Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Kategorie: Kirche – Gemeinde – Christentum (Seite 2 von 5)

Der Kutscher des Königs

(Der Kutscher des Königs – eine Parabel von Sören Kierkegaard.)

Es war einst ein reicher Mann, der ließ im Ausland für teures Geld ein Paar tadellose, erstklassige Pferde kaufen, die er zum eigenen Vergnügen haben und die zu fahren er selbst das Vergnügen haben wollte. Ein oder zwei Jahre gingen ins Land. Sah ihn jetzt einer sie fahren, der früher die Pferde kannte, er hätte sie nicht wiedererkannt; das Auge matt und schläfrig, der Gang ohne Haltung und Straffheit. Nichts vertrugen sie mehr, nichts hielten sie aus, kaum liefen sie eine Meile. Er musste unterwegs einkehren; manchmal blieben sie stehen, wenn er gerade am besten saß und fuhr. Und dabei hatten sie allerlei Launen und Unarten angenommen. Und trotz des reichlichen Futters, das sie natürlich bekamen, wurden sie magerer von Tag zu Tag.

Da berief er des Königs Kutscher. Der fuhr sie einen Monat lang: Und in der ganzen Gegend gab es kein Paar Pferde, die den Kopf so stolz trugen, deren Blick so feurig, deren Haltung so schön war; kein Paar Pferde, die soviel durchhielten: wenn es sein musste, sieben Meilen in einem Zug, ohne Einkehr. Wie kam das? Es ist leicht zu sehen. Der Besitzer, ohne Kutscher zu sein, fuhr sie nach den Begriffen der Pferde vom Fahren. Der Kutscher des Königs fuhr sie nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren.

So mit uns Menschen. Ach, wenn ich an mich selbst und an die Unzähligen denke, die ich kennen lernte, dann habe ich mir oft mit Wehmut gesagt: Hier sind Gaben genug, doch der Kutscher fehlt. Lange Zeit sind wir Menschen, ein Geschlecht ums andere, gefahren worden (um im Bilde zu bleiben) nach den Begriffen der Pferde vom Fahren; gelenkt, gebildet, erzogen nach dem Begriffe des Menschen vom Menschen. Sieh drum, was uns fehlt: Erhebung, und was weiter daraus folgt: dass wir so wenig aushalten, ungeduldig sofort die Mittel des Augenblicks brauchen und ungeduldig im Augenblick den Lohn sehen wollen für unsere Arbeit – die dann auch danach ist.

Einst war es anders. Einst gefiel es der Gottheit selbst, wenn ich so sagen darf, Kutscher zu sein. Und sie fuhr die Pferde nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren. Ach, was vermochte ein Mensch damals.

Denke an den heutigen Text! Da sitzen zwölf Männer, alle aus der Klasse, die wir den gemeinen Mann nennen. Sie hatten ihn, den sie als Gott verehrten, ihren Herrn und Meister, am Kreuz gesehen. Sie hatten alles verloren, wie man es von keinem anderen auch nur entfernt je sagen kann. Gewiss, danach fuhr er siegreich gen Himmel – doch damit war er aber auch fort. Und nun sitzen sie da und warten, dass ihnen der Geist gegeben werde, um, verflucht von dem Völkchen, dem sie angehören, eine Lehre zu verkünden, die den Hass der Welt gegen sie erregen wird. Diese zwölf Männer sollen die Welt umschaffen -, und zwar in furchtbarstem Maße wider ihren Willen.

Hier steht der Verstand noch still, wenn man sich nach so langer Zeit einen schwachen Begriff davon machen will. Der Verstand steht still, wenn irgend man einen hat. Es ist als müsste man den Verstand verlieren, wenn irgend man einen zu verlieren hat.

Es ist das Christentum, das durchgezogen werden soll. Und diese zwölf Männer, die zogen es durch. Sie waren in gewissem Sinne Menschen wie wir, doch sie wurden gut gefahren! Wahrhaftig! Es ging ihnen wie dem Paar Pferde, als sie der Kutscher des Königs fuhr. Nie hat ein Mensch sein Haupt in Erhebung über die Welt so stolz gehoben, wie die ersten Christen in Demut vor Gott. Und wie das Paar Pferde, wenn es sein musste, sieben Meilen lief, ohne anzuhalten, ohne auszuschnaufen: so liefen sie. Sie liefen siebzig Jahre in einem Zug, ohne ausgespannt zu werden, ohne Einkehr irgendwo. Nein, stolz, wie sie waren, in Demut vor Gott, sagten sie: „Das ist nichts für uns mit dem Zögern unterwegs; wir halten erst – bei der Ewigkeit!“

O heiliger Geist, der du lebendig machst; es fehlt ja nicht an Gaben, an Bildung, an Klugheit. Eher ist dessen zuviel hier. Was aber fehlt, ist, dass du das von uns nimmst, was uns zum Verderben ist: die Macht. Dass du dann die Macht nimmst und das Leben gibst. Gewiss geht das bei einem Menschen nicht zu ohne ein Grauen wie das des Todes, wenn du die Macht von ihm nimmst, um die Macht in ihm zu werden. Allein, wenn selbst Tiere später verstehen, wie gut es für sie war, dass der königliche Kutscher die Zügel ergriff, was ihnen zuerst Furcht einflößte und wogegen sich ihr Sinn dennoch vergebens empörte, – sollte dann ein Mensch nicht bald verstehen können, welche Wohltat es für einen Menschen ist, dass du die Macht nimmst und das Leben gibst.

Das andere Tier

Das andere Tier, das in Offb 13,11-18 dem ersten Tier folgt, kommt aus der Erde herauf. Es kommt also genau wie das erste Tier „von unten“. Ob aus dem Meer oder der Erde, es ist die gleiche Herkunft aus der Unterwelt.

Dass es irgendwie im Schatten des ersten Tieres steht, ist Absicht. Seine Aufgabe ist es, das erste Tier zu verherrlichen. Der Messias Jesus hat den heiligen Geist, der nicht sich, sondern ihn verherrlicht. Und so hat auch der Anti-Christ einen unheiligen Geist, der ihn groß macht und verherrlicht.

Mit dem Drachen als Anti-Gott, dem ersten Tier als Anti-Christ und dem anderen Tier als Anti-Geist haben wir hier also die unheilige Dreieinigkeit beisammen. Und wie der Drache seine Macht dem ersten Tier gegeben hat, so übt auch das andere Tier die ganze Macht des ersten Tieres aus.

Die Nachahmung zeigt sich auch im Versuch einer Lammesgestalt mit „zwei Hörnern wie ein Lamm“. Aber wenn es den Mund aufmacht, dann redet es doch „wie ein Drache“. Auch in der Ausübung von Zeichen und Wundern soll natürlich die Kraft des Heiligen Geistes nachgeahmt werden, der zur Verherrlichung von Jesus seine Zeichen und Wunder tut.

Die Zeichen des unheiligen Geistes sprechen natürlich nicht gegen die Zeichen des Heiligen Geistes. Im Gegenteil, sie bestätigen sie, indem offensichtlich die Notwendigkeit besteht, sie nachzumachen. Man erkennt hier deutlich, wie nötig es ist, die Geister zu unterscheiden.

In einer Sache geht der böse Geist aber über den guten Geist hinaus. Er lässt zur Verehrung des Anti-Christen mit der Todeswunde ein Bild von ihm anfertigen, das alle Menschen anbeten sollen. Das geht natürlich gegen das göttliche Verbot der Bilderverehrung – eine Gotteslästerung.

Und nun stellen wir uns das Bild einmal vor: ein Messias mit einer Todeswunde. Ich hoffe, dass das dem einen oder anderen irgendwie bekannt vorkommt. Ich kann für dieses Bild keine andere historisch greifbare Erklärung finden als das Kruzifix. Das Bild eines getöteten Messias, das verehrt und angebetet wird. Darüber hinaus findet es dann ja auch als Schutz- und Segenszauber seine Verwendung.

Und wer nicht glaubt, dass dieses Bild auch sprechen kann, der schaue sich einmal Filme wie „Don Camillo und Peppone“ und „Pfarrer Braun“ an. Hier wird diese Sache zwar eher ins Lächerliche gezogen, aber damit doch im Grunde bestätigt. Und ganz sicher wurden schon viele „Ketzer“ getötet, weil sie die Anbetung dieses Bildes nicht mitmachen wollten.

Aus diesem Bild ergibt sich auch das Kennzeichen, das sich die Menschen auf ihre rechte Hand oder ihre Stirn machen sollen. Es ist das Kreuz. Auch für dieses Zeichen gibt es in der Historie keine andere Erklärungsmöglichkeit. (Wir gehen davon aus, dass die antichristlichen Mächte schon seit der ersten Christengeneration während der gesamten Endzeit am Werk sind.) Und Zeiten, in denen man ohne dieses Zeichen weder kaufen noch verkaufen konnte, hat es mit Sicherheit auch schon gegeben.

Sollte jemand diese Betrachtungsweise des Kruzifixes und des Kreuzes als Bild und Kennzeichen des Antichristen angesichts deren Verbreitung in „christlichen“ Kreisen als irgendwie unheimlich empfinden, so muss ich ihm unbedingt Recht geben. Es ist so unheimlich wie das ganze Kapitel Offenbarung 13.

Aber wer sich mit offenen Augen umschaut, wird es erkennen: Das Kreuz und das Kruzifix sind kein Bekenntnis zur eindeutigen Nachfolge von Jesus dem Messias, wohl aber Zeichen von Kirchlichkeit, Frömmelei und Aberglauben.

Die Vollmacht der Zeugen

Die Vollmacht der Zeugen in Offb 11 ist auffällig. Wenn, wie wir annehmen, die Zeugen ein Bild der christlichen Gemeinde sind, müssen wir uns auf die biblische Spurensuche dazu begeben. Andere Parallelen zu den Zeugen sind uns in der Bibel schon aufgefallen. Dass sie prophetisch sprechen, ist eine davon. Die mit Heiligem Geist erfüllte Gemeinde des Neuen Testaments ist eine prophetische Gemeinde. Denn der Heilige Geist ist auch der Geist der Prophetie.

In Offb 19,10 sagt der Engel, der mit Johannes spricht: „Ich bin ein Mitsklave von dir und deinen Geschwistern, die das Zeugnis von Jesus haben, bete Gott an!“ Und dazu folgt die Erklärung: „Das Zeugnis von Jesus ist der Geist der Prophetie.“ Die Geschwister von Johannes sind die Gläubigen. Und diese haben das Zeugnis von Jesus in sich. Vielleicht erinnern wir uns an das Wort von Paulus – Röm 8,16: „Der Geist selbst bestätigt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“

Und wenn die Gemeinde den Geist der Prophetie hat, dann steht sie auch in der prophetischen Tradition der ganzen Bibel. Denn echte Prophetie kommt immer aus dem Heiligen Geist, und der ist zu allen Zeiten derselbe.

Damit sind wir auch bei der Vollmacht der Zeugen – Offb 11,6: „Diese (Zeugen) haben die Vollmacht, den Himmel zu verschließen, dass er es nicht regnen lässt während der in ihrer Prophetie (genannten) Zeit. Sie haben Macht über die Wasser, sie in Blut umzuwandeln, und die Erde mit jeder Plage zu schlagen, sooft sie wollen.“

Diese Art der Vollmacht mag beim ersten Lesen etwas krass erscheinen, aber unbekannt sind die Phänomene nicht. Der Prophet Elija hat es zu Zeiten des Königs Ahab und der Königin Isebel dreieinhalb Jahre nicht regnen lassen. Und Mose hat in Ägypten das Wasser in Blut verwandelt und das Land noch mit neun anderen Plagen geschlagen. Natürlich hat Gott selbst das alles getan, aber er hat seine Propheten als Werkzeuge und Zeugen dazu gebraucht.

Es ist immer dieselbe Kraft desselben Geistes. Dass es auch im Neuen Testament dieselbe ist, leuchtet im Brief von Jakobus auf – 5,16b-18: „Die Bitte eines Gerechten hat Kraft und wirkt sich aus. Elija war ein genauso sterblicher Mensch wie wir, und er betete ein Gebet zu Gott, es nicht mehr regnen zu lassen, und Gott ließ es nicht mehr regnen auf die Erde drei Jahre und sechs Monate. Und er betete wieder, und der Himmel gab Regen, und die Erde brachte ihre Frucht hervor.“

Für Jakobus ist das also keine ferne Vergangenheit, sondern ein aktuelles Beispiel zum Thema Gebet. Elija war ein Mensch wir, sagt er. Und wenn Gott so etwas durch Elija tun konnte, dann kann er es auch durch uns tun.

Die Zeugen der Offenbarung bzw. des Neuen Testaments stehen also nicht nur in der Nachfolge von Jesus. Sie stehen auch in der Nachfolge von Mose und Elija. Und in der Gemeinschaft mit Gott können auch sie die gewaltigsten Dinge tun. Dass es hier für die heutige christliche Gemeinde noch einiges zu entdecken gäbe, dürfte deutlich sein. Aber natürlich nur in der Spur der prophetischen Gemeinde des Neuen Testaments …

Sentenzen von Kierkegaard

Sentenzen von Kierkegaard sind eine Sammlung von Sätzen oder kurzen Abschnitten aus Sören Kierkegaards Schriften. Es finden sich dort immer wieder Kernsätze, in denen er eine wichtige Wahrheit auf den Punkt bringt. Hier meine subjektive Auswahl solcher Sentenzen, die ich auch immer wieder erweitere:

„Eben das ist des Daseins Ernst, dass du in eine Welt gesetzt bist, wo die Stimme, die dich auf den rechten Weg ruft, ganz leise redet, während tausend laute Stimmen in und außer dir gerade vom Gegenteil reden. – Just das ist der Ernst, dass jene Stimme so leise redet, weil sie dich prüfen will, ob du auch ihrem leisesten Flüstern williges Gehör schenkst.“

„Die schrecklichste Art von Gotteslästerung ist die, welche die ‚Christenheit‘ verschuldet: den Gott des Geistes in ein lächerliches Geschwätz zu verwandeln. Und die geistloseste Art von Gottesverehrung, geistloser als alles, was je das Heidentum aufbrachte, geistloser als die Verehrung eines Steines, eines Ochsen, eines Insektes, geistloser als alles, was überhaupt an Geistlosigkeit möglich ist, ist dies: als Gott einen Faselhans anzubeten.“

„Wenn der, der handeln soll, sich nach dem Erfolg beurteilen will, wird er nie zum Anfangen kommen. Wenn der Erfolg auch die ganze Welt erfreuen kann, dem Helden kann er nicht helfen. Denn den Erfolg bekam er erst zu wissen, als alles vorbei war. Und nicht dadurch wurde er ein Held, sondern dadurch, dass er anfing.“

„In der Welt des Geistes wird nur der getäuscht, der sich selber täuscht.“

„Geist ist: welche Macht die Erkenntnis eines Menschen über sein Leben hat.“

„‚Meine Last ist leicht‘. Was ist denn Sanftmut anderes als: die schwere Last leicht tragen? So wie Ungeduld und Verdrießlichkeit nichts anderes sind als: die leichte Last schwer tragen.“

„Was ist, was war und bleibt des Menschen Unglück? Das ist der Satan der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit, das ‚bis zu einem gewissen Grade‘, das, auf das Christentum angewendet – o verkehrtes Wunder oder wunderbare Verkehrtheit – dieses in ein Geschwätz verwandelt!“

„Die Seligkeit des Glaubens ist, dass Gott die Liebe ist. Daraus folgt nicht, dass der Glaube versteht, wie Gottes Handeln gegen einen Menschen immer Liebe ist. Gerade hier besteht der Streit des Glaubens: glauben können ohne zu verstehen.“

„Ob es einen Spieker gibt, von dem man im besonderen sagen kann, dass er den Bau des Schiffes zusammenhält, weiß ich nicht. Doch das weiß ich, dass der Glaube der göttliche Zusammenhalt in einem Menschen ist. Wenn er hält, macht er ihn zum stolzesten Segler. Wenn er gelöst wird, macht er ihn zum Wrack und damit den Inhalt des ganzen Lebens zu Tand und elender Eitelkeit.“

„Was ich suchte, habe ich gefunden. Und wenn die Menschen mir alles raubten, mich aus ihrer Gemeinschaft ausstießen, so behielte ich doch die Freude. Würde mir alles genommen, so behielte ich doch immer das Beste – die selige Verwunderung über Gottes unendliche Liebe, über die Weisheit seiner Ratschlüsse.“

„Wer immer das Beste hofft, der wird alt, vom Leben betrogen. Und wer immer auf das Schlimmste vorbereitet ist, der wird zeitig alt. Aber wer glaubt, der bewahrt eine ewige Jugend.“

„Das Missverständnis in der Religiosität unserer Zeiten besteht darin, dass man jetzt den Glauben dermaßen zu einer Innerlichkeit macht, dass er eigentlich ganz verschwindet, sodass sich das Leben ohne weiteres rein weltlich gestalten darf, und dass man an die Stelle des Glaubens eine Versicherung seines Glaubens setzt.“

„Vater im Himmel! Was ist ein Mensch ohne dich! Wie ist all sein Wissen, und wär‘ es ein Fülle des Mannigfaltigsten, doch nur ein Bruchstück, wenn er dich nicht kennt! Wie ist all sein Streben, und wär‘ es weltumspannend, nur halbfertige Arbeit, wenn er dich nicht kennt, dich, den einen, der Eins ist und Alles!“

„Das Evangelium ist nicht das Gesetz. Das Evangelium will dich nicht durch Strenge, sondern durch Milde erretten. Diese Milde will dich aber retten, nicht betrügen, darum ist die Strenge in ihr.“

„Es ist in alle Ewigkeit unwahr, dass die Schuld eine andere wird, – selbst wenn ein Jahrhundert verginge. So etwas sagen heißt, das Ewige mit dem verwechseln, das dem Ewigen am wenigsten gleicht: mit menschlicher Vergesslichkeit …“

„Das Kennzeichen eines hochgesinnten Menschen, einer tiefen Seele, ist, dass er bereit ist zu bereuen. Er rechtet nicht erst mit Gott, sondern bereut und liebt Gott in seiner Reue.“

„Ach, lasst uns doch nicht Jünglinge betrügen. Lasst uns doch nicht dasitzen und feilschen im Vorhof zum Heiligen, nicht eine unheilige Einleitung bilden zum Heiligen, als solle man das Gute darum in Wahrheit wollen, damit etwas aus einem werde in der Welt.“

„Beredt sein ist im Bereich der Frömmigkeit ein Spiel, so wie schön sein ein glücklicher Vorzug ist, doch ein Spiel. Der Ernst ist: das Wort hören, um danach zu handeln. Das ist das Höchste, und, Gott sei gepriesen, das kann jeder Mensch, wenn er will.“

„In unserer Zeit glaubt man, das Wissen gebe den Ausschlag, und wenn man nur die Wahrheit zu wissen bekomme, je kürzer und geschwinder, je besser, so sei einem geholfen. Aber Existieren ist etwas ganz anderes als Wissen.“

„Lass uns nicht das Christentum auf seine alten Tage in einen reduzierten Gastwirt verwandeln, der auf etwas verfallen muss, um Kunden anzulocken, oder in einen Abenteurer, der sein Glück in der Welt machen will.“

„Beten ist nicht sich selbst reden hören, sondern verstummen, so lange verstummen und warten, bis der Betende Gott hört.“

„Gott ist Geist und kann darum nur im Geist ein Zeugnis geben, das heißt: im inneren Menschen. Jedes äußere Zeugnis von Gott, wenn von einem solchen die Rede sein könnte, kann ebenso Betrug sein.“

„Das Christliche liegt in der Entscheidung und dem Entschiedensein.“

„Gott schafft alles aus nichts – und alles, was Gott gebrauchen will, macht er zuerst zu nichts.“

„Im Verhältnis zu Gott gibt es für keinen Menschen eine geheime Instruktion, ebensowenig wie eine Hintertreppe. Und selbst der eminenteste Geist, der zum Vortrag erscheint, tut am besten, mit Furcht und Zittern zu erscheinen.“

„Gott ist nicht in Verlegenheit wegen Mangels an Genies, er kann ja ein paar Legionen erschaffen. Und sich in Gottes Dienst für Gott unentbehrlich machen zu wollen, bedeutet eo ipso den Abschied.“

„Jeder Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen, das ist das Absolute. Das bisschen, was er von Hinz und Kunz lernt, ist nicht hoch anzuschlagen.“

„Der Unterschied zwischen einem Genie und einem Christen liegt darin, dass das Genie das Außerordentliche auf dem Gebiet der natürlichen Begabung ist, wozu niemand sich machen kann, der Christ aber das Außerordentliche (oder genauer gesagt: das Ordentliche, das nur außerordentlich selten ist) auf dem Gebiet der Freiheit, was jeder von uns sein sollte.“

„Die Welt ist ein sehr konfuser Denker, der vor lauter Gedanken weder Zeit noch Geduld hat, einen Gedanken zu denken.“

„Das kannst du mir glauben: Nichts ist Gott so zuwider, keine Ketzerei, keine Sünde, nichts ist ihm so zuwider wie das Offizielle. Das kannst du leicht verstehen. Denn da Gott ein persönliches Wesen ist, kannst du wohl begreifen, wie es ihm zuwider ist, wenn man ihm Formeln unter die Nase halten will, ihm mit offizieller Feierlichkeit, mit offiziellen Redensarten aufwartet. Ja, gerade weil Gott im eminentesten Sinne Persönlichkeit ist, lauter Persönlichkeit, gerade deshalb ist ihm das Offizielle so unendlich mehr zuwider als einer Frau, die entdeckt, dass man um sie anhält – nach einem Formelbuch.“

„Dass die Welt nicht vorwärtskommt, sondern zurückgeht, hat offenbar seinen Grund darin, dass die Menschen einander um Rat fragen, statt sich jeder mit Gott zu beraten.“

„Bisher hat man sich immer so ausgedrückt: Die Erkenntnis, dass man dies und jenes nicht verstehen kann, befriedigt die Wissenschaft nicht, die begreifen will. Hier liegt der Fehler. Gerade umgekehrt soll man sagen: Wenn menschliche Wissenschaft nicht begreifen will, dass es etwas gibt, was sie nicht verstehen kann, oder noch deutlicher: etwas, wovon sie klar verstehen kann, dass sie’s nicht verstehen kann: dann ist alles verworren.“

„Glauben heißt: dass das eigene Selbst, indem es es selbst ist und es selbst sein will, durchsichtig seinen Grund in Gott hat.“

„Die Sünde ist nicht das Wilde in Fleisch und Blut, sondern die Einwilligung des Geistes darein.“

„Viel Sonderbares, viel Beklagenswertes, viel Empörendes hat man schon vom Christentum gesagt. Aber das Dümmste, was man je gesagt hat, ist, es sei bis zu einem gewissen Grade wahr.“

„Gott wird dadurch beleidigt, dass er einen Anhang bekommt, einen Zwischenrang und Stab von klugen Köpfen. Und die Menschheit wird dadurch verletzt, dass nicht alle Menschen ein gleiches Verhältnis zu Gott haben.“

„Man spricht so viel vom Leben-Vergeuden. Aber nur das Leben des Menschen wäre als vergeudet anzusehen, der, von den Freuden des Lebens oder von dessen Sorgen betrogen, so dahinlebte, dass er sich niemals für ewig entscheidend als Geist, als Selbst bewusst würde und im tiefsten Sinn das Erleben hätte, dass ein Gott existiert, und er, er selbst für diesen Gott existiert.“

„Als Kind hörte ich immer, im Himmel sei große Freude, lauter Freude. Ich glaubte das auch und dachte mir Gott selig in lauter Freude. Ach, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich dazu, mir Gott in Trauer sitzend vorzustellen, ihn, der von allen am besten weiß, was Trauer ist.“

„Was ist das Höchste? Nun, wir wollen das Höchste nicht um seinen Preis betrügen. Wir verhehlen nicht, dass man es selten erreichte in der Welt. Denn das Höchste ist: dass ein Mensch völlig überzeugt werde, dass er gar nichts vermag, nichts.“

„Du ernster, strenger Mann, denke daran: Wenn du dich nicht demütigen kannst, so hast du keinen Ernst.“

„In Wahrheit ist es das traurigste Missverständnis, wenn ein Mensch in dem Eifer, andere auszuschließen, so sicher wird, dass er nicht einmal davon träumt, selbst ausgeschlossen zu sein.“

„Der Staat verhält sich direkt zur Zahl. Wenn daher ein Staat sich vermindert, kann die Zahl allmählich so klein werden, dass der Staat aufhört. Das Christentum verhält sich anders zur Zahl; ein einziger wahrer Christ genügt, um die Existenz des Christentums darzutun.“

„Ich habe es für unwürdig angesehen, wenn ich mich mehr vor Menschen und ihrem Urteil als vor Gott und seinem Urteil schämen würde; für feig und niedrig, nach dem zu fragen, wozu mich die Scham vor Menschen verleiten könnte, mehr als nach dem, was die Scham vor Gott befiehlt.“

„Alles, was ein Mensch in der Welt ausrichtet, selbst das Erstaunlichste, ist dennoch bedenklich, wenn er sich selbst bei seiner Wahl nicht ethisch klar gewesen ist und sich seine Wahl nicht ethisch klargemacht hat.“

„Das Christentum will dem einzelnen eine ewige Seligkeit schenken, ein Gut, das nicht in größeren Portionen ausgeteilt wird, sondern jedesmal nur einem.“

Die Nikolaiten

Die Nikolaiten werden in zwei der sieben Briefe an die sieben Gemeinden in der Offenbarung von Jesus angesprochen. An die Gemeinde in Ephesus – 2,6: „Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hasst, wie auch ich sie hasse.“ Und an die Gemeinde in Pergamon – 2,15: „So hast auch du Leute, die sich genauso an die Lehre der Nikolaiten halten.“

Diese Nikolaiten sind uns aus andern Quellen der damaligen Zeit nicht bekannt. Alles, was wir über sie wissen, müssen wir dem Zusammenhang der Briefe in der Offenbarung entnehmen. Im Brief an die Gemeinde in Ephesus wird inhaltlich nichts darüber gesagt. Es heißt nur, dass die Gemeinde ihre Werke richtigerweise hasst, wie auch Jesus sie hasst.

Im Brief an die Gemeinde in Pergamon wird es konkreter. „Aber ich habe ein ‚wenig‘ gegen dich: Du hast dort Leute, die sich an die Lehre Bileams halten, der den Balak lehrte, den Nachkommen Israels ein Ärgernis vorzusetzen: Fleisch von Götteropfern zu essen und Unzucht zu treiben. So hast auch du Leute, die sich genauso an die Lehre der Nikolaiten halten.“

Die Nikolaiten werden hier mit dem heidnischen Seher Bileam und seinem zerstörerischen Einfluss auf das Volk Israel verglichen. Dieser ist in 4 Mo 25,1-2 in Verbindung mit 4 Mo 31,16 nachzulesen. Sie lehren (und praktizieren natürlich), dass Christen Fleisch von Götteropfern essen und Unzucht treiben dürfen. Sie nehmen sich eine (falsch verstandene „christliche“?) Freiheit, die auch sonst im Neuen Testament überall abgewiesen wird. Unreinheit im religiösen und im sexuellen Bereich hat in der christlichen Gemeinde keinen Platz. Christliche Freiheit ist nicht Freiheit zum Sündigen, sondern Freiheit von der Sünde.

Ohne den Begriff „Nikolaiten“ zu erwähnen, wird der Sachverhalt aber auch im Brief an die Gemeinde in Thyatira noch einmal angesprochen. „Ich habe gegen dich, dass du die Frau Isebel zulässt, die sich ‚Prophetin‘ nennt, die lehrt und meine Sklaven irreführt, dass sie Unzucht treiben und Fleisch von Götteropfern essen.“ Auch hier wird die Sache mit einer alttestamentlichen Verführergestalt, in diesem Fall Isebel, verglichen. Es klingt so, als sei in Thyatira eine ganz konkrete Frauengestalt als „Prophetin“ am Werk gewesen, die die Rolle Isebels einahm.

In Pergamon und Thyatira hatte sich diese Art von Unreinheit schon mehr oder weniger weit in der Gemeinde ausgebreitet. Es war höchste Zeit, sich mit klarer Trennung dagegen abzugrenzen. Und es ist deutlich, dass es im Neuen Testament bis hin zur Offenbarung keinerlei Kompromiss mit Sünde und Unreinheit gibt. Dazu hat der auferstandene Jesus hier noch einmal das letzte Wort gesprochen.

Die Engel der Gemeinden

Die Engel der Gemeinden, diese Bezeichnung, die in den ersten Kapiteln der Offenbarung in der Lutherübersetzung auftaucht, müssen wir ergründen. In der einleitenden Vision der Offenbarung sieht Johannes Jesus in überwältigender Macht und Herrlichkeit. Er ist umringt von sieben Leuchtern und hat sieben Sterne in seiner rechten Hand.

Und Jesus selbst gibt die Erklärung dazu – Offb 1,20 (Luther): „Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter ist dies: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.“

Nun könnte man spekulieren, dass in der unsichtbaren Welt für jede Gemeinde irgendwie ein Engel zuständig sei, obwohl ansonsten nirgends im Neuen Testament auch nur die Spur einer solchen Vorstellung vorkommt. Im Gegenteil, Herr der Gemeinde ist Jesus selbst, und er leitet sie durch den Heiligen Geist, der der Gemeinde gegeben ist. Auch der Gedanke, dass Jesus einem irdischen Menschen einen Brief diktieren muss, um mit einem Wesen in der unsichtbaren Welt zu kommunizieren, ist doch wohl recht eigenartig.

Ein guter Teil dieses Problems lässt sich lösen, wenn man sich erinnert, dass das griechische Wort „ángelos“ – von dem das deutsche „Engel“ abgeleitet ist – in seiner eigentlichen Bedeutung „Bote“ heißt. Der Bote ist der Überbringer einer Botschaft. Erst damit, dass auch „Boten“ Gottes so bezeichnet wurden, ist daraus der Begriff „Engel“ entstanden. Nun haben wir also keine Engel der Gemeinden mehr, sondern Boten der Gemeinden. Aber ein Teil des Rätsels bleibt : Was sind das für Boten?

Manche Ausleger haben mit dieser Bedeutung des Wortes an Leiter der Gemeinden gedacht. Jemand muss ja den Brief in Empfang nehmen und sich um die Umsetzung der Botschaft kümmern. Aber auch diese Sichtweise krankt daran, dass wir im Neuen Testament keine solchen alleinigen Gemeindeleiter finden. Wir finden immer nur mehrere Ältere bzw. Verantwortliche, die auch nicht alleine, sondern in Einmütigkeit mit der ganzen Gemeinde die Verantwortung tragen.

Aber auch diese Schwierigkeit lässt sich lösen, wenn man entdeckt, dass grammatikalisch der Genitiv auch erklärende Bedeutung haben kann. Der nachfolgende Genitiv erklärt das Wort davor. Der Genitiv „der Gemeinden“ erklärt dann die „Boten“. Und dann heißt „Boten der Gemeinden“, dass die Boten die Gemeinden sind. Und damit kommt man zurecht. Die Boten Gottes in der Welt sind die Gemeinden. Der Bote Gottes in Ephesus ist die Gemeinde in Ephesus. Dazu passt auch, dass die Briefe inhaltlich immer die ganze Gemeinde ansprechen. Z. B.: „Du hast den Namen, dass du lebst, und du bist tot.“

Die Adressaten, die Jesus Johannes angibt, bestätigen, dass die Gemeinden gemeint sind – Kap. 1,11: „Schreibe, was du siehst, in eine Schriftrolle und schick sie den sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!“ Wie auch die anderen Schriften im Neuen Testament, soll die ganze Gemeinde sie lesen, geistlich verarbeiten und umsetzen..

Im Bild sind nun also nicht nur die sieben Leuchter sieben Gemeinden. Auch die sieben Sterne sind sieben Gemeinden – in ihrer Funktion als Boten. Das drückt die zwei Seiten der christlichen Existenz aus: Der Leuchter steht im Heiligtum vor Gott. Das ist die Gott zugewandte anbetende Seite. Der Stern ist ein Licht in der Nacht. Das ist die der Welt zugewandte Seite, das Licht, das in der Finsternis leuchtet. Wir haben hier wieder Beispiele für prophetische Symbolsprache.

Die sieben angeschrieben Gemeinden liegen im damaligen wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des römischen Reiches. Sie stehen natürlich stellvertretend für alle Gemeinden bzw. die ganze Gemeinde. Und jede Gemeinde bzw. jeder Christ sollte schauen, wo er sich darin wiederfindet, und entsprechende Konsequenzen ziehen: „Wer ein Ohr hat, soll hören, was der Geist den Gemeinden sagt!“ (Auch hier wieder: „den Gemeinden“.)

Israel

Eine wichtige und in manchen christlichen Kreisen viel besprochene Frage ist, was das Neue Testament zum Thema „Israel“ sagt. Israel ist zunächst das alttestamentliche Volk Gottes. Ihm sandte Gott, „als die Zeit erfüllt war“, seinen Sohn, Jesus den Messias. Und an Jesus dem Messias hat sich Israel dann gespalten. Ein größerer Teil Israels hat Jesus als Messias abgelehnt. Ein kleinerer Teil Israels in Gestalt der Jünger und der ersten Gemeinde hat Jesus angenommen. Und der ablehnende Teil Israels war dann nicht nur bei der Hinrichtung von Jesus die treibende Kraft, sondern auch bei der Verfolgung der ersten Gemeinde.

Über das Verhältnis dieser beiden Teile Israels hat Paulus ausführlich im Römerbrief geschrieben, in den Kapiteln 9 bis 11. Er legt dar, dass es einen ungläubigen Teil Israels gibt, der sich mit seiner Ablehnung selbst vom Geschenk Gottes im Messias ausgeschlossen hat, und dass es den gläubigen „Rest“ Israels gibt, mit dem Gott nun seinen Weg weitergeht.

Und in den gläubigen Rest-Teil Israels werden dann auch Nichtjuden aufgenommen. Ihnen hat Gott die Türe geöffnet, ins Volk Gottes hereinzukommen. Und so sind sie nicht mehr „Fremde und Ausländer“, sondern „Mitbürger der Heiligen und Angehörige Gottes“ (Eph 2,19). Paulus stellt das im Bild des Olivenbaums dar: Alte Zweige wurden abgeschnitten, neue Zweige werden eingepfropft, die genauso dazugehören. Die gläubige Gemeinde aus Juden und Nichtjuden ist nun das gläubige und treue Volk Gottes – Israel.

Das hatte auch Jesus selbst schon dem ablehnenden Teil Israels angekündigt. Mt 21,47: „Das Reich Gottes wird von euch weggenommen werden und einem Volk gegeben werden, das dessen Früchte hervorbringt.“

Die Haltung der Gemeinde zum abtrünnigen Teil Israels ist aber eindeutig. Es ist die Haltung, die auch Jesus selbst hatte: Schmerz und Trauer und der Wunsch, sie auch weiterhin zu gewinnen. Sie zu verfolgen und möglichst auszurotten, war nie ein Gedanke der christlichen Gemeinde. Der „christliche“ Antisemitismus konnte erst auf dem Boden des kirchlichen Antichristentums aufkommen und seine bösen Früchte hervorbringen.

Paulus sagt, dass Gott auch für den abtrünnigen Teil Israels an seinen Zusagen festhält. Auch wenn es ein untreues Israel gibt, bleibt Gott doch treu. Und wenn Jesus wiederkommt, wird auch dieser Teil Israels ihn als seinen Messias erkennen und gerettet werden. Aber bis dahin ist das einzige Volk Gottes und damit das „Israel Gottes“ die Gemeinde.

In Gal 6,16 schreibt Paulus: „Friede und Erbarmen über alle, die sich nach dieser Regel richten, über das (ganze) Israel Gottes!“ Nachdem er die Forderung nach der physischen Beschneidung der bekehrten Nichtjuden abgewehrt hat, hat er diese neue Regel in Vers 15 so beschrieben: „Weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit ist etwas, sondern eine neue Schöpfung!“

Statt der physischen Beschneidung gibt es nun in der Wiedergeburt eine geistliche Beschneidung. Röm 3,28-29: „Nicht der ist nämlich ein Jude, der es im Sichtbaren ist, und nicht das ist Beschneidung, was am Körper sichtbar ist. Vielmehr ist der ein Jude, der es im Verborgenen ist, und Beschneidung des Herzens (geschieht) im Geist, nicht mit Buchstaben. Das Lob eines solchen (Menschen) kommt nicht von Menschen, sondern von Gott.“ Die Beschneidung ist also nicht abgeschafft, sondern sie wird erfüllt in der Reinigung des Herzens durch den Heiligen Geist.

Paulus geht hier tatsächlich so weit, diese nach der neuen Regel „Beschnittenen“ nun auch als die wahren „Juden“ zu bezeichnen. Die abtrünnigen Juden haben also trotz ihrer physischen Beschneidung ihr eigentliches „Judentum“ verloren, ihre Beziehung zu Gott. Und ein hereinkommender Nichtjude wird nun durch die Beschneidung des Herzens zu einem Angehörigen des Volkes Gottes, zu einem „Juden“.

Von seiner Ursprungsgeschichte her bezeichnete sich Israel auch gerne als das „Zwölf-Stämme-Volk“. Und hier löst sich auch das Rätsel um die Frage, an wen Jakobus seinen Brief geschrieben hat. „Jakobus, ein Sklave Gottes und des Herrn, Jesus des Messias: an die zwölf Stämme in der Diaspora. Seid gegrüßt!“ Dass Jakobus an Gläubige schreibt, ist vom Inhalt des Briefes her ganz klar. Wenn nun die Gläubigen das wahre „Israel Gottes“ sind, dann sind sie auch das Zwölf-Stämme-Volk.

Von hier aus fällt dann auch helles Licht auf eine der rätselhaften Visionen in der Offenbarung – Offb 7,1-8:

„Danach sah ich vier Engel an den vier Enden der Erde stehen, die halten die vier Winde der Erde fest, damit kein Wind wehen soll über die Erde, über das Meer und über jeglichen Baum. Und ich sah einen anderen Engel heraufkommen vom Aufgang der Sonne, der hatte ein Siegel des lebendigen Gottes und rief mit lauter Stimme zu den vier Engeln, denen es gegeben worden war, der Erde und dem Meer zu schaden: ‚Schadet weder der Erde, noch dem Meer, noch den Bäumen, bis wir die Sklaven unseres Gottes auf ihren Stirnen versiegelt haben!‘ Und ich hörte die Zahl derer, die versiegelt wurden: ‚hundertvierundvierzigtausend‘.

Es sind Versiegelte aus jedem Stamm der Nachkommen Israels: vom Stamm Juda zwölftausend Versiegelte, vom Stamm Ruben zwölftausend, vom Stamm Gad zwölftausend, vom Stamm Ascher zwölftausend, vom Stamm Naftali zwölftausend, vom Stamm Manasse zwölftausend, vom Stamm Simeon zwölftausend, vom Stamm Levi zwölftausend, vom Stamm Issachar zwölftausend, vom Stamm Sebulon zwölftausend, vom Stamm Josef zwölftausend, vom Stamm Benjamin zwölftausend Versiegelte.“

Für das „Versiegeln“ gibt es Parallelstellen im Neuen Testament:

„Es ist Gott, der uns samt euch festigt auf den Messias hin, der uns gesalbt hat, der uns versiegelt hat, der als Anzahlung den Geist gegeben hat, der in unseren Herzen ist.“ (1 Kor 1,21).

„In ihm wurdet ihr auch, als ihr zum Glauben kamt, versiegelt mit dem versprochenen Heiligen Geist, der eine Anzahlung unseres Erbes ist auf die erworbene Erlösung hin, zum Lob seiner Herrlichkeit.“ (Eph 1,13b+14).

„Und macht nicht den Heiligen Geist Gottes traurig, mit dem ihr versiegelt wurdet auf den Tag der Erlösung hin!“ (Eph 4,30).

Das ist die neutestamentliche Lehre von der „Versiegelung“.

Und mit dieser Erkenntnis verstehen wir nun auch die Vision in der Offenbarung. Die vier Winde (die das letzte Gericht über die Erde bringen sollen) müssen still bleiben, bis die zwölf Stämme (die gläubige Gemeinde aus Juden und Nichtjuden) versiegelt sind mit dem Heiligen Geist. Das ist ja ein fortlaufender Prozess, solange noch immer durch Wiedergeburt neue Gläubige hereinkommen. Das geht so lange, bis es hundervierundvierzigtausend sind (die volle – symbolische – Zahl, die Gott in seinem Plan festgelegt hat).

Und dann kommt das Ende. Jesus holt die Gemeinde weg, und wir sehen sie in der darauf folgenden Vision in Offb 7,9-17 als unzählbare Menge, als vollendete Gemeinde vor dem Thron Gottes. (Dass die unzählbare Menge aus 144.000 besteht, ist nur scheinbar ein Widerspruch: Gott kann sie zählen, Menschen können es nicht.)

Ich hoffe, du bist dabei …

Die neuen Sprachen

Die neuen Sprachen, in denen die am ersten Pfingstfest Versammelten redeten, sind ein bekannter Teil des Berichtes über die erste Geistausgießung in Apg 2. Dass es sich dabei um reguläre Sprachen handelte und nicht um irgendein Stammeln oder Lallen, geht aus der Schilderung hervor.

Dass in älteren Übersetzungen von „Zungen“ die Rede ist, hat dazu beigetragen, dass man sich unter „Zungenrede“ manchmal auch recht eigenartige Dinge vorgestellt hat. Der Grund für den missverständlichen Ausdruck liegt darin, dass das griechische „gloosa“ sowohl die Bedeutung „Zunge“ als auch „Sprache“ hat. Übrigens hatte „Zunge“ in früheren Zeiten auch im Deutschen die Bedeutung „Sprache“. Leute „deutscher Zunge“ waren Deutschsprechende.

Dass diese Sprachen auch die weiteren Geistausgießungen in der Apostelgeschichte begleiteten, ist bekannt. Genauso bekannt sind auch die Verwirrungen und Auseinandersetzungen um diese Gabe, die es in Korinth gab und die Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde dort klären musste.

Weniger bekannt ist, dass sie auch an zwei weiteren Stellen in den Briefen auftauchen, nur unter einem anderen Namen. Paulus hat die Sprachengabe in 1 Kor 14 auch als „Beten im Geist“ bezeichnet, mit dem man sich selbst geistlich aufbauen kann. Und im Zusammenhang mit der geistlichen Waffenrüstung empfiehlt er dieses auch im Epheserbrief – Eph 6,18: „Bei allem Beten und Bitten betet bei jeder Gelegenheit im Geist, …“. Und auch im Judasbrief, Vers 20, wird es eindringlich ans Herz gelegt: „Ihr aber, Geliebte, baut euch auf in eurem heiligsten Glauben, indem ihr im Heiligen Geist betet!“

Das Beten im Geist bzw. in Sprachen war in der neutestamentlichen Gemeinde also wohl ein weiter verbreitetes und dauerhafteres Phänomen, als man gewöhnlich annimmt. Da in all diesen Briefstellen deutlich wird, dass dieses Reden in Sprachen in erster Linie eine Art des Gebets ist, habe ich in meiner Übersetzung des Neuen Testaments zur Unterscheidung von der normalen Sprache den Ausdruck „Gebetssprachen“ dafür eingeführt.

Erstaunlich ist allerdings, wenn man es sich genau überlegt, dass im Neuen Testament beim Auftreten dieser Gebetssprachen niemand darüber verwundert war – außer in Apg 2 darüber, dass man sie verstehen konnte. Auch hatte offensichtlich niemand das Bedürfnis, dieses Phänomen erklärt zu bekommen oder zu erklären. Ist das nicht merkwürdig?

Außer der Aussage, dass es eine Art des Gebets ist, finden wir nur in 1 Kor 14 nähere Angaben dazu. Ohne dieses Kapitel wüßten wir fast nichts darüber. Stellen wir einmal zusammen, was Paulus dort so nebenbei dazu gesagt hat:

14,2: „Wer in einer Gebetssprache spricht, spricht nicht für Menschen, sondern für Gott. Niemand hört ja zu; in (seinem) Geist sagt er geheimnisvolle Dinge.“

14,4: „Wer in einer Gebetssprache spricht, baut sich selber auf.“

14,5: „Ich will, dass ihr alle in Gebetssprachen sprecht, …“

14,14: „Wenn ich in einer Gebetssprache bete, betet ja mein Geist, mein Verstand ist aber unbeteiligt.“

14,15: „Ich will in (meinem) Geist beten, ich will auch im Verstand beten. Ich will in (meinem) Geist singen, ich will auch im Verstand singen.“

14,16: „Wenn du Gott preist im Geist, …“

14,17: „Du dankst zwar schön, …“

14,18: „Ich danke Gott, dass ich mehr als ihr alle in Gebetssprachen spreche.“

14,22: „Daher sind die Gebetssprachen als Zeichen nicht für die Glaubenden, sondern für die Ungläubigen, …“

14,28: „Für sich selbst soll er aber sprechen und für Gott.“

14,39: „… und hindert nicht das Sprechen in Gebetssprachen!“

Ich hoffe, wir verstehen, dass Paulus diese Gabe sehr schätzt und auch in diesem Kapitel in keiner Weise abqualifiziert. Er legt nur dar, dass in der versammelten Gemeinde die Prophetie einen höheren Wert hat als die Gebetssprachen. Nur in dem Fall, dass jemand sie übersetzen kann – eine weitere Geistesgabe – haben sie einen Nutzen zum Aufbau der anderen.

Doch noch einmal zurück zu der Beobachtung, dass sich beim Auftreten der Gebetssprachen nirgends Verwunderung darüber gezeigt hat. Es schien auch keine Notwendigkeit einer Erklärung dieses Phänomens zu geben. War es etwa schon bekannt? War es womöglich schon lange ein Bestandteil des prophetischen Redens? Es gibt vier Hinweise darauf:

1) Das hebräische Wort für Prophet heißt „nabí“. Es kommt von der Wortwurzel „nabá“. Dazu gibt es zwei Formen des Verbums. In der Nif’al-Form heißt es einfach „Prophet sein“, „prophetisch sprechen“ oder „als Prophet handeln“. Prophetisches Spechen meint hier die Weitergabe der zuvor von Gott empfangenen Worte. Aber in der Hitpa’el-Form meint das Verb in der frühen Zeit von Mose bis Samuel ein prophetisches Reden, das keine Worte Gottes weitergibt, sondern eher eine Art „Vor-sich-hin-Reden“ ist. Der Geist kommt über die Propheten, über ihre Schüler und auch über den König Saul, und sie reden prophetisch und hören nicht mehr damit auf. Es ist ein Zeichen für die Anwesenheit des Geistes und dafür, dass sie Propheten sind. „Ist jetzt auch Saul unter den Propheten?“ fragen die Leute. In späteren Zeiten haben diese beiden Verbformen ihren Unterschied in der Bedeutung dann leider verloren.

2) In Jes 28 spricht der Prophet Jesaja darüber, wie seine Gegner ihn verspotten, dass er ihnen nichts zu sagen habe. Und sie ihn zitieren mit „zawlazaw zawlazaw kawlakaw kawlakaw se’erscham se’erscham“. Das ist auf jeden Fall kein Hebräisch. Wenn Jesaja so gesprochen hat, wäre die einfachste Erklärung dafür die Art des unverständlichen prophetischen Redens, das auch die früheren Propheten schon hatten. Man hat Jesaja so reden gehört und ihn damit verspottet.

3) Jesus selbst hat mehrfach das Kommen des Geistes angekündigt, besonders betont wird das im Johannesevangelium. Und in diesen Zusammenhang lässt sich auch sein Wort an die Samariterin einordnen – Joh 4,23-24: „Aber es kommt eine Zeit, und es ist jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit. Und der Vater sucht ja solche, die ihn so anbeten. Gott ist Geist; und die, die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Wir wissen ja schon, dass Beten im Geist das Beten in einer Gebetssprache meint. Es kommt also eine Zeit, in der Gott im Geist angebetet wird. Ab Pfingsten war dies der Fall. Und „Beten im Geist und in der Wahrheit“, passt das nicht zur Formulierung von Paulus „Beten im Geist und Beten im Verstand?“

4) Und dann findet man bei genauem Hinschauen an jenem ersten Pfingsttag doch noch eine Erklärung für die fremden Sprachen. Petrus zitiert als Erklärung dort den Propheten Joel – Apg 2,17-20 / Joel 3,1-5a:

„Und nach diesen Dingen wird es sein, sagt Gott: Ich werde ausgießen von meinem Geist auf alle Menschen, und eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden. Eure jungen Leute werden Visionen sehen, eure Älteren werden Träume träumen. Auch auf meine Sklaven und auf meine Sklavinnen werde ich zu jener Zeit ausgießen von meinem Geist.“ – Und sie werden prophetisch reden! – „Ich werde Wunder geben am Himmel oben und Zeichen auf der Erde unten: Blut, Feuer und Rauchwolken. Die Sonne wird sich verändern zu Finsternis und der Mond zu Blut, bevor der Tag des Herrn kommt, der große und Ehrfurcht gebietende. Und es wird (so) sein: Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden.“

Petrus zitiert hier den Propheten Joel wörtlich. Aber er fügt am Ende von Vers 18 einen eigenen Satz ein. Nachdem er die Auswirkungen des Heiligen Geistes zitiert hat, wiederholt er – sicherlich betont – für seine Zuhörer diese eine Aussage noch einmal: „Und sie werden prophetisch reden!“. So bringt Petrus zum Ausdruck, dass diese Sprachen dem prophetischen Reden entsprechen, das Joel für das gesamte Volk angekündigt hat. Also ist es für Petrus und seine Zuhörer klar, dass dieses prophetische Reden gegenüber dem Alten Testament nichts Neues ist. Im Gegenteil, auch hier findet sich im Neuen Testament eine Erfüllung des im Alten Verspochenen.

Wir können also annehmen, dass diese Art des Betens in der Prophetie Israels schon lange bekannt war. Und so ergibt sich auch wieder ein einheitliches Bild von Heiligem Geist und Prophetie in der ganzen biblischen Geschichte. Das Neue im neutestamentlichen Volk Gottes ist dann nur, dass alle Propheten sind.

Und für manche von uns mag das vielleicht auch heute noch neu sein …

Erbauung oder Aufbau

Erbauung oder Aufbau, das ist die Frage. Die traditionelle Übersetzung „Erbauung“ für das griechische „oikodomé“ hat im frommen Verständnis leider die Tendenz zur „Erbaulichkeit“ entwickelt. Vielleicht fallen uns jene „Erbauungs“-Stunden ein, in denen man „erbauliche“ Verkündigung pflegt. Mit ihr lassen sich fromme Christen in ihren frommen Ansichten bestätigen und fühlen sich „erbaut“. Aber geistlich bewegt sich nichts in ihrem Leben.

Die Botschaft Gottes ist aber nicht dazu da, Menschen zu bestätigen, sondern in Frage zu stellen. Sie will Christen zur – geistlich verstandenen – vollkommenen Hingabe und Heiligkeit führen. Die erwähnte „Erbaulichkeit“ ist ein Hindernis auf diesem Weg. Erbauung oder Aufbau, das ist also eine Grundfrage des Christen- und Gemeindelebens.

Deshalb wird im Neuen Testament und also auch in meiner Übersetzung die christliche Gemeinde nicht „erbaut“, sondern „aufgebaut“. So entspricht es auch dem griechischen Wort „oikodomé“, das im eigentlichen Sinne den Bau von Häusern bedeutet. Hier soll alles nicht der „Erbauung“ dienen, sondern dem Aufbau. Jeder Einzelne erhält Aufbau, um teilzunehmen am Aufbau der Gemeinde, der Wohnung Gottes im Geist. In ihr geht es nicht „erbaulich“ zu, sondern geistlich.

1 Kor 3,10-15: „Entsprechend der mir von Gott gegebenen Gnadengabe habe ich als weiser Architekt ein Fundament gelegt, ein anderer baut darauf auf. Jeder soll sehen, wie er aufbaut. Ein anderes Fundament kann freilich niemand legen neben dem gelegten: Das ist Jesus der Messias. Ob auf das Fundament aber jemand Gold, Silber, Edelsteine, (oder) Holz, Gras, Schilf aufbaut – das Werk eines jeden wird sichtbar werden. Der Gerichtstag wird es klar erkennbar machen, weil mit Feuer aufgedeckt wird. Und wie auch immer das Werk eines jeden ist, das Feuer wird es prüfen. Wenn jemandes Werk bleibt, das er aufgebaut hat, wird er Lohn bekommen. Wenn jemandes Werk verbrennt, wird er Schaden nehmen.“

1 Kor 14,3-4: „Wer prophetisch spricht, spricht für Menschen: Aufbau, Ermutigung und Trost. Wer in einer Gebetssprache redet, baut sich selber auf. Wer prophetisch spricht, baut Gemeinde auf.“

Röm 14,19: „Also wollen wir nun hinter allem her sein, was dem Frieden und dem gegenseitigen Aufbau (dient)!“

Röm 15,2: „Jeder von uns soll dem anderen gefallen, auf das Gute hin, zum Aufbau.“

Eph 2,21-22: „In ihm wird das ganze Bauwerk zusammengefügt und wächst zu einem heiligen Tempelhaus im Herrn, in dem auch ihr mit aufgebaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.“

Eph 4,11-12: „Und er hat (als Gaben) gegeben: die Gesandten, die Propheten, die Botschafter und die Hirten und Lehrer, damit sie die Heiligen ausbilden zum Tun des Dienstes, zum Aufbau des Leibes des Messias, …“

Eph 4,16: „Aus ihm heraus wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten durch jede unterstützende Sehne nach dem Maß der Mitwirkung jedes einzelnen Teils, und so wird das Wachstum des Leibes vollbracht zu seinem Aufbau in Liebe.“

Eph 4,29: „Kein untaugliches Wort darf aus eurem Mund kommen, sondern wenn, dann ein gutes – zum nötigen Aufbau, damit es denen, die es hören, Gnade gibt.“

1 Pe 2,4-5: „Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein – zwar von Menschen verworfen, bei Gott aber auserwählt und kostbar – und lasst euch selbst als lebendige Steine aufbauen, als geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistliche Opfer darzubringen, die Gott willkommen sind durch Jesus den Messias.“

Lehrer

Das ist die Übersetzung des griechischen Wortes „didáskalos“. Dieses Wort war in Israel zur Zeit von Jesus Titel und Anrede der Theologen. Sie waren als Gesetzeskundige die Lehrer des Volkes. Jesus hat z. B. auch Nikodemos so genannt (Johannes 3,10). Man gebraucht die Bezeichnung als Anrede parallel zum hebräischen „Rabbi“. Johannes bezeichnet es auch ausdrücklich als dessen griechische Übersetzung – Joh 1,38: „Rabbi – was übersetzt Lehrer heißt“.

Auffallend ist, dass man auch Jesus damit angesprochen hat, obwohl er kein offizieller, d. h. ordinierter Theologe war. Er hat aber offensichtlich einen solchen Eindruck gemacht, dass nicht nur seine Jünger so zu ihm sagten. Auch Leute aus dem Volk und sogar Pharisäer und Theologen, die ihm durchaus nicht freundlich gesinnt waren, sprachen ihn so an.

Im Gegensatz dazu hat Jesus seinen Jüngern und damit seiner Gemeinde das Führen dieses Titels verboten, als er sagte (Matthäus 23,8): „Ihr aber sollt euch nicht ‚Rabbi‘ nennen lassen! Einer ist nämlich euer Lehrer, ihr alle seid Geschwister.“ (Gerade auch dieser Satz zeigt noch einmal deutlich die Parallelität zum „Rabbi“.)

In diesem Sinne kam der Titel in der neutestamentlichen Gemeinde dann auch nicht vor. Aber als eine funktionelle Bezeichnung für Ältere bzw. Verantwortliche in der Gemeinde taucht das Wort auf. In Eph 4,11 sind unter den Gaben an die Gemeinde die „Hirten und Lehrer“. In Antiochia waren Propheten und Lehrer in der Gemeinde (Apg 13,1).

Laut Jak 3,1 soll die Gemeinde nicht so viele Geschwister Lehrer werden lassen, weil der Umgang mit dem Reden eine anspruchsvolle menschliche und geistliche Aufgabe ist. Paulus zählt sie auch in 1 Kor 12,26 unter den geistlichen Gaben auf.

In Hebr 5,12 werden die Geschwister getadelt: „Obwohl ihr von der Zeit her doch Lehrer sein müsstet, habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, …“. Hier wird eine interessante Perspektive sichtbar: Jeder sollte oder könnte ein Lehrer werden, indem er sich geistlich und in der Erkenntnis entsprechend entwickelt. Paulus bezeichnet sich auch selbst so. Und mehrfach wird dann auch vor falschen Lehrern gewarnt.

Aber noch einmal: Im Sinne einer Funktion oder Gabe gab es „Lehrer“ in der Gemeinde. Als Anrede oder Titel kam es nicht vor, weil Jesus es ja auch verboten hatte. Die Einrichtung der ordinierten „Lehrer“ bzw. „Rabbis“ wie im Judentum war den christlichen Gemeinden fremd.

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