Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Datierung

Die Apostelgeschichte

Die Apostelgeschichte ist die Fortsetzung des Lukasevangeliums, sozusagen der zweite Band. Das darin Berichtete folgt dem Grundmuster „von Jerusalem nach Rom“. Sie hat zwei Schwerpunktthemen: Zum einen ist da die Geschichte der Urgemeinde in Jerusalem mit ihrer Ausbreitung bis nach Antiochia und dem Übergang zu den Nichtjuden. Zum anderen berichtet sie die Geschichte des Gesandten (Apostels) Paulus und seines Dienstes mit seinem Weg bis nach Rom.

So haben wir exemplarisch wenigstens die Geschichte eines der Gesandten von Jesus überliefert. Die anderen Gesandten haben sicherlich ähnlich interessante Geschichten, Thomas zum Beispiel ging bis nach Indien. Aber die Informationen aus frühen christlichen Schriften darüber sind eher spärlich. Es wäre eine interessante Aufgabe, das einmal zusammenzustellen.

Die Apostelgeschichte lässt sich mit den Angaben von Lukas auch gut datieren. Sie beginnt im Jahr 30 n. Chr. mit der Himmelfahrt des am Kreuz hingerichteten und auferstandenen Herrn. Am darauffolgenden Pfingstfest geschah die Gründung der christlichen Gemeinde mit der Ausgießung des Heiligen Geistes. Besonders mit Hilfe von Lukas genannter Regenten, König Agrippa in Jerusalem, Gallio in Korinth, Felix und Festus in Cäsarea bzw. Judäa, kann man auch die weitere Apostelgeschichte gut datieren. Sie endet mit dem zweijährigen Hausarrest von Paulus in Rom von 60 bis 62 n. Chr.. Sie umfasst also einen Zeitraum von 32 Jahren.

Die Apostelgeschichte gibt uns auch die einzige ausführliche Erzählung einer spannenden Abenteuergeschichte im Neuen Testament. Die Reise von Paulus als Gefangener von der Verhaftung in Jerusalem bis nach Rom, mit einem schweren Sturm auf See und einem Schiffbruch bei der Anlandung am Strand der Insel Melite, hat Lukas selbst mitgemacht und konnte uns daher einen authentischen Augenzeugenbericht liefern.

Sehr erhellend war für mich dazu das Buch von Heinz Warneke: „Die tatsächliche Romfahrt des Apostels Paulus“. Warneke, der sich mit Seefahrt und Meteorologie auskennt, zeigt darin, wie die von Lukas geschilderte Fahrt tatsächlich abgelaufen sein muss, wo die genannten Orte an den griechischen Küsten tatsächlich zu finden sind, und vor allem, dass die von Lukas genannte Insel „Melite“als Ort der Anlandung nicht die Insel Malta sein kann. Der Ort muss laut Lukas in der Adria zu finden sein, und der einzige Ort, der dort einen zum Bericht passenden flach ansteigenden Meeresgrund hat, ist die Halbinsel von Argostoli an der großen westgriechischen Insel Kephallenia, die damals auch Melite genannt wurde.

Malta ist weit weg von der Adria, hat keinen zur Beschreibung passenden Strand, und die lokalen Traditionen von der Landung des Paulus dort sind nicht ursprünglich. Aber natürlich lässt sich auf Malta mit der Tradition von Paulus, der in Wirklichkeit gar nie dort war, mit entsprechenden Pilgern ganz gut Geld verdienen.

Die Datierung der Ereignisse

Die Datierung der Ereignisse im Neuen Testament ist eine anspruchsvolle und vielschichtige Aufgabe. Der Bibelleser hat es demgegenüber eher einfach: Er schlägt hinten in seiner Bibel die Zeittafel auf, und dann steht dort, wann sich was ereignet hat. Dass hinter dieser Zeittafel eine Menge historischer Forschung und Arbeit steckt, ist manchem dabei wohl nicht so bewusst. Man denkt auch nicht, dass manche Daten der Zeittafel durchaus nicht so eindeutig sind, wie sie da stehen.

Die Datierung der Ereignisse hat zunächst die Schwierigkeit, dass die Zeitrechnung „vor“ oder „nach“ „Christi Geburt“ in der Antike noch nicht existierte. Erst historisch forschende Mönche (die damaligen Wissenschaftler) im 9. Jahrhundert haben sie erfunden und errechnet, sogar mit erstaunlicher Genauigkeit. Bis dahin hatte man die verschiedensten parallel laufenden Zeitrechnungen, meistens nach den Regierungszeiten der Herrscher oder der Päpste. In Japan z. B. beginnt nach einer Kaiserkrönung auch heute noch wieder ein Jahr 1. Es ist ein Puzzlespiel, mit allen verfügbaren Chroniken diese Regierungszeiten einander zuzuordnen und einen gemeinsamen Zeitablauf darzustellen. Die Mönche haben damals diese Aufgabe mit Bravour bewältigt und dann mit der Geburt des Erlösers einen sinnvollen Fixpunkt gewählt, von dem aus man vor- oder zurückrechnen konnte.

Das Neue Testament fällt also in eine Zeit, in der man diesen Fixpunkt noch nicht hatte. Die Datierung der Ereignisse war damals noch auf andere aktuelle Zeitrechnungen angewiesen. Unter den Autoren des Neuen Testaments ist es hier wieder Lukas, der präzise Angaben macht. Als forschender Geist liefert er uns an entscheidender Stelle eine für damalige Verhältnisse sehr präzise Datierung, in Lk 3,1-2: „Im Jahr 15 der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus römischer Regent von Judäa war, Herodes Fürst von Galiläa, Philippus, sein Bruder, Fürst von Ituräa und dem Land Trachonitis, und Lysanias Fürst von Abilene, unter den Obersten Priestern Hannas und Kajafas, kam das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn von Zacharias, in der Wüste.“

Lukas kombiniert hier sechs Regierungszeiten, um eine präzise Angabe für das erste Auftreten Johannes des Täufers anzugeben. Damit war dann auch das Auftreten von Jesus verknüpft. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Johannes am Jordan anfing, wo man sich nicht in der drückenden Hitze des Sommers, sondern in der angenehmen Wärme des Winters aufhielt, kommt man mit dem Puzzle der Regierungszeiten, das Lukas uns bietet, besonders mit dem Jahr 15 des Kaisers Tiberius, auf den Winter vom Jahr 27 auf 28 n. Chr..

Das Ende der irdischen Wirkungszeit Jesu müsste dann ein paar Jahre danach zu finden sein. Hier wird gerne eine andere Methode der Zeitbestimmung mit verwendet, nämlich die astronomische Rückrechnung. Die astronomische Wissenschaft kann erstaunlich präzise zurückrechnen, wann genau in welchem Jahr Vollmond und Neumond war, oder gar eine totale oder teilweise Sonnen- oder Mondfinsternis.

Beim Tod von Jesus ist der entscheidende Zeitpunkt das Pesach-Fest. Dieses richtet sich nach dem jüdischen (pharisäischen) Jahreskalender, der sich an den Mondperioden orientiert. Danach ist der wahrscheinlichste Zeitpunkt das Jahr 30, und zwar am 7. April nach unserem Kalender. Das ist der 14. Tag des jüdischen Monats Nisan. Mit dem Auftreten von Johannes im Winter 27/28 und den vom Johannesevangelium berichteten zwei Jahren der Wirkungszeit von Jesus passt das wunderbar zusammen.

Von Tod und Auferstehung im Jahr 30 an sind es 40 Jahre, bis im Jahr 70 der Tempel zerstört wird. Das war das Ende des alttestamentlichen Opferkults. 40 Jahre nach dem Opfertod von Jesus am Kreuz werden die Tieropfer abgeschafft. Ich finde diesen Zeitraum von 40 Jahren auch aus geistlichen Gründen bedeutsam. Die 40-er Zahl als 40 Jahre oder 40 Tage hat in der Geschichte Gottes immer wieder eine auffallende Rolle gespielt.

Allerdings gedenken wir nun nicht am 14. Nisan oder am 7. April feierlich des Todes von Jesus. Karfreitag und Ostern liegen auf dem ersten Wochenende nach dem ersten Frühlingsvollmond – warum, das weiß der Papst allein …

Eine Evangelienharmonie

Im Zuge meiner Übersetzungsarbeit habe ich auch eine chronologisch geordnete und datierte Version des Neuen Testaments erstellt. Dazu habe ich insbesondere die vier Evangelien zu einem einzigen Bericht zusammengestellt. Eine solche Zusammenfassung der vier Evangelien nennt man in der christlichen Tradition eine Evangelienharmonie. Eine solche ist auch schon aus den ersten christlichen Jahrhunderten bekannt. In syrischer (aramäischer) Sprache war sie in den syrischen Gemeinden sehr weit verbreitet. Sie hatte dort eine Zeit lang die vier Evangelien fast verdrängt.

Die ersten drei Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) sind in Aufbau und Inhalt einander auffallend ähnlich. Viele Berichte haben sie auch parallel, oft mit unterschiedlichen Details und manchmal unterschiedlicher Reihenfolge. Johannes, das vierte Evangelium, ist dagegen ganz anders, im Aufbau und im Inhalt. Nur wenige wesentliche Teile sind parallel zu den anderen drei. Nun wollte ich zum einen alle Detailinformationen aus allen vier Evangelien einmal zusammenhaben. Und zum anderen wollte ich einen zeitlichen Ablauf für die ganze Geschichte von Jesus finden. Das war wahrlich nicht so einfach. Es gehörten drei Stränge dazu, die ich für meine Evangelienharmonie – im Bild gesprochen – wie einen Zopf zusammenflechten musste:

1) Als erstes habe ich den Handlungsablauf der drei ersten Evangelien zusammengestellt. Dabei habe ich Matthäus als einem Augenzeugen den Vorrang eingeräumt habe und die Reihenfolge von Matthäus nur da geändert, wo Markus und Lukas als zwei Zeugen gemeinsam davon abweichen. Damit erhält man einen Handlungsstrang, der nach dem Grundmuster „von Galiläa nach Jerusalem“ einen sinnvollen Ablauf bietet. Dieser hat allerdings keine konkreten zeitlichen Angaben außer am Schluss das Pesach-Fest, an dem Jesus am Kreuz hingerichtet wurde.

2) Dann habe ich das Johannesevangelium damit kombiniert. Dieses enthält mehrere Zeitangaben, indem Jesus immer wieder Feste in Jerusalem besucht, die jahreszeitlich zu bestimmen sind. Das zeitliche Grundmuster im Johannesevangelium besteht in drei Pesach-Festen: Am Anfang seiner Wirksamkeit war Jesus dort und hat sich mit einer Tempelreinigung den Jerusalemern vorgestellt. Dann war er ein Jahr später zu Pesach nicht in Jerusalem, sondern blieb in Galiläa, wo als äußerlicher Höhepunkt seiner Tätigkeit die Speisung der 5000 stattfand. Und noch ein Jahr später wurde er an Pesach in Jerusalem am Kreuz hingerichtet. Hier tauchte für mich die erste Überraschung auf: Jesus war nicht, wie immer gedacht, drei Jahre lang in Israel unterwegs, sondern nur etwas mehr als zwei.

3) Dazu habe ich für meine Evangelienharmonie weitere zeitliche Angaben verarbeitet. Zum einen gibt es jahreszeitliche Erwähnungen in den Berichten selbst, z.B. wenn die Felder weiß sind zur Ernte oder wann es auf dem See Genezaret die Stürme gibt. Zum anderen gibt es Informationen aus der historischen Forschung, wobei der Tod und die Auferstehung von Jesus im Frühjahr des Jahres 30 n.Chr. der Dreh- und Angelpunkt ist. Das beste Buch dazu, das mir sehr viel Inspiration und Information gegeben hat, ist von Bargil Pixner: „Wege des Messias und Stätten der Urkirche“, herausgegeben von Rainer Riesner (Brunnen-Verlag).

Im Rahmen einer chronologisch geordneten Version des Neuen Testaments plane ich auch noch die Veröffentlichung dieser Evangelienharmonie.