Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Sprichwörter

Gleichnisse

(Gleichnisse – ein Abschnitt des Kapitels „Volksmund“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„. Er beschreibt, was er in den Jahren 1884 bis 89 im damaligen Palästina erlebt hat.)

Der Herr Jesus hat in seinen Reden überall den Volkston gewählt, wie er denselben bei seinem langjährigen Leben und Arbeiten mit und unter dem Volk in Nazaret kennen gelernt hatte. Will man auch eine äußere Ursache wissen, warum seine Reden beim Volk einen so tiefen Eindruck machten, so dass sie erstaunt ausriefen: „Er predigt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mt 7,29), so ist es in erster Linie der Umstand, dass sich seine Rede nicht in subtilen Fragen und Frägeleien und in den Terminologien der Schriftgelehrten bewegte. Er hatte vielmehr den Müttern auf den Straßen und Märkten Nazarets „auf den Mund gesehen“ und lehrte und redete in der kräftigen, bilderreichen Volkssprache.

Noch heute ist die Sprache des heiligen Landes ebenso bild- und gleichnisfroh wie ehemals. Der Araber liebt es, anstatt seine Meinung in kurzen, dürren Worten zu sagen, dieselbe in Gleichnisse zu kleiden, deren Sinn der Zuhörer selbst finden muss.

So kam neulich ein arabisches Gemeindemitglied zu mir. Nachdem alle üblichen Formen der Begrüßung mit oft wiederholter Anwünschung eines guten Tages, eines langen Lebens, Vermehrung der Familie, Erhaltung der Kinder, göttlicher Bewahrung und Gnade vorüber waren, begann er:

Abuna (d. h. unser vater), ich will dir ein Wort sagen!

Ich: Habe die Gefälligkeit:!

Er: Gott verleihe dir einen glücklichen Morgen! Es war einmal ein Schaf, das ging in die Wüste und verirrte sich – das sei ferne von dir! Das Schaf stolperte von Berg zu Berg und von Tal zu Tal. Es hatte keine Weide. In den Dornen und Felsen lief es sich die Füße wund. Es war dem Verschmachten nahe. Glaube mir, es war in höchster Not. Was wird nun der gute Hirte tun, wenn er die traurige Lage seines Schafs erfährt?

Ich: Er wird es aufsuchen, zur Herde zurückführen und sorgfältig pflegen.

Er. Du hast recht geantwortet!

Nun sah er mich gespannt an, ob ich nicht die richtige Anwendung finde. Leider zeigte ich hiervon keine Spur. Da sagte endlich: „Abuna! Gott verleihe dir langes Leben, Heil und Segen! Ich habe gegenwärtig absolut kein Geld!“ – Und nun waren wir im richtigen Fahrwasser. Es ist leicht, im Neuen Testament Analogien zu dieser Gleichnisrede zu finden. (Vgl. die kurze Antwort in drei Gleichnissen Mt 9,14-17).

Ein anderes Beispiel. – In meiner Filiale Beit-Djála gibt es eine katholische Partei, welche seit langer Zeit den Gliedern der evangelischen Gemeinde zu schaden sucht, wo immer sie kann. Vor einiger Zeit ermahnte ich einen Mann aus meiner dortigen Gemeinde, als er hierüber Klage bei mir führte, Frieden zu halten. Darauf antwortete er nicht etwa: „Wir können eben auf beiden Seiten die gegenseitigen Kränkungen und Schädigungen nicht vergessen“. Er fing vielmehr an: „Es war einmal eine Schlange, die drang in die Höhle des Fuchses und biss ihm sein Junges tot. Der Fuchs kam dazu und biss der Schlange aus Rache den Schwanz ab – das sei ferne von dir! Seither kann der Fuchs sein Junges nicht vergessen, aber die Schlange kann auch ihren Schwanz nicht vergessen“. Sprach’s, sonst kein Wort mehr oder weniger.

Wiederum ganz dieselbe Art, wie wir sie aus dem Evangelium kennen, Lehren oder Antworten nicht in kurzen Worten oder Regeln zu geben, sondern in Bilder und Gleichnisse zu kleiden, wodurch dieselben für die Zuhörer nicht nur eindrücklicher und einleuchtender, sondern auch behältlicher werden. Jeder Lehrer und Prediger im Orient muss daher auch heute noch dieselbe Lehrweise annehmen und üben. Ohne Gleichnisse darf ich z. B. meinen arabischen Zuhörern in der Predigt nichts sagen. Sind die Gleichnisse gut gewählt, so bin ich gespannter Aufmerksamkeit sicher. Sobald ich aber aus der Gleichnisrede zu sehr in den Lehrton verfalle, fangen sie an zu gähnen.

Auch die große Vorliebe der Orientalen für Sprichwörter gehört hierher. Kurze, frappante, oft paradoxe sprichwörtliche Redensarten flicht jeder Araber gerne in die Unterhaltung ein. Bei jeder Versammlung, auf allen Märkten kann man solche hören. Wie oft antworten die Leute auf eine Frage mit einem kurzn Sprichwort, ohne ein Wort hinzuzufügen.

Auch der Herr liebte sprichwörtliche Rede. So sagt er, um etwas Unmögliches zu bezeichnen: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher, der sein Vertrauen auf Reichtum setzt (Mk 10,24), ins Reich Gottes komme“ (Mt 19,24). Mit jener falschen Erklärung, dass „Nadelöhr“ ein kleines Stadttor Jerusalems bezeichne, bricht man dem Gleichnis die Spitze ab. Der Herr will sagen, dass (bei Menschen) das Seligwerden jener noch unmöglicher sei als unmöglich, wie das Durchgehen eines Kamels durch ein Nadelöhr. Nur Gottes Weisheit könne noch einen Weg finden.

Machen die Pharisäer dem Herrn Vorwürfe darüber, dass seine Jünger nicht fasten, so antwortet er: „Wie können die Hochzeitleute fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?“ (Mt 9,15; Lk 5,34). Tadeln sie seinen freundlichen Umgang mit Zöllnern und Sündern, so sagt er statt aller weiteren Auseinandersetzungen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“ (Mt 9,12; Mk 2,17).

In vielen einzelnen Ausdrücken vernehmen wir noch die Ausdrücke des Altertums. Wer dächte nicht an die Sprache der Erzväter, wenn er z. B. einen Araber, über dem er steht, fragt: Wie heißt du? und der antwortet: Dein Knecht heißt Isaak, deine Magd heißt Sara, Mirjam, Uarda usw.! Oder wem fiele nicht das Wort des Jakobus ein (Ja 2,16), wenn er hört, wie ein Araber einem Bettler, dem er nichts geben will, niemals kurzweg sagt: Ich gebe dir nichts! sondern stets: allah iatík! D. h. Gott gebe dir, Gott berate dich usw.! Sobald der Bettler dieses Wort hört, weiß er, dass er nichts bekommt, und seine Bettelei verstummt.

Altdeutsche Spruchweisheit

Altdeutsche Spruchweisheit – die folgenden Sprüche habe ich dem Büchlein „Altdeutscher Witz“ entnommen. Es ist – leider ohne Jahresangabe – einst im Bertelsmann Lesering erschienen. Allem Anschein nach stammen die meisten der Sprüche noch aus dem Mittelalter:

Wie einer liest in der Bibel, so steht am Haus der Giebel.

Alles Böse kommt vom Guten her, aus Engeln Teufel, aus Jungfrauen Huren.

Die Gelehrten: die Verkehrten.

Wenn der Papst Geld braucht, bevölkert er den Himmel.

Der Teufel hat mehr Apostel denn zwölf.

Man braucht sieben Lügen, um eine Lüge zu bestätigen.

Die allzeit lehren, sich nimmer bekehren.

Man muss die Laster schlagen, wie die Parther ihre Feinde – durch Fliehen.

Wer ein Amt genommen, ist der Freiheit verkommen.

Die Pfaffen predigen zu ihren Ehren und nicht, um andere zu belehren.

Alle Menschen verkehren das Vaterunser und wollen nur, dass ihr Wille geschehe.

Bücher fressen und nicht käuen macht ungesund.

Besser mit den Füßen gestrauchelt als mit der Zunge.

Wer dem Haufen folgt, hat viel Gesellen.

Der Herr Christus hat am meisten von den Gelehrten leiden müssen.

Die Lüge bedarf gelehrter, die Wahrheit einfältiger Leute.

An der Geduld kennt man den Mann.

An Gott sind schon viele Narren irre geworden.

Das ist ein gute Traurigkeit, wenn man um Sünd trägt herzlich Leid.

Gott fürchten, ein gesunder Leib, ein fröhlich Herz, ein freundlich Weib, ein guter Wein, das Gewissen rein, mag wohl das beste Leben sein.

Heute ist die beste Zeit.

Lust haben zur Tugend ist auch Tugend.

Viele kennen viel; sich selbst kennt keiner.

Wenn Gott nicht schwimmen könnte, so wäre er längst im Pfaffenwein ersoffen.

Wer beten will, der richte sich eine Kapelle zu in seinem Herzen.

Die Pfaffen machen die Hölle heiß um des Opfers willen.

Sünde schadet nicht so viel als eigene Gerechtigkeit.

Die Wahrheit hat einen blauen Rücken.

Wenn wir täten, was wir sollten, so tät Gott auch, was wir wollten.

Gott hat die ganze Welt für den Menschen, den Menschen aber für sich selbst geschaffen.

Die Welt ist eine Insul, darin vier Festungen sind: Goldberg, Neideck, Hohenzorn und Haderwick.

Geredet ist geredet, man kann es mit keinem Schwamme wegwischen.

Des Menschen Herz ist von Natur aus ein Götzenhaus.

Reden kommt von Natur, Schweigen vom Verstand.

Vor nichts nimm dich bei Tag und Nacht so sehr als vor dir selbst in Acht.

Wer noch dem Papst sein Gut zuschleift und glaubt, dass man den Himmel käuft, der ist ein armer Narr und Aff; der Himmel hat nicht Mönch noch Pfaff.

Es ist umsonst, dass dir das Glück gewogen ist, wenn du nicht selbst erkennst, wie sehr du glücklich bist.

Die Wahrheit ist ein selten Kraut, noch seltener, wer es gut verdaut.

In jedem Pfäfflein steckt ein Päpstlein.

Die uneinigen Pfaffen werden eins über des Ketzers Haar.

Wenn man Deutsche verderben will, so nimmt man Deutsche dazu.


Die altdeutsche Spruchweisheit gibt interessante Einblicke in die Erfahrungswelt längst vergangener Zeiten, besonders auch im Verhältnis der einfachen Menschen zur Kirche.

Sprüche

Folgende Verse aus dem Buch der Sprüche habe ich schon selbst übersetzt:

2,6: Denn der Herr gibt Weisheit, von ihm kommt Erkenntnis und Einsicht.

3,5-6: Vertraue mit ganzem Herzen auf Gott, doch erhebe dich nicht wegen deiner Weisheit! Auf all deinen Wegen – kenne ihn, damit er deine Pfade ebnet!

3,11-12: Mein Kind, weise keine Erziehung des Herrn zurück, werde nicht mutlos, wenn du von ihm überführt wirst! Denn wen der Herr liebt, den weist er zurecht, er züchtigt jedes Kind, das er annimmt.

3,29: Unternimm nichts, was übel ist für deinen Mitmenschen, der bei dir wohnt und dir vertraut!

3,34: Gott stellt sich gegen Überhebliche, Bescheidenen gibt er Gnade.

4,13: Halte fest an der Unterweisung, lass nicht los, bewahre sie, denn sie ist dein Leben!

5,21: Direkt vor den Augen des Herrn sind ja die Wege eines Menschen, auf alle seine Pfade achtet er.

10,2: Verbrecherische Schätze nützen nichts, aber Gerechtigkeit rettet vor dem Tod.

10,7: Die Erinnerung an Gerechte (bleibt) ein Segen, der Name von Gottlosen entschwindet.

10,12: Hass erweckt Streit; alle Vergehen bedeckt aber die Liebe.

10,19: Bei vielen Worten kann man Sünde nicht vermeiden; die Lippen sparsam zu gebrauchen, wäre klug.

10,28: Die Wartezeit der Gerechten ist Fröhlichkeit, aber die Hoffnung der Frevler vergeht.

11,13: Ein doppelzüngiger Mensch geht und verrät geheime Absprachen, aber ein zuverlässiger Geist hält Dinge bedeckt.

11,19: Ein Kind von Gerechtigkeit ist geboren für das Leben, wer hinter dem Bösen her ist, für den Tod.

11,22: Wie ein Ohrring im Rüssel einer Sau, so ist Schönheit für eine Frau ohne klaren Verstand.

11,31: Wenn der Gerechte nur mit Mühe gerettet wird, wo kann dann der Gottlose und Sünder sich sehen lassen?

14,26: In der Furcht des Herrn ist starkes Vertrauen, ihren Kindern gibt sie festen Halt.

14,31: Wer einen Bedürftigen schikaniert, verhöhnt seinen Schöpfer; wer den (Schöpfer) ehrt, hat Erbarmen mit einem Armen.

14,34: Gerechtigkeit erhebt ein Volk, aber Sünde macht den Völkern Schaden.

15,13: Ein fröhliches Herz macht ein gutes Gesicht; aber mit Herzschmerz ist der Geist gequält.

15,16: Besser wenig mit der Furcht des Herrn, als ein großer Schatz und Panik dabei.

15,17: Besser eine Bewirtung mit Gemüse und Liebe dabei, als ein gemästeter Stier mit Hass.

15,33: Die Furcht des Herrn ist Erziehung zur Weisheit, vor der Größe (Gottes) wird man bescheiden.

16,6: Mit Güte und Wahrheit wird Schuld bedeckt; und mit Furcht des Herrn weicht man vom Bösen.

16,7: Wenn dem Herrn die Wege eines Menschen gefallen, lässt er auch dessen Feinde mit ihm übereinkommen.

16,32: Ein Geduldiger ist besser als ein Gewaltiger; wer mit dem Verstand herrscht, (ist besser) als, wer eine Stadt einnimmt.

18,22: Wer eine Frau gefunden hat, hat Gutes gefunden, und er hat Wohlgefallen bekommen vom Herrn.

19;17: Wer Mitgefühl zeigt mit einem Armen, leiht etwas dem Herrn, und der wird ihm seine Gabe zurückerstatten.

20,9: Wer kann sagen: „Ich bin rein in meinem Herzen, ich bin gereinigt von meiner Sünde?“

20,12: Ein Ohr, das hört, ein Auge, das sieht – beide sind Werke des Herrn.

21,21: Wer den Weg der Gerechtigkeit und des Erbarmens geht, wird Leben und Herrlichkeit finden.

22,9: Wer ein gütiges Auge hat, wird gesegnet; denn er gibt dem Schwachen von seinem Brot.

23,26: Gib mir, mein Kind, dein Herz; deinen Augen sollen meine Wege gefallen.

25,11: Goldene Äpfel auf kunstvollen Silberschalen – so ist ein Wort, das zur rechten Zeit gesprochen wird.

25,21-22: Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen, wenn er dürstet, gib ihm zu trinken! Wenn du das tust, wirst du glühende Kohlen aufhäufen auf seinen Kopf, und der Herr wird es dir vergelten.

26,13: Der Faulpelz sagt: „Draußen läuft ein wildes Tier umher, ein Löwe, mitten auf der Straße!“

26,14: Die Tür dreht sich in ihren Angeln – und der Faulpelz in seinem Bett.

26,15: Der Faulpelz greift in die Schüssel, aber die Hand zum Mund zu führen ist ihm zu mühsam.

28,13: Wer sein verwerfliches Handeln verbergen will, dem wird es nicht gelingen; wer (es) aber offen bekennt und lässt, der wird Erbarmen finden.

29,7: Ein Gerechter weiß, Geringen Recht zu verschaffen; der Gottlose aber versteht nicht, zu erkennen.

29,20: Wenn du einen Menschen gesehen hast, eilig mit seinen Worten – für einen Unverständigen gibt es mehr Hoffnung als für ihn.

30,8: Halte nichtiges und verlogenes Reden von mir fern! Gib mir weder Armut noch Reichtum, weise mir mein regelmäßiges Brot zu!

31,8: Öffne deinen Mund für Gottes Sache, schaffe heilsam Recht für alle!