Das Erkennen von Zitaten im griechischen Text des Neuen Testaments ist oft nicht einfach. Das hängt mit der Kunst des Schreibens und Lesens zusammen. Die antike Schreibkunst hatte das Kulturgut der Satzzeichen noch nicht erfunden, also auch keine Doppelpunkte und Anführungszeichen, um Zitate kenntlich zu machen. Es ist also der Kunst des Lesers überlassen, ein Zitat im Text zu erkennen.
Einfach ist es, wenn ein Zitat angekündigt wird, wie z.B. in 1.Kor. 1,19 (ohne Satzzeichen): „Es steht doch geschrieben Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Einsicht der Einsichtigen verschwinden lassen.“ Einfacher ist es dann aber doch mit den Lesehilfen: „Es steht doch geschrieben: ‚Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und die Einsicht der Einsichtigen verschwinden lassen.’“ (Jes. 29,14)
Schwieriger wird es in einem Fall wie 1.Kor. 5,13 (ohne Satzzeichen): „Über die draußen spricht Gott das Urteil Ihr müsst den Bösen entfernen aus eurer Mitte“. Dass hier ein Zitat drinsteckt, sieht nur der, der es aus dem Alten Testament kennt. Leichter hat man es, wenn man es so lesen kann: Über die draußen spricht Gott das Urteil. Ihr müsst „den Bösen entfernen aus eurer Mitte“! (5.Mo. 17,7) – und auch gleich mit der Quellenangabe, wo es steht.
Der erste Korintherbrief ist durch eine sehr intensive Auseinandersetzung mit Vorgängen in der dortigen Gemeinde gekennzeichnet, und Paulus zitiert Meinungen aus der Gemeinde, mit denen er sich in seinem Brief auseinandersetzt. Diese als andere Meinung zu erkennen und nicht als Aussage von Paulus selbst misszuverstehen, ist für das Verständnis des Briefs sehr wichtig.
Als Beispiel nehme ich einmal 1.Kor. 6, 12+13 (zunächst einmal ohne Satzzeichen): „Alles ist mir erlaubt Aber nicht alles ist gut Alles ist mir erlaubt Aber nichts soll Macht über mich haben Die Speise für den Bauch und der Bauch für die Speisen Gott wird diese und jenen aber zunichte machen Der Leib nicht für die Unzucht sondern für den Herrn und der Herr für den Leib“.
Mit den erkannten Zitaten, Satzzeichen und Erklärungshilfen in Klammern heißt es dann in meiner Übersetzung: (Wenn einige bei euch sagen:) „Alles ist mir erlaubt!“ (dann sage ich dazu:) Aber nicht alles ist gut. (Wenn sie sagen:) „Alles ist mir erlaubt!“ (dann sage ich:) Aber nichts soll Macht über mich haben. (Wenn sie sagen:) „Die Speise für den Bauch, und der Bauch für die Speisen!“ (sage ich dazu:) Gott wird diese (Speisen) und jenen (Bauch) aber zunichte machen. Der Leib aber nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib!
Ich denke, so wird es doch deutlicher, welche Auseinandersetzung Paulus an dieser Stelle führt und wie er mit der liberalen Fraktion in Korinth argumentiert, die ihre christliche Freiheit offensichtlich für ungute Dinge in Anspruch nahm. Das Schlagwort dieser liberalen Fraktion mit ihrem „Alles ist mir erlaubt!“ haben wir eben kennen gelernt. Dieses Schlagwort zitiert Paulus in 1.Kor. 10,23 noch zweimal. Beim leichtfertigen Essen von Götzenopferfleisch werden sicherlich diese Leute angesprochen sein, die wohl auch kein Problem damit hatten, zu einer Hure zu gehen oder zu tolerieren, dass einer eine Frau seines Vaters hat.