Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Leben

Der Kutscher des Königs

(Der Kutscher des Königs – eine Parabel von Sören Kierkegaard.)

Es war einst ein reicher Mann, der ließ im Ausland für teures Geld ein Paar tadellose, erstklassige Pferde kaufen, die er zum eigenen Vergnügen haben und die zu fahren er selbst das Vergnügen haben wollte. Ein oder zwei Jahre gingen ins Land. Sah ihn jetzt einer sie fahren, der früher die Pferde kannte, er hätte sie nicht wiedererkannt; das Auge matt und schläfrig, der Gang ohne Haltung und Straffheit. Nichts vertrugen sie mehr, nichts hielten sie aus, kaum liefen sie eine Meile. Er musste unterwegs einkehren; manchmal blieben sie stehen, wenn er gerade am besten saß und fuhr. Und dabei hatten sie allerlei Launen und Unarten angenommen. Und trotz des reichlichen Futters, das sie natürlich bekamen, wurden sie magerer von Tag zu Tag.

Da berief er des Königs Kutscher. Der fuhr sie einen Monat lang: Und in der ganzen Gegend gab es kein Paar Pferde, die den Kopf so stolz trugen, deren Blick so feurig, deren Haltung so schön war; kein Paar Pferde, die soviel durchhielten: wenn es sein musste, sieben Meilen in einem Zug, ohne Einkehr. Wie kam das? Es ist leicht zu sehen. Der Besitzer, ohne Kutscher zu sein, fuhr sie nach den Begriffen der Pferde vom Fahren. Der Kutscher des Königs fuhr sie nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren.

So mit uns Menschen. Ach, wenn ich an mich selbst und an die Unzähligen denke, die ich kennen lernte, dann habe ich mir oft mit Wehmut gesagt: Hier sind Gaben genug, doch der Kutscher fehlt. Lange Zeit sind wir Menschen, ein Geschlecht ums andere, gefahren worden (um im Bilde zu bleiben) nach den Begriffen der Pferde vom Fahren; gelenkt, gebildet, erzogen nach dem Begriffe des Menschen vom Menschen. Sieh drum, was uns fehlt: Erhebung, und was weiter daraus folgt: dass wir so wenig aushalten, ungeduldig sofort die Mittel des Augenblicks brauchen und ungeduldig im Augenblick den Lohn sehen wollen für unsere Arbeit – die dann auch danach ist.

Einst war es anders. Einst gefiel es der Gottheit selbst, wenn ich so sagen darf, Kutscher zu sein. Und sie fuhr die Pferde nach den Begriffen des Kutschers vom Fahren. Ach, was vermochte ein Mensch damals.

Denke an den heutigen Text! Da sitzen zwölf Männer, alle aus der Klasse, die wir den gemeinen Mann nennen. Sie hatten ihn, den sie als Gott verehrten, ihren Herrn und Meister, am Kreuz gesehen. Sie hatten alles verloren, wie man es von keinem anderen auch nur entfernt je sagen kann. Gewiss, danach fuhr er siegreich gen Himmel – doch damit war er aber auch fort. Und nun sitzen sie da und warten, dass ihnen der Geist gegeben werde, um, verflucht von dem Völkchen, dem sie angehören, eine Lehre zu verkünden, die den Hass der Welt gegen sie erregen wird. Diese zwölf Männer sollen die Welt umschaffen -, und zwar in furchtbarstem Maße wider ihren Willen.

Hier steht der Verstand noch still, wenn man sich nach so langer Zeit einen schwachen Begriff davon machen will. Der Verstand steht still, wenn irgend man einen hat. Es ist als müsste man den Verstand verlieren, wenn irgend man einen zu verlieren hat.

Es ist das Christentum, das durchgezogen werden soll. Und diese zwölf Männer, die zogen es durch. Sie waren in gewissem Sinne Menschen wie wir, doch sie wurden gut gefahren! Wahrhaftig! Es ging ihnen wie dem Paar Pferde, als sie der Kutscher des Königs fuhr. Nie hat ein Mensch sein Haupt in Erhebung über die Welt so stolz gehoben, wie die ersten Christen in Demut vor Gott. Und wie das Paar Pferde, wenn es sein musste, sieben Meilen lief, ohne anzuhalten, ohne auszuschnaufen: so liefen sie. Sie liefen siebzig Jahre in einem Zug, ohne ausgespannt zu werden, ohne Einkehr irgendwo. Nein, stolz, wie sie waren, in Demut vor Gott, sagten sie: „Das ist nichts für uns mit dem Zögern unterwegs; wir halten erst – bei der Ewigkeit!“

O heiliger Geist, der du lebendig machst; es fehlt ja nicht an Gaben, an Bildung, an Klugheit. Eher ist dessen zuviel hier. Was aber fehlt, ist, dass du das von uns nimmst, was uns zum Verderben ist: die Macht. Dass du dann die Macht nimmst und das Leben gibst. Gewiss geht das bei einem Menschen nicht zu ohne ein Grauen wie das des Todes, wenn du die Macht von ihm nimmst, um die Macht in ihm zu werden. Allein, wenn selbst Tiere später verstehen, wie gut es für sie war, dass der königliche Kutscher die Zügel ergriff, was ihnen zuerst Furcht einflößte und wogegen sich ihr Sinn dennoch vergebens empörte, – sollte dann ein Mensch nicht bald verstehen können, welche Wohltat es für einen Menschen ist, dass du die Macht nimmst und das Leben gibst.

Sterben und Neugeburt

Sterben und Neugeburt sind zusammengenommen eine der menschlichen Unmöglichkeiten, die man beim Lesen der Bibel entdeckt. Aber bei Gott sind ja alle Dinge möglich. Ich nenne hier einmal zwei Beispiele für solche „Unmöglichkeiten“. Zuerst das rätselhafte Wort aus Joh 11,26: „Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ Und ein dazu paralleles Wort mit einem anderen Thema sehe ich in 1 Joh 3,6: „Jeder, der in ihm bleibt, versündigt sich nicht.“ Beides geht nach dem üblichen christlich-religiösen Denken gar nicht – nicht mehr sündigen und nicht mehr sterben. Aber es steht so da im Wort Gottes.

Ich denke, beides hängt zusammen mit Sterben und Neugeburt bzw. dem Geheimnis des neuen Menschen. Paulus schreibt davon – Eph 4,24: „… dass ihr den neuen Menschen anzieht, der nach Gott geschaffen ist mit Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit.“ Der neue nach Gott geschaffene Mensch ist ein Gerechter und Heiliger, der nicht sündigt. Sündigen tut der alte Mensch, weil in ihm die Kräfte der gefallenen menschlichen Natur am Werk sind. Der durch das Blut von Jesus gereinigte und mit Heiligem Geist getaufte/erfüllte/versiegelte neue Mensch sündigt nicht, weil in ihm die Kraft des heiligen Geistes am Werk ist.

Paulus verbindet diese Tatsache auch mit dem Bild des Todes. Röm 6,24-26: „Wir wurden durch die Taufe mit ihm zusammen begraben in den Tod, damit, wie der Messias von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einer neuen Art des Lebens leben. Wenn wir mit dem Abbild seines Todes vereinigt sind, werden wir es doch vielmehr auch mit dem der Auferstehung sein. Das wissen wir, dass unser alter Mensch mit hingerichtet wurde am Kreuz, damit der Mensch der Sünde abgeschafft wird …“

Die Bekehrung bzw. Wiedergeburt bedeutet also Sterben und Neugeburt. Für die alte, sündige menschliche Natur kommt der Tod. Das ist durchaus real gemeint, wie es Paulus auch in Gal 5,24 ausdrückt: „Und die, die dem Messias Jesus gehören, haben die menschliche Natur am Kreuz hingerichtet mit den Leidenschaften und den Trieben.“

Die (gefallene) menschliche Natur ist der alte Mensch, für ihn bleibt nur die Hinrichtung mit Jesus am Kreuz bzw. das Eintauchen in seinen Tod. Für den alten Menschen gibt es keine Rettung, er hat keine Verheißung, er hat den Tod verdient, er muss sterben. Ich bin auch überzeugt, dass manche „seelsorgerlichen“ Probleme sofort hinfällig wären, wäre man bereit, den alten Menschen in den Tod zu geben. Was übrigens sehr befreiend ist …

Wenn man diese Tatsache verstanden hat, findet man sie immer wieder im Neuen Testament, auch schon bei Jesus, z. B. Mt 16,24-25: „Wenn jemand mir nachgehen will, soll er sich selbst verleugnen und seinen Kreuzigungsbalken tragen und mir folgen. Wenn jemand sein Leben retten will, wird er es freilich verlieren. Wenn jemand sein Leben aber verliert wegen mir, wird er es finden.“

Sich selbst verleugnen, sein Leben verlieren, was ist das anderes als Sterben? Die Frage ist also: Bist du schon mit Jesus gestorben? Hast du den Tod schon hinter dir? Wenn du den Tod hinter dir hast, dann bist du im ewigen Leben und stirbst natürlich nicht mehr.

Wenn wir die Entrückung erleben, dann geschieht in einem Moment die direkte Verwandlung unseres Körper, der allein noch sterblich ist, in den Auferstehungsleib.

Erleben wir die Entrückung noch nicht, dann kommt das Ende unsres irdischen Lebens. Ich nenne hier die Bezeichnungen aus 2 Kor 5: „Abbrechen der irdischen Zeltwohnung“, „Ablegen des Gewands“, „nicht mehr im Leib daheim sein“. In Phil 2 nennt Paulus es „heimgehen“ und einen „Gewinn“. Das übliche menschliche „Sterben“ ist dagegen etwas ganz anderes.

Ich denke, manche Christen werden solche Gedanken etwas radikal oder extrem finden. Ich bin aber auch überzeugt, dass viele „Christen“ die Radikalität des Christentums auch nicht verstanden haben. Es geht um Leben und Tod, um nichts weniger …

In Ewigkeit kein Tod

In Ewigkeit kein Tod – betrachten wir dazu einmal die folgende Stelle im Johannesevangelium – Joh 8,51-52:

„Amen, Amen, ich sage euch: Wenn jemand mein Wort hält, wird er in Ewigkeit keinen Tod sehen.“ Die Judäer sagten ihm nun: „Jetzt wissen wir, dass du etwas Dämonisches hast. Abraham ist gestorben, und die Propheten, und du sagst: ‚Wenn jemand mein Wort hält, wird er nichts schmecken vom Tod bis in Ewigkeit“?

Jesus befindet sich hier in einer Diskussion mit seinen judäischen Gegnern. Eigenartig ist, dass seine Aussage „keinen Tod sehen“ von ihnen wiedergegeben wird mit „nichts schmecken vom Tod“. Wir gehen wie immer davon aus, dass Johannes hier keinen Fehler gemacht hat und weiß, was er schreibt. Dann müssen die beiden Ausdrücke gleichbedeutend sein. Und sie bestätigen die Lehre von Jesus, dass die, die an ihn glauben, nicht mehr sterben. Das heißt, dass deren Sterben kein „Tod“ mehr ist.

Aber woher haben die Gegner ihre Formulierung „nichts schmecken vom Tod“? Jesus hat sie an dieser Stelle doch zuvor gar nicht gebraucht. Im ganzen Johannesevangelium taucht sie auch nirgendwo anders auf. Allerdings erscheint sie in den anderen drei Evangelien an entscheidender Stelle, in Mt 16,28, Mk 9,1 und Lk 9,27. Ich zitiere aus meiner Evangelienharmonie:

Und er sagte zu ihnen: „Amen, ich sage euch, wahrhaftig: Es sind einige derer, die hier stehen, die werden nichts schmecken vom Tod, bis sie den Menschensohn kommen sehen mit seinem Königreich, dem Reich Gottes mit Kraft.“

Ich ziehe daraus drei Schlüsse:

1) Dieses Wort von Jesus war offensichtlich sehr bekannt und verbreitet, auch bei seinen Gegnern. Man hat ihn also beobachtet, seine Lehre gehört und verstanden, wenn auch nicht geglaubt. Nur so ist es erklärbar, dass die Gegner dieses Wort in der Diskussion nennen. Denn Jesus selbst hatte es unmittelbar davor gar nicht gesagt, sondern eine andere Formulierung gebraucht.

2) Diese Beobachtung ist ein weiteres Argument, das dafür spricht, dass Johannes die anderen Evangelien kannte und mit seinem Evangelium einen ergänzenden Bericht dazu geschrieben hat. Er setzt den Ausdruck „nichts schmecken vom Tod“ bei seinen Lesern als bekannt voraus. Er lässt ihn einfach und unvermittelt in einer Aussage der Gegner von Jesus auftauchen.

3) Die Gleichsetzung von „nichts schmecken vom Tod“ und „keinen Tod sehen“ wirft auch ein helles Licht darauf, wie die ansonsten etwas rätselhafte Aussage von Jesus in den anderen Evangelien gemeint ist. Es gibt ja mehrere Erklärungsversuche dazu, aber die Parallele im Johannesevangelium gibt eine eindeutige Antwort. „Bis sie den Menschensohn kommen sehen“ kann dann einfach und wörtlich verstanden werden. Es wird ja noch übertroffen von der Parallele „bis in Ewigkeit“. So bezeugen also auch die anderen Evangelien die Lehre von Jesus, dass, wer an ihn glaubt, nicht mehr stirbt:

Joh 5,24: „Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod ins Leben übergegangen.“

Joh 11,25-26: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“

Dass „an Jesus glauben“ in diesem Zusammenhang nicht christliche Mittelmäßigkeit meint, sondern ernsthafte Nachfolge, dürfte deutlich sein …