Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Theologen

Sie verteidigten das Christentum

(Sie verteidigten das Christentum – ein Beitrag von Sören Kierkegaard)

Sie verteidigten das Christentum. Von seiner Macht war nie die Rede noch machte man Gebrauch davon. Sein „Du sollst“ war nie zu hören, damit kein Gelächter entstünde. Sie verteidigten das Christentum und sagten: „Verschmäht das Christentum nicht, es ist doch eine milde Lehre. Es enthält alle die milden Trostgründe, die jeder Mensch im Leben leicht noch einmal nötig haben kann. Ach Gott, das Leben lächelt uns ja nicht immer. Wir haben alle einen Freund nötig, und so ein Freund ist Christus. Verschmäht ihn nicht, er meint es so gut mit euch.“

Und es gelang; man hörte wirklich aufmerksam auf diese Rede, man schenkte diesem Bettler Herrn Jesus Christus Gehör. (Denn wenn er auch nicht selbst der Bettler war, so doch der, in dessen Namen man bettelte.) Man fand, dass etwas dran sei. Es kitzelte die Ohren der herrschsüchtigen Christenheit, dass es ja beinahe war, als solle abgestimmt werden – gut, unter der Bedingung nehmen wir das Christentum an. Gerechter Gott, und die Szene war die Christenheit, wo alle Christen sind, und da wurde das Christentum unter der Bedingung angenommen!

So ging es mit dem Christentum abwärts. Und nun lebt in der heutigen Christenheit, wo freilich von Strenge nie die Rede ist, ein verwöhntes, stolzes und doch feiges, trotziges und doch weichliches Geschlecht, das manchmal diese milden Trostgründe vortragen hört, aber kaum weiß, ob es Gebrauch davon machen will, selbst wenn das Leben am schönsten lächelt, und das sich in der Stunde der Not, wo man sehen kann, dass sie eigentlich doch nicht so milde sind, ärgert. Gerechter Gott, und die Szene ist die Christenheit!

Lehrer

Das ist die Übersetzung des griechischen Wortes „didáskalos“. Dieses Wort war in Israel zur Zeit von Jesus Titel und Anrede der Theologen. Sie waren als Gesetzeskundige die Lehrer des Volkes. Jesus hat z. B. auch Nikodemos so genannt (Johannes 3,10). Man gebraucht die Bezeichnung als Anrede parallel zum hebräischen „Rabbi“. Johannes bezeichnet es auch ausdrücklich als dessen griechische Übersetzung – Joh 1,38: „Rabbi – was übersetzt Lehrer heißt“.

Auffallend ist, dass man auch Jesus damit angesprochen hat, obwohl er kein offizieller, d. h. ordinierter Theologe war. Er hat aber offensichtlich einen solchen Eindruck gemacht, dass nicht nur seine Jünger so zu ihm sagten. Auch Leute aus dem Volk und sogar Pharisäer und Theologen, die ihm durchaus nicht freundlich gesinnt waren, sprachen ihn so an.

Im Gegensatz dazu hat Jesus seinen Jüngern und damit seiner Gemeinde das Führen dieses Titels verboten, als er sagte (Matthäus 23,8): „Ihr aber sollt euch nicht ‚Rabbi‘ nennen lassen! Einer ist nämlich euer Lehrer, ihr alle seid Geschwister.“ (Gerade auch dieser Satz zeigt noch einmal deutlich die Parallelität zum „Rabbi“.)

In diesem Sinne kam der Titel in der neutestamentlichen Gemeinde dann auch nicht vor. Aber als eine funktionelle Bezeichnung für Ältere bzw. Verantwortliche in der Gemeinde taucht das Wort auf. In Eph 4,11 sind unter den Gaben an die Gemeinde die „Hirten und Lehrer“. In Antiochia waren Propheten und Lehrer in der Gemeinde (Apg 13,1).

Laut Jak 3,1 soll die Gemeinde nicht so viele Geschwister Lehrer werden lassen, weil der Umgang mit dem Reden eine anspruchsvolle menschliche und geistliche Aufgabe ist. Paulus zählt sie auch in 1 Kor 12,26 unter den geistlichen Gaben auf.

In Hebr 5,12 werden die Geschwister getadelt: „Obwohl ihr von der Zeit her doch Lehrer sein müsstet, habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, …“. Hier wird eine interessante Perspektive sichtbar: Jeder sollte oder könnte ein Lehrer werden, indem er sich geistlich und in der Erkenntnis entsprechend entwickelt. Paulus bezeichnet sich auch selbst so. Und mehrfach wird dann auch vor falschen Lehrern gewarnt.

Aber noch einmal: Im Sinne einer Funktion oder Gabe gab es „Lehrer“ in der Gemeinde. Als Anrede oder Titel kam es nicht vor, weil Jesus es ja auch verboten hatte. Die Einrichtung der ordinierten „Lehrer“ bzw. „Rabbis“ wie im Judentum war den christlichen Gemeinden fremd.

Alles eine Frage der Auslegung

Alles eine Frage der Auslegung – diese Aussage hört man öfter, wenn sich jemand nicht auf eine klare biblische Aussage einlassen will. Seit Jahrhunderten erzählt man den Menschen, sie bräuchten „Auslegung“, um die Bibel wirklich zu verstehen. Die Theologen sprechen dabei gerne von „Exegese“, weil sie es lieben, mit Fremdwörtern ihre wissenschaftliche Kompetenz und geistige Überlegenheit zum Ausdruck zu bringen. Der „Laie“ möge hören und staunen …

Ich stelle hier einmal die Gegenfrage: Als Jesus seine Botschaft verkündet und seine Jünger unterwiesen hat, hat er dabei gedacht, dass jemand diese seine Worte irgendwann einmal „auslegen“ müsse? Als Matthäus, Markus, Lukas und Johannes ihre Berichte über Jesus und seine Botschaft schrieben, ist ihnen dabei der Gedanke gekommen, dass irgend jemand ihre Berichte später noch „auslegen“ solle? Als Paulus, Barnabas, Jakobus, Petrus, Johannes und Judas ihre Briefe an die Gemeinden geschrieben haben, dachten sie, dass man dort eine „Auslegung“ bräuchte, um sie zu verstehen? Ich denke, die Antwort ist klar.

In der frühesten Zeit des Christentums wurden die neutestamentlichen Schriften gelesen, verstanden und befolgt. Als sich dann die hierarchische Kirchenstruktur entwickelte, begann auch die Geschichte der „Auslegung“. Die Diskrepanz zwischen biblischer und kirchlicher Realität musste vertuscht werden. Die biblischen Aussagen mussten an die menschlichen und kirchlichen Bedürfnisse angepasst werden. Und die, die beim neutestamentlichen Verständnis blieben und sich widersetzten, konnte man dann mit der kirchlichen Lehrautorität als „Ketzer“ verdammen und verfolgen.

Das Wort Gottes, das laut der Aussage des Hebräerbriefs ein zweischneidiges, scharfes Schwert ist, steckte man in eine Scheide. So war die Schärfe genommen. Ich denke, das Grundprinzip ist deutlich: Zwischen das geschriebene (vom Heiligen Geist inspirierte) Wort Gottes und den Leser hat sich eine menschliche Instanz geschoben. Diese hat den Anspruch, das Wort Gottes „richtig“ auszulegen und weiterzugeben. Und dem Hörer bzw. Leser wird suggeriert, dass er das Wort Gottes alleine nicht wirklich und richtig verstehen kann. So wird er zum „Laien“, der einfach glauben soll, was die „Ausleger“ ihm sagen.

Es ist aber natürlich auch bequem, wenn man sagen kann „Alles eine Frage der Auslegung“. Man kann damit wunderbar unbequeme biblische Aussagen an sich abprallen lassen. Es ist einfach, sich damit auf einen Standpunkt der Unverbindlichkeit und Unzuständigkeit zurückziehen. Man kann damit bleiben, wie man ist, wenn Gott gerne etwas an einem verändern möchte. Man kann Gehorsam und Nachfolge verweigern, denn es ist ja „alles eine Frage der Auslegung“.

Wenn Jesus sagt „Wer meine Worte hört und sie tut“, dann gibt es da aber keinen Raum für einen Ausleger. Dann sollst du als Christ und Nachfolger von Jesus ganz einfach „hören“ und „tun“. Du bist in einem unmittelbaren Verhältnis zum Wort, weil du in einem unmittelbaren Verhältnis zu Jesus bzw. zu Gott stehst. Wenn es im Verhältnis zwischen Gott und dir noch so etwas wie einen Theologen gibt, dann bist du selbst es. Du kennst Gott, du hörst und befolgst sein Wort, und du kannst anderen davon erzählen. Mit andern Worten: Du bist ein Theologe.

Es gilt also, die Bibel direkt zu hören und zu verstehen (und natürlich zu befolgen). Alles, was dazu dient, ist herzlich willkommen: Die biblischen Sprachen sind gut erforscht. Die alten Handschriften mit den biblischen Texten hat man mit großem Aufwand gesammelt und ausgewertet, damit man den wahrscheinlichsten Urtext rekonstruieren kann. Aus der Geschichte und der Archäologie hat man Kenntnisse über die politischen, religiösen und kulturellen Hintergründe der Zeit gewonnen. Mit Tages- und Jahreszeiten kann man den Lebensrhythmus der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Natur besser einordnen. All diese Dinge sind hilfreich zum Verstehen und natürlich auch in meine Übersetzung des Neuen Testaments mit ihren Erklärungen eingeflossen. Aber deswegen bin ich kein „Ausleger“, nur Übersetzer.

Ich bringe also einfach möglichst genau das zum Ausdruck, was die neutestamentlichen Autoren mitteilen wollten. Nun bleibt noch die Aufgabe, die Missverständmisse und Verdrehungen zu beseitigen, die 2000 Jahre an „Auslegung“ in unseren Köpfen hinterlassen haben. Ich habe damit im Glossar (Wörterverzeichnis) im Anhang meiner Übersetzung des Neuen Testaments schon einmal einen Anfang gemacht. Dann wird wohl auch noch ein extra Buch dazu von mir erscheinen.

Aber ich kann dem Leser selbst seine eigene wichtige Aufgabe nicht abnehmen: Sich durch eigenständige Aneignung der biblischen Aussagen von „Auslegungen“ zu befreien, die er im Laufe seines Lebens durch Hören und Lesen von „Auslegern“ angesammelt hat. Die Bibel ist das wichtigste Buch deines Lebens. Und das wichtigste Buch, das dir dabei hilft, sie selbst zu erforschen, ist die Konkordanz, natürlich auch die Suchfunktion einer Online-Bibel.

Es ist also alles gut, was zur Klärung der biblischen Aussage beiträgt. Und es ist alles schlecht, was zu Verdrehung und Verwirrung beiträgt. Wenn du also eine Erklärung hörst, die dir im Verständnis ein Licht aufsteckt, und du denkst: „Warum bin ich da eigentlich nicht schon von selbst darauf gekommen?“, dann wird sie vermutlich richtig sein. Wenn du aber eine „Auslegung“ hörst, bei der du eher das Gefühl hast: „Nie im Leben wäre ich auf das gekommen!“, dann versucht vermutlich jemand, dir etwas unterzujubeln, was der biblischen Botschaft nicht entspricht.

Du kommst als eigenständiger, verantwortlicher Christ also um eine Sache nicht herum: Du hast – abgesehen von der direkten Beziehung zu Gott – als wichtigste Aufgabe, dir deine eigene fundierte Bibelkenntnis zu erarbeiten. Natürlich wird dir der Heilige Geist gerne dabei behilflich sein. Du wirst dich vermutlich dabei auch immer wieder einmal korrigieren lassen müssen. Und von Leuten, die von dir verlangen, nur ihrer Lehrmeinung zu folgen, solltest du dich befreien, wenn du weiterkommen willst.

Auf einem Fundament von „Auslegungen“ kann man als Christ nicht stehen. Nur die persönliche Überzeugung aus eigener biblischer Erkenntnis gibt dir die Standhaftigkeit, auch in schwierigen Zeiten im Glauben zu bestehen. Die Aussage „Bruder XY hat einmal gesagt …“ kann den Satan nicht beeindrucken. Gegen ihn hilft nur, was auch Jesus gesagt hat: „Es steht geschrieben …“.

Schriftgelehrte

Schriftgelehrte als Zunft der in den heiligen Schriften ausgebildeten Theologen benennt das Neue Testament mit zwei unterschiedlichen griechischen Begriffen. Da ist zum einen der „grammateús“, was von „grámma – Buchstabe, Schrift“ kommt und üblicherweise mit „Schriftgelehrter“ übersetzt wird. Der andere Begriff ist „nomikós“, was von „nómos – Gesetz“ kommt und am besten mit „Gesetzeskundiger“ wiedergegeben wird.

Schriftgelehrte kamen auch damals schon mit einem Studium und einer offiziellen Ordination zu ihrem Titel und Status und hoben sich damit natürlich vom gewöhnlichen Volk ab. Und so gleichen sie darin auch den heutigen Theologen, es ist immer noch das gleiche System. Aus Gründen der Aktualität benutze ich in meiner Übersetzung daher für das häufigere „grammateús“ den Begriff „Theologe“. Bei „nomikós“, das seltener vorkommt, bleibe ich dann bei „Gesetzeskundiger“. Damit verwende ich für die zwei Begriffe also auch im Deutschen zwei unterschiedliche Wörter.

Jesus selbst war in diesem Sinne kein Theologe, auch seine Jünger nicht, das muss wohl Absicht gewesen sein. Paulus war ein ausgebildeter Theologe von der pharisäischen Richtung. Er hatte bei dem berühmten Lehrer Gamaliel studiert. Aber nach seiner Bekehrung zu Jesus als dem Messias spielte das in seinem Dienst und Auftrag keine Rolle mehr. Es war ein Teil seines alten Lebens, das er hinter sich gelassen hatte. Jesus selbst hatte die offizielle Theologenzunft ja schon ausdrücklich abgelehnt, das galt dann auch für seine Gemeinde.

Nur in einem Sinne gibt es in der christlichen Gemeinde auch Theologen, nämlich in dem, dass die Christen dann alle Theologen sind, weil sie alle Gott kennen.

Wer bei Jesus ein Theologe ist

Wer bei Jesus ein Theologe ist, ist eine wichtige Frage. Er hat immer die entscheidende Sichtweise. Die zu seiner Zeit bekannten „Schriftgelehrten“ sind zwar die offiziellen Theologen ihrer Zeit. (Deshalb gebe ich das Wort in meiner Übersetzung auch als „Theologen“ wieder.) Jesus hat diese Leute aber scharf kritisiert.

Wer bei Jesus ein Theologe ist, kommt bei ihm an einer Stelle deutlich zum Ausdruck. Für viele meiner Entdeckungen habe ich Hilfe aus entsprechender Literatur bekommen. Deshalb füge ich hier an, dass mir in dieser Sache die Erklärung von Adolf Schlatter sehr geholfen hat.

Es geht um die Stelle Matthäus 13,52. In der herkömmlichen Übersetzungstradition wird der Vers sinngemäß so übersetzt:

„Jeder Theologe, der ein Jünger des Königreichs der Himmel geworden ist, ist deshalb einem Menschen gleich, einem Hausherrn, der aus seinem Vorrat Neues und Altes austeilt.“

So habe ich den Vers früher gelesen und zunächst auch so übersetzt. Aber dann kam die Entdeckung, dass man die gleichen Worte auch so lesen kann:

„Jeder, der ein Jünger des Königreichs der Himmel geworden ist, ist deshalb ein Theologe. Er ist einem Menschen gleich, einem Hausherrn, der austeilt aus seinem Vorrat, Neues und Altes.“

Nun gibt es also diese zwei Möglichkeiten, den Vers zu verstehen. Und als Übersetzer muss man dann entscheiden, welche davon wohl die richtige ist. Die Entscheidung ist in diesem Fall aber nicht schwer: Denn zum einen spielt die Bekehrung von Theologen in der neutestamentlichen Jüngergemeinde erkennbar nirgends eine Rolle. Und zum anderen kennen in der Gemeinde alle Gott, sind von Gott gelehrt und werden vom Heiligen Geist in alle Wahrheit geleitet. So passt es also wunderbar, dass Jesus an dieser Stelle alle seine Jünger als „Theologen“ bezeichnet.

Wer bei Jesus ein Theologe ist, ist also klar: Es sind die, die angenommen haben, was das Reich Gottes von ihnen fordert und ihnen schenkt. Sie haben verstanden, worum es geht. Sie können darüber reden, darin wachsen und davon weitergeben. Aus ihrem Vorrat können sie Neues und Altes hervorholen und austeilen, wie man es braucht.