacht. Und die aktive Beteiligung von Frauen in der Gemeinde hat hier in der Apostelgeschichte ganz nebenbei eine interessante Bestätigung.

Die Essener

Im Blick auf Leute, die das Reich Gottes erwarteten, muss ich etwas über die Essener erzählen (Betonung auf dem zweiten e: Esséner, – also keine Bewohner der Stadt Essen). Von ihnen haben wir in der Bibel noch nichts gelesen, aber Flavius Josephus berichtet in seinem Buch über den jüdischen Krieg, dass es in Israel damals drei religiöse Richtungen unter den Juden gab: die Sadduzäer, die Pharisäer und die Essener. Pharisäer und Sadduzäer sind uns aus der Bibel bestens bekannt, Essener nicht.

Lange Zeit wusste man in der Geschichtsforschung außer dem, was Josephus berichtet, nichts über die Essener. Aber dann wurden die berühmten Schriftrollen in den Höhlen von Qumran entdeckt und auch die dortige essenische Siedlung ausgegraben, und plötzlich waren die Berichte von Josephus hochaktuell. Jetzt hatte man nicht nur die Informationen von Josephus über sie, sondern auch authentische Aussagen aus ihren eigenen Schriften.

Die Essener waren sehr ernsthafte „Gott hingegebene“ Leute – so wäre die Bezeichnung ins Deutsche zu übersetzen. Sie bildeten eine vom restlichen Volk abgegrenzte feste Gemeinschaft. In sie konnte man nur nach dreijähriger Probe- und Bewährungszeit aufgenommen werden. Ihr Ziel kann man damit beschreiben, ein heiliges und priesterliches Volk Gottes zu sein. Und so gehörten auch viele Priester zu ihnen, die sich mit dem verweltlichten sadduzäischen Priestertum in Jerusalem nicht identifizieren konnten. Es gab unter ihnen auch echte prophetische Gaben.

Sie lebten nach strengen Regeln, mit denen sie die Vorschriften des Gesetzes über die priesterliche Reinheit auf ihre ganze Gemeinschaft übertrugen. Sie hatten auch einen eigenen altüberlieferten Kalender. Nach diesem fiel ihre Feier der Feste oft auf andere Termine als bei den Pharisäern und Sadduzäern. Es gab auch Verheiratete unter ihnen, aber im Gegensatz zu den Pharisäern schätzten sie die Ehelosigkeit sehr hoch ein. Andererseits nahmen sie verwaiste Kinder auf, um sie in ihrer Gemeinschaft großzuziehen. Um ihr Reinheitsideal einzuhalten, lebten sie gerne abgesondert in eigenen Siedlungen, wie in der von Qumran.

Aber auch in Jerusalem gab es auf dem südlichen Hügel, der heute Zionsberg genannt wird, oberhalb des Hinnom-Tals ein von Essenern bewohntes Viertel, das durch eine eigene Mauer innerhalb der Stadtmauer vom Rest der Stadt abgegrenzt war. Es war eine archäologische Sensation, als man das von Josephus erwähnte Essener-Tor dort tatsächlich durch eine Ausgrabung nachweisen konnte.

Nun bleibt aber das Rätsel, warum diese Leute als wichtige Zeitgenossen von Jesus im Neuen Testament nicht in Erscheinung treten. Dieses Rätsel kann man ein wenig lüften, wenn man im Neuen Testament nach „Gott hingegebenen“ Leuten sucht. Das griechische Wort dafür, „eulabés“, kommt im Neuen Testament nicht oft vor, aber an interessanten Stellen, z.B. Luk. 2,25: „Und sieh, in Jerusalem war ein Mann, dessen Name war Simeon, dieser Mann war gerecht und Gott hingegeben. Er erwartete die Hilfe Israels, und Heiliger Geist war auf ihm.“ Simeon, ein echter Prophet, ein Essener? Das klingt einleuchtend …

Als Jahre später nach der Steinigung von Stefanus die erste Christenverfolgung in Jerusalem ausbrach, da heißt es in Apg. 8,2: „Gott hingegebene Leute bestatteten aber Stefanus und machten eine große Klage über ihn.“ Als die Christen zerstreut wurden, tauchten Essener auf und nahmen sich des Leichnams von Stefanus an.

Dann schauen wir uns noch die drei Geschwister in Betanien an, Lazarus, Marta und Maria: Drei unverheiratete Erwachsene, die zusammen leben, das ist für das damalige Israel so ungewöhnlich, dass sie eigentlich nur Essener sein können.

Und als Jesus für seinen Einzug in Jerusalem einen Esel braucht, sagt er den Jüngern: Folgt einem Mann, der einen Wasserkrug trägt. Nun wird das aber erst bedeutsam, wenn man bedenkt, dass damals in Israel das Tragen von Wasserkrügen Frauensache war. Nur ein unverheirateter Mann musste seinen Krug selber tragen. Und dass der ein Essener war, passt mit der Tatsache zusammen, dass das Obergeschoss, in dem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl beging, zu einem Haus in dm oben genannten Essenerviertel gehört. Als Sadduzäer und Pharisäer schon den Tod von Jesus beschlossen hatten, stellten ihm Essener noch einen Saal für die Pesach-Feier zur Verfügung.

Es geht noch weiter: In diesem Obergeschoss des Hauses im Essener-Viertel traf sich nach der Auferstehung von Jesus die erste Gemeinde. Und so fand hier auch an Pfingsten die Ausgießung des Heiligen Geistes statt. So passt auch Apg. 2,5 ins Bild: „Es gab aber jüdische Gott hingegebene Leute aus allen Völkern unter dem Himmel, die sich in Jerusalem niederließen“, die nun zusammenströmten. So erfahren wir auch, dass es bei den Essenern nicht nur einheimische Juden gab. Es gab bei ihnen auch solche, die aus der Diaspora in aller Welt nach Israel zurückgekommen waren.

Und wenn es in Apg 6,7 heißt: „… und eine große Menge der Priester gehorchten dem Glauben“, dann dürfen wir annehmen, dass das wohl weniger Sadduzäer waren, sondern eher Essener.

Die Essener als eigene Gemeinschaft verschwanden über den jüdischen Krieg aus der Geschichte. Sie waren wohl besonders gut auf das Reich Gottes vorbereitet gewesen. Wir dürfen annehmen, dass eine große Zahl von ihnen in Jesus die Erfüllung ihres Glaubens fand. Dann ging die Essener-Gemeinschaft in ihrer Mehrheit einfach in der christlichen Gemeinde auf.

Eigentlich ein schöner Gedanke – die religiösen Gemeinschaften verschwinden und gehen in der Gemeinde des Herrn auf …

Flavius Josephus

Ich möchte euch hier mit einem Mann bekannt machen, der im Neuen Testament selbst nicht vorkommt. Er hat uns aber mehr als andere sehr viel Informationen über dessen zeitgeschichtliche Hintergründe geliefert: Flavius Josephus. Um nicht alles über ihn selbst schreiben zu müssen, zitiere ich an dieser Stelle den Wikipedia-Artikel über ihn:

„Flavius Josephus (geboren 37/38 n. Chr. in Jerusalem; gestorben um 100 vermutlich in Rom) war ein jüdisch-hellenistischer Historiker. Als junger Priester aus der Jerusalemer Oberschicht hatte Josephus eine aktive Rolle im Jüdischen Krieg. Er verteidigte Galiläa im Frühjahr 67 gegen die römische Armee unter Vespasian. In Jotapata geriet er in römische Gefangenschaft. Er prophezeite dem Feldherrn Vespasian dessen künftiges Kaisertum. Als Freigelassener begleitete er Vespasians Sohn Titus in der Endphase des Kriegs und wurde so Zeuge der Eroberung von Jerusalem (70 n.Chr.).

Mit Titus kam er im folgenden Jahr nach Rom, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Er erhielt das römische Bürgerrecht und lebte fortan von einer kaiserlichen Pension und dem Ertrag seiner Landgüter in Judäa. Die Muße nutzte er zur Abfassung mehrerer Werke in griechischer Sprache: eine Geschichte des Jüdischen Kriegs, eine Geschichte des jüdischen Volks von der Erschaffung der Welt bis zum Vorabend dieses Kriegs, eine kurze Autobiografie als Anhang dazu und als Spätwerk eine Verteidigung des Judentums gegen die Kritik zeitgenössischer Autoren.“

Als Beispiel für den Zusammenhang mit der biblischen Geschichte zitiere ich hier einen der Berichte von Flavius Josephus. Ich zitiere ihn in gekürzter und vereinfachter Form (aus der „Geschichte des jüdischen Volks“):

„Um diese Zeit gerieten Aretas, der König von Peträa und Herodes (Antipas) in Streit. Herodes der Fürst hatte des Aretas Tochter geheiratet und lebte mit ihr schon lange Zeit. Als er nach Rom reiste, kehrte er bei seinem Stiefbruder ein, der auch Herodes hieß. Hier fasste er eine so heftige Neigung zu dessen Gattin Herodias, dass er mit dem Plan umging, sie zur Ehe zu nehmen. Herodias war damit einverstanden, und so kamen sie überein, dass sie gleich nach seiner Rückkehr aus Rom in sein Haus kommen solle. Sie stellte jedoch die Bedingung, dass er des Aretas Tochter verstoße.

Seine Gattin hatte aber von der Abmachung mit Herodias Kenntnis erlangt. Sie verlangte, als er aus Rom zurückkehrte, nach Machärus gebracht zu werden. Das war eine Festung, die zwischen dem Gebiet des Herodes und dem ihres Vaters Aretas lag. Herodes erfüllte ihren Wunsch, ohne zu ahnen, dass sie um sein Vorhaben wusste. Als sie dort ankam, brach sie gleich nach Arabien auf. Und so gelangte sie in kurzer Zeit zu ihrem Vater, dem sie des Herodes Plan mitteilte.

Daraufhin brachen die Feindseligkeiten aus. Nachdem es auch noch einen Streit um die Festsetzung der Grenzen gab, boten beide Fürsten ihre Streitmacht auf. So kam es zum Krieg, zu dem beide, statt selbst mit auszurücken, ihre Feldherren entsandten. Gleich beim ersten Zusammenstoß wurde des Herodes Heer aufgerieben, da es von einigen Überläufern verraten wurde.

Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorn Gottes zuzuschreiben, der für die Tötung von Johannes dem Täufer die gerechte Strafe gefordert habe. Den letzteren nämlich hatte Herodes hinrichten lassen, obwohl er ein edler Mann war, der die Juden anhielt, nach Vollkommenheit zu streben, indem er sie ermahnte, Gerechtigkeit gegeneinander und Frömmigkeit gegen Gott zu üben und so zur Taufe zu kommen.

Da nun infolge der wunderbaren Anziehungskraft solcher Reden eine gewaltige Menschenmenge zu Johannes strömte, fürchtete Herodes, das Ansehen des Mannes möchte das Volk zum Aufruhr treiben, und hielt es daher für besser, ihn rechtzeitig aus dem Weg zu räumen. Auf diesen Verdacht hin ließ also Herodes den Johannes in Ketten legen, nach der Festung Machärus bringen und dort hinrichten. Sein Tod aber war, wie gesagt, nach der Überzeugung der Juden die Ursache, weshalb des Herodes Heer aufgerieben worden war, da Gott in seinem Zorn diese Strafe über den Fürsten verhängt hatte.“

Markus

Markus heißt der Autor des Markusevangeliums. Im Gegensatz zu Matthäus und Lukas berichtet er keine Vorgeschichte über Geburt und Kindheit von Jesus. Er setzt wie mit einem Paukenschlag mit Johannes dem Täufer ein und der Botschaft: „Das Reich Gottes ist nahe gekommen!“

Sodann fällt auf, dass Markus wenig Bezüge zum Alten Testament herstellt. Das passt auch zum Fehlen einer Vorgeschichte, die ja auch immer am Vorhergehenden anknüpft. Er hat nur ganz wenige Stücke, die die anderen Evangelien nicht auch berichten. Und es ist das kürzeste der vier Evangelien.

Andererseites werden im Markusevangelium immer wieder Dinge näher erklärt. In Markus 7, wo die Jünger mit ungewaschenen Händen Brote aßen und damit Anstoß erregten, erklärt er: „Denn Pharisäer und alle Juden essen nicht, ohne dass sie sich eifrig die Hände waschen und sich so an die ‚Tradition der Älteren‘ halten. Auch vom Markt essen sie nichts, ohne dass sie es ins Wasser tauchen; und viele andere Dinge gibt es, die sie zu halten übernommen haben, Tauchbäder von Bechern und Krügen und Töpfen, auch von Betten.“

Er gibt Erklärungen für Leute, die sich mit solchen jüdischen Dingen offensichtlich nicht gut auskennen. Das und der reduzierte Bezug zum Altern Testament deuten darauf hin, dass Markus beim Abfassen seiner Schrift vor allem Nichtjuden im Auge hatte. Das passt auch zu der alten Überlieferung, Markus sei als Übersetzer mit Petrus in Rom gewesen. Dort baten ihn die Leute dann, die Botschaft von Petrus für sie aufzuschreiben. Und das war sicherlich der Anstoß zur Zusammenstellung seines Berichts.

Sich selbst hat er in Mk 14,51-52 mit eingeschmuggelt. Als hier alle Jünger nach der Verhaftung von Jesus flohen, erwähnt er: „Und ein junger Mann war mit ihm gegangen, der war mit einem Leinentuch bekleidet und darunter nackt. Und sie packten ihn, und er ließ das Leinentuch zurück und floh nackt.“ Wer weiß von dieser Sache außer ihm selbst? Nur, wenn er hier von sich spricht, hat diese kleine Episode einen Sinn. So erfahren wir auch, dass er einer aus dem weiteren Jüngerkreis war (also nicht von den „Zwölf“). Er kannte also Jesus persönlich und war so nicht nur Sammler und Aufschreiber, sondern in manchen Dingen auch Augenzeuge.

Dass er ein Jerusalemer war, lässt sich aus Apg 12,12 schließen. Als ein Engel Petrus aus dem Gefängnis befreit hatte, heißt es: „Und (Petrus) bemerkte, dass er zum Haus Marias gekommen war, der Mutter von Johannes, der auch ‚Markus‘ genannt wurde, wo ziemlich viele zusammengerufen worden waren und beteten.“ Das Haus seiner Mutter war also in Jerusalem. Er hatte den hebräischen Namen „Johannes“ und daneben den lateinisch/römischen Namen „Markus“. Und wir kennen im Neuen Testament nicht nur seine Mutter Maria. Barnabas, ein führender Mann in der Jerusalemer Gemeinde, war sein Onkel.

Das Phänomen des hebräisch-lateinischen Doppelnamens begegnet uns auch bei „Saul(us) Paulus“ und bei „Silas Silvanus“. Vemutlich war es ein Zeichen der römischen Staatsbürgerschaft, dass man als Jude auch einen römischen Namen trug.

So unrühmlich wie seine Flucht in der Nacht der Verhaftung von Jesus endete später auch seine Beteiligung an der ersten Missionsreise mit seinem Onkel Barnabas und dessen Mitarbeiter Paulus. Als es anfing, gefährlich zu werden, verließ er die beiden und ging zurück nach Jerusalem.

Später war er dann aber wieder mit Barnabas auf Missionsreise. Und im Philemon- und Kolosserbrief erscheint er auch wieder als Mitarbeiter von Paulus, während dieser in Cäsarea zwei Jahre im Gefängnis war. Paulus muss ihn von dort mit einem Auftrag ausgesandt haben. Denn in 2 Tim 4,11 will er ihn gerne wieder zurückhaben: „Nimm Markus auf und bring ihn mit dir mit, er ist mir nämlich sehr nützlich zum Dienst.“