Auf den Gedanken, eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments zu machen, bin ich einst gekommen, weil ich mit bestehenden Übersetzungen im Vergleich zum griechischen Urtext nicht zufrieden war. Ein Abschnitt, der das beispielhaft zeigt, ist 1.Timotheus 2,8-15, wo angeblich gesagt wird, dass Frauen gerettet werden durch Kindergebären.
Bitte lies ihn einmal in einer üblichen Bibel durch, egal ob Luther, Elberfelder oder Neue-Welt-Übersetzung, er bleibt überall teilweise rätselhaft. Er wird dort zwar wörtlich übersetzt, aber ohne alternative Wortbedeutungen zu berücksichtigen, die im Zusammenhang der neutestamentlichen Botschaft wichtig wären.
Wichtiger Grundsatz: Die Schrift legt die Schrift aus. Die entscheidende Hilfe, den Text besser zu verstehen, war mir das Buch von Thomas Schirrmacher: „Paulus im Kampf gegen den Schleier“. Ich zitiere im Folgenden meine eigene Übersetzung und erläutere anschließend ein paar Punkte dazu:
8 „Ich will nun, dass die Männer beten an jedem Ort
und Hände erheben ohne Zorn und Zweifel.
9 Genauso (sollen) auch Frauen (beten) in ordentlicher Haltung
und sich mit Achtung und klarem Denken schmücken,
nicht mit künstlerischen Frisuren, Gold, Perlen oder kostbarer Kleidung,
10 sondern, wie es angemessen ist für Frauen,
die versprochen haben Gott zu ehren, durch gute Taten.
11 Eine Frau soll in Zufriedenheit lernen mit aller Unterordnung.
12 Einer Frau erlaube ich nicht zu lehren,
wenn sie sich über jemanden stellt,
sie soll sich vielmehr in Zufriedenheit befinden.
13 Adam wurde nämlich als Erster geformt, danach Eva.
14 Und Adam wurde nicht getäuscht,
die Frau ließ sich aber etwas vortäuschen und geriet in Übertretung.
15 Gerettet soll sie werden durch die Kindergeburt (des Messias),
– wenn sie im Glauben bleiben, in der Liebe und in der Heiligung
mit klarem Denken.“
Und hier meine „Abweichungen“ gegenüber anderen Übersetzungen:
1) In Vers 9 fehlt im Griechischen in der ersten Zeile ein Zeitwort (Verbum), so dass sich das „genauso“ und die „ordentliche Haltung“ auf etwas in Vers 8 beziehen müssen, und da bleibt nur das „beten“. Paulus sagt also: Ich will, dass die Männer beten und dass genauso auch Frauen beten. In der nächsten Zeile geht er von der Aussage über das Beten dann weiter zu Detailaussagen über die „ordentliche Haltung“ der Frauen.
2) Dass nach dem Willen des Paulus betende Frauen nicht gleichzeitig „still“ sein können, dürfte einleuchten. Die „Stille“, in der Frauen in Vers 11 und 12 sein sollen, wird einleuchtend, wenn sie mit einer anderen Bedeutung des Wortes als innere Stille, nämlich als „Zufriedenheit“ verstanden und übersetzt wird.
3) In Vers 12 wird ein guter Teil der „Mann-Frau-Problematik“ entschärft, wenn ich das griechische Wort „anér“ nicht mit „Mann“ übersetze, wie es üblicherweise geschieht, sondern mit einer anderen Bedeutung des Wortes als „jemand“, was genausogut möglich ist. (Siehe dazu „Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch Deutsch“ von Prof. Hermann Menge.)
4) Dazu erhebt sich in Vers 12 die Frage, ob Paulus hier zwei Verbote oder nur ein Verbot ausspricht. Entweder soll sie a) nicht lehren und b) sich nicht über jemanden stellen, oder sie soll (als ein Gebot) sich nicht über jemanden stellen und so auch noch lehren. Da lehrende Frauen im Neuen Testament aber genannt werden, kann hier nur die zweite Möglichkeit gemeint sein: sich nicht über andere zu stellen und so auch zu lehren. Und so verlangt Paulus hier von den Frauen etwas, das allgemein für alle gilt: sich nicht über Geschwister zu erheben.
5) Vermutlich hat Paulus hier eine gewisse Art frommer Frauen im Blick, die in einer speziellen Gefahr stehen: Nachdem sie durch Jesus aus ihrer sklavenartigen Stellung in der Antike befreit worden sind zur Gleichwertigkeit der Söhne und Töchter Gottes, fallen sie sozusagen auf der anderen Seite vom Pferd, bilden sich etwas ein und überheben sich.
Diese Art der Überheblichkeit könnte mit der religiösen Richtung der sogenannten „Gnosis“, d.h. „Erkenntnis“ zusammenhängen, in der es wichtig war, wie z.B. auch im Hinduismus oder in der Anthroposophie, dass der Mensch seine eigene „Göttlichkeit“ „erkennt“. Für „göttliche“ Frauen, die aus dieser Richtung kamen, war dann wohl auch Sexualität etwas „Schmutziges“ und Kindergebären etwas „Grässliches“.
Dass Frauen durch Kindergebären gerettet werden, ist neutestamentlich gesehen natürlich Unsinn. Paulus schreibt hier, dass sie durch eine „Kindergeburt“ gerettet werden, und da kann nur eine gemeint sein, die von Jesus, dem Retter. Also durch so etwas „Grässliches“ ist die Rettung gekommen, darunter müssen sich die gläubigen Frauen beugen. In der nächsten Zeile wird dann auch gesagt, wodurch sie wirklich gerettet werden, durch das Bleiben im Glaube, in der Liebe und in der Heiligung.
Nebenbei bemerkt wird hier auch die Realität der natürlichen Geburt von Jesus bekräftigt und die in katholischen Kreisen weit verbreitete Irrlehre widerlegt, Jesus sei durch einen übernatürlichen Vorgang aus Marias Bauch gekommen und sie sei lebenslang Jungfrau geblieben.
Bei genauem Hinschauen sehen wir in diesem Abschnitt also wieder ganz „normale“ neutestamentliche Themen: Beten, Zufriedenheit, Ordentlichkeit, gute Taten, sich nicht überheben, sich nicht verführen lassen, Glaube, Liebe, Heiligung und klares Denken, angewandt in einer spezifischen Situation auf gewisse Frauen in der Gemeinde. Und so haben wir diesen Abschnitt aus seiner Seltsamkeit herausgeholt, indem wir ihn im neutestamentlichen Zusammenhang gesehen und dann richtig übersetzt haben …