Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Versammlung

Ekklesia

Ekklesia ist das griechische Wort, das üblicherweise mit „Gemeinde“ übersetzt wird, so auch in meiner Übersetzung. Es mit „Kirche“ zu übersetzen, wäre angesichts dessen, was man sich im Allgemeinen unter „Kirche“ vorstellt, eine falsche Übersetzung.

Im Griechischen ist Ekklesia ursprünglich kein Wort aus dem religiösen Bereich. Es meint sowohl die Gesamtheit als auch die Versammlung der mündigen Bürger eines politischen Gemeinwesens. Die wörtliche Übersetzung „Herausgerufene“ bezieht sich wohl auf die Versammlung, zu der man die Bürger aus ihren Häusern „herausruft“. Im griechischen Alten Testament bezeichnet der Begriff auch die Versammlungen des Volkes Israel.

Im Neuen Testament korrespondiert das Wort mit dem Begriff „Reich Gottes“. In den Evangelien, also vor der Geburtsstunde der Gemeinde an jenem Pfingstfest im Jahr 30 n. Chr., ist sehr viel vom kommenden und in Jesus bereits anwesenden Reich Gottes die Rede, aber nur zweimal von der Ekklesia bzw. Gemeinde. Nach der Geistausgießung an Pfingsten ist sehr viel von der Ekklesia bzw. Gemeinde die Rede und nur noch an wenigen Stellen vom Reich Gottes.

Offensichtlich ist die Gemeinde der auf der Erde verwirklichte und sichtbare Teil des Reiches Gottes. Das wesentliche Kennzeichen des Reiches Gottes ist, dass in diesem Reich uneingeschränkt der Wille Gottes geschieht. Das heißt, dass überall, wo Menschen sich dem Willen Gottes unterstellen und ihn tun, das Reich Gottes da ist. Und das ist die Realität der Gemeinde. Die „Ekklesia“ ist sowohl die Gesamtheit als auch die Versammlung der mündigen Bürger des Reiches Gottes.

Das erstemal ist von der Ekklesia in Matthäus 16 die Rede. Jesus selbst hat hier diese Bezeichnung eingeführt. Petrus sprach das Bekenntnis aus – Vers 16: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“. Und Jesus sagte dazu – Vers 18: „Auf diesem Felsgrund werde ich meine Gemeinde bauen, und die Tore der Totenwelt werden sie nicht bezwingen.“ Jesus ist demnach: Fundament der Gemeinde („Auf diesem Felsgrund“), Baumeister der Gemeinde („werde ich bauen“) und Herr der Gemeinde („meine Gemeinde“).

Die Ekklesia des Neuen Testaments existiert in drei Größenordnungen. Zum einen wird die Gesamtheit der universalen christlichen Gemeinde so bezeichnet, zum anderen die Gemeinde in einer Stadt, dann aber auch die Gemeinde in einem Haus. Alle drei Ebenen sind im vollen Sinne „Ekklesia“. Das zahlenmäßige Minimum hat Jesus in Mt 18,20 benannt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, dort bin ich in ihrer Mitte.“

Die christliche Gemeinde ist die Gemeinde, in der Jesus regiert bzw. der Wille Gottes geschieht. Umgekehrt ist dann eine „Gemeinde“, in der nicht Jesus regiert bzw. nicht der Wille Gottes geschieht, keine christliche Gemeinde. Das Vorbild für die Gemeinde, die das Reich Gottes auf Erden verkörpert, haben wir im Neuen Testament. Das ist der Maßstab.

Kirche

Das Wort, das in katholischen Bibelübersetzungen als „Kirche“ und in anderen Bibeln meist als „Gemeinde“ auftaucht, heißt auf Griechisch „ekklesía“. Als „ecclesia“ ist es ins Lateinische gekommen, als Fachausdruck dann auch ins Deutsche.

Ekklesía“ ist im Griechischen eigentlich kein religiöser Begriff, sondern gehört in den politischen Raum. Er bezeichnet die „Volksversammlung“ in der griechischen Stadt-Demokratie, die Versammlung der freien und stimmberechtigten Bürger (nach damaligen Verständnis ohne Frauen und Sklaven). In diesem Sinne wird das Wort in dem Bericht Apg 19 dreimal gebraucht: „ … die Volksversammlung war völlig durcheinander gekommen, … wird es in der gesetzmäßigen Volksversammlung aufgeklärt werden, … als er dies gesagt hatte, entließ er die Volksversammlung.“

Der Hintergrundbegriff des Alten Testamentes ist hebräisch „qahál“, das ebenfalls für die Volksversammlung – in diesem Fall Israels – steht.

Die Bezeichnung ist im Neuen Testament bewusst gewählt, um zu zeigen, dass hier ein neues Volk Gottes aus freien, gleichberechtigten und mündigen Bürgern entsteht. Das Wesen dieser neuen Volksversammlung hat nichts gemein mit irgend etwas, das wir uns unter dem Namen „Kirche“ vorstellen. Nichts mit Großorganisation, Pfarrer, Kirchengebäude oder „Gottesdienst„.

Bei meiner Übersetzung habe ich mich nach einigem Überlegen entschieden, für „ekklesía“ den geläufigen Begriff „Gemeinde“ zu verwenden. Er ist im Deutschen auch in der säkularen Sprache geläufig und bezeichnet die Gesamtheit oder Versammlung einer bestimmten Anhängerschaft oder Gruppierung (z. B. Fan-Gemeinde, Trauergemeinde, türkische Gemeinde).

Die Schwierigkeit besteht dabei aber, dass man sich in den christlichen Kreisen auch unter „Gemeinde“ normalerweise leider etwas anderes vorstellt. Etwas, das wiederum stark in Richtung „Kirche“ geht. Nicht umsonst spricht man ja auch von der „Frei-Kirche“. Und sich einfach den Namen „Ekklesia“ zu geben, nützt da auch nichts. Hier muss vom Neuen Testament her umgedacht werden.

Hilfreich ist es, anhand einer Konkordanz oder eines Suchprogramms im Neuen Testament die Stellen zu erforschen, wo von der Gemeinde die Rede ist. Man wird dort bezeichnenderweise einige Dinge nicht finden, die uns sofort einfallen, wenn wir an Kirche oder Gemeinde denken. Es gibt keine Pfarrer oder Pastoren, es gibt keine Kirchengebäude oder Gemeindezentren, und es gibt keine Gottesdienste im Sinne von rituell ablaufenden und gesteuerten Veranstaltungen. Die neutestamentliche Gemeinde ist wesensmäßig etwas völlig anderes. Sie ist von Glaube, Gemeinschaft und Gleichwertigkeit bestimmt.

Die „Kirche“, wie wir sie kennen, ist allerdings auch dem Neuen Testament nicht unbekannt. Sie wird in der Offenbarung prophetisch im Bild der Hure Babylon dargestellt.

Gottesdienst

Was „Gottesdienst“ ist, steht ausdrücklich und klar im Neuen Testament. Paulus hat es so formuliert: „Ich ermutige euch also, Geschwister, wegen des Erbarmens Gottes, dass ihr eure Leiber zur Verfügung stellt als Opfer, lebendig, heilig und Gott wohlgefällig, als eure Gottesverehrung, die dem Wort entspricht.” (Römer 12,1). Das Wort „latreía“, das ich hier mit „Gottesverehrung“ übersetze, würde am ehesten dem deutschen „Gottesdienst“ entsprechen.

Es ist fast überflüssig zu bemerken, dass eine solche Art des Gottesdienstes natürlich nichts mit ein oder zwei organisierten Veranstaltungen pro Woche zu tun hat.

Die neue Form der Gottesverehrung im neuen „Haus Gottes“ beschreibt Jakobus so: „Eine Gottesverehrung, die rein und unbefleckt ist bei Gott dem Vater, ist die: nach Waisen und Witwen zu schauen in ihren Schwierigkeiten, sich selbst unbefleckt zu halten von der Welt.” (Jakobus 1,27).

Vielleicht lässt sich das Prinzip so formulieren: Wir dienen Gott, indem wir für ihn und füreinander da sind. Gott dient uns, indem er persönlich und durch unsere Geschwister für uns da ist. Eine zeremoniell ablaufende Veranstaltung abzuhalten und sie dann auch noch „Gottesdienst“ zu nennen, das wäre in der neutestamentlichen Gemeinde keinem eingefallen.

Natürlich gab es in der neutestamentlichen Gemeinde regelmäßige, auch tägliche Treffen, Versammlungen, Zusammenkünfte, oder wie wir es nennen wollen. Wie es da so etwa zuging, können wir bei Paulus nachlesen:

„Wie ist es denn, Geschwister, wenn ihr zusammenkommt? Jeder hat ein Lied, hat eine Lehre, hat eine Entdeckung, hat eine Gebetssprache, hat eine Deutung. Alles soll geschehen, um aufzubauen! Wenn jemand in einer Gebetssprache spricht, auch zwei oder höchstens drei, dann der Reihe nach, und jemand soll übersetzen. Wenn aber kein Übersetzer da ist, soll er in der Gemeinde schweigen. Für sich selbst soll er aber sprechen und für Gott. Propheten sollen zwei oder drei sprechen, die anderen sollen beurteilen. Wenn einem anderen, der dasitzt, etwas offenbart wird, soll der erste schweigen. Ihr könnt doch – je einer – alle prophetisch sprechen, damit alle lernen und alle ermutigt werden.” (1.Korinther 14,26-31).

Es würde mich sehr wundern, wenn jemand in dieser Beschreibung den ihm bekannten „Gottesdienst“ in irgendeiner Weise wiederfinden würde. Auf jeden Fall ist zur Zeit des Neuen Testaments niemand auf den Gedanken gekommen, die Treffen der Christen als „Gottesdienst“ zu bezeichnen.