(Kaltes Wasser für Propheten – ein Auszug aus einem Artikel von Sören Kierkegaard. Er hat die Überschrift „Die Gleichzeitigkeit; was du dem Zeitgenossen tust, das allein ist das Entscheidende“. Veröffentlicht in „Der Augenblick“ am 11. September 1855.)
„Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird eines Propheten Lohn empfangen. Und wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird eines Gerechten Lohn empfangen. Und wer einem von diesen Geringen nur einen Becher kalten Wassers reicht, weil er ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, er soll nicht um seinen Lohn kommen.“ So sagt unser Herr Jesus Christus, Mt 10,41-42.
Wahrlich, eine mehr als königliche und kaiserliche Freigebigkeit; so freigebig ist nur die Gottheit!
Und doch, sieh etwas näher zu. Es handelt sich hier darum, was man einem Zeitgenossen, was man als Zeitgenosse dem Propheten, dem Jünger tut. „Wer einem von diesen Geringen einen Becher kalten Wassers reicht“ – ja, hierauf kann doch der Nachdruck nicht liegen. Nein, der Nachdruck liegt auf dem: „weil er ein Jünger, ein Prophet ist“.
Wenn also ein Zeitgenosse sagen würde: „Ich halte den Menschen gewiss nicht für einen Propheten, für einen Jünger. Dagegen bin ich bereit, ihm einen Becher Wein zu reichen“. Oder wenn einer vielleicht bei sich im Stillen diesen Menschen für einen Jünger, einen Propheten ansähe, hätte aber, feige, nicht den Mut, sich zu seiner Überzeugung zu bekennen. Oder wenn einer dem Propheten, dem Jünger, den ja als solchen die Zeitgenossen nicht anerkennen, im Gegensatz zu den andern Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, aber um billigeren Preis. Wenn ein solcher dann etwa sagen würde: „Ich halte ihn wohl für keinen Propheten. Aber er ist doch ein merkwürdiger Mensch, und ich mache mir ein Vergnügen daraus, ihm einen Becher Wein zu reichen.“ So müsste das eine- wie das anderemal die Antwort lauten: „Nein, mein Lieber, behalte er nur seinen Becher Wein! Davon redet die Schrift nicht.“
Sie redet nur von einem Becher kalten Wassers, den man ihm reicht. Aber man reicht ihn, weil er ein Jünger, ein Prophet ist. Und damit erkennt man ihn also voll und ganz als das an, was er in Wahrheit ist. Worauf Christus zielt, das ist die Anerkennung als als Jünger, als Prophet, und zwar von den Mitlebenden. Ob man die Anerkennung dadurch ausdrückt, dass man ein Glas kaltes Wasser reicht, oder dadurch, dass man ein Königreich schenkt, ist durchaus gleichgültig. Worauf es ankommt ist nur dies, warum man den Zeitgenossen anerkennt.
Somit ist nicht richtig, was die Besoldungspfarrer für die Pfarrbesoldung den Menschen einbilden. Da 10 Taler mehr sei als ein Glas kaltes Wasser, sagen sie, so sei es auch etwas weit Höheres, dem Propheten, dem Jünger 10 Taler zu geben, aber nicht, weil er der Prophet, der Jünger ist, als ihm ein Glas kaltes Wassers zu geben, weil er ein Prophet, ein Jünger ist. Nein, dass man es darum gibt, also ausdrücken will, man anerkenne den Menschen für das, was er in Wahrheit ist, darauf kommt es an.
Aber es ist nicht leicht, das einem Mitlebenden zu tun. Hierzu braucht einer zwar nicht selbst ein Prophet, ein Jünger zu sein. Aber was er haben muss (und wohlgemerkt, bei redlichem Willen unbedingt auch haben kann), das ist zwei Drittel von eines Jüngers, eines Propheten Charakter. Denn einem Zeitgenossen gereicht, kann dieser Becher Wasser, oder richtiger dieses Weil, teuer zu stehen kommen. Von der Gegenwart, bei Leibesleben, wird nämlich der Prophet, der Jünger verhöhnt, gehasst, verwünscht, verabscheut, auf alle Weise verfolgt. Und verlass dich drauf: einem Jünger „als Jünger“ einen Becher Wasser zu reichen, zieht nach dem Neuen Testament mindestens Ausschluss aus der Synagoge nach sich. Damit bestrafte man ja jeden, der sich mit seinem Zeitgenossen Christus einließ.
Das wird natürlich von den Lügenpfaffen „vertuscht, verschleiert, verschwiegen, ausgelassen“. Sie schmachten ja vielmehr unter Schluchzen, Herzstößen, unterdrücktem Seufzen mit unsäglichem Verlangen danach, als Zeitgenossen Christi gelebt zu haben – um aus der Synagoge ausgeschlossen zu werden, was ja natürlich der Pfründen- und Ämterjäger herzlichstes und tiefstes Verlangen ist.