Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Schriftgelehrte

Lehrer

Das ist die Übersetzung des griechischen Wortes „didáskalos“. Dieses Wort war in Israel zur Zeit von Jesus Titel und Anrede der Schriftgelehrten bzw. Theologen. Sie waren als Gesetzeskundige die Lehrer des Volkes. Jesus hat z. B. auch Nikodemos so genannt (Johannes 3,10). Man gebrauchte die Bezeichnung als Anrede parallel zum hebräischen „Rabbi“. Johannes hat es auch ausdrücklich als dessen griechische Übersetzung bezeichnet – Joh 1,38: „Rabbi – was übersetzt Lehrer heißt“.

Auffallend ist, dass man auch Jesus damit angesprochen hat, obwohl er kein offizieller, d. h. ordinierter Theologe war. Er hat aber offensichtlich einen solchen Eindruck gemacht, dass nicht nur seine Jünger so zu ihm sagten. Auch Leute aus dem Volk und sogar Pharisäer und Theologen, die ihm durchaus nicht freundlich gesinnt waren, sprachen ihn so an.

Im Gegensatz dazu hat Jesus seinen Jüngern und damit seiner Gemeinde das Führen dieses Titels verboten, als er sagte (Matthäus 23,8): „Ihr aber sollt euch nicht ‚Rabbi‘ nennen lassen! Einer ist nämlich euer Lehrer, ihr alle seid Geschwister.“ (Gerade auch dieser Satz zeigt noch einmal die Parallelität zum „Rabbi“.)

In diesem Sinne kam der Titel in der neutestamentlichen Gemeinde dann auch nicht vor. Aber als eine funktionelle Bezeichnung für Ältere bzw. Verantwortliche in der Gemeinde taucht das Wort auf. In Eph 4,11 sind unter den Gaben an die Gemeinde die „Hirten und Lehrer“. In Antiochia waren „Propheten und Lehrer“ in der Gemeinde (Apg 13,1).

Laut Jak 3,1 soll die Gemeinde nicht so viele Geschwister Lehrer werden lassen, weil der Umgang mit dem Reden eine anspruchsvolle menschliche und geistliche Aufgabe ist. In 1 Kor 12,26 zählt Paulus sie unter den geistlichen Gaben auf.

Im Hebräerbrief (5,12) werden die Geschwister getadelt: „Obwohl ihr von der Zeit her doch Lehrer sein müsstet, habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, …“. Hier wird eine interessante Perspektive sichtbar: Jeder sollte oder könnte ein Lehrer werden, wenn er sich geistlich und in der Erkenntnis entsprechend entwickelt. Paulus bezeichnet sich auch selbst so. Und mehrfach wird dann ja auch vor falschen Lehrern gewarnt.

Aber noch einmal: Im Sinne einer Funktion oder Gabe gab es „Lehrer“ in der Gemeinde. Als Anrede, Titel oder Amt kam es nicht vor, weil Jesus es ja auch verboten hatte. Die Einrichtung der ordinierten „Lehrer“ bzw. „Rabbis“ wie im Judentum war den christlichen Gemeinden fremd.

Schriftgelehrte

Schriftgelehrte als Zunft der in den heiligen Schriften ausgebildeten Theologen benennt das Neue Testament mit zwei unterschiedlichen griechischen Begriffen. Da ist zum einen der „grammateús“, was von „grámma – Buchstabe, Schrift“ kommt und üblicherweise mit „Schriftgelehrter“ übersetzt wird. Der andere Begriff ist „nomikós“, was von „nómos – Gesetz“ kommt und am besten mit „Gesetzeskundiger“ wiedergegeben wird.

Schriftgelehrte kamen auch damals schon mit einem Studium und einer offiziellen Ordination zu ihrem Titel und Status und hoben sich damit natürlich vom gewöhnlichen Volk ab. Und so gleichen sie darin auch den heutigen Theologen, es ist immer noch das gleiche System. Aus Gründen der Aktualität benutze ich in meiner Übersetzung daher für das häufigere „grammateús“ den Begriff „Theologe“. Bei „nomikós“, das seltener vorkommt, bleibe ich bei „Gesetzeskundiger“. Damit verwende ich für die zwei griechischen Begriffe auch im Deutschen zwei unterschiedliche Wörter.

Jesus selbst war in diesem Sinne kein Theologe, auch seine Jünger nicht, und das war Absicht. Jesus hat die Zunft der Theologen gänzlich als Heuchler entlarvt und komplett abgelehnt. An verschiedenen Stellen der Evangelien wird das deutlich, ganz besonders in seiner Schlussabrechnung in Mt 23. Selbstverständlich aht er sich damit auch ihre bittere Feindschaft zugezogen.

In der neutestamentlichen Gemeinde haben solche offiziellen Theologen dann auch keinerlei Bedeutung mehr. Paulus war zwar ein ausgebildeter Theologe von der pharisäischen Richtung. Er hatte in Jerusalem bei dem berühmten Lehrer Gamaliel studiert. Aber nach seiner Bekehrung zu Jesus als dem Messias spielte das in seinem Dienst und Auftrag keine Rolle mehr. Es war ein Teil seines alten Lebens, das er hinter sich gelassen hatte. So wie Jesus die offizielle Theologenzunft ausdrücklich abgelehnt hatte, galt das in seiner Gemeinde. Ein bekehrter Theologe war kein Theologe mehr.

Nur in einem Sinn gibt es in der christlichen Gemeinde Theologen, nämlich in dem, dass die Christen jetzt alle Theologen sind, weil sie alle Gott kennen.

Der Zehnte von Küchenkräutern?

Zur Zeit von Jesus hatten die Pharisäer ihr System der Ablieferung des zehnten Teils aller ihrer Einnahmen weit entwickelt. Es war so verfeinert, dass sie sogar von selbst geernteten oder eingekauften Küchenkräutern penibel genau den zehnten Teil abgaben. Diese Praxis spricht Jesus zweimal in Stellungnahmen gegen die Pharisäer an. Ich zitiere die Stellen zunächst nach der Elberfelder Bibel:

Mt 23,23: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Anis und den Kümmel und habt die wichtigsten Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen.“

Lk 11,42: „Aber wehe euch Pharisäern! Denn ihr verzehntet die Minze und die Raute und alles Kraut und übergeht das Gericht und die Liebe Gottes; diese Dinge hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen.“

Was mir an diesen Stellen schon immer eigenartig erschien, ist, dass Jesus hier zwar das Einhalten der wichtigen Dinge des Gesetzes verlangt, aber daneben auch weiterhin das Verzehnten der Küchenkräuter. Zumal diese Stellen dann gerne von Auslegern herangezogen werden als Beleg dafür, dass angeblich auch von der neutestamentlichen Gemeinde das Abgeben des zehnten Teils der Einkünfte verlangt wird, was sonst nirgends im Neuen Testament belegt ist.

Aber manchmal hilft dann der nochmalige Blick ins Lexikon. Ich benutze das Griechischlexikon von Hermann Menge, dem Bibelübersetzer. Da entdeckte ich zuerst eine alternative Bedeutung (von „pareínai“) für den Umgang mit den Kräutern an der Stelle bei Lukas. Die heißt jetzt so:

„Aber wehe euch Pharisäern: Ihr gebt den zehnten Teil von der Pfefferminze, der Raute und jeglichen Küchenkräutern und umgeht das Recht und die Liebe Gottes. Diese müsstet ihr aber ausüben – und (dürftet) euch nicht bei jenen aufhalten!“

Sich nicht bei solchen Kleinigkeiten aufhalten, das klingt doch schon viel besser. Davon ermutigt, habe ich auch nochmal nachgeschaut für die Matthäus-Stelle „jene nicht lassen“. Das griechische Wort („aphiénai“) heißt wirklich „lassen“, mit verschiedenen Abwandlungen. Wie erstaunt war ich aber, dass es nicht nur so etwas heißt wie „loslassen“, „erlassen“ oder „zurücklassen“. Es kann auch „zulassen“ heißen im Sinne von „erlauben, gestatten“. Mit dieser Bedeutung wendet sich die Aussage von Jesus ins genaue Gegenteil:

„Wehe euch, Theologen und Pharisäer, ihr Heuchler: Ihr gebt den zehnten Teil* von der Pfefferminze, vom Dill und vom Kümmel und habt die gewichtigeren Dinge des Gesetzes verlassen: das Recht und das Mitgefühl und den Glauben! Diese müsste man aber ausüben – und jene (dürfte man) nicht zulassen!“

Nun heißt es nicht nur, man müsste sich an die wichtigen Dinge des Gesetzes halten. Es heißt auch, man dürfte Lehren über solche Kleinigkeiten – wie den Zehnten von Küchenkräutern – nicht einmal zulassen.

Beide Möglichkeiten sind von den Wortbedeutungen her legitime Übersetzungen. Der Übersetzer muss in einem solchen Fall vom Zusammenhang her die am ehesten richtige Übersetzung wählen. Das war in diesem Fall nun aber nicht schwer. Sich auf gesetzliche Art bei Kleinigkeiten aufhalten, das ist pharisäischer Geist. Beständig und wahrhaftig in den wesentlichen Dingen leben, das ist der Geist von Jesus.

Wer bei Jesus ein Theologe ist

Wer bei Jesus ein Theologe ist, ist eine wichtige Frage. Er hat immer die entscheidende richtige Sichtweise. Die zu seiner Zeit bekannten „Schriftgelehrten“ sind zwar die offiziellen Theologen ihrer Zeit. (Deshalb gebe ich das Wort in meiner Übersetzung auch als „Theologen“ wieder.) Jesus hat diese Leute aber scharf kritisiert.

Wer bei Jesus ein Theologe ist, kommt bei ihm an einer Stelle deutlich zum Ausdruck. Für viele meiner Entdeckungen habe ich Hilfe aus entsprechender Literatur bekommen. Deshalb füge ich hier an, dass mir in dieser Sache die Erklärung von Adolf Schlatter sehr geholfen hat.

Es geht um die Stelle Matthäus 13,52. In der herkömmlichen Tradition wird der Vers sinngemäß so übersetzt:

„Jeder Theologe, der ein Jünger des Königreichs der Himmel geworden ist, ist deshalb einem Menschen gleich, einem Hausherrn, der aus seinem Vorrat Neues und Altes austeilt.“

So habe ich den Vers früher gelesen und zunächst auch so übersetzt. Aber dann kam die Entdeckung, dass man die gleichen Worte auch so lesen kann:

„Deshalb ist jeder, der ein Jünger des Königreichs der Himmel geworden ist, ein Theologe. Er ist einem Menschen gleich, einem Hausherrn, der austeilt aus seinem Vorrat, Neues und Altes.“

Nun gibt es also diese zwei Möglichkeiten, den Vers zu verstehen. Und als Übersetzer muss man entscheiden, welche davon wohl die richtige ist. Die Entscheidung ist in diesem Fall aber nicht schwer: Denn zum einen spielt die Bekehrung von Theologen in der neutestamentlichen Jüngergemeinde erkennbar nirgends eine Rolle. Und zum anderen kennen in der Gemeinde alle Gott, sind von Gott gelehrt und werden vom Heiligen Geist in alle Wahrheit geleitet. So passt es also wunderbar, dass Jesus an dieser Stelle alle seine Jünger als „Theologen“ bezeichnet.

Wer bei Jesus ein Theologe ist, ist also klar: Es sind die, die angenommen haben, was das Reich Gottes von ihnen fordert und ihnen schenkt. Sie haben verstanden, worum es geht. Sie können darüber reden, darin wachsen und davon weitergeben. Aus ihrem Vorrat können sie Neues und Altes hervorholen und austeilen, wie man es braucht.