Durch eine Darlegung im Buch von Carsten Peter Thiede „Ein Fisch für den römischen Kaiser“ wurde ich angeregt, eine Stelle in meiner Übersetzung des Neuen Testaments noch einmal zu überdenken. Es geht um die Frage: Was blieb bei Karpos zurück, als Paulus von Troas weiterreiste? Es geht um 2 Tim 4,13, was in den meisten Übersetzungen so ähnlich heißt wie z. B. in der Einheitsübersetzung: „Wenn du kommst, bring den Mantel mit, den ich in Troas bei Karpos gelassen habe, auch die Bücher, vor allem die Pergamente!“
Die Situation in Troas, auf die hier zurückgeschaut wird, hat uns Lukas in Apg 20,13 erzählt: „Wir gingen weiter aufs Schiff und liefen aus nach Assos, wo wir Paulus aufnehmen sollten. Denn so war es (von ihm) angeordnet, weil er selbst zu Fuß gehen wollte.“
Auf dem Weg von Troas nach Assos sollten Paulus‘ Reisegefährten mit dem Schiff fahren, er selbst wollte zu Fuß gehen. Ich finde das einen interessanten kleinen Einblick in Paulus‘ Leben und Dienst. Er brauchte hier wohl einfach einmal seine Ruhe und wollte allein sein. Sicherlich ging es auch darum, auf diesem Fußmarsch Zeit für eine ungestörte Gemeinschaft mit Gott zu haben.
Natürlich wollte er dabei kein Gepäck mitschleppen. Und da gab es etwas, was er auch nicht seinen Gefährten auf dem Schiff mitgeben wollte, sondern einfach bei einem uns ansonsten unbekannten Bruder mit Namen Karpos in Troas deponierte. Er rechnete damals noch damit, dass er nach dem bevorstehenden Besuch in Jerusalem bald wieder hier vorbeikommen und seine Sachen wieder mitnehmen könnte.
Aber so kam es ja nicht, denn Paulus wurde in Jerusalem festgenommen und saß zwei Jahre lang in Cäsarea in römischer Haft. Hier hat er dann doch seine Sachen vermisst, und so schrieb er an Timotheos. Was blieb bei Karpos zurück? Ich schreibe es hier jetzt einmal in meiner eigenen Übersetzung, aber mit drei unübersetzten Wörtern: „Wenn du kommst, bring den Phailónes mit, den ich in Troas bei Karpos gelassen habe, mit den Bíblia, besonders den Membránas!“
Von diesen drei griechischen Wörtern kommen zwei nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vor. Am einfachsten sind die „Biblia“, das sind Schriftrollen, wie wir sie auch aus anderen Bibelstellen kennen. Sie waren aus Papier, das aus der Papyrus-Staude hergestellt wurde, wurden auf einer Seite beschrieben und dann zur Aufbewahrung zusammengerollt. Leider wissen wir nicht, welchen Inhalt die genannten Schriftrollen hatten.
Zu den Schriftrollen kommen dann noch „Membranas“. Dieses Wort ist nicht griechisch, sondern lateinisch, mit griechischen Buchstaben geschrieben. Es bezeichnet also etwas, wofür es kein griechisches Wort gab, so dass man die lateinische Bezeichnung nehmen musste. In der Tat waren es die Römer, die zuerst die Technik entwickelten, aus Tierhaut ein neuartiges, erheblich dauerhafteres Schreibmaterial herzustellen, das Pergament. Es hatte neben der Dauerhaftigkeit auch den Vorteil, dass man beim Schreiben, wenn man einen Fehler machte, den noch abwischen konnte, bevor die Tinte trocken war, was beim Papyrus nicht ging. Das Pergament benutzten die Römer zunächst für einfache Notizbücher, die die vorher üblichen Wachstäfelchen ablösten, später dann auch zum Schreiben und Herausgeben richtiger Bücher, die uns heute unter dem Namen „Kodex“ bekannt sind.
Die christlichen Schriften wurden zuerst auf Schriftrollen geschrieben, was vor allem auch die jüdische Form heiliger Schriften war. Später ging man dann aber zunehmend zum Kodex über, weil er praktischer zu handhaben war. Es war ja einfacher, anstatt z. B. Matthäus, Markus, Lukas, Johannes und die Apostelgeschichte in fünf einzelnen Rollen zu haben, die man jeweils extra auf- und zurollen musste, sie alle fünf in einem Buch zu haben, das man an jeder Stelle aufschlagen konnte.
Die Anweisung von Paulus nimmt uns genau in diese Übergangszeit hinein. Er besitzt noch Schriftrollen aber auch schon die modernen Pergamentbücher. Leider wissen wir auch hier nicht was drinstand. Waren es erst persönliche Notizen, oder Kopien seiner eigenen Briefe? Oder hatte er schon ein Matthäus- oder Markusevangelium dabei, was damals schon möglich gewesen wäre? Wir sehen jedenfalls, dass der Besitz mehrerer Büchern durchaus üblich war.
Bleibt noch der etwas rätselhafte „Phailones“. Im griechischen Lexikon steht dafür zwar „Mantel, Reisemantel“, aber auch, dass das Wort nur im späten antiken Griechisch vorkam, dazu selten. Und vor allem lässt sich keine Ableitung von anderen griechischen Wörtern erkennen. Man könnte also auch hier von einem Fremdwort aus einer anderen Sprache ausgehen, zumal es andernorts auch verdreht als „Phainoles“ auftaucht.
Gegen die Bedeutung „Mantel“ sprechen nun an unserer Stelle aber zwei Dinge. Zum einen gibt es ein griechisches Wort für Mantel, das Obergewand, das auch im Neuen Testament an etlichen Stellen vorkommt. Zum anderen hätte Paulus, der sich auf einen mehrtägigen einsamen Fußmarsch freute, keinen Mantel zurückgelassen. Er hätte ihn unterwegs beim Übernachten als Zudecke gebraucht. Wenn also kein Mantel für einen Menschen gemeint war, was war es dann? Im Zusammenhang mit Schriftrollen und Büchern können wir ja an eine andere Arrt von „Ummantelung“ denken, an eine Art Behältnis. Ein solches Behältnis könnten wir als Futeral, Tasche, Koffer, oder Ähnliches bezeichnen. Jedenfalls würde es sinngemäß gut passen, dass Paulus seinen Schriftenkoffer für einige Zeit dort zurückließ.
Achten wir nun genau auf die Anweisung, diesen Koffer „mit den Schriftrollen, besonders den Pergamentbüchern“ mitzubringen. Sicherlich darf man aus dieser Formulierung schließen, dass die Schriften nicht einfach im Koffer lagen. Sie waren vielmehr in der Gemeinde in Troas leihweise im Umlauf und wurden benutzt. Es erscheint ja auch logisch, dass man so wichtiges Lesematerial nicht in einem Koffer liegen lässt. Man liest, liest vor und kopiert durch Abschreiben. Also musste Timotheos darauf achten, den Phailones mit den Biblia, besonders den Membrana mitzubringen. Er sollte alles einsammeln und sicherstellen, dass Paulus wiederbekam, was er der Gemeinde geliehen hatte.
Der Vers heißt nun in meiner Übersetzung – 2 Tim 4,13: „Wenn du kommst, bring den Koffer mit, den ich in Troas bei Karpos gelassen habe, mit den Schriftrollen, besonders den Pergamentbüchern!“