Die Datierung der Ereignisse im Neuen Testament ist eine anspruchsvolle und vielschichtige Aufgabe. Der Bibelleser hat es demgegenüber eher einfach: Er schlägt hinten in seiner Bibel die Zeittafel auf, und dann steht dort, wann sich was ereignet hat. Dass hinter dieser Zeittafel eine Menge historischer Forschung und Arbeit steckt, ist manchem dabei wohl nicht so bewusst. Man denkt auch nicht, dass manche Daten der Zeittafel durchaus nicht so eindeutig sind, wie sie da stehen.
Die Datierung der Ereignisse hat zunächst die Schwierigkeit, dass die Zeitrechnung „vor“ oder „nach“ „Christi Geburt“ in der Antike noch nicht existierte. Erst historisch forschende Mönche (die damaligen Wissenschaftler) im 9. Jahrhundert haben sie erfunden und errechnet, sogar mit erstaunlicher Genauigkeit. Bis dahin hatte man die verschiedensten parallel laufenden Zeitrechnungen, meistens nach den Regierungszeiten der Herrscher oder der Päpste. In Japan z. B. beginnt nach einer Kaiserkrönung auch heute noch wieder ein Jahr 1. Es ist ein Puzzlespiel, mit allen verfügbaren Chroniken diese Regierungszeiten einander zuzuordnen und einen gemeinsamen Zeitablauf darzustellen. Die Mönche haben damals diese Aufgabe mit Bravour bewältigt und dann mit der Geburt des Erlösers einen sinnvollen Fixpunkt gewählt, von dem aus man vor- oder zurückrechnen konnte.
Das Neue Testament fällt also in eine Zeit, in der man diesen Fixpunkt noch nicht hatte. Die Datierung der Ereignisse war damals noch auf andere aktuelle Zeitrechnungen angewiesen. Unter den Autoren des Neuen Testaments ist es hier wieder Lukas, der präzise Angaben macht. Als forschender Geist liefert er uns an entscheidender Stelle eine für damalige Verhältnisse sehr präzise Datierung, in Lk 3,1-2: „Im Jahr 15 der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus römischer Regent von Judäa war, Herodes Fürst von Galiläa, Philippus, sein Bruder, Fürst von Ituräa und dem Land Trachonitis, und Lysanias Fürst von Abilene, unter den Obersten Priestern Hannas und Kajafas, kam das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn von Zacharias, in der Wüste.“
Lukas kombiniert hier sechs Regierungszeiten, um eine präzise Angabe für das erste Auftreten Johannes des Täufers anzugeben. Damit war dann auch das Auftreten von Jesus verknüpft. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Johannes am Jordan anfing, wo man sich nicht in der drückenden Hitze des Sommers, sondern in der angenehmen Wärme des Winters aufhielt, kommt man mit dem Puzzle der Regierungszeiten, das Lukas uns bietet, besonders mit dem Jahr 15 des Kaisers Tiberius, auf den Winter vom Jahr 27 auf 28 n. Chr..
Das Ende der irdischen Wirkungszeit Jesu müsste dann ein paar Jahre danach zu finden sein. Hier wird gerne eine andere Methode der Zeitbestimmung mit verwendet, nämlich die astronomische Rückrechnung. Die astronomische Wissenschaft kann erstaunlich präzise zurückrechnen, wann genau in welchem Jahr Vollmond und Neumond war, oder gar eine totale oder teilweise Sonnen- oder Mondfinsternis.
Beim Tod von Jesus ist der entscheidende Zeitpunkt das Pesach-Fest. Dieses richtet sich nach dem jüdischen (pharisäischen) Jahreskalender, der sich an den Mondperioden orientiert. Danach ist der wahrscheinlichste Zeitpunkt das Jahr 30, und zwar am 7. April nach unserem Kalender. Das ist der 14. Tag des jüdischen Monats Nisan. Mit dem Auftreten von Johannes im Winter 27/28 und den vom Johannesevangelium berichteten zwei Jahren der Wirkungszeit von Jesus passt das wunderbar zusammen.
Von Tod und Auferstehung im Jahr 30 an sind es 40 Jahre, bis im Jahr 70 der Tempel zerstört wird. Das war das Ende des alttestamentlichen Opferkults. 40 Jahre nach dem Opfertod von Jesus am Kreuz werden die Tieropfer abgeschafft. Ich finde diesen Zeitraum von 40 Jahren auch aus geistlichen Gründen bedeutsam. Die 40-er Zahl als 40 Jahre oder 40 Tage hat in der Geschichte Gottes immer wieder eine auffallende Rolle gespielt.
Allerdings gedenken wir nun nicht am 14. Nisan oder am 7. April feierlich des Todes von Jesus. Karfreitag und Ostern liegen auf dem ersten Wochenende nach dem ersten Frühlingsvollmond – warum, das weiß der Papst allein …