Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Liebe

Vater und Mutter hassen

Vater und Mutter hassen, das ist es, was Jesus von denen, die seine Jünger sein wollen, verlangt, zumindest wenn es nach der Lutherübersetzung geht – Lk 14,26: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Von solchen Konsequenzen der Nachfolge kann man tief beeindruckt sein, aber auch irritiert. Wie kann Jesus, der die Liebe in Person ist, von seinen Nachfolgern Hass verlangen? Müssen wir wirklich „Vater und Mutter hassen“?

Auch hier hilft wieder der Blick ins Wörterbuch. Und dort entdecken wir, dass das griechische „miseín“, das gewöhnlich mit „hassen“ übersetzt wird, eine weit größere Bandbreite an Bedeutungen hat als das deutsche „hassen“. Es kann auch „unwillig sein“ heißen, „vernachlässigen“, „sich nicht um etw. kümmern“, „nicht mögen“, „nicht wollen“.

Gleichgültigkeit als Gegenteil der Liebe

Und mir fiel die Aussage eines weisen Bruders ein, der einmal sagte: „Das wirkliche Gegenteil der Liebe ist nicht der Hass, sondern die Gleichgültigkeit.“ Es gibt im Griechischen also Bedeutungen, die das Aggressive und Emotionale des deutschen „Hassens“ nicht beinhalten. Und ich habe ein paar Stellen gefunden, wo mir die „Gleichgültigkeit“ als die passende Übersetzung erscheint:

„Kein Diener kann zwei Herren als Sklave dienen. Denn entweder wäre ihm der eine gleichgültig und er liebte den andern, oder er hielte sich an den einen und verachtete den andern. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!“ (Mt 6,24 / Lk 16,13).

„Wer sein Leben liebt, wird es zugrunde richten. Wem sein Leben in dieser Welt aber gleichgültig ist, der wird es ins ewige Leben hinein bewahren.“ (Joh 12,25).

„Niemandem war doch jemals sein Körper gleichgültig, man gibt ihm vielmehr, was er braucht, und pflegt ihn. Und so (pflegt) auch der Messias die Gemeinde,“ (Eph 5,29).

Jesus als Vorbild

Wenn wir nun nicht „Vater und Mutter hassen“, sollen uns dann Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder und Schwestern vielleicht „gleichgültig“ sein? Am besten, wir lassen uns von Jesus belehren, der in allen Dingen das Vorbild ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm seine Familie gleichgültig war. Eine Parallelstelle hilft uns vielleicht schon ein bisschen weiter – Mt 10,37: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Es geht um ein relatives Verhältnis, nämlich Jesus mehr zu lieben als die nächsten Angehörigen.

Schauen wir doch einfach, wie Jesus mit seiner irdischen Familie umgegangen ist. Als er seinen Dienst antrat, hat er sie verlassen, sich buchstäblich von ihnen getrennt. Allein mit seinen Jüngern war er unterwegs. Und als sie ihn zwischendurch einmal holen wollten, weil sie glaubten, er sei jetzt völlig durchgedreht, da ignorierte er sie komplett und sagte, seine Jünger seien seine Familie – Lk 8,21: „Meine Mutter und meine Geschwister sind die, die das Wort Gottes hören und tun.“

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sie „gehasst“ hat oder sie ihm „gleichgültig“ waren. Aber er musste sich von ihnen trennen, um das Werk zu tun, zu dem er von Gott gesandt war. Da Christen nach ihrer Bekehrung ja nicht gleich von zu Hause ausziehen müssen, finde ich es hilfreich, hier eine Unterscheidung zwischen „innerlicher“ und „äußerlicher“ Trennung zu machen.

Innerlich gelöst und frei

Wer das Reich Gottes betreten hat, hat sich innerlich von der Welt und also auch von seiner weltlichen Familie gelöst. Auch hier gilt, dass niemand zwei Herren dienen kann. Jesus hat immer den Vorrang. Der Nachfolger folgt ihm, wo immer er hinführt. Welche Konsequenzen das im Laufe des Christenlebens haben wird, ist am Anfang in der Regel noch nicht absehbar. Nach der innerlichen Trennung kann je nach den Umständen und der Führung Gottes auch eine äußerliche Trennung erforderlich sein. Besonders in Situationen der Verfolgung wird das der Fall sein. Die Familie darf der Nachfolge nicht im Wege stehen.

Ich meine also, mit gutem Grund annehmen zu dürfen, dass Jesus mit seiner Aussage genau diese innerliche Trennung als Voraussetzung und Bedingung der Nachfolge gemeint hat, und übersetze die Stelle so: „Wenn jemand zu mir kommt, und er trennt sich nicht innerlich von seinem Vater, der Mutter, der Frau, den Kindern, den Brüdern, den Schwestern und dazu von seinem eigenen Leben, kann er nicht mein Jünger sein.“ (Lk 14,26).

Eine interessante Paralle dazu steht in 5 Mo 33,9+10, im Segen Moses über den Stamm Levi: „Er sagt zu seinem Vater und seiner Mutter ‚Ich sehe sie nicht‘ und zu seinen Brüdern ‚Ich kenne (sie) nicht‘ und zu seinen Kindern ‚Ich erkenne sie nicht an‘. Denn sie hüten deine Worte und bewahren deine Bestimmung, sie legen Jakob deine Grundsätze dar und Israel dein Gesetz, sie bringen Weihrauchopfer dar wegen deines Zorns und Ganzopfer auf deinem Altar.“

Der griechische Aorist

Der griechische Aorist ist eine Vergangenheitsform, die es so im Lateinischen oder Deutschen nicht gibt. Sie ist die normale Erzählform für vergangene Vorgänge und Fakten. Nun habe ich dazu in der griechischen Grammatik allerdings eine Entdeckung gemacht. Ich bin darauf gekommen über das neue Gebot von Jesus: „… dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe.“ Das „geliebt habe“ steht im Aorist.

Welche Vorgänge oder Fakten bei „geliebt habe“ wohl gemeint waren, war mir immer etwas unklar. Und so schaute ich nochmal in der Grammatik nach unter „Aorist“, was er so alles bedeuten kann. Und hier entdeckte ich zu meiner Verblüffung eine seltenere Bedeutung, die mir nicht bewusst war. Der griechische Aorist drückt auch Erfahrungstatsachen aus, also Dinge, die schon immer so waren und also auch jetzt so sind. In diesem Fall muss er im Deutschen dann aber sinngemäß mit der Gegenwart (Präsens) übersetzt werden.

„geliebt hat“ oder „liebt“?

Nun habe ich das in meiner Übersetzung des Neuen Testaments an verschiedenen Stellen natürlich angewendet. Zunächst an Stellen, die „geliebt habe“ oder „geliebt hat“ lauteten. Und ich war überrascht, wie anders und aktuell es sich anhört:

Joh 13,34: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe, damit auch ihr einander liebt!“

Joh 15,9: „Wie der Vater mich liebt, liebe ich auch euch. Bleibt in meiner Liebe!“

2 Thess 2,16: „Er selbst, unser Herr, Jesus der Messias, und Gott, unser Vater, der uns liebt und in Gnade ewige Hilfe und gute Hoffnung gibt …“

Eph 2,4+5: „Gott, der reich an Erbarmen ist, hat uns aber durch seine große Liebe, mit der er uns liebt, die wir tot waren durch die Fehltritte, mit lebendig gemacht mit dem Messias …“

Eph 5,1: „Macht es also Gott nach als geliebte Kinder und lebt in Liebe, wie auch der Messias uns liebt und sich für uns ausgeliefert hat als Opfergabe und Mahlopfer zu einem wohlriechenden Duft für Gott!

Eph 5,25: „Ihr Ehemänner, liebt (eure) Frauen, wie auch der Messias die Gemeinde liebt und sich für sie hingegeben hat, …

1 Joh 4,10+11: „Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott lieben, sondern dass er uns liebt und seinen Sohn gesandt hat als Sühne für unsere Sünden. Geliebte, wenn Gott uns so liebt, sind auch wir es schuldig, einander zu lieben.“

andere Stellen

Eine neue, frischere und aktuellere Übersetzung ergibt sich daraus natürlich auch an anderen Stellen. Hier ein paar, bei denen es mir besonders aufgefallen ist:

„Ich lobe dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du das alles vor Weisen und Einsichtigen verbirgst und Unmündigen enthüllst! Ja, Vater, so wurde es bei dir beschlossen.“ (Mt 11,25-26 / Lk 10,21)

„Denn die Sonne geht auf mit ihrer Hitze, „die Wiese vertrocknet, ihre Blüte fällt ab“ und ihr schönes Aussehen wird vernichtet. So wird auch der Reiche auf seinen Wegen aufgerieben werden. (Jak 1,11)

„Ihr schwelgt auf der Erde im Luxus und lebt üppig, ihr ernährt eure Herzen am Schlachttag. Ihr verurteilt den Gerechten, ermordet ihn, der sich nicht gegen euch stellt.“ (Jak 5,5-6)