Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Augenzeuge

Johannes

Bei der Zusammenstellung meiner Evangelienharmonie war es eine große Entdeckung für mich: Das Johannesevangelium ist ein Bericht, der die drei anderen Evangelien ergänzt. Die Zusammenstellung zeigte deutlich, dass Johannes die Überlieferung der anderen drei Evangelien gekannt haben muss. Und dazu hat er aus seinem persönlichen Wissen als Augenzeuge einen Bericht mit lauter ergänzenden Informationen zusammengestellt. Besonders fällt das gerade auch dann auf, wenn er etwas berichtet, was auch die anderen berichten. Das ist bei der Speisung der 5000, der Leidensgeschichte und den Auferstehungsberichten der Fall. Immer bringt er etwas, was die anderen nicht haben, wobei er die Informationen der anderen voraussetzt.

Unter diesem Gesichtspunkt ist das Johannesevangelium in meinen Augen ein wahres Meisterwerk: Es ist ein vollständiger und für sich allein sinnvoller und logischer Bericht, dabei besteht er aus lauter ergänzenden Informationen. Ich hatte diese Sichtweise nirgendwo anders gehört oder gelesen, als sie mir selbst deutlich wurde. Durch Zufall fand ich aber das Buch des Bibelwissenschaftlers Theodor Zahn (1883-1933): „Grundriss der Geschichte des neutestamentlichen Kanons“. Und in dem stieß ich auf einen Satz, der die gleiche Ansicht zum Ausdruck bringt. Ich war also doch nicht der erste, der es entdeckt hatte. Die Aussage Zahns in einem etwas altertümlichem Deutsch gebe ich hier leicht modernisiert wieder: „Das vierte Evangelium setzt bei seinen Lesern nicht nur die Art der Berichte als bekannt voraus, wie sie uns in den drei anderen Evangelien vorliegen, sondern es berücksichtigt auch den Wortlaut von Markus und Lukas.“

Dass eine solche Ergänzung nötig war, zeigt z.B. die Aussage von Jesus, die in Lk 13, 34 und Mt 23,37 berichtet wird: „Jerusalem, Jerusalem, die die Propheten tötet und die zu ihr Gesandten steinigt: Wie oft wollte ich deine Kinder zusammenbringen wie ein Vogel seine Jungen unter den Flügeln, und ihr habt nicht gewollt!“

Matthäus und Lukas haben aber gar nicht berichtet, dass Jesus „oft“ in Jerusalem gewesen war. (Außer bei Lukas als Baby und im Alter von 12 Jahren). Trotzdem hatte Jesus gesagt, „wie oft wollte ich deine Kinder zusammenbringen …“ Genau hier hilft uns Johannes weiter. In seinem Bericht dreht sich im Wesentlichen alles um die Auseinandersetzung von Jesus mit Jerusalem. Er berichtet uns fünf Begegnungen mit Jerusalem. Diese geschahen immer im Zusammenhang mit jüdischen Festen, an denen auch viele Leute aus dem Land dort waren:

1) Der erste Besuch gleich am Anfang seiner Tätigkeit mit einer ersten Tempelreinigung an Pesach im Jahr 28, anschließend das Gespräch mit Nikodemus.

2) Der zweite Besuch auf dem Laubhüttenfest im Herbst 28 mit der Heilung des Gelähmten am Teich Betesda.

3) Der dritte Besuch am Laubhüttenfest im Herbst 29 mit der Heilung des Blindgeborenen.

4) Der vierte Besuch am Tempelweihefest (Chanukka) im Dezember 29.

5) Der letzte Besuch, den auch die anderen Evangelien berichten, zu Pesach im Frühjahr 30. Bei diesem wurde er verhaftet und hingerichtet.

Die drei anderen Evangelien berichten in der Reihenfolge nach der Grundlinie des Dienstes von Jesus: „Von Galiläa nach Jerusalem“. So haben es sogar auch die Feinde von Jesus beschrieben – Lk 23,5: „Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa lehrt. Von Galiläa aus hat er angefangen bis hierher!“ Johannes ergänzt dazu die zwischendurch stattgefundenen Besuche in Jerusalem, das ja das eigentliche Ziel des Messias sein musste.

Dass Johannes die Berichte der anderen voraussetzt, zeigt sich auch an einer Bemerkung wie Joh 6,2: „Und eine große Menge folgte ihm, weil sie die Zeichen gesehen hatten, die er an Kranken getan hatte.“ Johannes selbst berichtet die Zeichen an Kranken in Galiläa gar nicht. Er setzt die Kenntnis derselben voraus. Er spricht ja auch an anderen Stellen von „vielen“ Zeichen, die Jesus getan hat. Johannes selbst berichtet aber insgesamt nur von sechs „Zeichen“ (davon wiederum fünf, die die anderen nicht berichten):

1) Die Verwandlung von Wasser zu Wein bei der Hochzeit in Kana.

2) Die Heilung des Sohnes des Königlichen aus Kafarnaum.

3) Die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda.

4) Die Speisung der 5000 an Pesach im Jahr 29.

5) Die Heilung des Blindgeborenen in Jerusalem.

6) Die Auferweckung von Lazarus.

Man könnte nun denken, dass die Zahl von sechs Zeichen etwas unvollständig aussieht. Die Zahl der Vollkommenheit wäre ja sieben. Aber bei Johannes darf man zum Abschluss seines Berichts natürlich die Auferstehung von Jesus als das siebte und größte Wunderzeichen betrachten.

Die Apostelgeschichte

Die Apostelgeschichte ist die Fortsetzung des Lukasevangeliums, sozusagen der zweite Band. Das darin Berichtete folgt dem Grundmuster „von Jerusalem nach Rom“. Sie hat zwei Schwerpunktthemen: Zum einen ist da die Geschichte der Urgemeinde in Jerusalem mit ihrer Ausbreitung bis nach Antiochia und dem Übergang zu den Nichtjuden. Zum anderen berichtet sie die Geschichte des Gesandten (Apostels) Paulus und seines Dienstes mit seinem Weg bis nach Rom.

So haben wir exemplarisch wenigstens die Geschichte eines der Gesandten von Jesus überliefert. Die anderen Gesandten haben sicherlich ähnlich interessante Geschichten, Thomas zum Beispiel ging bis nach Indien. Aber die Informationen aus frühen christlichen Schriften darüber sind eher spärlich. Es wäre eine interessante Aufgabe, das einmal zusammenzustellen.

Die Apostelgeschichte lässt sich mit den Angaben von Lukas auch gut datieren. Sie beginnt im Jahr 30 n. Chr. mit der Himmelfahrt des am Kreuz hingerichteten und auferstandenen Herrn. Am darauffolgenden Pfingstfest geschah die Gründung der christlichen Gemeinde mit der Ausgießung des Heiligen Geistes. Besonders mit Hilfe der von Lukas genannten Regenten, König Agrippa in Jerusalem, Gallio in Korinth, Felix und Festus in Cäsarea bzw. Judäa, kann man auch die weitere Apostelgeschichte gut datieren. Sie endet mit dem zweijährigen Hausarrest von Paulus in Rom von 60 bis 62 n. Chr.. Sie umfasst also einen Zeitraum von ca. 30 Jahren.

Die Apostelgeschichte gibt uns auch die einzige ausführliche Erzählung einer spannenden Abenteuergeschichte im Neuen Testament. Bei der Reise von Paulus als Gefangener von der Verhaftung in Jerusalem bis nach Rom, mit einem schweren Sturm auf See und einem Schiffbruch bei der Anlandung am Strand der Insel Melite, war Lukas selbst dabei und konnte uns so einen authentischen Augenzeugenbericht liefern.

Sehr erhellend war für mich dazu das Buch von Heinz Warneke: „Die tatsächliche Romfahrt des Apostels Paulus“. Warneke, der sich mit Seefahrt und Meteorologie auskennt, zeigt darin, wie die von Lukas geschilderte Fahrt tatsächlich abgelaufen sein muss, wo die genannten Orte an den griechischen Küsten tatsächlich zu finden sind, und vor allem, dass die von Lukas genannte Insel „Melite“als Ort der Anlandung nicht die Insel Malta sein kann. Der Ort muss nach der Fahrtbeschreibung von Lukas in der Adria zu finden sein. Und der einzige Ort, der dort einen zum Bericht passenden flach ansteigenden Meeresgrund hat, ist die Halbinsel von Argostoli an der großen westgriechischen Insel Kephallenia, die damals auch Melite genannt wurde.

Malta ist weit weg von der Adria und hat keinen zur Beschreibung passenden Strand. Die lokalen Traditionen von der Landung des Paulus dort sind also nicht ursprünglich. Aber natürlich lässt sich auf Malta mit der Tradition von Paulus, der in Wirklichkeit gar nie dort war, mit entsprechenden Pilgern ganz gut Geld verdienen.

Eine Evangelienharmonie

Im Zuge meiner Übersetzungsarbeit habe ich auch eine chronologisch geordnete und datierte Version des Neuen Testaments erstellt. Dazu habe ich insbesondere die vier Evangelien zu einem einzigen Bericht zusammengestellt. Eine solche Zusammenfassung der vier Evangelien nennt man in der christlichen Tradition eine Evangelienharmonie. Eine solche ist auch schon aus den ersten christlichen Jahrhunderten bekannt. In syrischer (aramäischer) Sprache war sie in den syrischen Gemeinden sehr weit verbreitet. Sie hatte dort eine Zeit lang die vier Evangelien fast verdrängt.

Die ersten drei Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) sind in Aufbau und Inhalt einander auffallend ähnlich. Viele Berichte haben sie auch parallel, oft mit unterschiedlichen Details und manchmal unterschiedlicher Reihenfolge. Johannes, das vierte Evangelium, ist dagegen ganz anders, im Aufbau und im Inhalt. Nur wenige wesentliche Teile sind parallel zu den anderen drei. Nun wollte ich zum einen alle Detailinformationen aus allen vier Evangelien einmal zusammenhaben. Und zum anderen wollte ich einen zeitlichen Ablauf für die ganze Geschichte von Jesus finden. Das war nicht so einfach. Es gehörten drei Stränge dazu, die ich für meine Evangelienharmonie – im Bild gesprochen – wie einen Zopf zusammenflechten musste:

1) Als erstes habe ich den Handlungsablauf der drei ersten Evangelien zusammengestellt. Dabei habe ich Matthäus als einem Augenzeugen den Vorrang eingeräumt habe und die Reihenfolge von Matthäus nur da geändert, wo Markus und Lukas als zwei Zeugen gemeinsam davon abweichen. Damit erhält man einen Handlungsstrang, der nach dem Grundmuster „von Galiläa nach Jerusalem“ einen sinnvollen Ablauf bietet. Dieser hat allerdings keine konkreten zeitlichen Angaben außer am Schluss das Pesach-Fest, an dem Jesus am Kreuz hingerichtet wurde.

2) Dann habe ich das Johannesevangelium damit kombiniert. Dieses enthält mehrere Zeitangaben, indem Jesus immer wieder Feste in Jerusalem besucht, die jahreszeitlich zu bestimmen sind. Das zeitliche Grundmuster im Johannesevangelium besteht in drei Pesach-Festen: Am Anfang seiner Wirksamkeit war Jesus dort und hat sich mit einer Tempelreinigung den Jerusalemern vorgestellt. Dann war er ein Jahr später zu Pesach nicht in Jerusalem, sondern blieb in Galiläa, wo als äußerlicher Höhepunkt seiner Tätigkeit die Speisung der 5000 stattfand. Und noch ein Jahr später wurde er an Pesach in Jerusalem am Kreuz hingerichtet. Hier tauchte für mich die erste Überraschung auf: Jesus war nicht, wie immer gedacht, drei Jahre lang in Israel unterwegs, sondern nur etwas mehr als zwei.

3) Dazu habe ich für meine Evangelienharmonie weitere zeitliche Angaben verarbeitet. Zum einen gibt es jahreszeitliche Erwähnungen in den Berichten selbst, z.B. wenn die Felder weiß sind zur Ernte oder wann es auf dem See Genezaret Stürme gibt. Zum anderen gibt es Informationen aus der historischen Forschung, wobei der Tod und die Auferstehung von Jesus im Frühjahr des Jahres 30 n. Chr. der Dreh- und Angelpunkt ist. Das beste Buch dazu, das mir sehr viel Inspiration und Information gegeben hat, ist von Bargil Pixner: „Wege des Messias und Stätten der Urkirche“, herausgegeben von Rainer Riesner (Brunnen-Verlag).

Im Rahmen einer chronologisch geordneten Version des Neuen Testaments plane ich auch noch die Veröffentlichung dieser Evangelienharmonie.

Lukas

Das Evangelium von Lukas ist das längste der vier Evangelien, es hat zwar weniger Kapitel als Matthäus, dafür aber längere. Lukas hat auch als einziger zwei Bände geschrieben, das Evangelium ist Band 1, die Apostelgeschichte Band 2. Die beiden Bände zusammengerechnet ergeben etwa 1/4 des Neuen Testaments. Das heißt, Lukas hat dort mehr geschrieben als jeder andere.

Also Grund genug, ihn wichtig zu nehmen, und überhaupt, was wüssten wir ohne die Apostelgeschichte alles nicht? Auch ohne sein Evangelium würde uns einiges fehlen, z.B. die Geburt des Messias, der verlorene Sohn, der barmherzige Samariter, die zwei Emmaus-Jünger …

Unter den Autoren des Neuen Testaments ist Lukas eine Ausnahme: ein Grieche, von Beruf Arzt, der Jesus nie persönlich kannte und erst Jahre später durch Paulus zum Glauben kam.

In der Apostelgeschichte gibt es zwei Abschnitte, in denen er als „wir“ berichtet, das heißt, er war persönlich dabei. Auf der zweiten Missionsreise von Paulus taucht er zum ersten Mal in Troas in Kleinasien auf, als Paulus den Ruf nach Mazedonien bekam: „Und während der Nacht wurde von Paulus eine Erscheinung gesehen: Ein Mann, ein Mazedonier, stand da und bat ihn und sagte: ‚Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!‘ Und wie er die Erscheinung gesehen hatte, wollten wir sogleich nach Mazedonien hinausgehen, weil uns klar war, dass Gott uns hinrief, ihnen die gute Nachricht zu bringen.“ Dieser erste „wir“-Bericht endet dann gleich wieder in Philippi. Lukas blieb wohl dort, als Paulus nach Thessaloniki weiterreiste.

Auf der dritten Missionsreise von Paulus war er dann auf der Rückreise von Korinth ab Philippi wieder dabei. Er könnte also die ganze Zeit bei der Gemeinde in Philippi gewesen sein: „Es schlossen sich ihm aber an: Sopatros, der Sohn von Pyrros, von Beroia, von den Thessalonikern Aristarchos und Secundus, Gaius aus Derbe und Timotheos, aus der Provinz Asia Tychikos und Trophimos. Diese gingen uns voraus und erwarteten uns in Troas. Wir aber fuhren nach dem Tag der ungesäuerten Brote mit dem Schiff von Philippi ab und kamen bis nach fünf Tagen zu ihnen nach Troas, wo wir uns sieben Tage aufhielten.“ Bei diesen Namensaufzählungen fällt auf, dass Lukas sich selbst in christlicher Bescheidenheit nicht erwähnt.

Lukas reiste dann mit Paulus bis nach Jerusalem und erlebte dort dessen Verhaftung mit. Während der zwei Jahre von Paulus‘ Gefangenschaft in Cäsarea hielt er sich zeitweise dort bei ihm auf. Und er reiste dann auch wieder mit, als Paulus als Gefangener nach Rom transportiert wurde – einschließlich Schiffbruch mit allem drum und dran.

Lukas hat uns also mit seinem Evangelium und der Apostelgeschichte ein Viertel des Neuen Testaments geschenkt mit unschätzbaren Informationen. Einzigartig ist nicht nur die ganze Apostelgeschichte, auch sein Evangelium hat zu einem Drittel Erzählstoff, den kein anderer hat. Und so wollen wir der Frage nachgehen: Woher hatte Lukas seine Informationen?

Zum Ersten muss man da natürlich Paulus nennen. Mit ihm und seinen Mitarbeitern war Lukas unterwegs. Zuerst war er auf einer kurze Reise von Troas nach Philippi dabei. Dann begleitete er Paulus auf der langen Reise von Philippi nach Jerusalem mit zwei Jahren Gefängnisaufenthalt des Paulus in Caesarea und von dort nach Rom, wo er sicherlich auch weiterhin mit Paulus in Kontakt war. Nach dieser Zeit wusste er auf jeden Fall alles, was Paulus wusste. Und zur Weitergabe des Evangeliums gehörte damals alles, was man über Jesus wusste.

Zum Zweiten muss man auch Markus nennen, der uns als Autor eines Evangeliums ja bekannt ist. Auch Lukas und Markus kannten sich. Der Beweis dafür steht im Brief von Paulus an Philemon in den Versen 23 und 24: „Es grüßen dich Epafras, mein Mitgefangener im Messias Jesus, Markus, Aristarchos, Demas und Lukas, meine Mitarbeiter.“ Sie gehörten also während der Gefangenschaft von Paulus beide gleichzeitig zu seinem Team. Und wenn Lukas Markus kannte, dann kannte er auch seine Aufzeichnungen, womöglich sein fertiges Evangelium.

Und noch ein Drittes: Ich stelle mir vor, Markus hat seinen Bericht konzentriert geschrieben mit den wichtigsten und zentralen Informationen über Jesus. Lukas als interessierter Forscher dachte aber, er müsse noch mehr darüber erfahren. Und so nutzte er die Zeit, in der er von Frühsommer 57 bis Spätsommer 59 bei Paulus in Cäsarea war. Von dort machte er den einen oder anderen Abstecher nach Jerusalem. Hier lernte er die Örtlichkeiten kennen und traf Leute, die Jesus persönlich gekannt hatten. Auch Maria, die Mutter von Jesus, lebte noch dort. Lukas sagt ja in Lk 2,19: „Maria aber brachte alle diese Worte zusammen und bewahrte sie in ihrem Herzen auf.“ Und in Lk 2,51 noch einmal: „Und seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen.“ Das klingt doch so, als ob Lukas hier eine Quelle nennt, aus der er Informationen hat.

Wenn Maria damals noch lebte, muss sie Mitte bis Ende 70 gewesen sein. Das war für damalige Verhältnisse ein hohes, aber nicht unwahrscheinliches Alter. Auch die Informationen in der Apostelgeschichte über die erste Zeit der Gemeinde in Jerusalem kann Lukas sehr gut hier in Jerusalem bekommen haben. Man stelle sich die Szene vor: Maria im hohen Alter empfängt den Besuch des ihr fremden griechischen Bruders Lukas. Und sie erzählt ihm, wie es sich damals mit der Geburt von Johannes dem Täufer und der ihres eigenen Sohnes abgespielt hat, wie sie mit dem Zwölfjährigen im Tempel waren, und und. Und Lukas schreibt eifrig mit.

Unter diesen Gesichtspunkten kann man sich gut vorstellen, dass Lukas in den zwei Jahren in Cäsarea sein Evangelium fertigstellte. Und nach der Romreise, als Paulus dort zwei Jahre unter Hausarrest stand, hat er die Apostelgeschichte vollendet. Diese endet auffallenderweise ohne richtigen Schluss. Man erfährt nicht mehr, wie es mit Paulus und seinem Prozess weiterging. Das ist eigentlich nur dadurch zu erklären, dass Lukas in diesen zwei Jahren sein Werk abgeschlossen und veröffentlicht hat. Dann ist es sogar höchst wahrscheinlich, dass Paulus selbst es in dieser Zeit begleitet und autorisiert hat.

Wie sagt doch Lukas (1,3-4): „Es erschien auch mir gut, nachdem ich allem von Anfang an genau nachgegangen bin, es dir der Reihe nach aufzuschreiben, edler Theophilos, damit du klar erkennst, wie sicher die Worte sind, über die man dich unterrichtet hat.“

Markus

Markus heißt der Autor des Markusevangeliums. Im Gegensatz zu Matthäus und Lukas berichtet er keine Vorgeschichte über Geburt und Kindheit von Jesus. Er beginnt seinen Bericht wie mit einem Paukenschlag mit Johannes dem Täufer und der Botschaft: „Das Reich Gottes ist nahe gekommen!“

Sodann fällt auf, dass Markus wenig Bezüge zum Alten Testament herstellt. Das passt auch zum Fehlen einer Vorgeschichte, die ja auch immer am Vorhergehenden anknüpft. Er hat nur ganz wenige Stücke, die die anderen Evangelien nicht auch berichten. Und es ist das kürzeste der vier Evangelien.

Andererseites werden im Markusevangelium immer wieder Dinge näher erklärt. In Markus 7, wo die Jünger mit ungewaschenen Händen Brote aßen und damit Anstoß erregten, erklärt er: „Denn Pharisäer und alle Juden essen nicht, ohne dass sie sich eifrig die Hände waschen und sich so an die ‚Tradition der Älteren‘ halten. Auch vom Markt essen sie nichts, ohne dass sie es ins Wasser tauchen; und viele andere Dinge gibt es, die sie zu halten übernommen haben, Tauchbäder von Bechern und Krügen und Töpfen, auch von Betten.“

Er gibt Erklärungen für Leute, die sich mit solchen jüdischen Dingen offensichtlich nicht auskennen. Das und der reduzierte Bezug zum Alten Testament deuten darauf hin, dass Markus beim Abfassen seiner Schrift vor allem Nichtjuden im Auge hatte. Das passt auch zu der alten Überlieferung, dass Markus als Übersetzer mit Petrus in Rom war. Dort baten ihn die Leute dann, die Botschaft von Petrus für sie aufzuschreiben. Und das war sicherlich der Anstoß zur Zusammenstellung seines Berichts.

Sich selbst hat er in Mk 14,51-52 mit eingeschmuggelt. Als hier alle Jünger nach der Verhaftung von Jesus flohen, erwähnt er: „Und ein junger Mann war mit ihm gegangen, der war mit einem Leinentuch bekleidet und darunter nackt. Und sie packten ihn, und er ließ das Leinentuch zurück und floh nackt.“ Wer weiß von dieser Sache außer ihm selbst? Und nur, wenn er hier von sich selbst spricht, hat diese Episode überhaupt einen Sinn. So erfahren wir auch, dass er einer aus dem weiteren Jüngerkreis war (also nicht von den „Zwölf“). Er kannte also Jesus persönlich und war so nicht nur Sammler und Aufschreiber, sondern in manchen Dingen auch Augenzeuge.

Dass er ein Jerusalemer war, lässt sich aus Apg 12,12 schließen. Als ein Engel Petrus aus dem Gefängnis befreit hatte, heißt es: „Und (Petrus) bemerkte, dass er zum Haus Marias gekommen war, der Mutter von Johannes, der auch ‚Markus‘ genannt wurde, wo ziemlich viele zusammengerufen worden waren und beteten.“ Das Haus seiner Mutter war also in Jerusalem. Er hatte den hebräischen Namen „Johannes“ und daneben den lateinisch/römischen Namen „Markus“. Und wir kennen im Neuen Testament nicht nur seine Mutter Maria. Barnabas, ein führender Mann in der Jerusalemer Gemeinde, war sein Onkel.

Das Phänomen des hebräisch-lateinischen Doppelnamens begegnet uns auch bei „Saul(us) Paulus“ und bei „Silas Silvanus“. Vemutlich war es verbunden mit der römischen Staatsbürgerschaft, dass man als Jude auch einen römischen Namen trug.

So unrühmlich wie seine Flucht in der Nacht der Verhaftung von Jesus endete später auch seine Beteiligung an der ersten Missionsreise mit seinem Onkel Barnabas und dessen Mitarbeiter Paulus. Als es anfing, gefährlich zu werden, verließ er die beiden und ging zurück nach Jerusalem.

Später war er dann aber wieder mit Barnabas auf Missionsreise. Und im Philemon- und Kolosserbrief erscheint er auch wieder als Mitarbeiter von Paulus, während dieser in Cäsarea zwei Jahre im Gefängnis war. Paulus muss ihn von dort mit einem Auftrag ausgesandt haben. Denn in 2 Tim 4,11 will er ihn gerne wieder zurückhaben: „Nimm Markus auf und bring ihn mit dir mit, er ist mir nämlich sehr nützlich zum Dienst.“

Matthäus

Matthäus ist einer der „zwölf“ Jünger von Jesus, also ein Augenzeuge für den genzen Weg, den er mit Jesus gegangen ist. In seinem Bericht darüber, seinem „Evangelium„, zeigt er ein paar Eigenheiten, die sich von den anderen drei Evangelien abheben:

Wenn man die Stücke vergleicht, die Matthäus mit Markus und Lukas gemeinsam hat, dann sind sie bei Matthäus in der Regel am kürzesten. Man könnte also sagen, er liebt es eher kurz und bündig.

Die Lehre von Jesus hat er konzentriert in fünf großen Reden von Jesus zusammengestellt:

Grundsatzrede auf dem Berg (Mt. 5-7)

Aussendungsrede (Mt. 10)

Reich-Gottes-Vergleiche (Mt. 13)

Gemeinderegeln (Mt. 18)

Endzeitrede (Mt. 24-25)

Matthäus ist es wichtig, den Bezug zum Alten Testament herzustellen. Die Formulierung; „Damit wurde erfüllt, was (z. B. der Prophet Jesaja) gesagt hatte“ leitet bei ihm häufig ein Zitat aus dem AT ein.

Und er sagt statt „Königreich Gottes“ lieber „Königreich der Himmel“. Damit schließt er sich der jüdischen Sitte an, die Erwähnung des heiligen Gottes zu vermeiden und lieber zu umschreiben.

Aus diesem Wertlegen auf die Erfüllung des Alten Testaments und der jüdischen Umschreibung Gottes darf man schließen, dass Matthäus sein Evangelium mit Blick auf Gemeinden mit jüdischem Ursprung geschrieben hat, wie es im Land Israel viele gab.

Sich selbst stellt er nebenbei in Mt 9,9 vor. „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen – der Matthäus genannt wird – und er sagte ihm: ‚Folge mir!‘. Und der stand auf und folgte ihm.“ In den Parallelstellen bei Markus und Lukas heißt dieser Zöllner „Levi“ bzw. „Levi, der Sohn von Alfäus“. Das war wohl sein ursprünglicher Name, aber er selbst legt offensichtlich Wert auf seinen Beinamen „Matthäus“.

Es gibt eine bekannte Parallele dazu: Simon, der Sohn von Johannes, – der Petrus genannt wird -. Den neuen Namen „Petrus“ hat Jesus Simon gegeben. Wahrscheinlich hat Jesus also auch dem Levi einen neuen Namen gegeben. Alle Aufzählungen der zwölf Jünger im Neuen Testament nennen ihn dann immer nur noch mit diesem Namen „Matthäus“.

Der Name ist hebräisch und heißt ursprünglich „Mattatjahu“. Man kürzte ihn dann ab, zunächst zu „Mattitja“ und später zu „Mattai“. Der Grieche hängte noch seine Endung dran und sagte „Matthaios“. Zu uns kam er dann über die lateinische Bibel als „Matthäus“.

Der Name bedeutet „Geschenk des HERRN“. Wie treffend für einen Steuereinnehmer, den die damaligen Frommen als einen Ausgestoßenen betrachteten, der in der Nachfolge von Jesus ein neues Leben, einen neuen Namen, eine neue Identität bekam!