Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Judas

Judas – erhängt oder gestürzt?

Judas – erhängt oder gestürzt? Diese Frage ergibt sich, wenn man die zwei Aussagen über das Ende von Judas vergleicht.

Eher bekannt ist in der Regel der Bericht von Matthäus – Mt 27,3-5: „Als Judas, der ihn verraten hatte, nun sah, dass Jesus verurteilt worden war, bereute er es. Er brachte die dreißig Silberstücke zurück zu den obersten Priestern und Älteren und sagte: ‚Ich habe mich versündigt, ich habe unschuldiges Blut verraten.‘ Sie antworteten: ‚Was willst du damit bei uns? Sieh du zu!‘ Und er warf die Silberstücke zum Tempelhaus hin, zog sich zurück, ging weg und erhängte sich. Die obersten Priester nahmen die Silberstücke und sagten: ‚Es ist nicht erlaubt, sie in den Opferkasten zu tun, weil es Blutgeld ist.‘ Nachdem sie einen Beschluss gefasst hatten, kauften sie davon den Acker des Töpfers als Begräbnisplatz für die Fremden.“

Dann stolpert man aber in der Apostelgeschichte über die folgende Aussage von Petrus über Judas – Apg 1,18: „Er hat nun vom Lohn des Unrechts ein Stück Land erworben. Und als er hinabgestürzt wurde, platzte er in der Mitte, und alle seine Eingeweide wurden ausgeschüttet.“

Und der Bibelkritiker wittert hier auch gleich wieder die Widersprüche, die er so gerne mag. Haben nun die Priester das Land gekauft oder Judas? Und Judas – erhängt oder gestürzt?

Die Lösung des Rätsels wird einfach, wenn man bedenkt, dass man Judas als Selbstmörder keine ehrenhafte Bestattung geben konnte. Der Leichnam eines Selbstmörders wurde wie Müll entsorgt. Die Müllhalde von Jerusalem war im damals noch erheblich tieferen Hinnomtal. Das ist eine Schlucht im Südwesten der Stadt. In diese konnte man vom Stadtrand aus praktischerweise alles hinunterwerfen, was nicht mehr zu gebrauchen war. Natürlich waren das nicht die Müllmengen wie heute.

So wurde also auch der Leichnam des erhängten Judas dort hinuntergeworfen und ist dabei beim Aufprall offensichtlich zerplatzt. Für alle, die es sahen, war das ein eindrückliches Zeichen für die Verworfenheit dieses Mannes. So eindrücklich, dass man es in Erinnerung behielt und weitererzählte.

Nun ist auch klar, dass Judas dieses Stück Land, den „Blutacker“, nicht selbst, sondern indirekt erworben hat, indem der Oberste Rat mit seinem von ihm in den Vorhof des Tempels geworfenen Geld diesen Acker kaufte als Begräbnisplatz für die Fremden.

Petrusbriefe und Judasbrief

Was die zwei Petrusbriefe und den Judasbrief betrifft, habe ich in dem Buch von John A.T. Robinson „Wann entstand das Neue Testament?“ eine interessante Entdeckung gemacht.

Die Petrusbriefe und der Judasbrief stehen in einer eigenartigen Dreiecksbeziehung zueinander. Der erste und der zweite Petrusbrief nennen mit Petrus zwar denselben Absender, sind in Stil und Inhalt aber sehr verschieden. Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief haben dagegen verschiedene Absender, sind in Stil und Inhalt aber sehr ähnlich. Sie scheinen irgendwie verwandt zu sein. Die überzeugende Lösung dieses Rätsels, die Robinson vorschlägt, beruht darauf, dass 1. und 2. Petrus in unterschiedliche Situationen hineinsprechen und unterschiedliche Schreiber haben.

Von Paulus her wissen wir schon, dass er seine Briefe in Zusammenarbeit mit Schreibern geschrieben hat. Und auch der Schreiber des ersten Petrusbriefs ist bekannt – 1 Pe 5,12: „Durch Silvanus, den treuen Bruder, wofür ich ihn halte, habe ich euch in wenigen Worten geschrieben, um zu helfen und zu bezeugen, dass dies wahre Gnade Gottes ist, in der ihr steht.“

Silvanus kennen wir aus dem 1. und 2. Thessalonicherbrief und aus dem 2. Korintherbrief. Er ist der Mitarbeiter von Paulus, der in der Apostelgeschichte „Silas“ heißt. Auch wieder ein Mann mit einem hebräischen und einem lateinischen Namen, vermutlich Jude und zugleich römischer Bürger wie Paulus.

Der erste Petrusbrief geht in eine Situation, in der ein negativer Stimmungsumschwung unter den Heiden gegen die Christen eingetreten war. Es kam nun Druck von außen auch in der Heidenwelt. Dieser zunehmende Druck war wohl ein Vorbote der Verfolgung, die im Jahr 65 unter Kaiser Nero ausbrach.

Der zweite Petrusbrief geht wie der Judasbrief in eine andere Situation. In ihr wird die Gemeinde durch sich ausbreitende falsche Lehrer von innen her zunehmend bedroht. Genauso wird es auf eine andere Art auch in den Johannesbriefen dargestellt. Diese Situation lag aber zeitlich vor der aufkommenden Verfolgung, und so ist der zweite Petrusbrief eigentlich der erste. Dazu muss man wissen, dass im Neuen Testament die Briefe der jeweiligen Verfasser nicht in zeitlicher Reihenfolge sortiert sind, sondern der Länge nach. Weder bei den Paulus- noch bei den Petrus- und Johannesbriefen stimmt die zeitliche Reichenfolge.

Wenn Petrus nun im „ersten“ seiner Briefe einen Schreiber hatte, warum dann nicht auch im „zweiten“, dem zeitlich ersten? Und wenn der mit dem Judasbrief eng verwandt ist, warum sollte dann nicht Judas der Schreiber sein? Judas hätte dann aufgrund der Dringlichkeit schon einmal unter eigenem Namen ein Schreiben hinausgehen lassen – Vers 3: „Geliebte, in aller Eile tue ich es und schreibe euch über unsere gemeinsame Rettung, weil ich die Notwendigkeit habe, euch mit Schreiben aufzufordern, dass ihr kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein- für allemal übergebenen worden ist.“

Unter der Anleitung und dem Namen von Petrus hätte er dann als dessen Schreiber eine überarbeitete und erweiterte Fassung seines Briefs erstellt. Damit würde dann auch auf diese Aussage ein anderes Licht fallen – 2 Pe 3,1-2: „Geliebte, ich schreibe euch schon diesen zweiten meiner Briefe, in denen ich durch Erinnern euer reines Bestreben aufwecke, dass ihr an die Worte denkt, die von den heiligen Propheten zuvor gesagt worden sind, und an das Gebot eurer Gesandten, das des Herrn und Retters!“ Der erste Brief vor diesem „zweiten“ wäre dann in dem Fall der Judasbrief gewesen.

Man muss diese Theorie natürlich nicht glauben. Aber sie ist die beste, wie man die an den drei Briefen beobachteten eigenartigen Sachverhalte erklären kann.