Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Psalm

Psalm 1

Psalm 1 in eigener Übersetzung unter Berücksichtigung des griechischen Alten Testaments (Septuaginta) mit Anmerkungen:

1 Glücklich ist derjenige Mensch, der

nicht auf dem Weg der Gottlosen geht,

nicht in der Beratung der Sünder steht,

nicht in der Sitzung der Spötter sitzt,

2 sondern am Gesetz des Herrn Gefallen hat,

sich mit seinem Gesetz beschäftigt Tag und Nacht.

3 Er wird sein wie der Baum, der gepflanzt ist an Wasserläufen,

er wird seine Frucht bringen zu seiner Zeit,

sein Laub wird nicht verwelken,

und alles, was er auch tut, wird gelingen.

4 So sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu,

die der Wind wegweht von der Oberfläche der Erde.

5 Darum werden Gottlose nicht bestehen im Gericht,

Sünder (nicht bestehen) in der Beratung der Gerechten.

6 Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten,

aber der Weg der Gottlosen vergeht.

(Anmerkungen zur Übersetzung von Psalm 1:)

Zu Vers 1: Im ersten Vers gibt es eine Differenz zwischen dem hebräischen und dem griechischen Text. Im Hebräischen ist in Zeile 2 von der „Beratung der Gottlosen“ und in Zeile 3 dem „Weg der Sünder“ die Rede. Auf Griechisch heißt es umgekehrt zuerst „Weg der Gottlosen“ und dann „Beratung der Sünder“. Im Textzusammenhang passt im Bild das „Gehen auf dem Weg“ und das „Stehen in der Beratung“ aber wesentlich besser als umgekehrt. So erscheint hier die griechische Version als die einleuchtendere.

Zu Vers 4: Der Satzteil „von der Oberfläche der Erde“ in der zweiten Zeile des vierten Verses findet sich nur im griechischen, nicht aber im hebräischen Text. Vom Metrum bzw. Sprachrhythmus der Dichtung her ist er aber erforderlich, weil sonst die Zeile zu kurz wäre. Er muss also in der hebräischen Überlieferung irgendwann ausgelassen worden sein.

Das Metrum ist in der hebräischen Dichtung im ganzen Alten Testament der eigentliche und ursprüngliche Reim. Zwei Zeilen mit ähnlichem Sprachrhythmus und ähnlichem Inhalt stehen hintereinander und ergänzen sich. Dass in Psalm 1 teilweise auch jeweils vier Zeilen zusammengehören, deutet auf eine etwas spätere und gehobene Kunstform.

Lieder

(Lieder – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Musik“ des Buchs von Ludwig Schneller „Kennst du das Land?„. Mit „heute noch“ beschreibt er die Zeit von 1884 bis 1889.)

Wenn zuweilen behauptet worden ist, dass weltliche Lieder in Israel nicht aufkommen konnten, sondern die Harfe Israels fast nur religiöse Gegenstände gekannt habe, so ist dies gewiss irrig. Man darf ja nur das Alte Testament aufschlagen, um das Gegenteil zu sehen. Wie unzählige Male ist hier von Jauchzen und Singen und Reigentanz die Rede! Bei jedem Volksfest, bei jeder Hochzeit, bei jedem Todesfall, in jedem Weinberg zur Zeit der Weinlese wurden Lieder angestimmt und der Reigentanz aufgeführt.

Und man wusste den Gesang wohl zu schätzen. „Wie ein Rubin in feinem Gold leuchtet,“ sagt Sirach, „also ziert ein Gesang das Mahl! Wie ein Smaragd in schönem Gold steht, also zieren die Lieder bei gutem Wein!“ (Sir 32,7-9.) Und Jesaja klagt von dem verödeten Land: „Die Freude der Pauken feiert, das Jauchzen der Fröhlichen ist aus!“ (Jes 24,8.) Und auch an Babels Wassern noch, nachdem die frohen Klänge in den heimatlichen Bergen verhallt waren, konnten Israels Gefangene nicht von ihren Harfen lassen, den Gespielen froher Tage. Sie hingen sie an die Weiden und weinten. (Ps 137,2).

Aber aufbewahrt ist uns von den weltlichen Volksliedern fast nichts. Kurze Freuden- und Schmerzenslaute waren es, die unmittelbar aus vollem Herzen hervorströmten. Sie waren vielfach Kinder des Augenblicks, wie die beiden aufgeführten Lieder der Mirjam und der Weiber Israels. Man achtete sie nicht für Wert, sie gleich den heiligen Psalmen aufzubewahren. So ist es geschehen, dass uns von einem Volk, dessen lebendiger Herzschlag Gesang und Poesie war, dessen bilderreiche Sprache selbst schon Poesie ist, in dessen heiligen Schriften hundert Aufforderungen stehen, zu singen, zu jauchzen, zu preisen, so wenige Volkslieder übriggeblieben sind. Man konnte sogar auf die Meinung kommen, es wäre gesangsarm gewesen.

In Palästinas Bergen sind sie verklungen, alle jenen fröhlichen Lieder, die Jubellaute der Hochzeit, „die Stimme des Bräutigams und der Braut“ (Jer 7,34; 16,9; Offb 18,23), die jauchzenden Klänge der Erntezeit, die frohen Lieder, welche nachts durch die Weinberge ertönten. Die güldene Quelle ist verlaufen und „entschlafen alle Töchter des Gesangs.“ (Pred 12,4.)

Aber die Perlen jener Poesie, die Psalmen, tönen fort durch die Jahrhunderte. Und die Nachkommen jenes Volksgesangs hört man heute noch auf den Bergen. Freilich so kunstvoll wie unsere heutigen Lieder waren jene Gesänge nicht. Aber wer lebendigen Sinn hat für edle heilige Einfalt, der muss an jenen köstlichen Psalmen mehr Geschmack finden, als an den Wettgesängen der Hellenen mit ihrem wundervollen Ebenmaß und Wohllaut. „Die Musik eines griechischen Virtuosen“, sagt der Wandsbecker Bote, „der in den griechischen Spielen mehr als einmal den Preis erhalten hatte, verhält sich zu den Psalmen Davids ungefähr wie ein Solo eines leichtfüßigen Gecken, der aber ein großer Tänzer ist, zu dem Tanz des Mannes Gottes vor der Bundeslade her.“

Und es soll niemand denken, dass diese einfachen rhythmischen Gesänge, welche eben nur die allernotwendigsten Bewegungen einer Melodie haben, nicht fähig wären, Schmerz oder Freude in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr ist dieses gemeinsame pathetische Singen oder Sprechen (bei welchem natürlich alle dieselbe Höhe des Tones einhalten) in aller seiner Einfachheit ein getreuer Spiegel der Empfindungen der Sänger. Bei frohen Liedern, Sieges-, Hochzeits-, Festgesängen, erhebt sich die Stimme naturgemäß bei der ersten Zeile in raschem Rhythmus. In der zweiten Zeile senkt sie sich etwas in melodischem Tonfall.

Ganz anders sind die Klagelieder. Sie haben oft etwas ungemein Rührendes und Ergreifendes. Wer sie einmal gehört hat, wird sie nicht wieder vergessen. Auch hier ist alles Gefühl, alles Natur, alles unmittelbarer Erguss des Herzens. Wie bei den Weinenden beginnt die Zeile in einer gewissen Tonhöhe. Aber ihre Schmerzenslaute senken sich rasch in traurigem Tonfall, als sollte alle Freude und Hoffnung dahinsterben, alles Licht des Lebens für immer verlöschen.

Die Hauptdichter waren augenblickliche Freude und augenblicklicher Schmerz. Und wer wollte leugnen, dass gerade in den Augenblicksgedichten wirklich ein Stück lebendigster, unmittelbarster Poesie der Volksseele liegt? Dass da etwas zum Ausdruck kommt, was bei uns verloren geht, die wir nur auswendig gelernte oder abgelesene Lieder singen? So war dennn Israel ein sangesfrohes, liederreiches Volk, wie irgend ein anderes. Sie hatten keine schönen Melodien, sie suchten keine künstlichen Silbenmaße. Sie antworteten und jauchzten einander zu, sie tanzten einander entgegen. Und sie weinten und klagten „gegen einander“, so dass eine Klage und eine Träne gewissermaßen die andere weckte und hervorlockte.

Ihre verlorenen Volkslieder waren voll dramatischen Lebens, gleich den noch vorhandenen Psalmen, und viele derselben ebenso rasch vergehend, wie entstehend. Anspruchslose Blumen auf Feld und Heide waren sie, voll Leben und Poesie. Mit dem Volk blühten und verwelkten sie. Der Wind wehte drüber und verstürmte Israel – und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Sie sind verhallt und verklungen in den Lüften. Aber des Herrn Wort, welches durch Psalter und Harfe Israels rauschte, ist geblieben und bleibt in Ewigkeit.

… Speziell über die Musik lassen uns die Propheten und die Offenbarung Johannis nicht im Zweifel, dass sie in der verklärten Welt eine hervorragende Rolle spielen wird. … Mit Palmen in den Händen gleich den Festbesuchern Israels (Offb 7), mit weißen Kleidern und Harfen in den Händen, gleich den levitischen Sängern des Tempels (Offb 7 und 19), so stehen sie in Gottes neuer Welt und singen, wie einst im Jehovatempel, ihre Gesänge in wechselnden Chören. (Offb 4,8-11; 5,9-14; 7,9-12; 19,1-7).

Und wie einst in Israels Tempel, so schallt auch dort noch das große Wort des Fest-Hallel (Ps 113-118; 135 und 136), angestimmt von großen Scharen aus allen Völkern und Zungen, von himmlischen und irdischen Geschöpfen und aller Kreatur (Offb 5,9f.), mit einer alle irdischen alten und neuen Instrumente übertönenden und überstrahlenden Musik, „wie eine Stimme großer Wasser, und wie eine Stimme starker Donner“ jubelnd durch die Himmel und die Länder der verklärten Erde: „Hallelujah!“

Musikinstrumente

(Musikinstrumente – ein Teil des Kapitels „Musik“ aus dem Buch „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Es beschreibt die Zeit zwischen 1884 bis 89 im damaligen Palästina.)

Das Bedürfnis einer Begleitung des Gesangs regte sich des Takts wegen schon früh. Die einfachste und ursprünglichste und heute noch gebräuchliche Begleitung war Händeklatschen. Und dieses ließ sich leicht in ein tönendes Aneinanderschlagen klingender Metalle (wie Pauke, Zimbel, Triangel) verwandeln. Später kamen auch andere Musikinstrumente hinzu, welche die Hirten zu allen Zeiten auf einsamer Weidetrift zu spielen liebten. Die entwickelte Davidische Psalmenmusik kannte zahlreiche Instrumente. Aber auch hier werden wir nicht an kunstgerechte Harmonien denken dürfen. Diese liegen einmal nicht in der Natur des Orientalen. Ein mächtiges Tönen in helleren oder dumpferen Klängen dient ihm als geeigneter Ausdruck seiner Freude wie seines Schmerzes. Die Begleitung durch Musikinstrumente spielte übrigens stets eine mehr untergeordnete Rolle, der Gesang blieb stets die Hauptsache. …

Erst neulich hörte ich gelegentlich einer Hochzeit einen Volkssänger (Scha’ir) seine Lieder vortragen. Kriegs-, Hochzeits-, Liebeslieder sang er mit bewundernswerter Ausdauer stundenlang bis tief in die Nacht hinein, während die Hochzeitsgesellschaft andächtig lauschte. Nur wurde zuweilen ein froher Reigentanz eingeschoben. Wie sang aber der Sänger? Er hatte eine Geige oder eine Art Violoncello in der Hand. (Andere haben auch eine Harfe oder die aus Schilfrohr oder Pelikans- oder Geiersknochen gefertigte Flöte oder Hirtenpfeife …) Aber niemals diente ihm sein Instrument zu gleichzeitiger Begleitung seines Gesangs. Sobald er indessen eine Pause machte, fiel er unverzüglich mit der Geige ein, welcher er allerlei dem Impuls des Augenblicks entsprechende Töne entlockte. … Doch schienen diese zum Charakter des ganzen Gesangs gut zu passen, nicht selten einem Jauchzen oder Weinen gleich, welches noch keine deutlichen Worte finden kann.

Wahrscheinlich bewegte sich die Instrumentalmusik der Israeliten in ähnlichen Formen. Dieselbe war dort eine stehende Begleitung des Psalmengesangs. Aber ihr Spiel war stets nur Vor-, Nach- und Zwischenspiel. Ein Orientale, der mit europäischem Gesang noch nicht vertraut ist, würde auch heute nicht begreifen, wozu man diesen Chorgesang durch gleichzeitien Schall von Instrumenten stört und unverständlich macht.

Freilich, das laute rhythmische Singen der Psalmen unter freiem Himmel in den Vorhöfen des Tempels, welches man, wie einige Male erwähnt, sogar weit auf den umliegenden Bergen Jerusalems hörte (z. B. Neh 12,43), hätte sich durch den Klang von Zithern und Harfen wohl wenig beeinträchtigen lassen. Denn der sanfte Saitenklang wäre in diesem Gesang, bei welchem namentlich in der ersten Zeit, aber auch noch nach der babylonischen Gefangenschaft durchaus nicht immer nur die Leviten, sondern oft auch das ganze anwesende Volk tätig war (1 Chron 17,36; Esra 3,10-11; Neh 12,43), ganz und gar verhallt. Und auch aus diesem Grund schon kann an eine Begleitung in unserem Sinne nicht gedacht werden. Die Saitenspiele bildeten vielmehr die Ouvertüre und das Finale. Und auch in den Pausen ließen sie ihre lieblichen Stimmen erschallen, zur Andacht auffordernd.

An ein harmonisches Zusammentönen verschiedenartiger Musikinstrumente, wie in unserem Orchester, ist auch nicht zu denken. Denn dazu wäre die Kenntnis der Noten unentbehrlich gewesen. Die Psalmenüberschriften zeigen uns vielmehr, dass man zu einem Psalm stets nur ein Instrument gespielt hat. Meistens wendete man ein „Saitenspiel“ an. Das war die Zither, das Lieblingsinstrument Davids (1 Sam 16,16.23) oder die mit mehr oder weniger zahlreichen Saiten bezogene Harfe. Nur einmal (Psalm 5,2) wird ein Flötenspiel zur Psalmenbegleitung vorgeschrieben.

War somit eine Mehrstimmigkeit verschiedener Instrumente ebenso wenig bekannt wie mehrstimmiger Gesang, so wurde es doch als ein besonderes Lob wohlgelungener Musik angesehen, wenn eine möglichst reine Gleichstimmigkeit erzielt wurde. Daher lesen wir 2 Chr 5,12f., dass die Leviten unter Asaf, Heman und Jedutun „sangen mit Zimbeln, Harfen und Zithern. Bei ihnen waren 120 Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete. Und sie sangen, als hörte man eine Stimme, zu loben und zu danken dem Herrn.“

Ist nun unsere Vermutung richtig, dass die Instrumentalmusik nur dann ertönte, wenn der Gesang schwieg, so wird uns das in den Psalmen so häufig gebrauchte Wort „Sela“ um so leichter verständlich werden. Dieser seit alter Zeit verschieden aufgefasste Ausdruck wird heute als Zeichen entweder für „Pause“ oder für „Zwischenspiel“ angesehen. Sachlich ist nach der obigen Ausführung beides richtig. Denn danach bedeutet eben jede Pause zugleich ein Zwischenspiel, sobald Instrumente zur Begleitung des Gesangs da sind. Alle Psalmen, in denen Sela vorkommt, sind durch ihre Überschrift ausdrücklich für den öffentlichen Tempelgottesdient bestimmt. Und so ist auch zweifellos, dass dieselben mit Instrumentalmusik begleitet wurden.

Die einzigen Musikinstrumente, welche den Gesang gleichzeitig begleiteten, besonders wenn derselbe mit Reigentanz verbunden war, sind die taktangebenden wie Pauke, Zimbel, Triangel, Schellen. Wir lesen 1 Chr 16,19, dass die drei Musikdirektoren des Tempels, Asaf, Heman und Jedutun, die Pauken in der Hand hatten, um Takt und Tempo damit zu beherrschen. So scheint es auch nach Ps 81,3, dass man zuerst den Gesang mit Begleitung der Pauken anstimmte. Dann erst erschollen die sanften Töne lieblicher Zithern und Harfen“, wobei wohl auch die lärmenden Taktinstrumente verstummten.

Nach 1 Chr 15 bestand das Tempelorchester aus acht Harfen höherer Stimmung und sechs um eine Oktave niedrigeren Zithern. Zu Jesu Zeiten wurde die Musik im herodianischen Tempel von zwei Harfenisten, neun Zitherspielern und einem Dirigenten mit der Zimbel ausgeführt. Wenn nun der Gesang an einer mit Sela bezeichneten Stelle ankam, an welcher demnach der Dichter eine Pause für das Saitenspiel vorschrieb, so gab wahrscheinlich der Dirigent, welcher auch sonst nach Gutdünken Pausen eintreten lassen konnte, ein besonderes Zeichen mit seinen metallenen Pauken, worauf die Sänger inne hielten. So wurde Sängern und Zuhörern Zeit gegeben, sich beim Klang der Saitenspiele dem zuletzt ausgesprochenen Gedanken hinzugeben und denselben auf sich wirken zu lassen. Fassen wir Sela so auf, so finden wir uns wiederum im Einklang mit orientalischen Gebräuchen, wie sie sich, ob auch nur in kümmerlichen Überresten, bis heute in Palästina erhalten haben.

Gesang

(Gesang – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Musik“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneller. Beschrieben wird die Zeit von 1884 bis 89.)

Töne, Harmonien, Melodien schweben auf den Lüften und mit den Lüften auch vorüber. Daher wissen wir so wenig über die Musik des Altertums. Denn die Noten, welche die Töne über Zeit und Raum hinweg festhalten, kamen bekanntlich erst lange nach Karl dem Großen auf. So viel wir daher vom Text der Lieder der Griechen und Römer wissen, von ihren Melodien haben wir keine Spur.

Auch bezüglich des Volkes Israel scheint die Sache nicht besser zu stehen. Man hat viele Vermutungen über die hebräische Musik und die Psalmenmelodien aufgestellt, deren Text noch heute das verbreitetste Liederbuch der Welt bildet. Aber Sicheres hat man nicht finden können. Darum scheint es nicht überflüssig zu sein, auch in diesem Stück die heutigen Kinder des Landes Israels zu befragen. Denn in der Tat klingen seine Lieder wie Kinder jener hebräischen Gesänge, welche aus grauer Vorzeit zu uns herübertönen.

Die erste Stufe der Form der Dichtkunst ist der Rhythmus, die taktmäßige Folge von Hebungen und Senkungen der Stimme. Erst auf einer höheren Stufe kommt die Melodie hinzu, welche sich durch Modulation der Töne dem Text aufs innigste anschmiegt, denselben gleichsam in einer anderen Sprache ausdrückt. Die orientalischen Völker sind auf jener ersten Stufe stehen geblieben. Das, was wir Abendländer Melodie nennen, geht dem Morgenländer fast gänzlich ab. Nur soweit es für ein allgemeines Anstimmen ohne fortwährendes Ableiern eines und desselben Tones unumgänglich notwendig ist, hat auch er Melodie. Aber man wird vom Nil bis zum Eufrat nirgends ein melodisches Volkslied, nirgends Sinn für harmonische Akkorde und kunstmäßige Tonfolge finden. Es ist zu befürchten, dass wir Europäer, selbst wenn wir einem Tempelgottesdienst im alten Jerusalem hätten beiwohnen können, wo Davids Harfe von Priesterschar und Volk angestimmt wurde, von ihren Tönen sehr wenig erbaut gewesen wären.

Dagegen ist bei den Gesängen Palästinas der Rhytmus alles. Kaum ein anderes Volk der Erde mag hierfür einen so ausgebildeten Sinn haben. Kaum eine andere Sprache mag sich so geschmeidig dem Rhythmus fügen. Die kleinsten Kinder auf der Straße, die kaum lallen können, stimmen rhythmische Lieder an. Die kleinsten Schüler unserer Schule können Konjugationen, Sprüche und vollends Lieder nicht anders als im genauesten Rhythmus sagen, in welchem sie sich geradezu wiegen. Und wenn sie einem durchreitenden Fremdling nach landesüblicher Sitte Schimpfwörter nachrufen, so wird dies selten anders als in einem rhythmischen und gereimten Verschen geschehen.

Wer das Morgenland kennt, wird niemals jenes Urteil unterschreiben, dass die hebräische Poesie auf den Rhythmus der Worte verzichtet und sich mit dem Rhythmus der Gedanken, dem sogenannten Parallelismus begnügt habe, wo der Gedanke der zweiten Vershälfte stets demjenigen der ersten entspricht. Ich glaube, dass alle Psalmen von den Israeliten in ebenso freiem, fröhlichem, natürlichem Rhythmus angestimmt wurden, wie die Lieder der heutigen Palästinenser. Ein bloßer Gedankenrhythmus passt allenfalls für Dichter, welche für Bücher und Drucker schreiben. Er passt aber nicht für jene Gesänge Israels, welche durchaus für lebendigen Volksgesang geschaffen waren. Beim gemeinsamen Anstimmen eines Liedes aber wird der Rhythmus zu einer Naturnotwendigkeit.

Gegen unsere Behauptung, dass an eine Melodie in unserem Sinne nicht zu denken sei, hat man eingewendet, dass der früher auf höherer Stufe stehende Gesang sehr wohl allmählich ebenso heruntergekommen sein könne, wie das ehemals so blühende Land Israels, und dass daher der heutige Gesang in diesem Land keinen sicheren Rückschluss auf jene Zeiten gestatte. Aber dieser rhythmische Gesang, von welchem nachher einige Beispiele aus ältester und neuester Zeit angeführt werden sollen, macht einen so originellen Eindruck, dass man gar nicht auf den Gedanken kommt, darin etwas Heruntergekommenes vor sich zu haben. Es ist vielmehr die dem Orient eigentümliche Art zu singen in ihrer Vollendung darin zu erkennen. …

Schon die Notwendigkeit eines Vorsängers, welcher nicht sowohl die Melodie, als vielmehr den jedesmal zu singenden Text dem Chor vorsang, schon die Pauken in seinen Händen, welche den Rhythmus für Gesang und Reigentanz bestimmten, und die ganze dramatische Art des Wechselgesangs, wie sie weiter unter noch näher besprochen wird, dies alles lässt uns erahnen, dass sich der israelitische Gesang in ähnlichen Weisen bewegt haben muss, wie sie noch heute auf Palästinas Bergen erschallen. …

Der eigentliche Volksgesang wird niemals von einem Einzelnen angestimmt, sondern stets von Chören, so bei Hochzeiten, Begräbnissen und anderen Gelegenheiten. Tanz und gesetzmäßige Bewegung im Reigen gehören untrennbar dazu, und der Rhythmus des Körpers ist auch der Rhythmus des Liedes. Gesang und Tanz, wobei damals wie heute die Geschlechter getrennt waren, konnten auch in Israel nicht ohne einander gedacht werden. (2 Mo 15,20; Richt 9,27; 21,21; 1 Sam 18,6; Jer 31,13; Lk 15,25.)

Nichts wäre dem ursprünglichen Orientalen unnatürlicher, als wenn bei einem Volksgesang alle ebenso steif und feierlich dastünden oder säßen, wie etwa bei uns eine Gemeinde beim Anstimmen eines Chorals. Mirjam am Schilfmeer, Jeftas Tochter mit dem Jungfrauenchor, David vor der Bundeslade tanzten im Reigen. Die Propheten schildern diesen als ein Zeichen der Blüte des Volkes. Und die Psalmen rufen: “ Lobt ihn mit Pauken und Reigentänzen!“

Die Pauke ist noch heute das Lieblingsinstrument des Volks. Wer einmal im April die Gelegenheit hat, die malerischen Züge muhammedanischer Festpilger zu betrachten, welche nach Moses Grab hinabziehen, wird selten einer Schar begegnen, in welcher Pauken und Zimbeln fehlen. Meistens teilen sich die Sänger in zwei Chöre, welche einander die Worte des Liedes gegenseitig zurufen, so dass die Lieder in ihrer Ausführung die größte dramatische Lebendigkeit erhalten.

Bei Hochzeiten und Begräbnissen sind diese Lieder noch heute oft Augenblicksgedichte, welche der Vorsinger oder die Vorsingerin ersinnt. Der erste Chor singt die vorgesungenen Worte nach, worauf Vorsänger und Chor der anderen Seite sofort bestätigende Antwort zurückgeben. Meist sind es kurze rhythmische Zurufe. Nachdem der Vorsänger sie zum erstenmal ausgesprochen hat, werden dieselben oft zwanzig, vierzig bis hundert Mal hintereinander mit unermüdlicher, fröhlicher Ausdauer von Chor zu Chor gesungen, bis der Vorsänger ein anderes Motto gibt. Allgemeines fröhliches Händeklatschen mit gleichzeitigen Tanzbewegungen der Arme und Beine geben den Takt zum Gesang an. Und der Hauptton des Rhythmus wird durch besonders starkes Klatschen und markierte Bewegungen hervorgehoben.

Dass die Israeliten ähnliche Sitten hatten, ist zweifellos. Nur wenige Proben unmittelbarer Volkspoesie sind uns erhalten. Aber sie genügen, um die Gleichartigkeit der damaligen Volkssitte mit der heutigen evident darzutun. Einige Beispiele sollen dies erläutern. Hier ist ein Kinderlied, inhaltlich zwar sehr dürftig, aber charakteristisch und im ganzen Land bekannt (A = erster Chor, B = zweiter Chor):

A: Sálli saláatak – B: iá hardóon;

A: Immak matáat – B: fit tabóon!

Natürlich kann auch so geteilt werden, dass A die ganze erste, B die ganze zweite Zeile singt. Oder aber man singt das ganze Liedchen ohne getrennte Chöre mit allen zugleich.

Neulich sangen die Klageweiber, als ein Mann von seinem Kamel getötet worden war:

A: Léesch da’ásto – B: ér ridjál

A: Léesch qatálto – B: já djamál!

(Warum hast du ihn zertreten, den Mann,

warum hast du ihn getötet, o Kamel?)

Die Rhythmen sind natürlich mannigfaltig. Eine Zeile kann zwei bis acht Hebungen haben. Und zwischen zwei Hebungen werden oft drei Silben bequem untergebracht. Es herrscht in diesen Volksgesängen, von denen ich absichtlich nur zwei ganz einfache anführte, eine ähnliche Freiheit wie bei den Israeliten. Herzensbewegung und Affekt bestimmen Gleichmaß und Abwechslung.

Nun auch einige der ältesten Beispiele aus Israel. Am Ufer des Schilfmeeres lagert Israel. Vor seinen Augen hat der Herr den König Pharao und seine Kriegsmacht in den Fluten des Schilfmeeres begraben. Da geht Mirjam, Aarons Schwester, aus dem Lager hinaus, Pauken in der Hand. Und alle Weiber Israels folgen ihr im Reigentanz, Schritte und Gesang mit Tamburin, Zimbel und Pauke begleitend. Mirjam ist Vorsängerin, die anderen singen nach:

A: Schíru l’jahwé – B: ki gaóh ga’áh

A: Sús werochvó – B: ramáh hajjám!

Übersetzt:

A: Singt dem Herrn – B: denn er hat Herrliches getan!

A: Mann und Ross – B: hat er ins Meer gestürzt.

Auch hier teilen sich die Chöre beim Tanz in die Versglieder. Oder aber Mirjam sang immer A, während B jedesmal vom ganzen Chor gesungen wurde, wie auch dies heute noch oft vorkommt. Ein Wechselgesang zwischen einem Frauenchor und einem Männerchor findet niemals statt. Das Lied scheint kurz, und wer die morgenländischen Sitten nicht kennt, wird versucht sein, zu denken, dass es nur eine Zusammenfassung eines ursprünglich größeren Liedes sei. Aber es enthielt sicher nicht mehr Worte. Es war, wie die obigen Beispiele zeigen, ein echt orientalisches Lied, für Reigentanz und Gesang bestimmt. Und es wurde unter den fröhlichsten Bewegungen der Chöre wohl hundertmal am Ufer des Schilfmeers wiederholt. (2 Mo 15,21.)

Ein anderes Volksliedchen. Als das siegreiche Heer nach dem Fall Goliaths heimkehrte, da kamen die Weiber aus allen Städten Israels den Siegern geschmückt entgegen, „mit Gesang und Reigen, mit Pauken, mit Freuden und mit Geigen“ (wörtlich Triangeln, 1 Sam 18,7). Und sie sangen „gegen einander“ d. h. in wechselnden Chören, tanzten, spielten und sprachen:

A: Hikkáh schaúl ba’alafáv – B: wedavíd beríb’botáv!

(A: Saul hat tausend geschlagen – B: Aber David zehntausend!)

Wir sehen sie singen und springen und tanzen, die fröhlichen Frauen. Und es wird uns klar, wodurch jener Parallelismus entstanden ist, jene Zweiteiligkeit eines Verses, die für die ganze hebräische Poesie so charakteristisch ist. Zwei Chöre stehen einander gegenüber, zu ihrer Bewegung muss auch die äußere Form der Lieder passen, darauf sind sie eingerichtet. Ein Chor bestätigt, beleuchtet, überbietet die Vershälfte des anderen. Zwei Chöre, zwei Versglieder. Wie zu jedem Tanzschritt zwei Fußbewegungen gehören, so eilt der Gesang von Schritt zu Schritt. Zwei Kinder, die auf grüner Flur mit Blumen spielen, eins wirft dem anderen für die seinen noch duftigere, leuchtendere zurück. Dies ist die ursprüngliche lebendige Form der Doppelglieder, welche die hebräische Poesie beherrschen.

Diese Form blieb, auch als der mit Königsdiadem und Dichterlorbeer gekrönte Held David „die anmutige Feldblume von der Hirtenflur als duftende Königsblume auf den Berg Zion verpflanzte“, ja, selbst später, als man anfing, Gedichte zu verfassen, welche niemals für den Gesang bestimmt waren, und die ursprüngliche einfache Form mancherlei Erweiterung erfuhr. Der Leser kann in jedem Psalm diesen Parallelismus zweier Glieder beobachten, z. B.:

A: Der Herr ist mein Hirt! – B: Mir wird nichts mangeln.

A: Er weidet mich auf grüner Aue – B: und führet mich zum frischen Wasser.

u. s. f.

Gewiss sind auch die Psalmen ähnlich dem heutigen Gebrauch von wechselnden Chören gesungen worden. Denn auch der religiöse Gesang wird in Israel nicht plötzlich andere Formen angenommen haben, als der frühere Volksgesang. (Vgl. auch die Gesänge und Reigentänze um das goldene Kalb.) Gerade aus der späteren Zeit haben wir ein besonders anschauliches Bild solcher Wechselchöre. Nehemia 12,27-43 führt uns die beiden Chöre vor Augen. Jeder Chor hat, wie bei den arabischen Gesangschören, seinen eigenen Vorsänger (Sacharia und Jesrahia), unter deren Leitung sie sich gegenseitig antworten.

Auch Ps 147,7; 149,3 deutet auf das gegenseitige Antworten zweier Chöre beim Reigentanz. So können wir es auch verstehen, wie z. B. im 136. Psalm der eine Satz: „Denn seine Güte währet ewiglich!“ in jedem der 26 Verse wiederholt wird. Fast möchte es dem abendländischen Zuhörer beim Vorlesen eintönig vorkommen. Aber wie lebendig war gerade dies Lied auf seinem heimatlichen Boden, wenn der Vorsänger je die eine Hälfte über die Vorhöfe des Tempels erschallen ließ, während der ganze Chor stets mit der zweiten Vershälfte antwortete! Wie dramatisch gestaltete sich das Lob Gottes, wenn je mit einer Vershälfte zwei Chöre wetteiferten, den Herrn zu loben!

Nun wird es auch verständlich, was jene Überschrift zu bedeuten hat, die wir über manchem Psalm finden: „Ein Psalm vorzusingen„. Wörtlich heißt es „dem Vorsänger„. Noch heute hat jeder Chor seinen Vorsänger, der ihm – den Takt mit lebhaften Körperbewegungen, oft auch mit einem Schwert angebend – das erste Mal die Worte vorsingt, worauf der Chor dieselben nachsingt. Genau auf dieselbe Weise antwortet der zweite Chor. So werden dann dieselben Worte oftmals hinüber- und herübergesungen, bis der Vorsänger einen neuen Vers vorsingt. Ebenso wurde es offenbar bei den Psalmen auch gehalten.

Oder ein Vorsänger stimmte, was auch heute noch vorkommt, je die erste Vershälfte an, während der ganze Chor mit der zweiten antwortet. Dies war wahrscheinlich der Fall bei Psalm 136, auch 118, wo die zweite Vershälfte stets gleichlautend war. Wahrscheinlich wurde bei bekannteren Psalmen gerne so geteilt, dass der eine Chor aus Priestern, der andere aus dem Volk bestand. So bestimmte denn die Überschrift „für den Vorsänger“ jedesmal den nachfolgenden Psalm für den üblichen Chor- und Volksgesang im Tempel. Dass auch hier in den Vorhöfen des Tempels der Tanzreigen, bei welchem es auch heute noch mehr auf die taktmäßigen frohen pantomimischen Bewegungen, als auf vieles Springen ankommt, in seinem Recht blieb, ersehen wir aus dem Umstand, dass die rasselnden Taktinstrumente des Reigentanzes: Pauke, Tamburin, Zimbel und Triangel stets eine Rolle spielten, auch aus den ausdrücklichen Aufforderungen zum Reigentanz in den Psalmen, z. B. in Psalm 149,3; 150,4.

Psalm 16

(Psalm 16 in eigener Übersetzung:)

1 Ein Gedicht, mit Worten Davids.

Bewahre mich, Gott, denn ich vertraue mich dir an!

2 Ich sage zum Herrn, meinem Herrn:

„Du bist mein Gut – nichts (geht) über dich!“,

3 zu den Heiligen, die im Land sind:

„Sie sind Herrliche – mein ganzes Wohlgefallen ist mit ihnen!“

4 Zahlreich werden die Schmerzen derer,

die einem anderen (Gott) nacheilen.

Nie will ich ihre blutigen Gießopfer als Opfer ausgießen,

nie will ich ihre Namen auf meine Lippen nehmen.

5 „Herr! (Was) meinen Anteil am Erbland und meinen Becher (betrifft):

Du bist es, der mein Erbteil erhält.

(Der Becher ist wohl das Sinnbild für das Gute, das das Land hervorbringt.)

6 Messschnüre sind mir auf das schönste (Land) gefallen,

ja, mein Erbbesitz ist das Beste für mich.

7 Ich will den Herrn preisen, der mich berät,

auch in Nächten weist mich mein Innerstes zurecht.

(„Mein Innerstes“ ist wörtlich „meine Nieren“. Die Nieren sind im Hebräischen ein Bild für das innerste, verborgene, nur Gott allein zugängliche Wesen des Menschen.)

8 Ich halte mir den Herrn beständig vor Augen,

denn er ist an meiner rechten Seite, damit ich nicht wanke.

9 Deswegen ist mein Herz fröhlich, meine Zunge jubelt,

auch mein Körper wird sich zur Ruhe betten mit Vertrauen.

10 Denn du wirst meine Seele nicht der Totenwelt überlassen

und nicht zulassen, dass dein Geheiligter Verwesung erfährt.

11 Du lässt mich Wege des Lebens wissen,

willst mich sättigen mit Fröhlichkeit in deiner Gegenwart,

Erquickungen sind an deiner rechten Seite für immer.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

(Über Psalm 16 spricht Petrus in seiner „Pfingstpredigt“ in Apg 2:)

25 David sagt nämlich auf ihn hin:

‚Ich halte mir den Herrn beständig vor Augen,

denn er ist an meiner rechten Seite, damit ich nicht wanke.

26 Deswegen ist mein Herz fröhlich, meine Zunge jubelt,

auch mein Körper wird sich zur Ruhe betten mit Vertrauen.

27 Denn du wirst meine Seele nicht der Totenwelt überlassen

und nicht zulassen, dass dein Geheiligter Verwesung erfährt.

28 Du lässt mich Wege des Lebens wissen,

willst mich sättigen mit Fröhlichkeit in deiner Gegenwart.‘

29 Ihr Männer und Brüder, es sei mir erlaubt,

ganz offen über den Stammvater David zu euch zu sprechen:

Auch er ist gestorben und begraben worden.

Sein Grabmal ist hier bei uns bis auf den heutigen Tag.

30 Weil er allerdings ein Prophet war und wusste,

dass Gott ihm mit einem Eid geschworen hatte,

jemanden aus seinen leiblichen Nachkommen auf seinem Thron einzusetzen,

31 sprach er vorausschauend über die Auferstehung des Messias,

dass er weder der Totenwelt überlassen werde

noch sein Körper Verwesung erfahre.

32 Diesen, Jesus, hat Gott auferweckt, wofür wir alle Zeugen sind.

Psalm 2

Psalm 2 wird als Messias-Psalm im Neuen Testament häufig zitiert. Zwischen Neuem und Altem Testament besteht ja eine tiefe Verbindung, denn das Alte Testament ist die Grundlage des Neuen Testaments.

Nun haben wir zur Zeit des Neuen Testaments das Alte Testament in zwei Versionen. Und zwar gibt es neben dem hebräischen Text auch eine griechische Übersetzung, die Septuaginta, die schon ca. 200 Jahre vor Christus erstellt wurde. Beim Übersetzen von alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament entdeckte ich, dass es gut ist, wenn ich den betreffenden Vers erst mal im Alten Testament übersetze und zwar vom Hebräischen und vom Griechischen her und dann mit dem Zitat im Neuen Testament vergleiche. Es gibt im Neuen Testament nämlich Zitate, die vom Hebräischen her übersetzt sind, es gibt auch Zitate, die aus dem Griechischen zitiert sind, und es gibt viele Zitate, die nur sinngemäß und auch recht frei zitiert sind.

Wenn aus einem alttestamentlichen Stück mehrere Teile im Neuen Testament zitiert werden, kann es sinnvoll sein, auch einmal das ganze Stück im Zusammenhang zu übersetzen. Als Beispiel nehme ich hier den Psalm 2, aus dem im Neuen Testament an verschiedenen Stellen die Verse 1, 2, 7 und 9 zitiert werden.

Der Psalm 2 zeigt uns beispielhaft auch die hebräische Poesie, denn die Psalmen sind ja Gedichte bzw. Lieder. Die hebräische Poesie hat mit der unseren etwas gemeinsam, dass nämlich ein gewisser Sprachrhythmus da sein muss, also die gleiche Anzahl von Betonungen in den einzelnen Zeilen. Was sie gegenüber der unseren nicht hat, ist der Endreim, also „Maus“ auf „Klaus“ ö. ä.. Dafür hat sie einen sogenannten Parallelismus, das heißt, das zwei Zeilen hintereinander jeweils möglichst den gleichen oder ähnlichen Inhalt haben, nur in andern Worten ausgedrückt. Betrachten wir hier auf diese Weise einmal den Psalm 2, wobei ich die zwei zusammengehörenden Zeilen jeweils mit A und B gekennzeichnet habe:

A 1 Warum haben Volksgruppen Lärm gemacht

B und Völker sich mit Nichtigem beschäftigt?

A 2 Die Könige der Erde haben sich aufgestellt,

B die Obersten haben sich versammelt

(gegen den HERRN und gegen seinen Messias):

A 3 „Wir wollen ihre Fesseln zerreißen,

B wir wollen ihr Joch von uns werfen!“

A 4 Der im Himmel wohnt, wird lachen,

B der HERR wird sich lustig machen über sie;

A 5 dann wird er zu ihnen reden,

B in der Wut seines Zorns wird er sie erschrecken.

A 6 Ich aber bin eingesetzt als König von ihm

B auf Zion, seinem heiligen Berg.

A 7 Ich gebe die Anordnung bekannt,

B der HERR hat zu mir gesagt:

A „Mein Sohn bist du heute,

B ich habe dich geboren, 8 bitte von mir!

A Und ich will dir Völker geben zu deinem Erbe

B und zu deinem Besitz die Enden der Erde.

A 9 Du sollst sie hüten mit eisernem Stab,

B wie ein Töpfergefäß sollst du sie zerbrechen.“

A 10 Und jetzt, ihr Könige, nehmt Verstand an,

B lasst euch zurechtweisen, ihr Richter der Erde:

A 11 Dient dem HERRN mit Furcht,

B jubelt ihm zu mit Zittern!

A 12 Fangt Zurechtweisung ein,

B küsst den Sohn!

A Damit der HERR nicht zornig wird

und ihr verloren geht vom rechten Weg.

B Denn bald wird seine Wut entbrannt sein,

– glücklich alle, die sich ihm anvertrauen!

Wenn man den Psalm in diesem Rhythmus durchstrukturiert, kann man gut die drei Strophen mit jeweils 5 Versen erkennen. Es fällt aber auch auf, dass der eingeklammerte Text hinter Vers zwei aus dem Rahmen fällt. Er könnte tatsächlich nach Fertigstellung des Psalms als verdeutlichende Erklärung eingefügt worden sein, was seine Qualität als Wort Gottes aber in keiner Weise beeinträchtigt. In der Tat wird er in Apg 4,25-26 problemlos mitzitiert.

Die interessanteste Entdeckung für mich steckt in der ersten Zeile von Vers 12: Hier fand ich im hebräischen Text nur „Küsst den Sohn“ und im griechischen nur „Fangt Zurechtweisung ein“, und das eine kann natürlich keine Übersetzung des anderen sein. Durch die Beobachtung des Sprachrhythmus wurde dann deutlich, dass beide Teile hier zusammen herein gehören müssen, d.h. in der hebräischen Textüberlieferung ist beim Abschreiben irgendwann der eine Teil weggefallen und in der griechischen der andere, und wir haben sie hier wieder glücklich vereint.

Für die Übersetzung im Neuen Testament ist der Satz in Vers 7 wichtig: „Mein Sohn bist du heute, ich habe dich geboren …“. Er könnte aus dem Griechischen genausogut übersetzt werden: „Mein Sohn bist du, ich habe dich heute geboren …“. Aber vom Rückgriff auf den hebräischen Sprachrhythmus her kann ich nun auch im Neuen Testament eindeutig übersetzen: „Mein Sohn bist du heute“.

Natürlich bezieht sich dieses Lied/Gedicht auf die konkrete Einsetzung eines Königs in Jerusalem. Mein Sohn bist du heute – heute setzte ich dich hier ein. Ich habe dich geboren, bitte von mir – ich habe dich dazu gemacht, alles, was du brauchst, steht dir von mir zur Verfügung. Und dann merken wir uns, dass „Sohn Gottes“ ein Titel des Königs ist, des Messias.