Entdeckungen eines Bibelübersetzers

Schlagwort: Gleichnisse

Feldbau

(Feldbau – ein Abschnitt aus dem Kapitel „Land und Feld“ des Buchs „Kennst du das Land?“ von Ludwig Schneider. Beschrieben wird die Zeit um 1884-89.)

Auch auf dem Gebiet vom eigentlichen Feldbau begegnen wir zahlreichen biblischen Spuren. Der Herr Jesus hat in seinen Reden Himmel und Erde durchsucht, um Gleichnisse für sein ewiges Gottesreich zu finden. Da er nach unserer Annahme in Nazaret selbst Landbau betrieben hat, bot sich ihm Feld und Feldbau zu diesem Zweck besonders leicht dar. In jedem Zug seiner Reden, welche hierher gehören, erkennen wir das heutige Land wieder. Nur nicht in dem, was er über die Fruchtbarkeit sagt. Auch heute noch findet der Ackersmann bei seiner Aussaat, wie auch aus dem schon oben Mitgeteilten hervorgeht, viererlei Ackerfeld: Weg, steiniges, dorniges und gutes Land. (Mt 13,3-8).

Sobald der Herbst eingetreten ist, sieht man beim Feldbau über alle Felder, die überhaupt gebaut werden, den Pflug gehen. Einen Räderpflug mit breiter Pflugschar wie in Deutschland kann man in diesem steinigen Boden nicht brauchen. Denn oft genug befinden sich Felsen oder mächtige Steine im Feld, über die man den Pflug rasch hinwegheben muss. Derselbe besteht daher nur aus einer ziemlich schmalen, aber starken Pflugschar. Daran dient eine Stange nach oben dem Pflüger als Handgriff, und eine Stange nach vorwärts bildet die Deichsel.

Wegen der vielen Felsen und Steine im Ackerfeld oder wegen der Weinstöcke und Bäumchen, über welche hinweggeackert wird, muss der Pflüger stets genau auf Pflug und Furche schauen, wenn er nicht mehr schaden als nützen soll. Vielleicht hat der Herr in Nazaret einst selbst geackert oder doch Pflüger angestellt. Einer der niemals mit Pflügen zu tun gehabt hat, würde wohl kaum das Gleichnis gewählt haben: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.“ (Lk 9,62).

Zur Zeit Christi scheinen böse Leute ihre Feinde dadurch geärgert zu haben, dass sie ihnen nach der Aussaat Unkraut auf ihr Weizenfeld streuten. Dies Unkraut, eine Lolchart, lolium tumulentum, wächst heute noch in Menge unter dem Weizen. Es bildet dem Weizen ähnliche Körner und wird als Hühnerfutter verkauft. Heute geben die Leute ihrem Hass auf noch boshaftere Weise Ausdruck. Wenn sich jemand oft 10 bis 20 Jahre lang geplagt hat, um einen schönen Baumgarten zu bekommen, und hat seine Bäumchen groß gezogen und hat seine Lust daran, so kommt oft über Nacht, wenn er schläft, sein Feind und haut ihm alle um. Und wenn der Besitzer am Morgen hinauskommt und sieht, wie ihn nur noch die abgehauenen, blutenden Stümpfe traurig anstarren und möchte weinen vor Schmerz und Zorn, dann ist sein erster Gedanke: „Das hat der Feind getan!“ (Mt 13,28).

Das Gesetz Moses, das in seinen Bestimmungen so viel Freundlichkeit auch gegen Tiere zeigt, verbot den Israeliten, verschiedenartige Tiere an den Pflug zu spannen. Denn natürlich muste der schwächere Teil gewöhnlich darunter leiden. So human sind die heutigen Palästinenser nicht. Man sieht häufig ein Pferd und einen Esel, ja sogar ein Kamel mit einem Esel oder einer Kuh an einen Pflug gespannt. Und es sieht halb kläglich, halb possierlich aus, wenn so ein ungleiches Brüderpaar voraus und der Fellache im Hemd und mit seinem Ochselstachel hinterher läuft. Ja, der Verfasser hat sogar einmal gesehen, dass einer seinen Esel und sein Weib an den Pflug gespannt hatte. Das sah freilich traurig genug aus und ist sehr bezeichnend für die Stellung der Frau im Orient.

Man treibt die Tiere beim Pflügen mit einer 2 bis 3 Meter langen Stange, an deren Ende sich ein eiserner Stachel befindet. Dumme Tiere, die sich noch nicht recht ins Joch fügen wollen, schlagen bisweilen nach hinten aus. Und es geschieht dann oft, dass sie mit ihrem Fuß gerade in den spitzen Stachel hineinschlagen und sich schmerzlich verwunden. Da sie ins Joch eingespannt sind, merken sie bald, dass dies Ausschlagen nur ein ohnmächtiger Versuch ist, sich gegen den Pflüger zu wehren.

Darauf spielte der Herr Jesus an, als er dem Paulus auf der Straße nach Damaskus erschien. Er sagte zu ihm: “ Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.“ Damit scheint ihm der Herr sagen zu wollen: „Du gehst eigentlich schon in meinem Joch. All den Wüten ist ein ohnmächtiges Bemühen, dich mir zu entziehen, bis du deinen Willen gebrochen und dich in meine Wege gefügt hast.“ (Apg 9,5).

Das Pflügen findet gewöhnlich sofort nach dem ersten Frühregen statt. Und mit dem Sprießen der Blumen und Gräser treibt auch die junge Saat kräftig hervor. Sie bedeckt das Land mit saftigem Grün. Mit Wonne schweift dann das Auge über die schönen Fluren, welche dasselbe so lange kahl und dürr gesehen hat. Doch diese Pracht verschwindet schnell wie eine Morgenwolke, der heiße Sommer brennt sie hinweg. Und bald ist’s nur noch wie ein Traum, dass das Land so herrlich war. Nun kommt die Feldfrucht schnell zur Reife. Schon im April und Mai wird geerntet. In seinem Gleichnis sagt der Herr: „Auf dem guten Land trug etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig.“ (Mt 13,8).

Heute ist der Ertrag beim Feldbau nicht mehr so reich. An besonders gut gedüngten, fetten Stellen kommen wohl auch jetzt noch Beispiele einer enormen Frichtbarkeit vor. Im Garten des syrischen Waisenhauses in Jerusalem hat einmal ein Gerstenkorn eine große Zahl von Ähren emporgetrieben, welche aus dem einen Korn 200 bis 300 zur Reife brachten. Im allgemeinen aber muss man sich mit einem 4- bis 13-fachen Ertrag zufriedengeben.

Andere Gewächse bringe ja viel mehr Frucht. Darin zeichnet sich besonders das Senfkorn aus, welches das kleinste unter den Samen ist. Und doch erzeugt es einen Strauch in Mannshöhe, welcher vieltausendfältige Früchte trägt. Und die Vögel des Himmels suchen Schatten unter ihm. Daher nimmt der Herr auch dies Körnlein zum Gleichnis für die Ausbreitung seines Reiches über die Welt. Denn wie ein kleines Samenkorn wurde es in den Boden Palästinas gelegt und schien sterben zu wollen, als der Herr am Kreuz hing. Jetzt aber ist’s ein mächtiger Baum geworden, der seine Schatten über den ganzen Erdkreis hin ausbreitet (Mt 13,31.32).

Jahreszeiten

(Jahreszeiten – ein Kapitel aus dem Buch von Ludwig Schneller „Kennst du das Land?“ in leicht gekürzter Fassung.)

Das heilige Land hat zwei Jahreszeiten, Sommer und Winter. Die allmählichen Übergänge des Frühlings und Herbstes, welche im Abendland so gerne gesehen sind, kennt man hier weniger. „Im wunderschönen Monat Mai“, wenn kaum der letzte Spätregen übers Land gefahren, ist schon Erntezeit.. Und von da an bis zum Oktober und November hört das Ernten nicht mehr auf. Tritt doch überhaupt das ganze Jahr hindurch in Bezug auf frische Früchte fast nie eine Pause ein. Kaum will eine Frucht vom Markt verschwinden, gleich erscheinen wieder neue Arten.

Der Winter oder besser die Regenzeit ist nicht so finster und trübe wir in der deutschen Heimat. Gerade während der stürmischsten Regentage beginnt das tausendfältige Sprießen aller Pflanzen. Auf allen Wegen, unter allen Felsen und Steinen dringen Halme und Knospen hervor. Und an manchem Januar- oder Februartag strahlt die Sonne so heiß auf die Erde, dass man den Winter gar vergisst und auch die Blümlein gelockt werden, ihre Köpfchen hervorzustrecken, den Frühling zu begrüßen. …

Und will man das Land in seinem Brautschmuck sehen, so muss man es in dem kurzen, nur wenige Wochen dauernden Frühling sehen, wenn der große Winterregen vorbei ist. Da ist es ein Land der Wonne und Lust. Von dieser Zeit jubelt das Hohelied in das Glockengeläute der sprießenden Blumen und der singenden Vogelwelt hinein: „Siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin. Die Blumen sind hervorgekommen im Land, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserem Land, der Feigenbaum hat Knoten gewonnen, die Weinstöcke haben Augen gewonnen und geben ihren Geruch“ (Hhl 2,11-13).

Im Frühling legt sich eine Pracht über das sonst so dürre Land, und es leuchtet in seinem Festgewand und mit seinem Sonntagsangesicht, dass man’s kaum wiedererkennt und an die herrlichen Zeiten erinnert wird, welche die Propheten demselben für eine spätere Zeit weissagen. Namentlich die purpurrote Anemone (die „Lilie des Feldes“), die oft ganze Strecken wie mit einem purpurnen Samtteppich überzieht, gibt dem Land ein paradiesisches Aussehen, dessen Schönheit mit hinreißender Gewalt auf das Auge wirkt.

Ich denke mir, es war Frühling, als der Herr seine Bergpredigt hielt. Da sah er rings um sich her diese purpurne Pracht der Blumen, wie sie sie die Abhänge des Berges, auf dem er saß, bedeckten, wies seine Zuhörer darauf hin und sprach: „Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist als derselben eines! So denn Gott das Gras auf dem Feld also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, sollte er das nicht vielmehr euch tun? O ihr Kleingläubigen!“ (Mt 6,28 ff.)

Um diese Zeit, wie auch zum Anfang der Regenzeit können wir jene Gewitter beobachten, von welchen das Alte Testament so großartige Schilderungen enthält. Nur selten kommen Gewitter vor, um so mehr machen sie Eindruck. Und da der Blitz fast nie einschlägt, auch den Steinhäusern nicht erheblich schaden würde, erblickt der Palästinenser alter und neuer Zeit nur eine Offenbarung der Macht und Pracht, der Majestät Gottes. …

Oft bringen diese Gewitter im März oder April den Spätregen. Wie willkommen ist dem Landmann ein guter Spätregen! Auch nach einer ganz kargen Regenzeit vermag derselbe noch die Aussichten auf die Ernte zu verdoppeln und zu verdreifachen. …

Diesen Spätregen, welcher etwa zur Osterzeit fällt, begleiten meist mächtige Westwinde, welche brausend über das ganze Land dahinfahren. Ein solcher Wind stürmte wohl durch die Straßen Jerusalems, als einst zur Osterzeit beim Schein einer Hängelampe in einem Haus der Stadt zwei Männer in einem Gespräch auf dem Diwan beisammen saßen. Es ist, als hörten wir ihn sausen, wie er über den Tempel und durch die Straßen nach dem Ölberg stürmt, wenn der Herr zu Nikodemus sagt: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl. Aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh. 3,8).

Lässt sich die Sonne schon im Winter ihre Macht nie allzusehr beschränken, im Sommer beherrscht sie alles mit souveräner Gewalt. Schon im April und Mai wird das Getreide eingeerntet, und nun brennt sie alle frischgrüne Vegetation von Feld und Steppe weg, und alle Frühlingspracht flieht dahin wie ein Traum. Nur die Bäume und Reben behalten ihr Grün auch im Sommer. Besonders der treue Ölbaum inmitten heißbestrahlter Felsen, dessen Blätter selbst die Sintflut nicht zu zerstören vermochte, behält seine eigentümliche Schönheit auch in größter Sommerglut. Äcker, Felsen und Steppen aber bedecken sich mehr und mehr mit dem braunen Dornstrauch, welcher unabsehbare Strecken bedeckt und immer mehr verbrannt wird.

Blumen und Graswuchs ersterben nie ganz. Aber ihre Farben sind nicht mehr leuchtend, ihre Formen dürftig und unscheinbar. Unter den tausenden von Dornbüschen blüht in manchen Gegenden eine matte rosenfarbene Blüte mit dünnen Blättern, welche der Landschaft einen fast wehmütigen Charakter verleiht. Nur eine ganze Armee von Disteln in mannigfaltigen Arten macht sich breiter und breiter, als wäre jetzt nach dem Tode der Frühlingsblumen endlich ihre Zeit gekommen. Daher finden wir in der Bibel so oft „Dornen und Disteln“ als Zeichen des Fluchs und der Unfruchbarkeit des Landes.

Die orientalischen Völker, welche die Sonne anbeteten, verehrten in ihr nicht nur die milde, lichtspendende Gottheit, sondern auch den gewaltigen Herrscher, welcher Volk und Land mit sengender Hitze furchtbar strafen kann. …

Ein Meer von Licht zittert an solchen Tagen heiß durch die Welt. Das Auge wird geblendet und schmerzt, wenn man ans Fenster tritt und hinausschaut auf die glühend angestrahlte Erde. Daher kann man sich denken, welche Freude es einem in der Hitze schmachtenden Wanderer bereitet, wenn er auf seinem schattenlosen Pfad einmal ein kühles, schattiges Plätzchen findet, wo er die heißen Glieder den brennenden Strahlen entziehen und in angenehmer Kühle ausruhen kann. Darum in der Schrift so oft das Bild des Schattens. Ein Wandern in der Hitze des Tages ist unsere Reise durchs Leben. Aber der Herr bedeckt die Seinen „mit dem Schatten seiner Hände“, „beschirmt sie mit dem Schatten seiner Flügel“. …

Zwei feindliche Brüder streiten sich aber unter der Oberhoheit der Sonne um die Herrschaft im Land: Westwind und Ostwind. Der erste ist der Freund, der zweite der Feind allen Lebens. Der Westwind ist im Sommer ein fast täglicher, auf allen Bergen, in allen Hütten vielwillkommener Gast. (Nur wenn der Ostwind seiner Meister wird, muss er ausbleiben.) Um Mittag fängt es an, in den Blättern der Bäume zu rauschen. Leise erst, dann stärker und stärker zieht er über das Land wie ein erqickender Hauch vom Herrn.

Wie sehnlich wird er oft erwartet, wie fröhlich wird er überall begrüßt, wenn er gleich einem alten treuen Freunde ankommt. Man öffnet die Fenster und die Türen und lässt ihn herein. Man verlässt die dumpfen Häuser und geht hinaus ins Freie, um sich anwehen zu lassen. Mit langen Zügen trinkt man die edle frische Himmelsluft, welche er vom Meer herüberführt. Darum heißt der Westwind in der Schrift auch einfach Meerwind. Nur in den Talkesseln und Schluchten bleibt es heiß. Daher ist fast jede Stadt und jedes Dorf eine „Stadt auf dem Berg“. (Matth. 5,14). Selbst wenn reiche, köstliche Quellen in einem Tal fließen, steht das zugehörige Dorf nicht in der ungesunden Tiefe, sondern auf luftiger Bergeshöhe.

Um so schlimmere Wirkungen hat der Feind dieses Windes, der Ostwind oder Schirokko (von dem arabischen Scherki – Ostwind). Vom Mai bis zum Oktober kommt er von Zeit zu Zeit und dauert, wie die Landeskinder sagen, je 3, 6, 9, 12 Tage und so fort (durch 3 teilbar) bis zu 21 Tagen. Er kommt aus den Glutöfen der syrisch-arabischen Wüste mit heißem Odem dahergefahren. „Da werden – wie Hiob 37,17 sagt – die Kleider heiß, das Land wird still vom Mittagswind!“

Bald ist der Schirokko wie ein müder Adler mit lahmen Flügeln, der langsam über die Erde hin segelt, während kein Lufthauch über die Berge zieht und die heiße Atmosphäre erdrückend wie Blei über der verschmachtenden, ausgedörrten Erde lastet. Bald ist er wie ein Gewaltiger, der mit heißem, starkem Flügelschlag über das Land stürmt. … Aber er mag stark oder schwach sein, stets ermattet er Menschen und Tiere aufs äußerste. … Die Pflanzen lassen Zweige und Blätter hängen, als ob sie sterben wollten. Hat die Blume in der Morgenfrühe noch mit leuchtenden Farben das Licht der Sonne begrüßt, ist sie am Abend verwelkt und verbrannt. Und der Ostwind führt sie geknickt und verdorrt über Stoppeln und Dornen.

An diesen Schirokko denkt der Psalmsänger, wenn er sagt: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras. Es blüht wie eine Blume auf dem Feld. Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Die Gnade aber des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten.“ (Ps 103,15-18). …

Welche Wohltat ist es aber, wenn nach solchen Schirokkotagen der Tau das durstige Land netzt. Die ganze Schöpfung ist dann erquickt und wie neu geboren. Alle Pflanzen atmen wieder auf und heben die matten und welken Zweige wieder in die Höhe. In früher Dämmerung, wenn die Morgenröte anbricht, ziehen Wolken mit dem Westwind herauf. Die streichen ganz nahe über den Erdboden weg. Dann erglänzen die feuchten weißen Kalkfelsen im Sonnenstrahl. Millionen und aber Millionen Tropfen scheinen den Strahlen der Morgenröte zu entquellen. Sie hängen glänzend an Gräsern und Blättern, und das Licht der jungen Sonne spiegelt sich in einem Meer schimmernder Wassertropfen. So rasch, so reich, so schön sind der dürstenden Erde diese köstlichen Tropfen geworden.

„Also – sagt der 110te Psalm – werden deine Kinder dir geboren werden wie der Tau aus der Morgenröte“ (Ps 110,3). Kein Wunder, dass der Tau in der ganzen Bibel zum Sinnbild der erfrischenden Gnade Gottes geworden ist. „Ich will Israel ein Tau sein, dass es blühen soll wie eine Rose!“. So tönt es im Propheten Hosea (Hos 14,6). …

Bis Anfang November oder oft Dezember herrscht der Sommer unbeschränkt. Wenn der geneigte Leser im wolkenreichen Abendland sich längst wieder der behaglichen Wärme des Ofens erfreut, herrscht hier, in dem „Land voll Sonnenschein“, im Oktober und November oft noch glühende Hitze. Sonnenschein und goldenes Blau des Himmels sind noch über Berg und Tal ausgespannt.

Rings um Betlehem herrscht noch fröhliches Treiben. Ist’s doch die wonnereiche Zeit der Weinlese! Da ist alt und jung hinausgezogen in die Weinberge, welche das Städtchen umgeben, und welche man von den Dächern der Stadt aus so anmutig daliegen sieht mit ihren Steinmauern, runden Türmen und Mauern. Es wohnt hier jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum von Dan bis Beerseba. Alles Volk ist fröhlich. Lohende Feuer erhellen die Dunkelheit, und die Stimme des Reigens und Jauchzens erschallt durch die Nächte. Es ist den Propheten ein Zeichen der traurigen Verödung des Landes, wenn diese „Freude und Wonne im Felde aufhört und man in den Weinbergen nicht mehr jauchzt und ruft und dem Gesang ein Ende gemacht wird.“ (Jes 16,10).

Erst dann hört dieses fröhliche Naturleben auf, wenn die ersten Vorboten der nahen Regenzeit sich zeigen und die Jahreszeiten mit dem neuen Winter ihren alten Kreislauf wieder beginnen.

Der Baumeister

(Der Baumeister – Teil 1 des Kapitels „Der Baumeister“ aus Ludwig Schnellers Buch „Kennst du das Land?„)

Auf unseren Bildern, welche Jesus während seines Aufenthalts in Nazaret darstellen, sehen wir ihn gewöhnlich mit Hobel und Säge bewaffnet an der Hobelbank stehen. Meist noch als Kind, um Josef zu helfen, während Maria irgendwo im Hintergrund der Tischlerwerkstatt zu sehen ist. Wir haben aber schon oben ausgeführt, dass „Tektoon“, d. h. einer, welcher Häuser baut, in Palästina, wo auf dem Gebirge alle Häuser aus Stein erbaut werden, nur einen Baumeister bedeuten kann. Sämtliche Gleichnisse des Herrn, welche auf Bauten Bezug nehmen, reden von Steinbauten.

Noch heutzutage wollen die Betlehemer Baumeister die Geheimnisse ihrer Kunst nur auf ihre eigenen Söhne vererben. Und so hat auch Josef den jungen Jesus in seine Kunst eingeführt. Er hat ihm die beste Art Steine zu fügen, Gewölbe zu runden usw. gezeigt. Als Josef dann starb, führte Jesus das Handwerk selbständig fort. Jene Stelle, aus welcher man folgern muss, dass Josef schon seit längerer Zeit gestorben war, zeigt uns Jesus als selbständigen Meister. Denn er wird dort (Mk 6,3) nicht etwa der Sohn des Baumeisters, sondern „der Baumeister, Marias Sohn“ genannt.

Freilich wird Jesus wohl nicht ausschließlich mit der Bauarbeit beschäftigt gewesen sein. Teils weil dieser Beruf nur für einen Teil des Jahres Beschäftigung und Verdienst bietet, teils aus Neigung geben sich z. B. in Betlehem fast alle Baumeister, mehr oder weniger, auch mit Landbau ab. Die Gleichnisse von Jesus deuten darauf hin, dass dies auch bei ihm der Fall war. Denn jedermann nimmt seine Vergleiche aus solchen Gebieten, in denen er heimisch ist. Wir finden aber in den Gleichnissen des Herrn auf nichts so viel Bezug genommen, wie auf Landbau und Bauarbeit. Betreffs des Landbaus, welcher naturgemäß die meisten Gleichnisse darbot, bedarf es keiner besonderen Beispiele. Aber auch auf den Häuserbau spielt der Herr besonders gerne an. Ansonsten zieht er außer dem Fischergewerbe seiner Jünger gar kein Handwerk, jedenfalls nicht die Zimmermannskunst, zu seinen Gleichnissen heran.

Gleich am Anfang seiner Tätigkeit, nachdem er kaum Hammer und Kelle niedergelegt hat und zum ersten Mal in seinem neuen göttlichen Beruf vor dem herrlichen Tempel in Jerusalem steht, spricht er (Jo 2,19): „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten!“. Jesus hat dabei natürlich nicht mit dem Finger auf seinen Leib gedeutet, wie manche es erklären wollen. Sonst hätte ihn jedermann verstehen müssen. Es war vielmehr ein Rätselwort, wie es der Herr manchesmal gesprochen hat. Auch wenn niemand in seiner Umgebung den wahren Sinn verstand. Selbst seine Gleichnisse, z. B. von viererlei Ackerfeld, blieben oft zunächst ganz unverstanden, solange er keine Erklärung hinzufügte. Die Leute nun, welche wussten, dass der, welcher jenes Wort vor dem Tempel stehend sprach, ein Baumeister war – und dazu gehörten vor allem seine Jünger -, konnten den Sinn nicht erfassen.

Jesus aber wollte durch solche Worte das Nachdenken anregen. Solche Rätselworte waren wie Saatkörner, welche erst einige Zeit in der Tiefe der Seele ruhen mussten, bis sie aufgehen konnten. Ihre scheinbare Unverständlichkeit machte sie nur um so behaltbarer. Denkende Leute kamen allmählich auf den Gedanken, dass der Herr in einem weit tieferen Sinn, als bisher, ein Baumeister sein könnte. Die Mehrzahl der Gedankenlosen dagegen bezog das Wort einfach auf sein bisheriges Handwerk und machte ihn lächerlich. „Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?“

Der Zweck des Herrn, das Nachdenken zu wecken, wurde auch trefflich erreicht. So großes Aufsehen machte jenes Wort, dass man es ihm selbst im Todesgericht noch vorwarf. Und auch später noch bei der Steinigung des Stefanus wurde es als Verbrechen vorgebracht. Aber erst nach der Auferstehung, so bemerkt Johannes, ging den Jüngern ein Licht darüber auf, was der Herr vor einigen Jahren mit dem seltsamen Wort gemeint hatte. …

Wie oft hören wir auch sonst aus den Gleichnissen des Herrn den früheren Baumeister reden. Für sein eigenes Schicksal, die Verwerfung vonseiten Israels, nimmt er ein Gleichnis vom Bauplatz. Es wurde, so sagt er ungefähr, ein Bau aufgeführt. Die Bauleute stehen auf dem Bauplatz zusammen und besehen die Bausteine. Einen Stein werfen sie als ganz untauglich weg. Aber gerade dieser Stein wurde zur großen Verwunderung aller zum Eckstein des Hauses. Der Bauherr hatte es so bestimmt. (Mt 21,42; Mk 12,10).

Oder Lk 14,28 sehen wir den Baumeister, der vor Ausführung eines Baues seinen Kostenüberschlag macht: Wer wollte einen Turm bauen und sitzt nicht zuvor und überschlägt die Kosten! Aber hat er erst den Grund gelegt, was bei den Bauten in Palästina oft besonders kostspielig ist, und kann es nachher doch nicht ausführen, so wird er von jedermann ausgelacht.

Gerade die Grundlegung beim Bau führt der Herr öfters an. Bekanntlich muss der Grund eines Hauses in Palästina auf dem Fels liegen, wenn man auch noch so tief graben muss. Diesem Grundsatz gemäß, den jeder Baumeister befolgen muss, will Jesus, wie früher bei seinen Bauten, seine Gemeinde auf den Felsen bauen. Und so stark und fest soll der Bau gegründet und gefügt sein, dass selbst die Pforten der Hölle ihn nicht überwältigen sollen. Ja den ganzen Ernst, die Summa der Bergpredigt, fasst der Herr am Schluss derselben in ein vom Bauplatz genommenes Gleichnis. „Darum wer diese meine Rede hört und tut sie, den vergleiche ich mit einem klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baute. Wer sie aber hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf den Sand baute.“ (Mt 6,24-26). …

Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, wie sehr auch später noch die Regeln der Baukunst in den Gedanken des Herrn lagen. Und sie bestätigen uns, dass nicht Tischlerei oder Zimmerei, sondern Häuserbau der Beruf des Herrn vor seinem Amtsantritt war.

Prophetische Symbolsprache

Prophetische Symbolsprache taucht in der Bibel überall auf, wo von Realitäten aus der unsichtbaren Welt gesprochen wird. Denn diese übersteigen den Horizont menschlichen Verstehens und menschlicher Vorstellungskraft.

Man sieht es an der Lehre von Jesus selbst. Er hat – wie in der Bergpredigt (Mt 5-7) – ganz klar und verständlich gelehrt, wo es z. B. um menschliche Verhaltensweisen geht. Aber in seiner Lehre über das Reich Gottes spricht er ein ganzes Kapitel lang (Mt 13/Mk 4) nur in Vergleichen und Beispielen. „Gleichnisse“ hat man das traditionell genannt.

Ich nenne es auch prophetische Symbolsprache. Jesus hat als Prophet über Realitäten gesprochen, die den Menschen nur mit Vergleichen oder Beispielen aus der menschlichen Erfahrungswelt annähernd verständlich gemacht werden können. Da sind ein Sämann, ein Weizenfeld mit Unkraut, ein Senfkorn, ein Sauerteig, ein Schatz, eine Perle und ein Fischernetz. Und selbst diese Vergleiche sind manchen noch unverständlich geblieben.

Auch in den Schriften der Gesandten von Jesus taucht diese prophetische Symbolsprache auf. Ein Beispiel dafür ist die geistliche Waffenrüstung, die Paulus in Eph 6 beschreibt. Der Gürtel um die Hüfte, an dem die Waffen hängen, ist die Wahrheit. Der schützende Brustpanzer steht für die Gerechtigkeit. Die Schuhe, die man an den Füßen haben sollte, bedeuten die Bereitschaft zur Weitergabe der Botschaft. Der Glaube ist ein Schild, die Rettung ein Helm und das Wort Gottes ein Schwert.

Ein konkretes Bild kann offensichtlich besser zum Ausdruck bringen, was gemeint ist, als eine theoretische bzw. theologische Abhandlung. Vor allem auch für einfache Menschen, die Gott ja besonders am Herzen liegen.

Das Bild vom Schwert für das Wort Gottes verwendet dann auch der Autor des Hebräerbriefs – Kap. 4,12: „Lebendig ist ja das Wort Gottes, wirksam, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, durchdringend bis zur Zerteilung von Seele und Geist, von Gelenken und Markknochen, und ein Beurteiler von Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“

Bei Paulus im Epheserbrief ist das Wort Gottes als Waffe zu verstehen, wie etwa bei Jesus, der mit dem Wort Gottes den Satan abgewiesen hat (Mt 4 / Lk 4). Im Hebräerbrief erscheint es eher wie das Instrument eines Schlachters oder gar Operateurs. Dabei spielt die Schärfe sicherlich in beiden Bildern die gleiche Rolle.

Und das Bild mit dem Schwert erscheint dann auch an einer eigenartigen Stelle in der Offenbarung. Gleich am Anfang in Kap. 1,12-16 hat Johannes die einleitende Vision von Jesus:

„Und als ich mich umgewandt hatte, sah ich sieben goldene Leuchter und in der Mitte der Leuchter einen wie ein Menschensohn, mit einem langen Gewand bekleidet und an der Brust mit einem goldenen Gürtel umgürtet. Sein Kopf und die Haare waren weiß leuchtend, wie weiße Wolle, wie Schnee, seine Augen wie feurige Glut, seine Füße wie glühendes Metall, wie im Ofen glühend, und seine Stimme wie das Rauschen vieler Wasser. In seiner rechten Hand hatte er sieben Sterne. Aus seinem Mund kam ein scharfes zweischneidiges Schwert. Und sein Gesicht war wie die Sonne, wenn sie leuchtet mit ihrer Kraft.“

Man könnte hier denken, dass Johannes Jesus sieht, wie er in seiner Herrlichkeit wirklich ist. Die Herrlichkeit in Form von „weiß“, „feurig“, „glühend“ und „leuchtend“ ist ja nicht zu übersehen. Und doch erscheinen symbolhafte Elemente, die so bei Jesus in seiner Herrlichleit real nicht vorstellbar sind. Die Leuchter um ihn herum und die sieben Sterne in seiner Hand sind ja real weder Sterne noch Leuchter, sondern sieben Gemeinden.

Und dann ist da auch das scharfe zweischneidige Schwert, das aus seinem Mund kommt. Das mag man sich bildlich und praktisch eigentlich gar nicht vorstellen. Aber von der Symbolik her ist es klar: Aus seinem Mund ergeht das Wort Gottes. So stellt sich Jesus vor: Was er jetzt an Johannes zu offenbaren hat, ist das Wort Gottes, das wirkt wie ein scharfes zweischneidiges Schwert.

Und wenn schon das Anfangskapitel der Offenbarung voller prophetischer Symbole steckt, werden wir uns nicht wundern, wenn sie uns dann durch das ganze Buch hindurch auf Schritt und Tritt begegnen. Und wir haben auch schon gesehen, dass es in den anderen Schriften der Bibel Parallelen dazu gibt. Auch diese werden uns beim Einordnen und Verstehen der Symbole hilfreich sein.